(nicht mein) Erfolg!

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Gestern habe ich, als Reaktion auf das lange Zögern der deutschen Regierung, der Ukraine deutsche Leopard 2 Panzer zur Verfügung zu stellen, bzw. Ländern wie Polen oder Spanien zu erlauben, ihre Leopard-2 Panzer in die Ukraine zu schicken, folgenden Text auf Facebook gepostet:

Angesichts der Geschichte Deutschlands im vorigen Jahrhundert kann ich verstehen, daß die deutsche Regierung verhindern will, daß deutsche Panzer potentiell wieder durch russisches Territorium rollen (auch wenn es sich dabei um völkerrechtswidrig und gewaltsam annektierte Gebiete handelt). Aber die einzige Lösung dafür wäre gewesen, gar nicht erst in Waffenproduktion und -handel einzusteigen.

Aber sie sind nunmal in dieses Geschäftsfeld eingestiegen und haben davon profitiert, einer Reihe von Staaten zu ihrer Verteidigung deutsche Panzer zu verkaufen.

Wenn nun einige dieser Staaten den völkerrechtswidrigen russischen Krieg gegen die Ukraine als Bedrohung auch für ihre eigene Sicherheit sehen, und daher überlegen, Kyiv einige ihrer Panzer zur gemeinsamen Verteidigung zur Verfügung zu stellen, dann ist Deutschland gut beraten, sich nicht querzulegen und sich damit dem Verdacht auszusetzen, insgeheim auf Russlands Seite zu stehen.

Heute vormittag hat nun die deutsche Regierung bekannt gegeben, in einem ersten Schritt 14 Leopard-2 Panzer aus Bundeswehr-Beständen in die Ukraine zu schicken, und gemeinsam mit NATO-Partnern insgesamt zwei Panzerbataillone, also 88 Panzer, zu schicken.

Meiner Meinung nach ist das die einzig richtige Entscheidung; ich bin natürlich nicht so vermessen, anzunehmen, daß Olaf Scholz meinen Beitrag gelesen hat und daraufhin seine Meinung geändert hat; aber eine gewisse Genugtuung ist es schon, daß einen Tag, nachdem ich das gepostet habe, die deutsche Regierung erkannt hat, daß ich recht habe …

Wie alle vernünftigen Menschen hoffe ich, daß möglichst bald etwas geschieht, wodurch das russische Regime zur Kapitulation, oder zumindest zum Rückzug aus seinem Nachbarland, veranlaßt wird, denn dieser Krieg ist nicht nur für die Ukraine und ihr Volk eine Katastrophe; er ist letztlich auch für die russische Bevölkerung katastrophal und wurde vor allem ohne guten Grund begonnen, wie diese Anekdote klar macht:

Eine Russin wandte sich an ihren Mann und fragte, “Was ist diese spezielle Militäroperation, von der unser glorreicher Führer imer spricht?” Ihr Mann antwortete, “Das ist ein Krieg, um Amerika und die NATO aufzuhalten.” “Ah, gut,” antwortete sie. “Und wie geht es damit?”

“Nun ja,” antwortete er. “bisher haben wirmehr als 20 Generäle verloren, einhundertzehntausend unserer Soldaten sind tot und unzählige weitere verwundet, wir haben dreitausend Panzer, dreihundert Flieger, hunderte Hubschrauber, unzählige gepanzerte Fahrzeuge, Geschütze und LKWs verloren, das Flaggschiff und etliche weitere Schiffe unserer Schwarzmeerflotte worden zerstört, unsere Armee verliert die meisten Kämpfe, und wir mußten zur Zwangsrekrutierung greifen, um unsere Verluste wettzumachen.”

“Schrecklich!” antwortete sie. “Und was ist mit Amerika und der NATO?“

“Die haben sich noch nicht blicken lassen.”[1]

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  1. Gary Andrews auf Quora auf die Frage, “Hat Putin den Westen überlistet?”[]
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Ehre der Ukraine und Sieg ihren Verteidigern!

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Слава Україні та перемога її захисникам!

