Refugees Then (1940s) and Now (2000s)

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On Facebook a friend, writing about the BBC’s two-part feature “The Holy Land and Us – Our Untold Stories”[1], says,

The one thing that stood out to me was the post war arrival of thousands of refugees crowded into boats. It made me think about the views to refugees arriving here in boats and how contradictory our ideas can be. Do people have different views about refugees arriving in Palestine in boats and refugees arriving here in boats?[2]

I have not yet watched this but here is how I would answer my friend’s question about attitudes towards refugees:

I suspect the reason for the difference in  attitudes to Jewish refugees arriving in Palestine in the 1940s and all the refugees arriving in Europe in recent years is at least two-fold:

  1. Unlike today’s refugees the Jewish refugees were not coming to Europe, they were leaving it, thus becoming someone else’s problem.
  2. In the 1940s most of Europe had a bad conscience vis-a-vis the Jews, for having looked the other way when the nazis’ treatment of the Jews of Germany and occupied countries was becoming obvious. This is true both of countries like the UK as well as of non-nazi citizens within Germany and Austria.
  3. Refugees coming to our countries back then were mostly Europeans like us, not foreigners with a vastly different culture like today’s refugees.

Today’s refugees are coming to Europe, thus becoming our problem and inconveniencing us; with the exception of the Ukrainians this past year they are foreigners with a religion and cultures alien to us; and unlike those alive in the 1940s we today do not feel responsible for nor have a bad conscience about contemporary situations that prompt people to flee their homelands.

Needless to say, I think this applies not just to refugees arriving in Britain by boat but to refugees arriving in other European countries receiving a less-than-enthusiastic welcome.

My own country of Austria is a prime example of this. Not only is there at most a reluctant welcome of today’s refugees, but attitudes to Jews and Israel have shifted as well: WWII and the Holocaust are distant history to those born in the past fifty years and most of them don’t feel any guilt/shame/responsibility for what happened to the Jewish people, thus they are less sympathetic to Israel’s plight. On the other hand, Palestinians, portrayed as the underdog, evoke sympathy.

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  1. “The Holy Land and Us – Our Untold Stories” on HD TV Omega Stream, may require registration. If you are in the UK you should also be able to find it on BBC iPlayer.[]
  2. Facebook Post by Jim Stewart on Mar 22, 2023[]
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Viele Öffnungen, viele Höhlungen

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  • Trigger-Warnung: In diesem Beitrag werden auch Körperfunktionen erwähnt, was manche Leser vielleicht unangenehm berühren könnte. 

Vor vielen Jahren habe ich über dem Waschbecken im Toiletten-Vorraum einer betont Israel-affinen christlichen Gemeinde einen Text gefunden, über den ich zunächst geschmunzelt habe, der mir aber bei näherer Betrachtung als durchaus dem Ort angemessen erschien.

Es handelt sich dabei um diesen als Ascher Jazzar bekannten Segensspruch (Bracha oder Beracha, Mehrzahl Brachot – hebr. ברכה, jiddisch: Broche), den fromme Juden angehalten sind, nach jedem Urinieren oder Stuhlgang zu sprechen, und der auch als Teil des Morgengebets Schacharit im Sid33dur (jüdisches Gebetsbuch) zu finden ist:

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt,
der den Menschen gebildet mit Weisheit
und an ihm erschaffen viele Öffnungen,
viele Höhlungen.
Offenbar und bekannt ist es
vor dem Thron deiner Herrlichkeit,
daß, wenn eine von ihnen offen
oder eine von ihnen verschlossen bliebe,
es nicht möglich wäre zu bestehen
und vor dich hinzutreten.
Gelobt seist du, Ewiger,
der da heilt alles Fleisch und wunderbar wirkt.

Momentan bin ich, zuerst wegen einer Operation in der Leistengegend, und danach wegen der daraus resultierenden Atrophie meiner Beinmuskeln, bereits seit fast elf Monaten bettlägrig, und habe deshalb einen Harnkatheter. Normalerweise funktioniert der ziemlich problemlos, er muß halt alle zwei Monate ausgewechselt werden, und manchmal verstopft er sich, dann muß er auch außerplanmäßig ersetzt werden. Das ist mir bis vor drei Wochen etwa viermal passiert – in etwa neun Monaten.

