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Wolf’s Notes

… about faith, life, technology, etc.

Warum hat Trump die Wahl gewonnen?

2024-11-10 Wolf Paul

Ich mache seit acht Jahren kein Hehl daraus, daß ich Donald Trump nicht für qualifiziert halte, Staats- und Regierungschef der mächtigsten Nation der westlichen Welt zu sein — vor allem charakterlich und aufgrund seines Temperaments — und bin daher von vielen meiner amerikanischen, evangelikalen Freunde kritisiert worden. Amerikanische Politik ginge mich nichts an, da ich weder US-Bürger wäre, noch in den USA wohnen würde. Ich habe dem immer — mehr uder weniger scharf — widersprochen und darauf beharrt, daß es mir sehr wohl zustünde, eine Meinung zur US-Politik zu haben und auch zu äußern, da Amerika als mächtigstes Land (zumindest der “westlichen” Welt) unser aller Leben mitbestimmt. Außerdem war ich zeitlebens ein Amerika-Fan, der nie vergessen hat, daß ich heute, ohne die maßgebliche Mitwirkung der USA, wahrscheinlich nicht in einem demokratischen Land leben würde , und auch nicht in einem, vom Marshall-Fund finanzierten Elternhaus aufgewachsen wäre, und daß mir daher das Schicksal dieses Landes sehr am Herzen liegt.

Leider hat in den letzten Jahren meine Begeisterung und Sympathie für das Land stark abgenommen, weil ich nicht nachvollziehen konnte, daß es ein Land von mit rund 300 Millionen Staatsbürgern, von denen etwas mehr als die Hälfte wahlberechtigt sind, bei den letzten drei Präsidentenwahlen keine besseren Kandidaten aufstellen konnte, als Hillary Clinton, Donald Trump, Joe Biden, und Kamala Harris — ein echtes Armutszeugnis. Und auch andere Schwachpunkse sind immer mehr in den Fokus gerückt: die Unfähigkeit, die Waffenpandemie und die daraus resultierenden Amokläufe in Schulen und anderswo einzudämmen, die Unfähigkeit, ein erschwingliches Gesundheitssystem gerade auch für die ärmeren und benachteiligteren Teile der Gesellschaft sicherzustellen, und die Häufung von rassistischen Übergriffen von Seiten der Polizei sind nur ein paar Beispiele dafür.

Auch von der evangelikalen Bewegung, die ein ganz wichtiger Einfluß auf mein Leben und meine Entwicklung hatte, bin ich sehr enttäuscht: Es ist mir unbegreiflich, wie rund 82 Prozent der amerikanischen Evangelikalen, ermutigt von vielen ihrer prominentesten Führungspersönlichkeiten, für einen vulgären Serien-Ehebrecher stimmen konnten, der damit prahlt, Frauen sexuell belästigt zu haben, seine politischen Gegner dämonisiert und seine entmenschlichende Verachtung gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, Frauen, Menschen mit Behinderung, Mitgliedern der LGBT-Community und Einwanderern zur Schau stellt.

Ich habe mir bei alledem nie eingebildet, daß meine Ablehmung irgendeine Auswirkung auf den Ausgang der Wahl haben würde, und so kam es auch: Donald Trump hat die Wahl haushoch gewonnen, und wenn nichts unvorhersehbares geschieht, wird er vier Jahre lang  als 47. Präsident die Geschicke der USA lenken, und damit auch sehr viel Einfluß auf die restliche Welt ausüben.

Ich bin Trump-Unterstützern sowohl unter meinen Freunden, aber vor allem auch untet christlichen Leitern, lange Zeit mit großem Unverständnis gegenübergestanden, und bei einigen meiner Freunde war ich stark versucht, den Kontakt abzubrechen. Ich habe jedoch meine Haltung diesbezüglich revidiert, vor allem was normale Wähler angeht — christlichen Leitern, die Trump’s charakterliche Defizite mit teils theologisch sehr skurrilen Argumenten beiseite wischen (Charakter ist offensichtlich nur beim politischen Gegner wichtig, nicht bei unseren eigenen Kandidaten) stehe ich nach wie vor sehr enttäuscht und kritisch gegenüber.

Dieser langwierige Prozess der Einstellungsänderung ist schwierig zu beschreiben und wohl auch noch nicht abgeschlossen, aber am Montag vor der Wahl, und dann drei Tage danach, bin ich auf ein paar Artikel gestoßen, die meine Überlegungen besser reflektieren, als ich sie selbst beschreiben könnte, und die mir auch noch einen weiteren Anstoß gegeben haben.

Zunächst gab es am Montag im Nachrichtenmagazin profil einen Leitartikel von Robert Treichler mit dem Titel, “Amerika will träumen“, in dem er Trumps Attraktivität für die Wähler beschreibt:

Worin besteht das große Versprechen von Kamala Harris? Nein, ich meine nicht eine Liste von Vorschlägen aus allen möglichen Bereichen, sondern einen großen Gedanken, von dem sich 150 Millionen Menschen tief drin angesprochen fühlen können.

Ich fürchte, so einen gibt es nicht. Das einzige Thema, das Harris im Wahlkampf auf emotional aufrüttelnde Weise auf den Punkt gebracht hat, ist das Recht auf Abtreibung. Aber das ist keine übergreifende Idee für die ganze Nation.

Trump hat ein solches Versprechen: “Make America Great Again.” In diesem simplen Slogan, mit dem Trump den nunmehr dritten Wahlkampf bestritten hat, sind enorm viele Beweggründe enthalten, die ein politisches Lebensgefühl erzeugen. Der Wunsch nach Stärke, die Rückbesinnung auf alte, in Verruf geratene Vorstellungen, das Bekenntnis zur Rücksichtslosigkeit gegenüber Widersachern, der Trotz gegenüber moralisierenden Einwänden …

Trump verknüpft seine Parole mit seinen zahllosen charakterlichen Defiziten. Aber der Schwur, Amerika wieder großartig zu machen, überstrahlt offenbar immer noch alle Unsäglichkeiten.

