Predigen mit einem Mühlstein um den Hals?

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Es ist fast zu einem wöchentlichen Ereignis geworden: Ein weiterer langjähriger Pastor einer evangelikalen Gemeinde in den USA wurde wegen Kindesmissbrauchs festgenommen.

Ich möchte nicht darüber spekulieren, ob dies ein typisch amerikanisches Problem ist; ich vermute eher nicht, denn wir hatten hier vor einigen Jahren den massiven Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche. [1] Wenn wir in  evangelikalen Gemeinden hier weniger von solchen Skandalen hören, liegt das wahrscheinlich an soziologischen Gründen wie der vergleichsweise geringen Größe der Bewegung und ihrem Minderheitenstatus in den meisten Teilen Europas und nicht daran, dass die europäischen Evangelikalen heiliger sind als die amerikanischen.

Ich möchte auch nicht mit dem Finger auf diese Männer zeigen; wir alle haben unsere Versuchungen, und wenn meine nicht so abscheulich sind wie ihre, dann ist es rein durch die Gnade Gottes.

Aber ich möchte auf etwas eingehen, das ich nicht nachvollziehen kann, nicht in einer verurteilenden Weise, sondern weil es mich verwirrt.

Wenn ich auch nur einmal solche Taten begangen hätte, und besonders wenn ich sie kontinuierlich begehen würde, könnte ich nicht am Sonntagmorgen vor die Gemeinde treten, das Evangelium predigen und den Gottesdienst leiten. Ich würde mich selbst als disqualifiziert betrachten, ständig bewusst und niedergedrückt von dem Mühlstein um meinen Hals, den Jesus in Matthäus 18:6 erwähnt. [2] Tatsächlich habe ich mich immer als disqualifiziert betrachtet, zu predigen, und zögerte,  Gottesdienst zu leiten, wegen meiner eigenen Kämpfe mit menschlich gesprochen kleineren und gesellschaftlich akzeptableren Versuchungen und meinem Versagen, ihnen zu widerstehen.

In 1. Timotheus 4:1-2 spricht Paulus von “Heuchlern, die Lügen reden und in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind,” und vielleicht erklärt das einiges. Und jeder von uns, dessen Gewissen nicht gebrandmarkt ist, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, sollte Gott für seine Bewahrung danken.

Im Englischen gibt es einen bekannten Ausspruch der dem englischen Reformator und Märtyrer John Bradford zugeschrieben wird. Er sah Verurteilte auf dem Weg zur Hinrichtung und sagte, “Nur aus Gottes Gnade bin ich nicht einer von ihnen!”

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  1. Diese Welle von missbrauchenden Pastoren sollte auch diejenigen nachdenklich stimmen, die den R.C. Skandal auf das Zölibatsgebot für römisch-katholische Geistliche zurückführen – all diese evangelikalen Pastoren sind verheiratet.[]
  2. Der Abschnitt spricht davon, Kindern ein Anstoß zu sein, und der jüngste Fall, auf den ich mich bezog, betrifft Kindesmissbrauch, aber ich möchte keineswegs implizieren, dass der Missbrauch von Jugendlichen oder Erwachsenen weniger abscheulich ist.[]
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Im Vergleich mit Anderen hatte ich eine wirklich privilegierte Kindheit

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Ich lese gerade “Baptistland: A Memoir of Abuse, Betrayal, and Transformation” (“Baptistland: Memoiren von Missbrauch, Verrat und Transformation“) von Christa Brown, die als dritte von vier Mädchen in Farmers Branch, TX, in einer sehr dysfunktionalen Familie und der örtlichen Baptistengemeinde aufgewachsen ist. Christa wurde vom Jugendpastor der Kirche mißbraucht. Später hat sie herausgefunden, daß das in der Gemeindeleitung ein offenes Geheimnis war. Unten steht etwas mehr darüber.