Am 21. Februar war der letzte planmäßge Katheterwechsel, und seither war ich bereits sechsmal mit einem verstopften Katheter in Mistelbach im Spital. zuletzt zweimal innerhalb von 12 Stunden. Das war ganz besonders unangenehm:

Schon das Warten auf die Rettung und dann der Transport ins Krankenhaus gegen 5:45 Uhr waren sehr unangenehm, weil sich die Blase immer mehr füllte; dort mußte ich dann in der Unfallambulanz (weil die Urologieambulanz zu der Zeit nicht geöffnet ist) warten, bis der diensthabende Urologe Zeit hatte, sich um mich zu kümmern. In dieser Zeit wurde mein Harndrang immer unangenehmer und schließlich schmerzhaft. Gegen 6:45 wurde mir schließlich gesagt, daß kein Urologe kommen würde, sondern ich in die Urologiambulanz gebracht werden würde. Das hieß, mit einer zunehmend schmerzhaften Blase weiter zu warten – zunächst bis zur Öffnungszeit der Urologie um 7:00 Uhr, dann weiter, bis die Urologie-Mannschaft um 7:15 Uhr aus der Schichtwechsel-Dienstbesprechung kam. Endlich Erleichterung! Der Wechsel ging dann sehr schnell, danach mußte ich eine weitere halbe Stunde auf den Heimtransport warten – aber da hatte ich zum Glück keine Schmerzen mehr.

Inzwischen mache ich, je nach Bedarf, mindesten zweimal am Tag eine Katheterspülung mit einer Kochsalz- oder Zitronensäure-Spülung, und obwohl man schon spürt, daß die Blase eigentlich nicht dafür gemacht ist, von dieser Seite befüllt zu werden, ist es doch wesentlich weniger schmerzhaft, wenn es dort nicht abfließen kann.

Normalerweise verschwende ich ja auf Körperfunktionen wie Urinieren kaum einen Gedanken, aber in meiner derzeitigen Situation muß ich immer wieder an Psalm 139, 14 denken:

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

Genau das Gleiche drückt Ascher Jazzar mit ein paar mehr Wörtern aus, und man belächelt diese Angewohnheit, diesen Segen nach jedem  Toilettengang zu rezitieren, nur solange es bei den eigenen vielen Öffnungen, vielen Höhlungen und deren Funktion zu keinen Störungen kommt.

Als freikirchliche, evangelikale Christen haben wir es nicht so mit vorgeschriebenen, vorformulierten Gebeten oder Ritualen, und das hat gute theologische Gründe; aber als Vorschlag statt als Vorschrift gesehen können z. B. gerade diese jüdischen Segenssprüche bei Allem und Jedem durchaus wertvoll sein, weil sie uns immer wieder daran erinnern, daß unser ganzes Leben, einschließlich nicht ehrenvollen [1] Aspekten, einen Gottesbezug hat, nicht nur die Stunde am Sonntagvormittag oder Mittwochabend, oder auch die tägliche Stille Zeit.

Und da stellt sich mir dann die Abschlußfrage: warum hat die eingangs erwähnte Gemeinde nicht auch den Segen zum Händewaschen (Netilat Jadajim,  hebräisch יָדַיִם נְטִילַת) über dem Waschbecken angebracht

Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns mit seinen Geboten geheiligt und uns befohlen hat, die Hände zu waschen.

Aber das war natürlich lange vor Covid-19.

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  1. 2. Timothäus 2, 20[]
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Christus hat den Tod überwunden. Er hat ihn nicht abgeschafft.

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von Jennifer M. Rosner

Dies ist eine Übersetzung ins Deutsche des englischen Originalartikels, der im April 2022 in Christianity Today erschienen ist.[1]. Hier veröffentlicht mit Genehmigung der Autorin.

Ich habe mir angewöhnt, jedes Jahr zu Jom Kippur, dem Versöhnungstag, einen bestimmten Abschnitt aus Der Stern der Erlösung zu lesen.  Dieses Buch, das während des ersten Weltkriegs an der Balkanfront auf Postkarten geschrieben wurde, ist das wichtigste Werk des deutsch-jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig, der hier die vollständigste und einander ergänzendste Deutung von Judentum und Christentum vorgelegt hat, die je geschrieben worden ist.

In Jahr meiner Hochzeit habe ich Rosenzweigs Überlegungen zur Bedeutung von Jom Kippur gelesen — nur zwei Wochen vor meiner Hochzeit — und wurde auf ganz neue Weise getroffen. Als ich die schwierigen Nachmittagsstunden des Jom Kippur-Fastens begann, wurde ich sehr bewegt von Rosenzweigs Ausführungen über das weiße Gewand, den Kittel, der üblicherweise zu Jom Kippur von den Männern (und in manchen jüdischen Kreisen, auch von den Frauen) getragen wird.