In der gleichen Ausgabe beantworten Siobhán Geets  und Robert Treichler unter dem Titel, “Verstehen Sie Amerika?” 47 Fragen zur US-Präsidentenwahl. Hier ist der Beginn dieses Artikels:

Würden Sie bei einer Präsidentenwahl eher für eine schwarze Frau stimmen oder für einen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Mann, der zudem im Verdacht steht, sich des versuchten Wahlbetrugs und der Anstiftung zu einem Aufstand schuldig gemacht zu haben? Durchaus möglich, dass Sie nicht lange nachdenken müssen. Die kniffligere Frage lautet: Warum hat der oben genannte verurteilte Straftäter – Sie haben ihn längst erkannt, es handelt sich um Donald Trump – am kommenden Dienstag gute Chancen, zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt zu werden?

Die anhaltende Popularität und der politische Erfolg Trumps machen ratlos. Doch es gibt Erklärungen: Es ist eine Tatsache, dass Trump frühzeitig das Problem der illegalen Migration erkannt und daraus ein politisches Megathema geschmiedet hat, ähnlich wie rechte Parteien in Europa. In seinem unnachahmlichen Stil grotesker Übertreibungen verteufelt er Migranten als Mörder, Vergewaltiger, und er verstieg sich gar zu der Behauptung, Einwanderer aus Haiti würden „die Haustiere anderer Leute essen“. Dennoch: Auch wenn die Demokraten seither restriktive Maßnahmen gegen illegale Einwanderung verhängen, gesteht ihnen ein großer Teil der Bevölkerung keinerlei Glaubwürdigkeit bei diesem zentralen Thema zu.

Dazu kommt die politisch aufgeladene Frage der Identitätspolitik. Die Demokraten kämpfen für Diversität, LGBTQ-Rechte und das Recht auf Abtreibung. John Della Volpe, Direktor am Harvard Kennedy Institut für Politik und früherer Berater von Joe Biden, warnt, dass sie damit die Männer vernachlässigen. Diese wenden sich prompt wieder stärker den Republikanern zu, die ein unbeschwertes Rollenbild mit eingeschränkter Nachsicht gegenüber patriarchalischen und sexistischen Verhaltensweisen propagieren. Dass die eine Hälfte der Bevölkerung etwas anderes will als die andere, ist völlig normal.

Problematisch ist jedoch, dass die beiden Hälften einander auf keiner Ebene mehr zu begegnen scheinen – nicht einmal im übertragenen Sinn. Trumps Anhänger halten die Wahl 2020 für geschoben, nehmen die Richtersprüche nicht ernst, schlagen die Warnungen seiner ehemaligen Mitarbeiter, wonach Trump gefährlich oder gar ein Faschist sei, in den Wind. So gehen alle Vorwürfe der Gegenseite ins Leere.

Auch wenn Trump selbst haarsträubende Dinge sagt, wie etwa, dass es gegen die „Feinde von innen“ – also seine Widersacher innerhalb der USA – mithilfe des Militärs vorgehen wolle, tun das seine Anhänger als typische Übertreibung ab. Während sich die andere Hälfte des Landes vor Entsetzen schaudert.

Ähnliche Überlegungen im Lauf der letzten Monate haben dazu geführt, daß ich versuche, normale Trump-Wähler besser zu verstehen und ihnen mit mehr Toleranz zu begegnen.

Am Freitag nach der Wahl landete schießlich der aktuelle Newsletter von Jonah Goldberg in meiner Inbox, mit dem Titel, “Stop Bashing Democracy!” (“Hört auf, die Demokratie schlechtzureden!”), in dem er unter anderem schreibt,

Und das ist im Kern der schwerwiegende Fehler, den die Menschen machen. Menschen wählen Kandidaten—irgendeinen Kandidaten—aus den unterschiedlichsten Gründen. Wenn du denkst, dass Trump ein Faschist ist, in Ordnung. Darüber können wir reden. Aber nur weil du ihn für einen Faschisten hältst, bedeutet das nicht, dass jemand, der für ihn gestimmt hat, dir zustimmt und trotzdem für ihn gestimmt hat. Ich kenne Dutzende Menschen, die für Trump gestimmt haben. Keiner von ihnen ist ein Idiot oder ein Faschist oder ein faschistischer Idiot.

Dieses Argument funktioniert genauso in die andere Richtung. Du magst denken, dass Kamala Harris eine „Kommunistin“ oder „Marxistin“ ist usw. Ob sie es ist oder nicht, ist ein diskutierbares Thema, im Sinne davon, dass es diskutiert werden kann. Aber wenn du möchtest, dass die Leute dir zustimmen, musst du das Argument bringen und nicht nur die Anschuldigung aussprechen. Wenn du sicher bist, dass sie eine Kommunistin ist, kann dir niemand das Recht nehmen, das zu sagen—aber zu sagen, dass es so ist, bedeutet nicht, dass alle dir zustimmen müssen. Nur sehr wenige der 68 Millionen Menschen, die für Harris gestimmt haben, taten dies, weil sie dachten, sie sei eine Marxistin oder Kommunistin.

Ich bin natürlich immer noch der Meinung, daß ich mit meiner Einschätzung von Donald Trump recht habe, und Trumps Unterstützer verkehrt liegen, aber ich habe inzwischen mehr Verständnis für sie, vor allem, da mit Kamala Harris (genauso wie vor acht Jahren mit Hillary Clinton) nur eine marginal weniger problematische Kandidatin zur Wahl stand.

Und damit springe ich jetzt zurück über den Atlantik, in unser Land Österreich. Vieles, was Robert Treichel und Siobhán Geets schreiben, läßt sich fast eins zu eins auf unsere Sitiation anwenden, wo mit Herbert Kickl  ein meiner Meinung nach absolut ungeeigneter Kandidat bei der Nationalratswahl die meisten Stimmen gewonnen hat. Zum Glück hat er keine regierungsfähige Mehrheit erhalten, und niemand will mit ihm koalieren, sodaß eine gute Chance besteht, daß wir eine Koalitionsregierung, aus ÖVP und SPÖ, möglicherweise mit den NEOS, bekommen werden.

