„Ich denke, daß der Glaube an Gott eine gesündere Lebensweise ist“

Wolf Paul, 2025-01-15

Ich lese gerade Faye Kellermans Roman Habgier, der Teil ihrer Peter Decker & Rina Lazarus“-Serie ist.

Rina ist lebenslang praktizierende, orthodoxe Jüdin. Der Polizist Peter „Akiva“ Decker aus Los Angeles ist zwar gebürtiger Jude, wurde jedoch von nichtjüdischen Pflegeeltern adoptiert und hat erst durch seine Liebe zu Rina zum praktizierten Judentum gefunden.

Hier ist ein interessanter Dialog über Glauben und Zweifel im Zusammenhang mit der Frage nach der ultimativen Gerechtigkeit:

„Ich hoffe es sehr. Es macht mich wütend, dass ein Mörder der Gerechtigkeit entkommen ist.“

„Er wird sich irgendwann für seine Taten verantworten müssen. Vielleicht nicht vor dir oder vor der Strafjustiz, aber ganz sicher vor einer höheren Instanz. Was man sät, das wird man ernten: Middah keneged middah.“

„Ich wünschte, ich könnte das glauben.“

„Manchmal weiß ich selbst nicht, ob ich das glauben kann. Aber das ist die Grundlage des Glaubens, und ich bin eine gläubige Frau.“ Rina legte ihr Buch zur Seite. „Diese ungelösten Fälle müssen frustrierend sein. … Ich weiß, es macht dich fertig, dass jemand mit Mord davonkommt, aber am Ende sterben wir alle, und dann sehen wir, dass letztlich jemand anderes die Kontrolle hat.“

„Und was, wenn man stirbt und das war’s?“ fragte Decker. „Ich meine, das war’s wirklich! Man endet als Futter für die Würmer.“

„Vielleicht ist das so“, sagte Rina. „Da niemand es wirklich weiß, entscheide ich mich, anders zu glauben. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass ich einer Täuschung aufgesessen bin, denke ich, dass der Glaube an Gott eine gesündere Lebensweise ist. Glaube ist für die Lebenden, Akiva, nicht für die Toten.“[1]

Faye & Jonathan Kellerman

Ich selbst bin Nichtjude und evangelikaler Christ, kein praktizierender Jude, aber ich finde es faszinierend, wie solche „jüdischen“ Gespräche mit meinen eigenen Erfahrungen als Gläubiger im Einklang stehen. Und ich finde generell „weltliche“ Romane mit glaubensbezogenen Figuren – ob jüdisch oder christlich – interessanter, auch wenn diese Figuren nicht perfekt oder heilig dargestellt werden. Solche Romane gefallen mir besser als explizit „christliche“ Bücher, in denen Gläubige oft wie „brave Musterkinder“ wirken – denn seien wir ehrlich: Wir sind nicht alle perfekt oder heilig, und auch in unseren Reihen gibt es Schurken. Aber wir neigen dazu, ihre Fehler zu übersehen oder sie zu verleugnen, wenn sie uns zu blamabel werden.

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  1. Dieser deutsche Text stammt nicht aus der deutschen Ausgabe des Romans, auf die ich keinen Zugriff habe, da ich das Buch auf Englisch lese. Stattdessen habe ich den englischen Text mit Hilfe von ChatGPT selbst übersetzt.[]

Vaterland – ein Roman

Wolf Paul, 2024-08-04

Ich habe gerade „Vaterland“ von Robert Harris fertig gelesen, einen Kriminalroman, der 1964 in einem Deutschland spielt, das den Krieg gewonnen hat. Die Idee zu diesem Buch kam Harris, als er als Journalist über die „Hitler-Tagebücher“-Affäre berichtete. Hier ist die Buchbeschreibung von Amazon:

Berlin, 1964. Deutschland hat den Krieg gewonnen, und das Großdeutsche Reich erstreckt sich vom Rhein bis zum Ural und hält einen unsicheren Frieden mit seinem nuklearen Rivalen, den Vereinigten Staaten. Während das Vaterland sich auf eine große Feier zu Adolf Hitlers fünfundsiebzigstem Geburtstag vorbereitet und einem versöhnlichen Besuch des US-Präsidenten Joseph Kennedy und des Botschafters Charles Lindbergh entgegensieht, wird ein Kriminalpolizei-Ermittler mit der Untersuchung einer Leiche in einem See nahe Berlins vornehmstem Vorort beauftragt.