Dieses Buch hat mir wieder einmal klar gemacht, wie privilegiert ich war, in einer überwiegend funktionalen Familie mit liebevollen Eltern, fünf Geschwistern und meistens ein oder zwei Hunden aufzuwachsen; und daß es während meiner Kindheit und Jugend in mehreren katholischen Pfarren niemals auch nur einen Hauch von Missbrauch durch Geistliche oder andere gab. Auch in der Schule habe ich nichts derartiges erlebt.

Sind diese Probleme auf die USA, die Southern Baptists, die Anglikanischen Kirchen, oder die Katholische Kirche beschränkt? Das glaube ich nicht, und ich glaube auch nicht, daß Österreich diesbezüglich eine “Insel der Seligen” ist, aber in unseren österreichischen Baptisten- und anderen freikirchlichen Gemeinden habe ich nicht einmal gerüchtehalber von derartigem, letztlich unbestraften Mißbrauch gehört. Das liegt vielleicht daran, daß die freikirchliche Szene hier wesentlich überschaubarer; daß wir Österreicher braver sind und weniger zur Sünde neigen, als die Amis, glaube ich eher nicht.

Ich nehme von diesem Buch (hab jetzt ca. ein Viertel gelesen) zwei wesentliche Dinge mit:

  1. Dankbarkeit, daß ich, wie schon gesagt in einer intakten, überwiegend funktionalen Familie aufgewachsen bin und auch Mißbrauch jeder Art ein Fremdwort für mich war, und
  2. Die Notwendigkeit wachsam zu sein, nicht nur im Gemeinde-Kontext, sondern überall, wo Kinder und Jugendliche möglicherweise in Gefahr sind, von Erwachsenen oder anderen Jugendlichen.

Hier ist etwas mehr Information über das Buch:

Seit Jahren ist Christa Brown eine beständige, entschlossene und fürsorgliche Stimme, die der Southern Baptist Convention die Wahrheit sagt – kürzlich wurde sie für ihre Arbeit als eine der „Top 10 Religion Newsmaker“ benannt.

In Baptistland, ihrem Bericht über den Missbrauch in ihrer texanischen Kindheitsgemeinde, deckt sie die Schäden des südlichen Patriarchats und des religiösen Fundamentalismus auf. Sie beschreibt, wie männliche religiöse Führer so sehr auf den Schutz der Institution konzentriert sind, dass sie die Sicherheit der Kinder opfern.

Doch Christa fand ihre Stimme und erhob sich über das Trauma, Gaslighting und andere Herausforderungen, um Anwältin am Berufungsgericht zu werden. Ihre unermüdliche Ehrlichkeit stieß viele Jahre lang auf taube Ohren. Aber nun erkennt die Welt das Wahrheitsreden als kraftvolles Zeugnis der Liebe an.

Christa Browns Botschaft in “Baptistland: A Memoir of Abuse, Betrayal, and Transformation” muss gehört werden – eine Geschichte der Hoffnung, die sich zu weitreichenden Auswirkungen entwickelt.

Führende Persönlichkeiten und Überlebende, über die wir bei The Roys Report berichtet haben, loben dieses Buch. Meine Freundin und Bestsellerautorin Karen Swallow Prior schreibt: „Baptistland wird dich zum Weinen bringen. Es wird dich wütend machen. Es wird dein Herz brechen. Es wird dir die Augen öffnen.“

Dr. Prior fügt hinzu: „Jeder Southern Baptist muss diese Geschichte lesen, und jeder Southern Baptist Führer muss sich für das, was sie offenbart, verantworten.“

Dee Parsons von The Wartburg Watch, das Missbrauchsgeschichten in Kirchen beleuchtet, sagte, sie sei zunächst von Christas Bericht über „emotionalen und physischen Missbrauch“ überwältigt gewesen. Dann wurde Christa „die bekannteste Fürsprecherin für Veränderungen im Umgang der SBC mit sexuellem Missbrauch. Sie blieb standhaft, triumphierte und inspirierte mich“, sagte Parsons.

