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Wolf’s Notes

… about faith, life, technology, etc.

Kindheitserinnerungen: Wohin soll ich mich wenden?

2022-09-08 Wolf Paul

Vor zweieinhalb Monaten, Mitte Juni 2022, postete ich diesen Text auf Facebook;[1] unterhalb finden sich dann noch ein paar Gedanken zu meinen Kindheitserinnerungen.

Mit zunehmendem Alter, und krank im Bett liegend, gehen mir allerlei Kindheitserinnerungen durch den Kopf – darunter auch so manche Lieder, die ich jeden Sonntag in der Kirche gesungen habe, aus der Betenden Gemeinde, dem Gesang- und Gebetbuch der Erzdiözese Wien bis zur Einführung des Gotteslob im ganzen deutschen Sprachraum.

Auf der Suche danach auf YouTube sehe ich, daß etliche davon aus der Deutschen Messe von Franz Schubert stammen, mit Texten vont Johann Philipp Neumann.

Neu angehört, mit einem bewußteren Glauben als damals in den frühen 1960er Jahren, kann ich immer noch das meiste bejahen, wenn auch vielleicht mit einer etwas anderen Betonung, einem anderen Verständnis als die Gläubigen in der Katholischen Kirche.

Manche dieser Lieder könnten wir mit Gewinn in unseren evangelkalen Gottesdiensten singen, als Ausgleich zu den oft sehr seichten modernen Anbetungsliedern (obwohl natürlich auch die evangelische Kirchenliedtradition reiche Schätze bietet, ebenso wie die erweckliche Tradition der Reichslieder).

Nur eines wirkt für den Evangelikalen, der ich heute bin, etwas befremdlich: es ist zwar in einigen Liedern die Rede vom Heiland und vom Erlöser, aber der Name des Heilands und Erlösers, Jesus, wird nicht ein einziges Mal erwähnt. Angesichts von Philipper 2, 5–10 scheint das ein wesentliches Versäumnis.

Hier ist ein Link zu einer YouTube Playlist der Lieder (wesentlich besser gesungen als damals in unserer Pfarrkirche in Wien-Eßling):

Auf dieser Seite des Erzbistums Köln gibt es die Texte sowie auch Noten und Hintergrund-Informationen zur Deutschen Messe.

Im Gotteslob finden sich nur mehr drei dieser Lieder („Wohin soll ich mich wenden“, „Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe“, und „Heilig, Heilig, Heilig“) im Hauptteil des Buches; die übrigen finden sich nur im Diözesananhang für Bayern und Österreich. Ich habe keine Ahnung, wieviele diese Lieder heute tatsächlich noch regelmäßig gesungen werden, außer natürlich bei speziellen, musikalischen Vorführungen z.B. in der Schubertkirche in Lichtental (1090 Wien).

Soweit mein etwas ergänzter Facebook-Post.

Als Folge meiner nunmehr bereits mehr als vier Monate andauernden Bettlägrigkeit ist mein Schlafrhytmus sehr gestört, und entweder schlafe ich erst lange nach Mitternacht ein, oder aber ich wache so gegen zwei oder drei Uhr auf und habe dann Schwierigkeiten, vor fünf oder sechs Uhr wieder einzuschlafen. So auch heute: ich bin gegen halb drei Uhr aufgewacht, mit der Melodie des Schubert-Glorias in meinem inneren Ohr, und habe mir dann die oben verlinkte Aufnahme der Deutschen Messe angehört und gleichzeitig aus meinem Facebook-Post diesen Blogeintrag gebaut.

Wie bereits oben erwähnt kommen mir, und zwar nicht erst in den letzten Jahren als alter Mann, Erinnerungen aus meiner Kindheit ins Bewußtsein. Zum ersten mal aufgefallen ist mir dies bereits vor etlichen Jahren bei einer Gemeindefreizeit auf dem Mariahilfberg in Gutenstein. Neben dem evangelikalen Gästehaus, in dem wir untergebracht waren, gibt es dort ein Servitenkloster mit Wallfahrtskirche, die scheinbar vor allem von katholischen Gläubigen aus Polen und der Slowakei besucht wird.