Wie alles im Judentum ist die Bedeutung dieses Brauchs vielschichtig. Der Kittel ist das traditionelle jüdische Sterbekleid; ihn an Jom Kippur zu tragen repräsentiert die kollektive Schuld des jüdischen Volkes vor Gott – und darum geht es an diesem Tag in erster Linie. Gott kann Unheiligkeit und Unreinheit nicht tolerieren, und an Jom Kippur müssen Juden ihrer eigenen Sündhaftigkeit, ihren eigenen Fehlern ins Angesicht starren. “Vergib, verzeihe, und sühne uns!” wiederholt die Liturgie von Jom Kippur immer wieder. Der Versöhnungstag ist ein Tag des Gerichts, wo jeder einzelne Jude (und das jüdische Volk als Kollektiv) sich eingedenk werden muß, wie schwer seine Sünde vor Gott wiegt.

Aber das Tragen des Kitels repräsentiert auch das Wunder von Gottes Vergebung, einem weiteren Aspekt von Jum Kippur. Den Kittel anzuziehen macht sichtbar, daß “wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden” (Jesaja 1,18). Für Rosenzweig ist Jom Kippur daher auf tiefster Ebene sowohl ein Tag des Lebens als auch ein Tag des Todes. Anstelle des Todes als Folge der Sünde gewährt Gott dem Volk großzügig Vergebung und das Geschenk des weiteren Lebens. Es gibt das Eine nicht ohne das Andere, und sie verleihen einander gegenseitig ihre Bedeutung.

Nach der ergreifenden Beschreibung, was das Tragen des Kittels an Jom Kippur bedeutet, bezieht sich Rosenzweig auf das Hohe Lied 8,6, wo es heißt “Liebe ist stark wie der Tod.” Rosenzweig fährt fort, “Und so trägt der Einzelne einmal schon im Leben das vollständige Sterbekleid: unterm Trauhimmel, nachdem er es am Hochzeitstag aus den Händen der Braut empfangen hat.”

Das war es, was mir in diesem für mich so besonderen Jahr den Atem stocken ließ. Ich hatte diesen Satz schon oft vorher gelesen, aber er hatte nie so eine gewichtige Bedeutung. Tod und neues Leben, Sünde und Vergebung, Umkehr und Schulderlaß – dese Aspekte von Jom Kippur sind auch die täglichen Aspekte der Ehe, eine Realität, die ich in den kommenden Jahren intensiv erfahen sollte.

Und es gibt noch eine Gelegenheit im jüdischen Kalender, wo traditionell der Kittel getragen wird: während des jährlichen Pessach-Seders, vor allem von demjenigen, der den Seder leitet. An diesem herbstlichen Tag von Jom Kippur habe ich daher nicht nur über die Verbindung zwischen Jom Kippur und dem Hochzeitstag nachgedacht, sondern auch über die Verbindung zwischen Jom Kippur und Pessach.

Viele diese theologisch reichen Verbindungen sind in Vergessenheit geraten, nachdem Judentum und Christentum sich einander entfremdet haben; damit haben sie den Stoff zerrissen, der einst die bedeutungsvollen Rhytmen des liturischen Jahres zusammenhielt. Aber heuer[2] fallen Pessach und Ostern in die gleiche Woche und das erinnert uns als Christen an die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens.

Jom Kippur wird in der Torah eingeführt (3. Mose 16; 23,26-32; 4. Mose 29,7-11) und fällt auf den zehnten Tag des siebenten Monats im jüdischen Kalender, dem Monat Tischri. Vor Tischri kommt Elul, ein Monat, in dem Umkehr, Buße betont wird. Nach der jüdischen Tradition beginnt in Elul eine vierzigtägige Fastenzeit, die bis in Tischri geht, und welche die vierzig Tage repräsentiert, die Moses nach der Sünde mit dem goldenen Kalb für das Volk Fürbitte getan hat.

In 2. Mose 32, während Moses oben auf dem Berg Sinai war und die zwei Steintafeln von Gott empfangen hat, fing das Volk an, sich Sorgen zu machen und ungeduldig zu werden, und sie schufen sich einen Götzen und beteten ihn an – ein Ereignis, das Israels schärfste Brüskierung Gottes darstellt.