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo einerseits Krieg als etwas ganz Schreckliches und Abzulehnendes angesehen wurde (ich habe ziemlich früh Bücher wie E. M. Remarques „Im Westen nichts Neues“ gelesen, welches die Schrecken des Ersten Weltkriegs schildert), andererseits aber durchaus auch Dankbarkeit herrschte gegenüber den Alliierten des Zweiten Weltkriegs, die gegen Hitler und seine Schergen gekämpft und unser Land von Nazideutschland befreit hatten, und dann (zumindest die Amerikaner) auch den Wiederaufbau finanziell unterstützt haben.[1]

Nach meiner Bekehrung zu einem entschiedenen, evangelikalen Christentum tendierte ich sehr stark in Richtung der Theorie des Gerechten Krieges; dabei war mir durchaus bewußt, daß die Beurteilung, ob ein Krieg „gerecht“ war, voll dorniger Fragen war.

Im letzten Jahrzehnt, als Reaktion auf den katastrophalen Ausgang der Kriege der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und Irak, die ja in gewisser Hinsicht durchaus als gerechte Kriege gesehen werden konnten,[2] sowie durch die Lektüre von Büchern aus der anabaptistischen Tradition, neigte ich zunehmend zu einem ziemlich absoluten Pazifismus.

All das hat sich in den letzten sechs Monaten drastisch geändert; ein absoluter Pazifismus ist für mich, nach dem illegalen und brutalen Angriff von Vladimir Putins Russland auf die Ukraine,[3]  nicht mehr haltbar. Für mich ist klar, daß ein Land in der Situation der Ukraine sowohl vor Gott als auch vor den Menschen jedes Recht hat, sich auch mit miliärischen Mitteln gegen gegen den Aggressor zu verteidigen. Ich glaube, daß das durch Römer 13,4 abgedeckt ist: die Regierung „trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.“ — in diesem Fall an Vladimir Putin und seiner Armee. Ich bete für den Sieg der ukrainischen Verteidiger über den brutalen Aggressor, und daß Putin und seine Verbündeten, einschließlich des schandhaften Patriarchen Kyrill,[4] aus dem Weg geräumt werden (wobei das „Wie“ Gott überlassen bleibt), und ich hoffe, daß unsere westlichen Regierungen von EU, Großbritannien, USA und anderen Ländern, die Ukraine auch weiterhin, und zwar so lange wie notwendig, unterstützen werden und Putins Drohungen nicht nachgeben. Putin darf von seiner Kriegsbeute nichts behalten.

 Und deshalb lese ich mit Genugtuung (vermischt mit Trauer über die vielen Toten) von den militärischen Durchbrüchen der ukrainischen Streitkräfte und der Einkesselung russischer Truppen. Dabei bin ich überzeugt, daß es russischen Soldaten in ukrainischer Gefangenschaft wesentlich besser gehen wird, als ukrainischen Soldaten, die von den Russen gefangengenommen werden.

Ehre der Ukraine, und Sieg ihren Verteidigern!

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  1. Mein Elternhaus wurde durch einen ERP-Kredit finanziert (ERP: European Recovery Program, offizieller Name des Marshall-Plans) []
  2. sofern man nicht von vornherein anti-amerikanisch oder anti-westlich eingestellt war[]
  3. Die These, daß der russische Angriff berechtigt war, weil sich Rußland durch die ukrainischen Bemühungen, der EU und der NATO beizutreten, bedroht gefühlt hätte, ist nicht haltbar. Kein einigermaßen vernünftiger Mensch geht davon aus, daß die USA, und erst recht ihre europäischen NATO-Verbündeten, in Europa einen Krieg anzetteln würden — auf die Idee kommt nur einer, der einen solchen Angriff selbst für ein probates Mittel zur Erreichung seiner großrussischen Träumereien hält und es deshalb auch anderen zutraut.[]
  4. Wie alle orthodoxen Bischöfe ist Kyrill ein Mönch, hat jedoch ein Privatvermögen von rund 4 Milliarden Dollar angehäuft, was auch ohne seine Unterstützung von Putins Krieg ein bezeichnendes Licht auf ihn wirft.[]
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Olga Misiks Rede vor Gericht: “Ihr verurteilt nicht mich, ihr verurteilt euch selbst!”