Und David Clohessy, ehemaliger Geschäftsführer des Survivor’s Network of those Abused by Priests, nennt Baptistland „ein erschütterndes, aber inspirierendes Memoir und einen dringend benötigten Leitfaden für alle, die versuchen, korrupte Institutionen aufzudecken.“

Hier gibt es das Buch bei Amazon, hier bei Thalia in Österreich und Deutschland, sowie bei Buchhaus Schweiz. (Außer in der Schweiz auch als eBook)

(Dieser Text stammt aus einem Newsletter von The Roys Report, einem Nachrichtendienst, der sich für Ehrlichkeit und Tranzparenz bei Mißständen in evangelikalen Kirchen und Gemeinden einsetzt.)

 
 
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A Cancer in the Body of Christt

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The Roys Report writes about the arrest and charges against several present and former leaders of a Christian fraternity at several universities in Texas, for “continuous sexual abuse of a child.”

Some people call her a muckraker who craps into her own nest, but I believe that the investigative journalism of Julie Roys and her collaborators, as well as of others in the Catholic and Anglican context, is extremely important for the health of the church of Jesus Christ.

Situations like the ones described in this article are not harmful to the victims alone but are like cancerous growths in the Body of Christ: ignored and untreated they damage the health of the whole body.

A few years ago some Evangelicals looked almost gleefully at the Catholic Church when more and more cases of abuse and cover-up by clergy, all the way up to prominent Cardinals, came to light; but there have always been problematic free church groups like the extreme wing of the Exclusive Brethren[1]. A few years ago massive historic abuse situations were revealed in Protestant and Anglican schools in Germany, Canada, and Australia, and a year ago a series of investigative reports by some Texas newspapers uncovered not only a massive clergy abuse problem in churches of the Southern Baptist Convention but also an abject failure on the part of the denominational leadership to deal adequately and appropriately with this problem, all under the cover of “local church autonomy.”[2]

Today we know, not least through the work of Mrs. Roys and the Roys Report, that these cancerous growths flourish in all church traditions, including Pentecostal churches, the predominantly Charismatic independent churches, and even in the most prominent megachurches.[3] For much too long and much too often leaders in all traditions and denominations have looked the other way, have sometimes shown more empathy with the perpetrators than with the victims, and have worried more about the reputation of their respective institutions than about the well-being and safety of the flock entrusted to them.

I cannot tell to what extent this problem also exists in free churches in Germany and Austria; but statistics tell us that churches with a very conservative theology were men rule their families and pastors rule their churches, and dissent and criticism are discouraged, are particularly vulnerable and prone to both domestic abuse and violence as well as clergy abuse. And we do have such churches on the fringe of the Evangelical movement in the German-speaking countries. But even if everything were in order in our own circles and churches we cannot disclaim all responsibility: the church is, despite its sadly divided state and despite its geographic spread, one body, and “if one member suffers, all suffer together[4]), the whole Body suffers.

So it is high time for us to no longer look the other way but to intercede for these situations and for the victims, and where necessary, have the courage to speak up.

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  1. particularly the Raven-Hale group in England, North America, and Australia[]
  2. Fortunately Southern Baptists have now begun, not without some internal opposition, to acknowledge the problem and to take measures to deal with it and prevent it in the future.[]
  3. I am not commenting here on the Eastern Churches (Orthodox and Uniate) because I have no information. But I don’t suppose that they are entirely free of this problem.[]
  4. 1 Corinthians 12:26 (ESV[]
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Krebsgeschwüre am Leib Christi

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Der Roys Report berichtet über Verhaftungen von Leitern und Mentoren einer christlichen Studentenverbindung in Texas, wegen mehrfachem sexuellem Mißbrauch von Kindern.

Manche nennen sie Nestbeschmutzer, aber ich glaube, daß der Aufdeck-Journalismus von Julie Roys und ihren Miarbeitern, aber auch anderen z.B. im katholischen und anglikanischen Umfeld, extrem wichtig ist für die Gesundheit der Gemeinde Jesu.