Moses kommt vom Berg herunger und sieht das Volk, wie es um das goldene Kalb tanzt, und er wirft die Steintafeln auf den Boden, wo sie am Fuß des Berges zerbrechen. Es ist der Tiefpunkt in Israels Geschichte, ein Moment, wo es scheint, als könnte die Tiefe seiner Sünde und Schuld vor Gott nie behoben werden.

Aber in reiner unverdienter Gnade läßt Gott Mose neue Steintafeln herstellen, erneuert Seinen Bund mit seinem Volk und erklärt, “HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde” (2. Mose 34,6-7). Nachdem er vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Berg geblieben war, steigt Mose wieder ins Lager hinab, mit leuchtendem Angesicht.

Die Rabbis sagen, das sei die Geburt von Jom Kippur, diesem Tag, der sowohl den Höhepunkt der Sünde und Bosheit des Volkes repräsentiert, als auch die Tiefe von Gottes nicht-endender Liebe und unverdienter Vergebung. Das ist die großartige Geschichte, derer das jüdische Volk jedes Jahr gedenkt, in weißen Gewändern und immer der göttlichen Barmherzigkeit und Gnade bedürftig.

Die Geschichte von Pessach steht im 2. Buch Mose, kurz vor der Ankunft des Volkes am Berg Sinai. Als Teil der göttlichen Befreiung der Israeliten aus den Ketten der Sklaverei under dem Pharao, bringt Gott zehn Plagen über die Ägypter. Bevor die zehnte Plage, der Tod der Erstgeborenen, beginnt, befiehlt Gott dem Mose, daß jede israelitische Familie ein Lamm schlachten soll und mit dessen Blut den Türrahmen ihres Hauses markieren soll. Der Engel der Zerstörung, der das Leben jedes Erstgeborenen nehmen soll, sieht das Blut am Eingang der israelitischen Häuser und geht an diesen vorbei, womit die Erstgeborenen der Israeliten gerettet sind.

Wir müssen nicht nur die Verbindungen zwischen Pessach und Ostern wiederentdecken

Und wie Gott befohlen hat, bestimmt Mose, daß Israel jedes Jahr das Pessach-Fest feiern soll, und so versammeln sich bis zum heutigen Tag die Juden am 14. Tag des ersten Monats, dem Monat Nisan, zu diesem heiligsten Festmahl (2. Mose 12). Der Tisch ist mit besonderen Dingen und Speisen gedeckt, die alle eine Rolle spielen bei dieser Erinnerung – buchstäblich, diesem Schmecken – an die Ereignisse dieser schicksalhaften Nacht und der darauffolgenden Wanderung durch die Wüste Sinai. So gedenkt Israel für immer der Tatsache, daß in dieser finstersten Nacht der Geschichte Ägyptens, das Fleisch und Blut eines Lammes die Kinder Abrahams, Isaaks und Jakobs gezeichnet – und gerettet – hat.

Während des Pessach-Seders erleben die Juden aufs Neue das Leid der Sklaverei, die Tränen der Verzweiflung, und auch die Schreie der Ägypter. Aber die Juden erleben auch wieder den Triumph der Befreiung, die Freude des Neuanfangs, das Geheimnis der Macht und Liebe Gottes, und die Hoffnung, auf ein richtiges Zuhause im verheißenen Land.

Die vier Evangelien machen klar, daß Jesu Einzug in Jerusalem, sein letztes Abendmahl mit seinen Jüngern, und schließlich sein Tod und seine Auferstehung, vor dem Hintergrund von Pessach geschehen. Es war Konstantin, im ersten Konzil von Nicäa, der anordnete, Ostern von Pessach abzukoppeln, eine Entscheidung, die einen langen Prozess in Bewegung gesetzt hat, mit dem die jüdischen Wurzeln der Karwoche ausgelöscht wurden.

Um diese reichen und grundlegenden Wurzeln wiederzuentdecken, müssen wir nicht nur die Verbindungen zwischen Pessach und Ostern wiederentdecken, sondern auch Jom Kippur in unser Verständnis der Karwoche einbeziehen. Im Denken Rosenzweigs, und auch generell in der jüdischen Tradition, ist der Tallit, der jüdische Gebetsschal, ein Symbol für den Kittel. Auch der Tallit ist traditionell weiß, und obwohl er normalerweise nur untertags getragen wird, gibt es eine Ausnahme: der Vorabend von Jom Kippur, wo er nach Sonnenuntergang getragen wird. Traditionell wird er an Jom Kippur sogar den ganzen Tag getragen.