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Yuly Rybakov schreibt am 2. Mai 2021: Dieses M¨ädchen wurde soben 20 Jahre alt. Olga Misik wurde bekannt nach den Protesten im Sommer 2019 rund um die Wahl zur Moskauer Stadt-Duma, wo sie die russische Verfassung laut vorlas. Ihr drohen zwei Jahre Gefängnis für diese Aktion vor dem Gebäude der Generalstaatsanwalt.
(Source: Yuly Rybakov, Facebook: ‘With children like this, Russia has a future!’)

Anmerkung des Übersetzers:

Am 11. Mai 2021 wurde Olga Misik[1] zu zwei Jahren und zwei Monaten Hausarrest verurteilt, ihre zwei Freunde Ivan Vorobievsky and Igor Basharimo erhielten ähnliche Strafen. Nachdem ich den Text von Olgas Abschlußerklärung vor Gericht nirgends in deutscher Übersetzung gefunden habe, habe ich ihn selbst übersetzt und poste ihn hier, in der Hoffnung, daß er zumindest einigen Leuten, die für Vladimir Putin und sein Regime schwärmen, die Augen öffnen wird.

Der englische Text ist z.B. hier zu finden.


Olga Misiks Abschlußerklärung vor Gericht.

Über die Angst

Ich werde oft gefragt, ob ich nicht Angst habe. Diese Frage wird vor allen von Menschen außerhalb Rußlands gestellt, weil sie die näheren Umstände unseres Lebens nicht kennen. Sie kennen die Gefangenentransporter nicht, die Festnahmen und Gefängnis ohne gutem Grund und ohne Begründung. Sie kennen das Gefühl der Verzweiflung nicht, das wir mit der Muttermilch aufgesogen haben. Und es ist dieses Gefühl der Verzweiflung, das alle Angst vertrocknen läßt und uns mit einer gelernen Hilflosigkeit infiziert. Wozu Angst haben, wenn man ohnehin keine Kontrolle über die Zukunft hat?

Ich hatte nie Angst. Ich fühlte Verzweiflung, Hilflosigkeit, Frustration, Beunruhigung, Enttäuschung und Burnout, aber weder die Politik noch der Aktivismus haben mich je mit Angst angesteckt. Ich hatte keine Angst, als bewaffnete Banditen in jener Nacht ins Haus gestürmt sind und mir mit dem Gefängnis gedroht haben. Sie wollten mich erschrecken, aber ich hatte keine Angst. Ich habe gescherzt und gelacht, weil mir klar war: in dem Moment, wo ich zu lächeln aufhöre, habe ich verloren.

Als ich mit diesen Banditen in ihrem Gefangenentransporter nach Moskau fuhr, dachte ich, ich hätte meinen letzten Sonnenaufgang für viel Jahre gesehen. Ich dachte an meinen Vater, den ich heute das erste Mal weinen sah, und an meine Mutter, die mir ins Ohr flüsterte, “Gestehe nichts,”, an meinen Bruder, der zur Dacha gelaufen kam und mich warnte, an Igor, der auf dem Boden lag und die Fragen der Agenten ignorierte. Ich war traurig und verletzt, aber ich hatte keine Angst.

Ich hatte keine Angst, als sie mich in eine Zelle steckten. Ich war besorgt um Igor, und habe den Brief von meinen Freunden immer wieder gelesen, aber mein Schicksal war die kleinste meiner Sorgen. Es ist komisch, vielleicht irgendein Abwehrmechanismus, aber ich habe im Verlauf dieser Tage kein einziges Mal Angst verspürt.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu diesem Protest gefahren bin. Ich versprach mir selbst, daß dies die letzte Aktion meiner Aktivistenkarriere sein würde, daß ich mich aus der Politik zurückziehen und mich auf mein Studium konzentrieren würde. Ich war besorgt und unsicher, wie es gehen würde, aber ich hatte keine Angst. Auch als ich die Straf- und Verwaltungsgesetze studierte, und all die Präzedenzfälle für ähnliche Aktionen, hatte ich keine Angst. Es war eine herrliche Nacht, und mir war klar, daß es meine letzte Nacht in Freiheit sein könnte, aber das hat mich nicht geängstigt.

