Wo ist die jüdische Gemeinde geblieben

Wolf Paul, 2025-11-11

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Paulus, Tora, messianisches Judentum und ein Leib mit nur einer Lunge
Für viele Christen wirkt „jüdisches Christentum“ wie ein Widerspruch. Als ob jüdische Identität
und der Glaube an Jesus sich gegenseitig ausschließen würden.
Dabei war die erste ekklesia – die erste Gemeinde – vollständig jüdisch.
Erst später kamen Nichtjuden (Heiden) dazu und wurden zahlenmäßig dominant.

Paulus beschreibt die Gemeinde Jesu mit zwei Ursprüngen, aber einem Leib:

  • ecclesia ex circumcisione (ecclesia ex Iudaeis)– die Gemeinde aus den Juden
  • ecclesia ex gentibus – die Gemeinde aus den Nationen (den Heiden)

Paulus konnte sich nicht vorstellen, dass die eine die andere ersetzt.

Historisch verschwand jedoch der jüdische Teil der Gemeinde – nicht weil jüdische
Jesus-Nachfolger aufhörten zu existieren, sondern weil beide religiösen Systeme sie
ausgrenzten:

  • rabbinisches Judentum: „Wenn du an Jesus glaubst, bist du kein Jude mehr.“
  • christliche Welt: „Wenn du an Jesus glaubst, höre auf, jüdisch zu leben.“

So verschwand die ecclesia ex Judaeis aus der Sicht der Geschichte.


Paulus hat nicht die Tora abgelehnt – sondern ihren Missbrauch

In der christlichen Tradition existiert ein hartnäckiges Missverständnis: Paulus habe die Tora
(Gesetz Moses) als Last oder als Knechtschaft bezeichnet. Aber Paulus sagt nie, dass die Tora
schlecht sei.

„So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.“

Römer 7,12

„Ich habe Freude an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen.“

Römer 7,22

„Heben wir nun das Gesetz auf durch den Glauben? Keineswegs! Vielmehr bestätigen wir das Gesetz.“

Römer 3,31

Paulus’ Problem war nicht die Tora selbst,
sondern die Verwendung der Tora als Eintrittsbedingung:
„Nur wer zuerst Jude wird, darf Teil der Gemeinde sein.“

Darum ließ Paulus Timotheus (jüdischer Hintergrund) beschneiden (Apg 16,3),
weigerte sich aber bei Titus (Heide) strikt (Gal 2,3).

Paulus in einem Satz:

Juden sollen Juden bleiben. Heiden sollen Heiden bleiben. Alle gehören in Jesus zusammen.


Wie aus der Tora fälschlich eine Last wurde

Kirchengeschichte (vor allem durch Augustinus und Luther geprägt) projizierte mittelalterlichen
Werkglauben rückwärts auf das Judentum. Dadurch entstand die vereinfachte Gleichung:

  • Tora = Gesetzlichkeit / Erlösung durch Werke
  • Gnade = Freiheit von der Tora

Aber im Judentum ist Tora nie ein Mittel der Rettung gewesen,
sondern Bundesleben – Ausdruck der Beziehung zu Gott.

An Simchat Tora („Freude an der Tora“) tanzen Juden mit der Schriftrolle.
Tora ist kein Joch. Tora ist Freude.


Die frühen Gemeindeväter wussten noch von beiden Teilen des Leibes

Bevor der jüdische Zweig verschwand, sprachen frühe Leiter der Gemeinde noch so:

„Die Apostel waren aus der Beschneidung, wir aus den Heiden.“

Johannes Chrysostomos (4. Jh.)

„Aus den Juden und aus den Heiden macht Gott eine Gemeinde.“

Augustinus, Contra Faustum 12.31

Zwei Ursprünge – ein Leib.


Das Wiederauftauchen der jüdischen Gemeinde

Nach 1.600 Jahren geschah etwas Überraschendes:

  1. Hebräische Christen (19. Jh.–1960er): Juden, die an Jesus glaubten, aber in
    heidnische Gemeinden assimilierten.
  2. Messianisches Judentum (seit ca. 1970): Juden, die an Jeschua glauben und weiter
    jüdisch leben.

Mark Kinzer, führender messianisch-jüdischer Theologe, schreibt:

„Die Berufung Israels ist unwiderruflich, auch für Juden, die an Jesus den Messias glauben.“

Mark Kinzer, Postmissionary Messianic Judaism, S. 41

Kinzers Ansatz heißt bilaterale Ekklesiologie:
eine weltweite Gemeinde mit zwei gemeinschaftlichen Identitäten – Juden und Heiden.


Stuart Dauermann: Tora als jüdischer Jüngerschaftsweg

Stuart Dauermann (Hashivenu-Bewegung) erklärt, warum jüdische Jesus-Nachfolger
sichtbar jüdisch bleiben sollen:

„Wenn jüdische Jünger Jeschuas nicht erkennbar jüdisch bleiben,
worüber genau sollen andere Juden dann eifersüchtig werden?“

Stuart Dauermann (Hashivenu)

Das greift direkt auf Römer 11,11 auf:

„Das Heil ist zu den Heiden gekommen, um Israel eifersüchtig zu machen.“

Römer 11,11

Dauermann formuliert auch:

„Tora ist das Jüngerschaftsprogramm Gottes für Juden.“

Dauermann (Vortrag)


Wenn Christen überkorrigieren: Zwei-Bünde-Theologie

Aus dem Wunsch, Antisemitismus zu vermeiden, und um den christlich-jüdischen Dialog nichy zu stören, sagen manche Theologen heute:

„Juden brauchen Jesus nicht; sie haben ihren eigenen Bund.“

Gut gemeint – aber es beraubt Juden des Messias Israels und eliminiert die
jüdische Gemeinde genauso effektiv wie die klassische Ersatztheologie.


Der Ölbaum des Paulus (Römer 11): Ein Baum, zwei Arten von Zweigen

  • natürliche Zweige – Juden
  • eingepfropfte Zweige – Heiden
  • eine Wurzel – der Bund mit Abraham

„Rühme dich nicht gegenüber den Zweigen … Nicht du trägst die Wurzel,
sondern die Wurzel trägt dich.“

Römer 11,18

Die heidnische Gemeinde steht in Israels Geschichte – nicht anstelle Israels.


Schluss: Ein Leib mit nur einer Lunge

Wenn der jüdische Teil des Leibes fehlt:

  • vergisst die Gemeinde ihre Wurzeln,
  • wird Tora zur Last statt zur Freude,
  • sieht Israel keinen jüdischen Jesus-Nachfolger.

Die Gemeinde atmet – aber nur mit einer Lunge.

Der Leib des Messias braucht beide Lungen, um atmen zu können.
Ohne die jüdische Seite verliert die Gemeinde Sauerstoff.

Möge der Leib wieder mit beiden Lungen atmen.

Dieser Artikel ist aus einer längeren Diskussion mit ChatGPT entstanden