Viele jüdische Männer besitzen oder tragen einen Tallit erst, nachdem sie verheiratet sind, und es ist Tradition, daß die Braut dem Bräutigam an ihrem Hochzeitstag einen Tallit (statt einem Kittel) schenkt. Mein Verlobter Yonah hat sich an diese Tradition gehalten, und bevor wir für unsere Hochzeit aus Israel in die USA zurückkehrten, besuchten wir das Ramot Einkaufszentrum außerhalb von Jerusalem und suchten einen wunderschönen Tallit aus, den ich ihm dann im Rahmen userer Hochzeitszeremonie überreichte.

“Wir wollen mit den Juden nichts gemein haben, denn der Erlöser hat uns einen anderen Weg gezeigt,” erklärte Konstantin beim ersten Konzil von Nicäa. “Insbesondere ist es unwürdig, daß dieses heiligste aller Feste den Berechnungen der Juden folgt, die ihre Hände mit dem schrecklichsten Verbrechen besudelt haben und deren Verstand verblendet wurde.” Dieser Moment in der Kirchengeschichte ist als der Osterfeststreit oder  Quartodezimanische Kontroverse bekannt, weil es um die jüdische Feier von Pessach am 14.  (lateinisch quarta decima) Nisan ging.

Die Quartodezimaner waren diejenigen, die Ostern weiterhin zeitgleich mit der jüdischen Feier von Pessach feiern wollten. Das war eine bemerkenswerte Haltung, denn es verband das christliche Kirchenjahr mit dem jüdischen Kalender. Und diese Verbindung erschien der Kirche umso unerträglicher, umso mehr sie sich vom Judentum entfremdete, und das erste Konzil von Nicäa hat diese Entfremdung zementiert.

Dadurch ging die Verbindung verloren, die in den Evangelien ganz klar und absichtlich hergestellt wird. Die Bedeutung der Karwoche kann man nur vollständig verstehen, wenn man sie im Bewußtsein von Israels Geschichte begeht. Der Tod und die Auferstehung des Messias folgen dem Muster des Auszugs aus Ägypten, jenem Ereignis, das die Geburtsstunde Israels darstellt. Und an desem grundlegenden Zeitpunkt der Entstehung der Kirche, wo sie in Israels bleibenden Bund mit Gott eingepfropft wird, wird Jesus zu dem Pessach-Lamm, durch dessen Blut das Volk Gottes gerettet wird.

Wie wir schon in anderen Zusammenhängen gesehen haben, neigt die christliche Theologie dazu, Dinge auflösen zu wollen, die in der jüdischen Theologie durchaus in Spannung nebeneinander existieren können. Diesen Unterschied sehen wir auch in der Unterscheidung von Ostern und Pessach.

Für die Kirche ist der Karfreitag für den Tod reserviert, während der Sonntag der Tag der Auferstehungsfeier, des neuen Lebens, ist. Diese zeitliche, gottesdienstliche Trennung kann zu einer Aufspaltung von Leben und Tod führen, indem sehr zuversichtlich (und dualistisch) behauptet wird, daß wir, sobald wir den Sonntag erreicht haben, den Tod vergessen können. Man sagt uns, daß wir uns am Leben festhalten sollen, und die Macht des Todes vergessen sollen, weil Jesus den Tod ein für alle mal in seinem leeren Grab zurückgelassen hat. Der Stachel des Todes ist nur mehr für diejenigen von Bedeutung, die außerhalb der Kirche sind. Das ist jedoch zutiefst desorientierend, und schlußendlich, dehumanisierend.

Wie so viele von uns erlebt haben, ist die Realität weit von der einfachen Aussage entfernt, daß der Tod durch die Auferstehung überwunden wurde. Der Tod, in all seinen heimtückischen Formen, durchdringt immer noch unser tägliches Leben. Auch nach Jesu glorreicer Auferstehung kämpfen wir weiter mit beunruhigenden Dimensionen unsere Menschlichkeit: die Traumas, die wir erleben, die Verluste, die wir erleiden, die Enttäuschungen, die wir sammeln, die Ängste, die uns lähmen. Und leider kann die Kirche dann die subtile Botschaft senden, daß es uns irgendwie an Glauben mangelt, oder wir die christliche Botschaft nicht verstanden haben, wenn wenn wir unter diesen sehr realen Kämpfen leiden.

Pessach dagegen akzeptiert die komplexe Verbindung von Leben und Tod, es stellt Leben und Tod als konvergierende, miteinander verwobene Mächte dar. Auch wenn das Leben in Israels Erzählung schlußendlich gewinnt, erinnert uns die jüdische Tradition daran, daß es nicht möglich ist, das Leben, das wir leben, von unseren individuellen und kollektiven Erinnerungen an den Tod zu trennen.