Aber seit der Hausdurchsuchung, und während der letzten neun Monate, hatte ich ständig Angst. Seit dieser ersten Nacht in der Zelle habe ich kein einziges Mal normal geschlafen. Jede Nacht weckt mich das leiseste Geräusch auf, ich bilde mir ständig ein, daß ich Schritte am Gang höre, und Panik überkommt mich bei dem Geräusch von Autorädern auf dem Schotter vor meinem Fenster.

Und es scheint mir, daß all die Angst, die sich in den letzten neun Monaten in mir angesammelt hat hier und jetzt in meinem Abschlußstatement konzentriert ist, weil ich viel mehr Angst davor habe, in der Öffentlichkeit zu reden, as vor einem möglichen Urteil. Mein Puls ist gerade bei 150, und mir scheint, mein Herz würde zerreissen, und ich habe sogar unter meinen Haaren eine Gänsehaut.

Manche sagen, wenn man weiß, daß man Recht hat, kann man  keine Angst haben. Aber Rußland lehrt uns, ständig Angst zu haben. Ein Land, das jeden Tag versucht, uns umzubringen. Und wenn du außerhalb des Systems stehst, dann bist du so gut wie tot.

Und vielleicht hatte ich ja Angst, als ich zu diesem Protest fuhr. Aber ich habe verstanden, daß ich nichts anderes tun konnte. Ich habe verstanden, daß alles andere unmöglich ist. Daß, wenn ich jetzt schweigen würde, ich mir nie mehr in den Spiegel schauen könnte. Wenn mich meine Kinder einmal fragen, wo ich war, als all das passierte, und was ich dagegen getan hatte, warum ich das geschehen ließ und was ich unternommen habe, um die Situation zu reparieren, könnte ich ihnen nicht antworten. Was könnte ich schon sagen? Ich stand in einer Protestschlange außerhalb des FSB[2]? Das wäre ein Witz. Eine lustige  Selbsttäuschung, die ich mir nicht erlauben konnte.

Und wie ist es mit euren Kindern? Wenn sie euch fragen, wo ihr wart, als all das passierte, was werdet ihr ihnen sagen? Daß ihr Schuldsprüche verteilt habt?

Natürlich war ich bei dem Protest. Ich bedaure das nicht; ich bin vielmehr stolz über das, was ich getan habe. Tatsächlich hatte ich keine Wahl, ich mußte alles mir mögliche tun, und daher habe ich auch kein Recht, es zu bedauern. Und wenn ich in die Vergangenheit reisen könnte, würde ich es wieder tun. Wenn mir die Todesstrafe drohen würde, würde ich es wieder tun. Ich würde es wieder tun, immer wieder, ein ums andere Mal, bis es nichts mehr gäbe, das man verändern könnte. Leute sagen, immer wieder das gleiche zu tun in der Hoffnung, daß es anders ausgehen wird, ist der Wahnsinn. Ja, Hoffnung ist Wahnsinn. Aber aufzuhören, das zu tun, was man für richtig hält, nur weil es alle um dich herum für nutzlos halten, ist angelernte Hoffnungslosigkeit. Ich bin lieber in euren Augen wahnsinnig, als in meinen Augen hilflos.

Über die vermeintliche Verschwörungsgruppe “Neue Größe”

Randfiguren im Fall der “Neuen Größe”[3] haben mir diesen Sonntag gesagt, daß es nicht umsonst war. Daß es ihnen Hoffnung gegeben hat. Daß sie es schätzen. Und auch, wenn das nur zur Hälfte stimmt, heißt das, daß alles aus einem bestimmten Grund geschehen ist. Wenn nur eine einzige Person, die derzeit hinter Gittern ist, die Dinge leichter findet, weil diese Protestversammlung sie unterstützt hat, dann war es nicht umsonst. Das heißt, daß ich kein Recht habe, mich darüber zu beklagen, daß ich hinter Gitter landen könnte.

Maslov hat die an ihn gerichteten Plakate persönlich gesehen. Krasnov hat persönlich verlangt, daß ein Gerichtsverfahren gegen uns eröffnet wird. Das bedeutet, daß meine Herausforderung angenommen wurde. Daß sie mich gehört haben. Daß es nicht alles umsonst war.