Aber es Eines ist klar: wenn die neue Regierung so weitermacht, wie bisher, dann wird Kickl in vier Jahren noch mehr Stimmen, und möglichetweise eine “Absolute”. bekommen und dann regieren. Sich auf die dummen Wähler auszureden wird dann auch nicht mehr helfen. Denn das Problem ist hier bei uns das gleich wie auch in Amerika (und vielen anderen Ländern): eine politische Klasse= eine Möchtegern-Elite, die zu sehr ihren eigenen Interessen und ideologischen Lieblingsthemen verpflichtet ist, um sich um die Sorgen und Ängste von normal sterblicher Bürger zu kümmern. Das mag in Aerika und bei uns andere Formen annehmen, aber im Kern ist es dasselbe.


Fußnoten:

    1. geschätzte Zahlen aus 2020 ↩️
    2. Robert Treichler wurde 1968 in Graz geboren, studierte Französisch und Philosophie und ist seit 1997 Journalist beim Nachrichtenmagazin profil, seit 2021 in der Funktion des stellvertretenden Chefredakteurs. Bei Zsolnay erschien 2024 gemeinsam mit Gernot Bauer das Buch “Kickl und die Zerstörung Europas”. ↩️
    3. Siobhán Kathleen Geets, geboren 1984 in Wien. Studium der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, Fokus auf Genderstudies, Internationale Entwicklung, Philosophie and Religionswissenschaften. Diplomarbeit über Ladyboys in Thailand, Verleihung des akademischen Grades im Mai 2008. Von Oktober 2008 bis September 2009 Besuch des Lehrgangs an der Fotoschule Wien. Jänner bis Februar 2008 sowie Februar bis März 2009 Feldforschung in Thailand, Interviews mit Ladyboys für Diplomarbeit und Radio-Feature für Ö1. Seit 2020 bei profil im Außenpolitik-Ressort. ↩️

Was ist die demokratische Pflicht der Parteien?

2024-10-25 Wolf Paul

Herbert Kickl behauptet, daß es die demokratische Pflicht der ÖVP wäre, ihm als dem Erstplatzierten der Nationalratswahl zu einer Regierungsmehrheit zu verhelfen und mit der FPÖ eine Koalition einzugehen. Viele seiner Wähler sind der gleichen Meinung, und empfinden es als unfair und undemokratisch, daß Bundespräsident Van der Bellen nicht Kickl, sondern Karl Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt hat.

Aber sehen wir das ganze mal genauer an.

  • Die FPÖ unter Herbert Kickl wurde mit 28,85% der gültigen Stimmen von etwas mehr als einem Viertel der Wahlbeteiligten gewählt – das heißt, 71,15% haben sie nicht gewählt. Er hat also bestenfalls eine relative Mehrheit, und genaugenomnen eine „absolute“, bzw. sogar eine „Zweidrittel“-Minderheit“ – weit entfernt von einer regierungsfähigen Mehrheit.
  • Die Parteiführungen sind ihrem Gewissen, ihren Wählern, und dem Wohl des Staates verpflichtet. Sie haben keinerlei Verpflichtung gegenüber den anderen Parteien oder deren Wählern. Entscheidungen über mögliche Koalitionen sind daher Gewissensentscheidungen, je nach dem, wie sie das Wohl des Staates und den Willen ihrer Wähler einschätzen.
  • Der Bundespräsident ist seinem Gewissen, den Gesetzen, und dem Wohl des Staates verpflichtet; erst danach kommt, wenn überhaupt, eine Verpflichtung, etablierte Gepflogenheiten („Des hamma scho imma so gmacht“) einzuhalten. Außer dem Wahlergebnis ist bei der Überlegung, wen er mit der Regierungsbildung beauftragen soll, die Wahrscheinlichkeit einer regierungsfähigen Mehrheit ein wesentlicher Faktor – schließlich würde ein Scheitern der Regierung nach kurzer Zeit und eine Neuwahl enorme Kosten verursachen.
  • Alle zahlenmäßig relevanten Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Herbert Kickl ausgeschlossen, weil ihr Gewissen und das Wohl des Staates, wie sie es verstehen, dies nicht zulassen. Herbert Kickl hat seinerseits einen Rückzug seiner Person dezidiert ausgeschlossen. Also war und ist es klar, daß die FPÖ keine regierungsfähige Mehrheit zustande bringen würde, und deshalb war die Entscheidung des Bundespräsidenten, den Auftrag zur Regierungsbildung an Karl Nehammer zu geben, durchaus logisch und rechtens.
  • Die klare Weigerung von ÖVP, SPÖ, NEOS, und Grünen mit der FPÖ zu koalieren impliziert allerdings, im Hinblick auf das Wohl des Staates, der eine stabile Regierung braucht, die grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit, einschließlich einer möglichen Koalition. Und nachdem die FPÖ ihren (relativen) Wahlsieg zu einem großen Teil nicht ihrer ideologischen Ausrichtung verdankt, sondern der Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den vielen Themen, die dank ständigem Parteien-Hickhack seit Jahren oder sogar Jahrzehnten ungelöst dahindümpeln, gibt es da auch eine moralische Verpflichtung, diese Themen konstruktiv anzugehen.
  • Aufgrund der Zahlen liegt die Verantwortung dabei primär auf ÖVP und SPÖ, ihre Differenzen zu überwinden und dann einer der beiden kleineren Parteien ein akzeptables Angebot zu machen, damit eine stabile, regierungsfähige Mehrheit zustande kommt, die in erster Linie nicht Parteiinteressen im Auge hat, sondern das Wohl des Staates und seiner Menschen. Eine ÖVP/SPÖ/NEOS Koalition hätte eine Wählerstimmen-Mehrheit von 56,55%, eine ÖVP/SPÖ/Grüne Koalition hätte 55,65%. In Parlamentssitzen wären das 110 oder 108 Sitze von 183 – beides wären durchaus demokratisch legitime Regierungen mit einer absoluten Mehrheit.
  • Die primäre moralische Verantwortung von ÖVP und SPÖ ergibt sich aus aus der historischen Tatsache, daß es Regierungen unter Führung dieser beiden Parteien waren, welche die fehlende Aufarbeitung und Lösung dieser lange anstehenden Mißstände zu verantworten haben.