Doch als Xavier March die Identität der Leiche entdeckt, stößt er auch auf Anzeichen einer Verschwörung, die bis in die höchsten Kreise des Deutschen Reiches reichen könnte. Und während die Gestapo ihm dicht auf den Fersen ist, geraten March und die amerikanische Journalistin Charlotte Maguire in einen Wettlauf, um die Wahrheit aufzudecken – eine Wahrheit, die bereits gemordet hat, eine Wahrheit, die Regierungen stürzen könnte, eine Wahrheit, die die Geschichte verändern wird.

Das Buch war eine faszinierende Lektüre mit historischen Akteuren, die zu jener Zeit außerhalb der Fiktion bereits unterschiedlich lange tot waren. Der Roman verfälscht die Geschichte nicht: Keine historisch bösen Figuren wurden beschönigt, und keine historisch guten Figuren wurden zu Monstern gemacht. Der überraschendste Aspekt des Buches ist, daß die Welt offenbar noch immer nicht weiß, was aus den Juden Europas geworden ist – es wird angenommen, daß sie irgendwo in den weiten Gebieten im Osten verschwunden sind.

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen und war beeindruckt von der Sorgfalt, mit der der Autor die deutschen Wörter im Buch verwendet hat – er ist der erste englischsprachige Autor, den ich kenne, der den korrekten Plural von „Autobahn“ benutzt: „Autobahnen“, nicht „Autobahns“.

Das Buch wurde in der englischsprachigen Welt sofort ein Bestseller; seine Rezeption in Deutschland war zunächst recht negativ. Es wurde weithin als anti-deutsch angesehen (Der Spiegel: eine „Dämonisierung der Bundesrepublik“), und kein deutscher Verlag wollte es veröffentlichen; es erschien in der Schweiz, und erst Jahre später wurde das Taschenbuch von einem deutschen Verlag herausgebracht. Ich empfand das Buch weder als anti-deutsch noch als Dämonisierung, aber dies zeigt, wie schwierig und schmerzhaft es für Deutsche und Österreicher immer noch ist [1]), sich an ihre schuldhafte nationale Geschichte zu erinnern. Letztendlich setzte sich eine objektivere Rezeption durch.

Die Filmversion werde ich mir nicht ansehen: Laut Wikipedia hält sie sich nicht getreu an die Vorlage und hat ein völlig anderes Ende.

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  1. (ich erwähne Österreich hier ausdrücklich, weil entgegen dem populären Mythos in diesem Land, daß Österreich das erste Opfer der Nazis war, viele Österreicher an den Gräueltaten des Dritten Reiches beteiligt waren, angefangen bei Hitler selbst. Eine der Hauptfiguren des Buches ist der Kärntner Odilo Globocnik, Gauleiter in Wien und später SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin des Generalgouvernements (Polen).[]

Bibelübersetzungen

Wolf Paul, 2023-07-12

Vor kurzem wurde der von mir sehr geschätzte Theologe Chad Bird auf Facebook gefragt, welche Bibelübersetzungen er als besonders gut und textgetreu empfehlen würde, und er empfahl die NASB, ESV, und CSV. Das sind natürlich alles englische Übersetzungen, und ich habe dann überlegt, welche deutsche Übersetzungen ich empfehlen würde.

Zuvor möchte ich aber einen Satz aus Chad Birds Antwort herausstellen und ganz dick unterstreichen:

“Jede Übersetzung ist natürlich unvollkommen, weil es unmöglich ist, eine Sprache zu 100% in eine andere Sprache zu übertragen.”

Das ist eine ganz wichtige Tatsache, die leider viel zu oft übersehen wird.

Als Pendant zur NASB, die mehr Wert auf  Übersetzungsgenauigkeit als auf Lesbarkeit legt, würde ich die Elberfelder Bibel empfehlen, wobei die revidierte Version (1985, neue Rechtschreibung 2006) bereits wesentlich lesbarer ist, als ihre Vorgänger. Als Pendant zu ESV und CSB finde ich drei deutsche Übersetzungen empfehlenswert: die revidierte Schlachterbibel (2000), die revidierte Lutherbibel (2017) und die revidierte Einheitsübersetzung.