Es wäre nicht nur prinzipienlos, meine eigene Teilnahme an dem Protest zu leugnen. Es würde all meine Bemühungen zunichte machen, all meine Ängste und mein Leiden, alles, was ich erreicht habe, meine Schmerzen und meinen Zorn. Ich kann mir diese Prinzipienlosigkeit nicht leisten, mit der unsere Untersuchungs- und Anklagebeamten  leben. In seinem Büro war der Leiter unserer Untersuchung so stolz über seine Prinzipientreue, wie er Fälle, die unbegründet waren, eingestellt hat; aber im Gerichtssaal hat er den Schwanz zwischen die Beine genommen wie ein Feigling und undeutlich vor sich hin gemurmelt über verbleibende Gründe. Es tut mir sehr leid, daß ich ihn nicht wiedersehen werde und ihm nicht ins Gesicht sagen kann, wie sehr ich ihn verachte. Ich verachte auch unseren jugendlichen Ankläger, der für diese Heuchelei und diese Lügen eigentlich zu jung ist. Ich kann ihn nur verachten, und ich verstehe nicht, daß er sich nicht selbst verachtet, daß er seienen Lieben in die Augen blicken kann.

Und auch ihr. Wenn ihr die Einschränkungen unserer Freiheit vor dem Gerichtsverfahren erweitert habt, die Anträge der Verteidigung ablehnt habt, und all die falschen Anschuldigungen schluckt, die euch die Staatsanwaltschaft füttert, dann wißt ihr ganz genau, welches Verbrechen ihr begeht, und ihr seid euch dessen noch viel klarer bewußt, als ich an diesem schicksalhaften Abend. Wenn ihr mir den Kontakt mit der wichtigsten Person in meinem Leben verbietet, wißt ihr ganz genau, was ihr tut. Ihr denkt, daß es menschlich ist, jemanden zu verurteilen, weil er zur falschen Zeit mit den falschen Leuten am falschen Ort war. Ihr meint, ihr könntet ein Gerichtsverfahren gegen jemanden eröffnen, nur weil ich ihn liebe, und uns dann jeden Kontakt verbieten, aber das könnt ihr nicht. Ihr könnt mir nicht verbieten, zu lieben; ihr könnt Jugend nicht verbieten, und ihr werdet niemals die Freiheit verbieten. Ihr werdet niemals die Wahrheit verbieten.

Und ihr wißt ganz genau, daß dieses Urteil ein Wendepunkt für euch ist, viel mehr als für mich. Denn ich habe miich vor langer Zeit für meine Seite entschieden, und ihr müßt jetzt entscheiden, in welche Richtung euer Leben weitergehen wird. Für mich bedeutet weder diese Debatte noch diese Ankündigung sehr viel, und sie werden nichts verändern. Ihr verurteilt nicht mich – ihr verurteilt euch selbst.

Ein faschistisches Regime scheint von innen nie faschistisch zu sei. Es gibt hier ein bißchen Zensur, hier eine kleine Unterdrückung, die dich vielleicht nie berühren wird.  Aber ich bin hier und heute nicht die Angeklagte. Ihr entscheidet nicht mein Schicksal, sondern euer eigenes, und ihr könnt immer noch den richtigen Pfad wählen. Ihr wißt genau, was hier los ist, und wie das heißt. Und ihr wißt, daß es gut und böse gibt, Freiheit und Faschismus, Liebe und Haß, und zu leugnen, daß diese Dinge existieren, wäre die größte Täuschung. Und diejenigen, die sich jetzt für das Böse entscheiden, haben bereits ihre Sitze auf der Anklagebank reserviert. Den Haag erwartet alle, die bei dieser Gesetzlosigkeit mitmachen.

Ich kann nicht versprechen, daß wir morgen gewinnen werden, übermorgen, in einem Jahr oder in zehn Jahren. Aber eines Tages werden wir gewinnen, weil Liebe und Jugend immer gewinnen. Ich kann nicht versprechen, daß ich das erleben werde, aber ich hoffe wirklich, daß ihr es erleben werdet. Und ihr täuscht euch selbst, wenn ihr euch einredet, daß ich wegen dieses Protests vor der Staatsanwaltschaft hier stehe. Ihr täuscht euch selbst, wenn ihr das hell leuchtende Schild mit der Aufschrift “POLITIK” ignoriert, das über diesem gesamten Verfahren hängt – dieses Verfahren wird nicht uns angetan, sondern dem gesunden Menschenverstand.