Wenn sie das nicht zustandebringen, und die vielen Mißstände im Land nicht produktiv in Angriff nehmen, dürfen sie sich nicht beschweren und jammern, wenn die FPÖ bei der nächsten NR-Wahl, oder bei der BP-Wahl 2029, noch mehr Wähler überzeugt.

Donald Trump’s Pro-Life Ploy is History

2024-07-17 Wolf Paul

Here is Catholic World Report on the fact that the Republican Party platform has been stripped to a large extent[1], at Donald Trump’s insistence, of the pro-life position which was part of it for fifty years: They pat themselves on the back for having returned abortion law to the States, and say they oppose late-term abortion. They have removed the support for the traditional family and inserted a paragrap about gender ideology, stopping short of condemning hormones and surgery for minors.

I have said all along that Donald Trump’s pro-life stance was merely a tactic, a clever ploy to win the support of gullible (sorry!) religious folks, and I have been dissed for this view by my American Evangelical friends.

And while the “pro-life” justices Trump has installed in the Supreme Court have overturned Roe v. Wade they have also just given him carte blanche to effectively become an unaccountable, absolutist king.

Congratulations, my friends.

«Nor do most observers seriously believe that abortion (much less the defense of traditional marriage) are issues that Trump is personally much concerned about, given his notorious personal life and the pro-choice and otherwise socially liberal views he expressed for decades before running for president in 2016. The most plausible reading of Trump’s record is that he was willing to further the agenda of social conservatives when doing so was in his political interests, but no inclination to do so any longer now that their support has been secured and their views have become a political liability.»

__________
  1. I just looked at the 2016 GOP and Democratic platforms, and here is how they differ on abortion and marriage:

    GOP 2016 on abortion:
    “We assert the sanctity of human life and affirm that the unborn child has a fundamental individual right to life which cannot be infringed. We support a human life amendment to the Constitution.”
    “We oppose using public revenues to promote or perform abortion or fund
    organizations like Planned Parenthood, so long as they provide or refer for elective abortions…We will not fund or subsidize healthcare that includes abortion coverage.”

    GOP 2016 on marriage:
    “Traditional marriage and family, based on marriage between one man and one woman, is the foundation for a free society and has for millennia been entrusted with rearing children and instilling cultural values.”
    “We do not accept the Supreme Court’s redefinition of marriage and we urge its reversal, whether through judicial reconsideration or a constitutional amendment returning control over marriage to the states. We oppose government discrimination against businesses or entities which decline to sell items or services to individuals for activities that go against their religious views about such activities.”

    GOP 2016 on Gender Ideology:
    Nothing. That wasn’t a hot-button issue yet.

    And here is what’s changed:

    GOP 2024 on abortion:
    We proudly stand for families and Life. We believe that the 14th Amendment to the Constitution of the United States guarantees that no person can be denied Life or Liberty without Due Process, and that the States are, therefore, free to pass Laws protecting those Rights. After 51 years, because of us, that power has been given to the States and to a vote of the People. We will oppose Late Term Abortion, while supporting mothers and policies that advance Prenatal Care, access to Birth Control, and IVF (fertility treatments).

    GOP 2024 on marriage:
    Nothing.

    GOP on Gender Ideology:
    We will keep men out of women’s sports, ban Taxpayer funding for sex change surgeries, and stop Taxpayer-funded Schools from promoting gender transition, reverse Biden’s radical rewrite of Title IX Education Regulations, and restore protections for women and girls.

    Here is the GOP 2016 platform, and here the GOP 2024 platform.[]

Gedanken zu Gottesdienst, Kirchenjahr, Tradition

2023-09-01 Wolf Paul

Ausgehend von den interessanten Gedanken von Pfarrer i. R. Detlef Korsen zum Thema “Eventgottesdienste”, die wohl vor allem auf seinen Erfahrungen im norddeutschen evangelischen Umfeld basieren, habe ich mir meine eigenen Gedanken gemacht über die Situation in meinem österreichischen[1] freikirchlichen Umfeld – da gibt es nämlich ein ganz ähnliches Problem: Gottesdienste neigen dazu, mit zunehmender Größe der Gemeinde immer mehr den Charakter einer perfekt orchestrierten Bühnenshow anzunehmen (dies nicht nur in Österreich).

Wie in Pfr. Korsens Schilderung, sind auch in unseren Gemeinden die sehr traditionsbeladenen Feste Weihnachten und Ostern Anlässe für besondere Events, entweder am Feiertag selbst oder im Vorfeld desselben. Was mir dabei auffällt ist, daß sich diese Events oft mehr an den kulturellen Traditionen als am christlichen Charakter des Festes orientieren. Das scheint mir daran zu liegen, daß in unseren österreichischen freikirchlichen Kreisen das Kirchenjahr, aus dem diese Feiertage kommen und ihren christlichen Charakter beziehen, kaum Beachtung findet, sondern als “Tradition” abgetan wird. Es steht ja nicht direkt in der Bibel. Daher feiern wir an diesen Tagen nicht primär Geburt und Auferstehung Jesu, sondern nutzen das kulturelle Restbewußtsein dieser Bedeutungen als evangelistischen Aufhänger (was ja an sich durchaus lobenswert ist).

Allerdings hat das Kirchenjahr, als Ordnung des Jahres anhand der vergangenen Großtaten Gottes mit dem Ziel, uns diese zu vergegenwärtigen und uns bewußt zu machen, daß Gott auch heute noch wirkt, durchaus ein biblisches Vorbild: den Festkreislauf des jüdischen Volkes.[2] Dieser Festkreislauf basiert nicht nur auf der biblischen Offenbarung, sondern entspricht auch, wie eben auch das Kirchenjahr, dem menschlichen Bedürfnis, uns an wichtige Ereignisse in Feiern zu erinnern (z.B. Geburts- und Hochzeitstage).

Und es ist ja auch nicht so, daß wir Tradition generell ablehnen, sondern lediglich die Tradition der alten Kirche. Jede unserer Gemeinden hat ihre Tradition, oft geteilt mit anderen Gemeinden des gleichen Bundes oder Netzwerks. Wir lehnen ja größtenteils auch Liturgie ab, aber auch da nur die traditionell überlieferte altkirchliche Liturgie – denn jede Gemeinde hat ihre eigene Liturgie: meist laufen Gottesdienste Sonntag für Sonntag nach dem gleichen Schema ab, und die “freien” Gebete mancher Geschwister[3] klingen auch jeden Sonntag ziemlich gleich.