Situationen wie die hier beschriebene schädigen nicht nur die unmittelbaren Opfer, sondern sie sind wie Krebsgeschwüre am Leib Christi: wenn man sie ignoriert und nicht entfernt, schädigen sie die Gesundheit des ganzen Leibes.

Vor ein paar Jahren haben manche Evangelikale fast schadenfroh auf die römisch-katholische Kirche gesehen, als dort immer mehr Mißbrauchsfälle im Klerus bis hinauf zu prominenten Kardinälen bekannt wurden; aber es gab schon immer auch problematische freikirchliche Gruppen wie die extremen “geschlossenen Brüder” vor allem im englischen Sprachraum[1];  dann gab es in den letzten Jahrzehnten Meldungen aus dem evangelischen Milieu in Deutschland und die Enthüllungen über die Internatsschulen für Indigene in Kanada und Australien, wo die anglikanischen Kirchen in diesen Ländern beteiligt waren. Vor einem Jahr gab es dann die Zeitungsberichte in Texas über das massive Versagen der Southern Baptists, adequat mit Mißbrauchstätern im vollzeitlichen Dienst umzugehen, unter dem Mäntelchen der “Autonomie der Ortsgemeinde.”[2]

Und heute wissen wir, nicht zuletzt dank der Arbeit von Frau Roys und ihrem Roys Report, daß diese Krebsgeschwüre leider in allen kirchlichen Traditionen gedeihen, auch in Pfingstgemeinden und den größtenteils charismatischen unabhängigen Gemeinden, und bis hinauf zu den prominentesten Megachurches.[3] Leiter in allen kirchlichen Traditionen und Konfessionen haben viel zu lange und viel zu oft zu- und weggeschaut, haben oft mehr Empathie mit den Tätern als mit den Opfern gezeigt, und sich mehr Sorgen gemacht um den Ruf ihrer jeweiligen Kirche oder Gemeinde als um die Sicherheit und das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Menschen.

Ich kann nicht beurteilen, wie weit dieses Problem auch in freikirchlichen Gemeinden in Deutschland und Österreich existiert[4] , aber statistisch gesehen sind gerade Gemeinden mit sehr konservativer Theologie, wo Männer in ihren Familien und Pastoren oder Älteste in der Gemeinde unangefochten und unwidersprochen “herrschen”, ehr anfällig sowohl für Mißbrauch und Gewalt in der Familie als auch für Mißbrauch durch Pastoren und andere Leiter. Und solche Gemeinden gibt es auch im deutschen Sprachraum, am Rand der evangelikalen Bewegung. Aberselbst wenn “bei uns”, in unseren Gemeinden und Kreisen, alles in Ordnung sein sollte, können wir uns nicht einfach abputzen: die Kirche, die Gemeinde Jesu ist trotz aller Zerrissenheit und geografischer Ausbreitung ein Leib, und “wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit[5]),” leidet der ganze Leib.

Es ist jedenfalls höchste Zeit, daß wir nicht mehr wegschauen, sondern sowohl im Gebet für solche Situationen eintreten als auch Zivicourage zeigen, wo es nötig ist.

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  1. insbesondere die “RavenHale” Gruppe in England, Nordamerika und Australien[]
  2. Bei den Southern Baptists hat jetzt trotz einigem Widerstand in den eigenen Reihen eine Aufarbeitung  diese Problems mit Präventivmaßnahmen begonnen.[]
  3. Die Situation in den Ostkirchen (Orthodoxe und Uniierte) kommentiere ich hier nicht, weil ich nicht genug über deren Situation weiß; ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie davon vollständig verschont sind.[]
  4. Da freikirchliche Gemeinden bei uns, im Gegensatz zu den englischsprachigen Ländern, eher am Rand der Gesellschaft stehen, dringt viel weniger an die Öffentlichkeit[]
  5. 1. Korinther 12,26 (Einheitsübersetzung 2016[]
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