Ihr wißt, warum ich hier bin. Und ihr wißt, warum diese beiden hier sind – weil sie meine Freunde sind. Ihr wißt, warum ich vor Gericht stehe. Weil ich die Verfassung vorgelesen habe. Für meine Zivilcourage. Weil ich zur Person des Jahres gewählt wurde. Für meine Prinzipien. Für Reden. Vielleicht könnte ich mich ja von dieser ausdrücklich politischen Strafverfolgung geschmeichelt fühlen, wenn nicht inzwischen alle, die eine Meinung haben, unterdrückt worden wären.

All die Argumente der Staatsanwaltschaft sollen meine Schuld beweisen. Ich werde gar nicht darauf eingehen, daß sie das nicht sehr professionell machen – der Fingerabdruck-Befund ist gefälscht, und auf meiner Kleidung gibt es keinerlei Farbspuren, wie ihr selbst gesehen habt, als die Beweismittel vorgelegt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat neun Monate darauf verschwendet, meine Beteiligung zu beweisen, die ich gar nicht geleugnet habe. Aber was bedeutet diese Beteiligung in einem Fall ohne Akte? Was macht es aus, ob ich dort war, wenn kein Verbrechen begangen wurde? Obwohl ich lügen würde, würde ich  sagen, daß kein Verbrechen begangen wurde, denn die Untersuchungs-  und Anklagebehörden haben sehr wohl ein Verbrechen begangen, und ich hoffe ganz ernstlich, Genosse Richter, daß Sie, Genosse Richter, nicht das gleiche Verbrechen begehen werden.

Deshalb bestehe ich auf einem vollen und bedingungslosen Freispruch ohne solch halbherzigen Entscheidungen wie Verfahrenseinstllung gegen Bezahlung einer Geldstrafe. Ich bin von meiner Unschuld überzeugt und bin bereit, sie ohne Kompromisse zu verteidigen.

Es ist uns allen klar, wie absurd dieser Fall ist: von Einschränkungen vor der Gerichtsverhandlung bis hin zu fabrizierten Beweisen, die von der Verteidigung als falsch entlarft wurden. Aber das ist noch nicht das Schlimmste.  Das Schlimmste sind vielmehr die Zeugen- und Expertenaussagen, die immer wieder unser Alter hervorgehoben und argumentiert haben, daß unser Verhalten einfach die Auswirkung von jugendlichem Überschwang sei. Aber die Wahrheit ist doch, daß jeder einzelne von uns erwachsener ist als Krasnov, der, wie Dimitry aufgezeigt hat, sich über ein paar Plakate kindisch aufgeregt hat. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ich kann und will es sagen, viel ehrlicher als jeder von euch, weil ihr darin gar nichts zu sagen habt. Die Wahrheit ist, daß trotz verschiedener Verbote und Einschränkungen unserer Freiheit, hier vor Gericht und in Gefängnissen, selbst mit GPS-Fesseln und einem rigiden Zeitplan, jeder von uns viel freier ist als ihr, denn diese drei Jahre werden einmal Vergangenheit sein, und selbst vorher werde ich immer noch sagen, was ich denke und tun, was ich für richtig halte, und ihr bringt es leider nicht über euch, das gleiche zu tun.