Wir berufen uns in der Ablehnung der altkirchlichen Tradition oft auf die Reformation und deren Grundsatz “sola Scriptura” – aber Martin Luther z.B. hat ja nicht die Tradition an sich abgelehnt, sondern den Versuch, diese zusätzlich zur Bibel (und teilweise im Widerspruch zur Bibel) als Maßstab für Lehre, Glauben, und Leben heranzuziehen.[4]

Ich persönlich sehe den zunehmenden Eventcharakter unserer Gottesdienste mit Bedauern, und würde einen von der Gemeinde im Gottesdienst bewußt als Vorbereitung auf die Geburt und Wiederkunft des Erlösers gefeierten Advent[5], sowie eine Fasten- und Passionszeit als Vorbereitung auf das Gedächtnis des Leidens und Sterbens sowie auf die Feier der Auferstehung Jesu, sehr begrüßen.

Das ganze erfordert jedenfalls noch mehr Nachdenken, und eine leichte Änderung in Bezug auf das Kirchenjahr ist ja Gott sei Dank zu beobachten.

 

__________
  1. Ich streiche das hervor, weil sich meiner Erfahrung nach die Situation in Österreich von der Situation in Deutschland und der Schweiz in einigen Aspekten unterscheidet. Durch die Jahrhunderte dauernde Dominanz des habsburgischen Katholizismus war bis vor wenigen Jahrzehnten die römisch-katholische Kirche die dominante Kirche, neben der protestantische Kirchen einschließlich der Lutherischen und Reformierten, ein Schattendasein führten. Freikirchen waren bis 2013 nicht einmal als Kirchen anerkannt und durften sich bis 1999 auch nicht als Vereine organisieren. Die Mehrzahl der österreichischen Freikirchen entstanden erst nach dem 2. Weltkrieg und waren die ersten Jahrzehnte von Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten und Jugoslawien sowie von ehemals katholischen Konvertiten geprägt. Letztere standen allem, was irgendwie katholisch aussah, verständlicherweise sehr skeptisch und ablehnend gegenüber, was sich erst jetzt, wo die Gemeinden bereits von Mitgliedern in der vierten Generation bevölkert sind, langsam ändert. Auch die offene Unterstützung der Anerkennung der Freikirchen 2013 durch den katholischen Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, hat viel zu einer Haltungsänderung beigetragen. []
  2. Daß die Kirche dabei, in ihrem zunehmenden Antijudaismus und der supersessionistischen Theologie (auch “Ersatzlehre“, die Kirche hat Israel ersetzt, ist das neue Israel), die biblischen Feste des Alten Bundes durch völlig neue, christliche Feste ersetzt hat, statt sie um diese zu ergänzen, ist meines Erachtens sehr traurig, und die Tatsache, daß das Feiern der jüdischen Feste und des Sabbats für zwangsbekehrte Juden durch die Staatsmacht als Handlanger der Kirche unter schwere Strafe gestellt wurde empfinde ich als absoluten Schandfleck der Kirchengeschichte.[]
  3. Wo es denn noch eine freie Gebetszeit gibt im Gottesdienstablauf, denn mit zunehmendem Eventcharakter verschwindet diese oft[]
  4. Allerdings gibt es in der “Schweizer” Reformation (Calvin, Zwingli, usw.), und auch in der “radikalen Reformation” des Täufertums, das Prinzip des “Regulativs des Gottesdienstes“. Dieses besagt, daß im christlichen Gottesdienst nur das legitim ist, was ausdrücklich in der Bibel geboten ist. Alles, was nicht direkt im Wort Gottes befohlen wird, ist demnach im Gottesdienst unzulässig. Manche dehnen das dann auf das gesamte kirchliche bzw. Gemeindeleben aus, wodurch dann auch traditionelle Feste verboten sind. Insofern sich Gemeinden (freikirchliche oder nicht) heute darauf berufen, muß man den meisten von ihnen vorwerfen, daß sie sich nur sehr selektiv daran halten.[]
  5. mit mehr Inhalt als das Anzünden der Adventkranzkerzen[]

Medienvielfalt?

2023-04-14 Wolf Paul

Angesichts von Einsparungen, die durch die aktuelle Kostenexplosion notwendig seien, klagt Kurier-Geschäftsführer Thomas Kralinger unter anderem über die Konkurrenz durch text-basierte Angebote des ORF[1] und ruft nach Beschränkungen derselben.

Ich bin da anderer Meinung.

Mir ist klar, daß eine möglichst große Medienvielfalt generell für gut und wünschenswert gehalten wird, aber was tragen Printmedien wie Heute, Österreich/Ö24, Kronenzeitung, Kurier, Die Ganze Woche, usw, tatsächlich zum Funktionieren unserer Demokratie bei?

Dem wirtschaftlichen Überleben von in Privatbesitz befindlichen Printmedien steht das Recht der Bevölkerung auf unabhängige, möglichst objektive Nachrichtenversorgung ohne Zusatzkosten gegenüber, vor allem, wenn demächst eine Haushaltsabgabe[2] von allen Haushalten eingehoben werden wird.

Ein ORF,

  • der zu fairer und faktenbasierter Berichterstattung verpflichtet ist, die auch einklagbar sein müßte,
  • der von der gesamten Bevölkerung durch die Haushaltsabgabe finanziert wird[3], und
  • dessen Kontollgremien selbstverständlich von der jeweiligen Regierung möglichst unabhängig sein müßten,

sollte Vorrang haben vor einer Vielfalt von Printmedien, die unterschiedliche kommerzielle, politische, und weltanschauliche Interessen vertreten, ohne diese offen zu deklarieren.