Am Pessachtisch erinnern wir uns an den Tod eines Lammes, dessen Blut unser Leben gerettet hat. Wir danken Gott für das Geschenk der Freiheit, während uns die Bitterkräuter an die bleibende Bitterkeit der Sklaverei erinnern. Wir jubeln über den Auszug aus Ägypten, während wir uns gleichzeitig bewußt sind, daß wir noch nicht im verheißenen Land angekommen und zu Hause sind. Und besonders bemerkenswert, wir vermindern unsere Freude und gedenken des Leidens der Ägypter, indem wir von dem Wein, der unsere Freude symbolisiert, Tropfen entfernen.

Aber die deutlichste Konfrontation des Judentums mit dem Tod kommt an einem anderen Tag, den die Pesachgeschichte erwartet: Jom Kippur. An Jom Kippur steht das jüdische Volk vor Gott im Todeskampf, im Sterbegewand, aber mit dem Mut zu glauben, daß Gott gegenwärtig und zugänglich ist, auch vom Grab aus.

Genauso wie bei Pessach, gibt es auch bei Jom Kippur kein Leben ohne den Tod. Auch das Leben erlaubt uns nicht, den Tod zu vergessen. Die zwei stehen in einem unmöglichen Paradox beieinander, und wir erleben sie beide, während wir auf unsere endgültige Erlösung warten.

Pessach und Jom Kippur erinnern uns daran, daß wir Leben und Tod nicht fein säuberlich auseinander sortieren oder chronologisch ordnen können

Pessach und Jom Kippur erinnern uns daran, daß wir Leben und Tod nicht fein säuberlich auseinander sortieren oder chronologisch ordnen können. Wir müssen die Spannung dieser zwei aushalten — und genau das ist der Ort, wo wir die Fülle der Liebe Gottes erfahren, in Christus unserem Pessachlamm, dessen Blut die Sünde sühnt.

Es ist ironisch, daß die Unterströme der  biblischen Auslegung, die unseren christlichen Gottesdienst zu Ostern bestimmen, den Kontext auslöschen können, der uns die Bedeutung von Jesu Tod und Auferstehung erst vollständig verstehen läßt. Indem sie das Judentum als Feindbild hingestellt hat, hat die christliche Tradition allzu oft die Einheit und den Zusammenhalt der biblischen Geschichte verstellt, in der Gottes Bund mit Israel der notwendige Zusammenhang ist für das Heilswerk Jesu und die Geburt der Kirche.

So betrachtet, sieht Golgotha immer mehr wie Sinai aus. Der zerrissene Vorhang erinnert an die zerbrochenen Steintafeln, der Tod Jesu erinnert an die Opfer von Jom Kippur, das Geheimnis des Karsamstag ruft die Fürbitte des Moses oben auf dem Berg ins Gedächtnis, und Jesu Auferstehung handelt von einem wieder erneuerten Bund, einem Zeugnis von Gottes unendlicher, nie aufhörender Liebe, für die Juden zuerst, und dann für die Nationen. (Römer 1,16)

Aus dieser Perspektive bekommt die freudige Verkündigung, “Christus ist auferstanden!”, eine völlig neue und tiefe Bedeutung. Schließlich ist der Erlöser der Welt der lang erwartete Messias Israels.


Die messianische Jüdin Jennifer M. Rosner unterrichtet Systematische Theologie am Fuller Theological Seminary in Kalifornien, wo sie mit ihrem Mann Yonah lebt. Dieser Artikel ist ein bearbeiteter Auszug aus ihrem Buch, “Finding Messiah“, Copyright © 2022 by Jennifer Rosner. Published by InterVarsity Press, Downers Grove, IL. www.ivpress.com.
Michael Stone hat zu diesem Artikel beigetragen.
Ins Deutsche übersetzt von Wolf Paul mit Genehmigung der Autorin.

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  1. Anmerkungen des Übersetzers: Ich habe generell “church” mit “Kirche” übersetzt, weil der Fokus auf der Institution, und nicht auf der “unsichtbaren Gemeinde” oder der Ortsgemeinde liegt; ich habe die Begriffe Karwoche, Karfreitag, Karsamstag gewählt, weil ich mit diesen Begriffen aufgewachsen bin (anstelle von Passionswoche usw.). Die Bibelzitate stammen aus der Lutherbibel 2017. —Wolf Paul[]
  2. im Jahr 2022[]
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