Die letzten neun Monate waren sehr schwierig, und ich möchte sie nicht nocheinmal durchleben. Ich habe die Zeit damit verbracht, Dinge zu bedauern, habe gedacht, “Was wäre geschehen, wenn …” und “Alles könnte ganz anders sein ….”. Aber da habe ich mich selbst belogen, denn die Dinge könnten gar nicht anders sein. Von dem Augenblick an, als ich die Verfassung in die Hand nahm, war meine Zukunft entschieden. Und ich habe das tapfer akzeptiert. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, und in einem totalitären Staat kommt die richtige Entscheidung immer mit schrecklichen Konsequenzen. Ich wußte immer, daß ich im Gefängnis landen würde; die Frage war nur, wann. Ich lese gerade ein Buch von Markus Zusak über das Leben unter einem faschistischen Regime(wahrscheinlich “Die Bücherdiebin“)), und er schreibt darin, “Du sagst, du hast Pech gehabt, aber du wußtest die ganze Zeit daß es so enden würde.”  Dieser Satz beschreibt meine Strafverfolgung vollkommen. Es war nicht Dummheit, oder Pech, oder ein Zufall – und es war ganz sicher kein Verbrechen. Ich wußt schon immer, daß dies geschehen würde, und war schon immer darauf vorbereitet. Nichts, was ihr tun könnt, wird mich überraschen.

Mein Anwalt hat heute Sophie Scholl erwähnt, und ihre Geschichte ähnelt meiner aufs Haar. Sie wurde vor Gericht gestellt,  weil sie Flugblätter verteilt und Graffiti gemalt hatte; ich wurde vor Gericht gestellt für Plakate und Farbe. Genaugenommen stehe ich vor Gericht für Gedankenverbrechen, so wie sie vor langer Zeit. Mein Gerichtsverfahren ist ihrem sehr ähnlich, und Rußland ist heute dem faschistischen Deutschland sehr ähnlich. Sophie hat nie ihre  Überzeugungen geleugnet, auch nicht im Angesicht des Schaffots. Ihr Beispiel hat mich ermutigt, keinen Abmachungen zuzustimmen. Sophie Scholl hat Jugend, Ernsthaftigkeit und Freiheit verkörpert, und ich hoffe, daß sie und ich einander auch darin ähnlich sind.

Das faschistische Regime in Deutschland ist letztlich gefallen, und auch das faschistische Regime in Rußland wird fallen. Ich weiß nicht, wann das geschehen wird – vielleicht in einer Woche, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in einem Jahrzehnt – aber ich weiß, daß wir irgendwann siegen werden, weil Liebe und Jugend immer siegen.

Über das Licht

Ich möchte meine Abschlußerklärung mit Zitaten von zwei besonderen Menschen abschließen: Albus Dumbledore und Sophie Scholl. Zu viel von dem, was ich heute gesagt habe, handelte von Furcht, daher werden diese beiden Zitate vom Licht handeln. Ich habe mit Furcht begonnen, aber ich werde mit Hoffnung enden.

In der Kriegszeit sagte Albus Dumbledore einmal: “Das Glück kann gefunden werden, selbst in den finstersten Zeiten, wenn man nur daran denkt, das Licht einzuschalten.”

Sophie Scholls letzte Worte vor ihrer Hinrichtung waren,  “Die Sonne scheint immer noch!”

Tatsächlich scheint die Sonne immer noch. Ich konnte sie zwar durch das Gefängnisfenster nicht sehen, aber ich wußte immer, daß sie da war. Und wenn wir jetzt, in diesen finsteren Zeiten, das Licht einschalten können, dann wird es uns vielleicht zumindest einen kleinen Schritt näher zu unserem Sieg bringen.

Aus dem Russischen ins Englische übersetzt von  Marian SchwartzAnna BowlesFriedrich Berg und Nina dePalma; vom Englischen ins Deutsche übersetzt von Wolf Paul.

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  1. Ich finde es bemerkenswert, daß es weder in der deutschen noch in der englischen Wikipedia einen Eintrag für Olga Misik gibt.[]
  2. Der FSB ist der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation. Der russische Name Федеральная служба безопасности Российской Федерации Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii (ФСБ) bedeutet „Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation“.[]
  3. Diese angebliche Verschwörungsgruppe begann mit einer Gruppe russischer Teenager, die sich auf Social Media über Politik unterhalten haben. Ein Geheimagent infiltrierte die Gruppe, vermietete ihnen ein Clublokal, und ermutigte sie zu Protestaktionen. Die Polizei hat ihre Wohnungen gestürmt und die Teenager festgenommen, und sie wurden mit gefälschten Beweisen angeklagt, die Regierung stürzen zu wollen. Im August 2020 wurden die Teenager zu (teilweise bedingten) Gefängnisstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt[]
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