Medienvielfalt ist gut und wünschenswert, wenn sie ein staatlich nicht eingeschränkter Markt hervorbringt und finanziell trägt, aber ich bitte folgendes zu bedenken:

Viel Nutzer von ORF Online würden sich bei Fehlen desselben trotzdem keine gedruckte Tageszeitung oder kostenpflichtiges Digitalabo leisten[4]; wir befriedigen unser Nachrichten-Bedürfnis durch die Rundfunkangebote von ORF und Co;

  • Österreich hat europaweit die höchste Medienkonzentration – der Kurier hat eine Reichweite von lediglich 8%, sein wichtigster Konkurrent, und der aller anderen Printmedien in Österreich, ist nicht der angeblich übermächtige ORF, sondern die Kronenzeitung mit einer Reichweite von 32%. Alle Maßnahmen, die sich Herr Kralinger für den Kurier wünscht, kämen natürlich auch der Kronenzeitung zugute; und
  • meiner Meinung nach werden Medien, die nur dank staatlicher Förderungen und Maßnahmen wie der Einschränkung anderer Medien überleben können, und die nicht durch gesetzliche Vorgaben zur Unabhängigkeit und Objektivität verpflichtet sind, früher oder später zu Sprachrohren der jeweiligen Regierung.
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  1. Vermutlich hat er da eher das Portal ORF Online im Blick, als den immer noch dahindümpelten ORF Teletext oder auch die ORF Nachlese.[]
  2. Die Haushaltsabgabe ist letztlich eine neue Steuer, auch wenn krampfhaft versucht wird, sie aus politischen Gründen nicht so zu nennen[]
  3. Alle, die diese Haushaltsabgabe zahken, werden letztlich zu ORF-Abonnenten (de facto wenn auch nicht de jure) []
  4. Full Disclosure: Ich leiste mir ein Abo von Readly um rund €10/Monat, sowie ein kostenloses Abo von read-it (beide auch mit Apps für Android und iOS), allerdings nicht wegen der enthaltenen Tageszeitungen, sondern wegen Fach- und Spartenzeitschriften[]

Schwierige Koalitionsverhandlungen in NÖ

2023-03-10 Wolf Paul

Die neue profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer schreibt in der heutigen heutigen “profil Morgenpost” über das Scheitern der schwarz-ropten Koalitionsverhandlungen in Niederösterreich.

Angeblich hat noch-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die SPÖ-Forderungen (kostenlose Ganztagsbetreuung im Kindergarten, Ausweitung eines Pilotprojekts zur Jobgarantie für Langzeitarbeitslose, Heizpreisstopp für Haushalte, Anstellungsmodell für pflegende Angehörige, sowie eine Strukturoffensive für vernachlässigte Regionen) als “weitgehend standortgefährdend” bezeichnet.

Ich kann das nicht nachvollziehen. Wenn sie gesagt hättee, “Das können wir uns nicht leisten“, hätte ich das verstanden; aber “standortgefährdend“? Im Gegenteil, gerade in einer Zeit wo viele Firmen große Probleme haben, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten, würden Maßnahmen, die das Land für die Menschen attraktiver machen, es auch als Standort für Firmen attraktiver machen.

Jetzt führt die ÖVP Koalitionsgespräche mit der FPÖ, und ein Erfolg dieser Gespräche wäre wirklich standortgefährdend.

Aber ein ganz großes und wesentliches Problem der ÖVP ist die innere Zerissenheit. Die Bünde, in die die Partei gegliedert ist, vor allem Bauernbund, ÖAAB, und Wirtschaftsbund, funktionieren fast wie separate Parteien, mit teilweise sehr unterschiedlichen Interessen. Man könnte sagen, die ÖVP ist selbst eine Koalition, und tut sich als solche nicht gerade leicht bei Koalitionsverhandlungen mit anderen. Das, was früher die ÖVP-Teilorganisationen verbunden hat, nämlich das christliche (katholische) Welt- und Menschenbild, verliert in der Politik immer mehr an Bedeutung, und damit wird der Zusammenhalt der Bünde immer schwächer.

Die Prinzen-Rolle ist nicht das Problem

2022-11-13 Wolf Paul

Im „Standard“ vom 11. November 2022 mokiert sich Florian Wenninger über die Tatsache, daß Kaiserenkel Karl Habsburg sich im gesellschaftlichen Verkehr als Karl von Habsburg titulieren läßt, und meint, „dass die Republik ihn damit durchkommen lässt, ist unerträglich.“

Nun finde ich es durchaus rechtens, daß die junge Republik Österreich im Jahr 1919 den Adel als privilegierten Stand abgeschafft hat, muß aber schon sagen, daß die Hoffnung wohl von Anfang an illusorisch war, daß man damit auch die Unterscheidung zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten abgeschafft hat:

Wenninger zitiert die sozialdemokratische Abgeordnete Adelheid Popp mit den Worten, die Abschaffung des Adels zeige der Bevölkerung, „dass es diesem Hause mit der republikanischen Gesinnung ernst ist. In der Republik kann es keine Privilegien geben, in der Republik kann es nur Menschen geben, die gleichen Rechtes, gleichen Titels und gleichen Ranges sind.“  Das Wort gab es zwar damals noch nicht, aber Frau Popps Formulierung macht klar, was der eigentliche Sinn der Adelsabschaffung war: virtue signalling, Und es ist schon bezeichnend, daß es gerade Parteigranden der Sozialdemokratie waren, die sich in der Zweiten Republik am aristokratischsten geriert und sich auch entsprechende Privilegien herausgenommen haben.

Allerdings kann ich die Streichung des adeligen „von“ sowie von Adelsprädikaten und Standesbezeichnungen in offiziellen Dokumenten sowie im Umgang des Staates mit seinen Bürgern durchaus nachvollziehen; das Führen dieser Bezeichnungen jedoch auch im privaten und gesellschaftlichen Verkehr zu verbieten, schießt über das Ziel hinaus und war schon damals lächerlich; heute ist es schlicht unzeitgemäß. In einer Zeit, in der sich jeder nach Belieben als Mann oder Frau bezeichnen, und die Verwendung dieser Bezeichnung auch gerichtlich einklagen kann, ist das Verbot von Fantasie-Bezeichnungen, nur weil sie bis vor rund hundert Jahren eine reale Bedeutung hatten, mehr als bizarr.