In der Basisbibel der Deutschen Bibelgesellschaft ist zwar nicht ganz meins, aber mit ihr werden schließlich auch jene fündig, die gegen traditionelle Sprache allergisch sind.

Auf Englisch empfehle ich für eine zusätzliche Perspektive die CJB (Complete Jewish Bible) von David Stern;  von der gibt es auf Deutsch lediglich das Jüdische Neue Testament welches kombiniert mit der Heiligen Schrift, dem Tanach (Alten Testament) in der Übersetzung von Naftali Herz Tur-Sinai eine ähnliche Perspektive bietet.

Generell glaube ich, daß man mit den meisten Bibelübersetzungen besser fährt, als ohne Bibel. Aber es gibt ein paar Übersetzungen, die entweder sehr tendenziös sind (z.B. die Neue Welt Übersetzung der Zeugen Jehovas) oder aber von ihrer Ubersetzungsphilosophie her problematisch sind (z.B. Konkordantes Neues Testament, DaBhaR-Übersetzung)[1]

NACHTRAG:

Auf Facebook fand dann folgender Austausch zwischen mir (WNP) und Dagmar Gollatz (DG) statt:

DG: Wem empfehlen und wofür? Das macht doch einen Unterschied.

WNP: Wir reden hier von generellen Empfehlungen für den “normalen” Gläubigen und “normale” Bibellese/Bibelstudium. Daß es in speziellen Situationen auch andere Möglichkeiten gibt, ist unbestritten.

DG: Was meinst du in dem Zusammenhang mit normal? Ist das jemand deines Alters und deiner Sozialisation? Ist es die Jugendliche, die die Bibel zum ersten Mal liest? Ist es der mit Buddhismus liebäugeldnde beruflich stark belastete Mittdreißiger? Das 10jährige Kind das in frommer Familie aufwächst? Das theologisch interessierte Mitglied der Gemeindeleitung? Die junge Mutter, die den Bezug zur Gemeinde verloren hat, aber ihren Kindern doch biblische Geschichten erzählen will und vorher selbst nachlesen will. Der fromm erzogene Teenie, der die Nase voll hat von salbungsvollen Worten. Die aktive Pensionistin, die jetzt mit theologischer Literatur neben der Bibel ihr Verständnis vertiefen will?

WNP: “Normal” ist ein bisserl ein ungeschicktes Wort, wie wir auch der aktuellen politischen Diskussion entnehmen können.

Während ich nicht glaube, daß es die EINE richtige und allgemeingültige Übersetzung gibt (das liegt in der Natur von Sprache), und während ich durchaus eine gewisse Berechtigung für Zielgruppen-Übersetzungen sehe, gibt es doch einen Unterschied zwischen Übersetzung (translation) an einem Ende des Spektrums und Übertragung (paraphrase) am anderen Ende des Spektrums, und auf den Unterschied hab ich auch hingewiesen. Wie wichtig einem dieser Unterschied ist, hängt sicher auch davon ab, für wie wichtig man den tatsächlichen Wortlaut des biblischen Textes hält; wenn man ihn (wie ich) für wichtig hält, dann bevorzugt man möglichst wortgetreue Übersetzungen gegenüber freieren Übersetzungen und Übertragungen.

Ich habe keinen Zweifel, daß Menschen auch durch Übertragungen zu einem lebendigen Glauben an Jesus finden können; ich bin aber auch davon überzeugt, daß sowohl jugendliche Bibel-Anfänger ebenso wie Kinder und Jugendliche aus einem christlichen Umfeld, sowohl beruflich stark belastete Männer als auch alleinerziehende Mütter, aktive Pensionisten und Pensionisten ebenso wie alle anderen, der Deutsch lesen, die von mir empfohlenen Übersetzungen lesen und verstehen können, wenn sie offen sind für Gottes Reden. Und wenn sie das nicht sind, werden sie auch mit der Volxbibel nicht weiterkommen.

 

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  1. Diese Übersetzungen treiben die Worttreue so weit, daß sie jedes Wort des Urtexts durch jeweils ein Wort der Zielsprache übersetzen wollen. Das offenbart ein mangelndes Verständnis davon, wie Sprache funktioniert, und daß man eine Sprache nie zu 100% in eine andere Sprache übersetzen kann. Der Übersetzer der DaBhaR versucht das zu kompensieren, indem er einfach Wörter erfindet, was am Sinn einer Übersetzung vorbeigeht.[]