Wenningers begeisterte Charakterisierung dieses Verbotes ist auch ziemlich bizarr:

Das schließlich einstimmig beschlossene Verbot, “von” im Namen zu führen, die Untersagung von Adelsprädikaten (Durchlaucht u. Ä.) und Standesbezeichnungen (Baron etc.) stehen in der Tradition der großen republikanischen Deklarationen, der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ebenso wie der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789. Sie alle postulieren: Demokratie braucht Gleichheit. Die Existenz einer Aristokratie steht dazu im diametralen Gegensatz.

Der Unterschied zwischen dem österreichischen Verbot und den großen republikanischen Deklarationen ist, daß diese sich nicht mit kleinlichen Verboten von Selbstbezeichnungen abgeben, 

Es ist nicht unerträglich sondern vernünftig, daß die Republik nicht eingreift, wenn Karl Habsburg ein „von“ im Namen führt. Es ist jedoch unverständlich, daß dieses Verbot nicht längst aufgehoben wurde, und daß es auch hundert Jahre nach der Abschaffung des Adels immer noch Menschen gibt, die sich und die Republik durch diese traditionellen Bezeichnungen bedroht wähnen.

Die Metamorphose des August Wöginger

Wolf Paul

Im Jahr 2020 sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger in einer Nationalratssitzung:

„Was uns trennt, Herr Kollege Kickl, das ist, dass wir die Grund- und Menschenrechte wahren, sie akzeptieren und anerkennen und auch die Menschenrechtskonvention anerkennen.“[1]

Gestern, am 12. November 2022, berichtet der „Standard“:

ÖVP-Klubobmann August Wöginger drängt im STANDARD- Interview auf Veränderungen im Asylwesen. Die Europäische Union habe es „verschlafen“, tragfähige Lösungen zum Schutz der Außengrenzen zu finden. Zudem müsse das Asylrecht reformiert werden. „Auch die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet. Wir haben eine andere Situation, als es vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, als diese Gesetze geschrieben wurden“, sagt Wöginger. „Das ist ein Aufruf in Richtung Europa, in die Gänge zu kommen.“[2]

Rund zwei Jahre hat der ÖVP-Klubchef für diese Wandlung vom Paulus zum Saulus gebraucht.

Wögingers Aussage bezüglich der Menschenrechtskonvention wurde umgehend kritisiert – von den Grünen, der SPÖ, und den NEOS – und applaudiert – von der FPÖ. Es sagt viel über einen Menschen aus, aus welcher Richtung er Zustimmung bzw. Kritik erhält.

Nachdem es einige Tage keine öffentliche Kritik von ranghohen ÖVP-Politikern gegeben hat, hat nun Verfassungsministerin Karoline Edtstadler scharf widersprochen; gleichzeitig hat jedoch Außenminister Schallenberg gemeint, es dürfe keine Denkverbote geben. Ich finde es auch bedauerlich, daß es noch keine klare Stellungnahme von Seiten der Handvoll christlicher Politiker. Denn es ist schon so: wenn man solche Aussagen nicht öffentlich kritisiert bzw. sich nicht öffentlich davon distanziert, dann signalisiert das Zustimmung – ob man will oder nicht.

Schon mit der Kurz’schen Asyl- und Flüchtlingspolitik ist die ÖVP sehr nahe an ihren damaligen Koalitionspartner gerückt. Nicht umsonst sieht die damals eingeführte Parteifarbe „türkis“ wie hellblau aus und signalisiert so die Nähe zu den “Blauen”. 

FPÖ-Blau und ÖVP-Türkis, jeweils von der Website der beiden Parteien kopiert.

Mit dieser Aussage ihres Klubchefs wird es immer schwieriger, einen wesentlichen Unterschied zwischen FPÖVP zu erkennen. Zwei Jahre, nachdem der ÖVP-Klubchef die Menschenrechtskonvention im Parlament verteidigt hat, paßt kein Blattl Papier mehr zwischen Wöginger und Kickl.

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  1. Zitiert im ORF-Online Bericht „Menschenrechtskonvention: Kritik an Wöginger hält an[]
  2. Der Standard, 12. November 2022, Seite 1, rechts oben. Das vollständige Interview erschien einen Tag vorher, nur onlinee.[]

BPW 2022: Enttäuschende Kandidatenliste

2022-09-22 Wolf Paul

Am 9. Oktober wird der Bundespräsident, das Staatsoberhaupt der Republik Österreich, gewählt und obwohl der Inhaber diesen Amtes lediglich symbolische Macht (und eventuell moralischen Einfluß) hat, bin ich von der Kandidatenliste für diese Wahl ziemlich enttäuscht.

Amtsinhaber Alexander van der Bellen (AvdB) war, obwohl mir persönlich sympathisch, vor allem wegen seiner Mitgliedschaft und Funktion bei den Grünen[1], 2016 nicht mein Wunschkandidat.

Trotzdem habe ich ihn vor sechs Jahren gewählt, weil von Anfang an klar war, daß nur AvdB und Norbert Hofer von der FPÖ eine Chance hatten, gewählt zu werden, und ich AvdB für das kleinere Übel hielt, weil für mich die FPÖ “außerhalb des Verfassungsbogens[2] steht.

Ich werde AvdB diesmal wieder wählen, weil er sein Amt bisher fair und mit Augenmaß ausgeübt hat, und die anderen Kandidaten für mich aus einem oder nehreren Gründen unwählbar sind:

  • Walter Rosenkranz und Gerald Grosz sind bzw waren brave Parteisoldaten der Kickl-FPÖ bzw. des Haider-BZÖ, beides Parteien, die für mich absolut unwählbar sind;
  • Tassilo Wallentin ist durch antisemitische und misogynistische Aussagen aufgefallen sowie als Strafverteidiger durch skurrile Rechtsargumente, bei denen es mir die Haare aufstellt;
  • Heinrich Staudinger (den ich bisher für einen vernünftigen Menschen gehalten habe) sagt, er hält sich nur an Gesetze, die er persönlich für sinvoll hält;
  • Michael Brunner ist ein Verschwörungstheoretiker, dessen politisches Programm sich im wesentlichen auf den Widerstand gegen Anti-Covid-Maßnahmen beschränkt; und
  • Dominik Wlazny alias Marco Pogo disqualifiziert sich schon allein durch den Namen seiner Partei, der einen Mangel an Respekt gegenüber den Institutionen der Republik ausdrückt – ich mag Kabarettisten und Clowns, aber nicht im höchsten Amt des Staates[3].

Dies sind natürlich alles nur meine persönlichen Einschätzungen und Wahrnehmungen, und auch nicht als moralische Verurteilungen zu verstehen; ich respektiere durchaus das Recht der Kandidaten, ihre Überzeugungen zu haben und zu vertreten, oder bestimmten Parteien anzugehören; aber genauso habe ich das Recht, sie aufgrund ihrer Überzeugungen oder Parteizugehörigkeit zu wählen oder eben nicht zu wählen, und auch zu sagen, was ich von ihren Überzeugungen und Parteien halte.

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  1. Die Grünen haben sich von einer Umweltpartei, mit deren Zielen ich mich weitgehend identifizieren konnte, in eine “progressive” Linkspartei (links von der SPÖ) gewandelt.[]
  2. Ich teile diese Einschätzung der FPÖ und ihres Ablegers BZÖ duch Andreas Khol vor vielen Jahren; zu seinen Gründen von damals sind in meinen Augen seither noch viele andere hinzugekommen.[]
  3. Vielleicht sollte ich meine Einstellung zu Kabarettisten angesichts von Woldymyr Selinskyj überdenken sollte.[]

Untersuchungs­aus­schüsse und Korruptionsvorwürfe

2022-04-21 Wolf Paul

Seit Monaten laufen nun in Österreich Korruptionsermittlungen. Angefangen hat es mit dem Ibiza-Video mit den Herren Strache und Gudenus, zu dem dann, trotz des Rücktritts dieser beiden FPÖ-Politiker, auf Verlangen der Opposition ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde. Dieser Ausschuß begann ziemlich schnell, auch andere Vorwürfe zu untersuchen, die weder mit dem Ibiza-Video noch mit der FPÖ und ihren Politikern zu tun hatten, sondern die sich vornehmlich gegen ÖVP-Politiker richteten.

Seither ermitteln sowohl der Ausschuß als auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen alle möglichen aktiven und ehemaligen ÖVP-Politiker und ihnen nahestehende Personen, wobei alle möglichen fragwürdigen Vorgänge aufgedeckt wurden, größtenteils durch SMS und andere Chatverläufe dokumentiert.

Vor Kurzem nun stellte einer meiner Facebook-Freunde die Frage, wie weit solche Untersuchungen, die ja sehr viel Geld und Zeit kosten, von Verantwortungsbewußtsein getrieben sind, und wie weit von anderen Motiven.

Es macht natürlich schon nachdenklich und betroffen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unbekümmertheit sich unsere “Oberen” über die Regeln und Gesetze, die sie ja selbst beschlossen haben, hinwegsetzen[1], und zwar entweder ohne jedes Schuldbewußtsein, denn sonst würden sie ja diese Aktivitäten nicht schriftlich festhalten, oder aber mit beispielloser Naivität, falls ihnen nicht bewußt ist, daß auch ein elektronischer “Paper Trail” nachverfolgbar ist.

Momentan triffts die Türkisen, weil sie an der Macht und die anderen in Opposition sind; ich glaube jedoch keinen Augenblick, daß es bei umgekehrtem Vorzeichen wirklich anders aussehen würde. Es gibt ja nicht ohne Grund im Deutschen den Begriff “Parteibuchwirtschaft“, und zwar nicht erst seit sich die ÖVP von Schwarz nach Türkis umgefärbt hat.

Und genau deshalb glaube ich nicht, daß es beim Ibiza-Ausschuß und den daraus resultierenden strafrechtlichen Untersuchungen um Verantwortungsbewußtsein geht; vielmehr geht es darum, den politischen Gegner auflaufen zu lassen, und ihn, sozusagen am Pranger, vorzuführen.

Politik ist und war immer schon ein schmutziges Geschäft, auf allen Seiten, und wer sich darauf einläßt, auch mit den besten Motiven, bekommt unweigerlich einiges von dem Dreck ab, und sei es auch nur durch die unvermeidlichen Loyalitätsbezeugungen gegenüber Kollegen und Parteiführer, denen irgendwann mal Dreck am Stecken nachgewiesen wird.

Und Politik wird auch ein schmutziges Geschäft bleiben: der jugendliche Wunderwuzzi, der “eine andere Art der Politik” verspricht, bringt letztlich nur weniger Lebenserfahrung[2], mehr Unbedarftheit, und sehr viel jugendliche Arroganz zu seiner Aufgabe, wie unser kurzer Kanzler anschaulich demonstriert hat.

Christen waren ja immer schon gespalten über der Frage, ob und wie weit sich Christen politisch engagieren dürfen oder sollen. Ich glaube, daß wir uns nicht beschweren dürfen, daß unsere Gesellschaft immer weltlicher wird, wenn wir Christen uns nicht in allen Bereichen engagieren, wo ein solches Engagement nicht in sich gegen Gottes Gebote verstößt. Deshalb habe ich auch durchaus Verständnis für Christen, die sich in der Politik engagieren uns sich z.B. als Kandidaten aufstellen lassen, auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene, damit sie in diesen Institutionen christliche Werte vertreten und verteidigen können. Sie haben meine Sympathie, mein Verständnis, und meine Gebete.

Und ein wesentliches Gebet ist, daß solche christlichen Politiker nicht nur dem Dreck ausweichen können, den es in der Politik unweigerlich gibt, sondern daß sie auch vor jeder Versuchung bewahrt bleiben, das schmutzige Spiel nach den schmutzigen Regeln mitzuspielen. Die Wiederwahl ist nicht alles wert.

 

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  1. Das ist kein rein österreichisches Phänomen, darum geht es derzeit auch im britischen Partygate-Skandal, betreffend ranghohe Politiker und Beamte, bis hinauf zu Premierminister Boris Johnson, die sich über die Covid-19 Lockdownbestimmungen hinwegsetzten und Parties veranstalteten, für die normalsterbliche Bürger von der Polizei streng abgestraft wurden[]
  2. Mangelnde Politikerfahrung gilt ja als Vorteil[]