Eines Morgens ging ich auf der Suche nach einem Platz für meine Stille Zeit an der Kirche vorbei, wo gerade eine Messe im Gange war. Die Kirchentür war zu, und ich habe auch kein Wort verstanden, aber nach wenigen Augenblicken wußte ich, nur anhand meiner Kindheitserinnerungen an den Rhytmus einer Meßfeier, an genau welchem Punkt im Ablauf der Liturgie diese Messe gerade war — und das, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwanzig Jahre in keiner katholischen Messe mehr gewesen war.[2]

Obwohl ich nach meiner Bekehrung 1971 sehr gedrängt wurde, der römisch-katholischen Kirche den Rücken zu kehren (ich bin dann auch tatsächlich ausgetreten), und in meinem neuen evangelikalen Umfeld Katholiken kaum als Christen anerkannt wurden,[3] war mir schon damals bewußt, und ist mir seither immer stärker bewußt geworden, wieviel ich meiner katholischen Erziehung, in einer sehr frommen Großfamilie[4] auch in geistlicher Hinsicht verdankte: bei uns gab es nicht nur den Volksschott, ein lateinisch-deutsches Meßbuch mit der „vor-vatikanischen“ Liturgie, sondern auch mehrere Bibeln, und ich war daher schon als neubekehrter Evangelikaler recht vertraut mit der Bibel. 

In den letzten zwanzig Jahren bin ich durch meine Teilnahme am „Runden Tisch für Österreich“ und durch Initiativen wie „Österreich betet gemeinsam“ wieder mit mehr Katholiken in Verbindung, und habe in diesem Umfeld sowie in einigen katholischen Erneuerungsbewegungen wie „Loretto“ viele liebe Geschwister kennengelernt. In der katholischen Pfarre in unserem Weinviertler Dorf haben wir vor ein paar Jahren an einem Alpha-Kurs teilenommen, und dann bis zum Beginn der Pandemie an einem monatlichen Lobpreisabend, der jedes mal mit eucharistischer Anbetung[5] endete. Das gehört zwar nicht zu meiner evangelikal geprägten Frömmigkeit[6], aber die Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Christus hat mich sehr beeindruckt, auch wenn ich Jesu Gegenwart nicht an die Hostie in der Monstranz gebunden verstand.

Was uns trotz aller, nach wie vor bestehender Unterschiede in Theologie und Frömmigkeitspraxis, in geschwisterlicher Liebe verbindet, ist der Glaube an Jesus Christus, den für unser Heil gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes, und das erscheint mir viel wichtiger als die institutionelle Ökumene.

Soweit ein paar Gedanken, angestoßen durch die nächtlichen Kindheitserinnerungen eines alten Mannes. Erstaunlich, wie weit die Gedanken schweifen.

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  1. Für diesen Blog-Eintrag habe ich ein paar Stellen ergänzt und Infos aus den Kommentaren eingearbeitet.[]
  2. Außer anläßlich des Begräbnisses meines Vaters, wo ich ganz andere Dinge im Kopf hatte[]
  3. Das ist nicht rein theologisch zu erklären, sondern evangelikale Christen und freikirchliche Gemeinden waren damals im traditionell katholischen Österreich eine als „Sekten“ diskriminierte ubd verunglimpfte Minderheit; diese Feindseligkeit ging vielfach von der Kirche aus und wurde von uns auch durchaus erwidert[]
  4. Von den neun Geschwistern meiner Mutter ging eine Schwester ins Kloster und ein Bruder wurde Priester; im Wohnzimmer der Großeltern hing ein päpstliche Orden für Verdienste um die Kirche während der Nazizeit, beide meiner Eltern waren in ihrer Jugend in der Katholischen Jugend aktiv und später, da war ich allerdings schon aus dem Haus, arbeiteten beide Eltern als katholische Religionslehrer[]
  5. Ich muß dem Wikipedia-Artikel und auch dem weitverbreiteten Mißverständnis entgegen treten, daß bei der eucharistischen Anbetung die Hostie angebetet bzw verehrt wird. Die Anbetung gilt Jesus, der nach katholischem Verständnis in der Gestalt der Hostie gegenwärtig ist.[]
  6. Auch wenn ich, im Gegensatz zu manchen Evangelikalen, im Abendmahl nicht nur nach Zwingli ein “bloßes” Gedächtnismahl sehe sondern glaube, daß wir mit Brot und Wein auf geistliche Weise den Leib und das Blut Christi empfangen. Im Gegensatz zur katholischen Lehre glaube ich nicht, daß wir das „Wie“ von Christi Gegenwart irgendwie definieren können oder sollen – es ist ein Mysterium. Was die eucharistische Anbetung angeht, halte ich es mit dem klassischen anglikanischen Gebetbuch, wo es heißt, „Christus hat die Sakramente nicht eingesetzt, damit wir sie betrachten oder herumtragen, sondern daß wir sie in rechter Weise empfangen.“[]

Regulative and Normative Principles

2022-08-18 Wolf Paul

In a recent discussion on Facebook someone denigrated Anglicanism (even the conservative version of GAFCON, ACNA, etc) as not sufficiently reformed, because, while the English Reformation got rid of the heretical practices and beliefs of the Roman Catholic Church, it retained other practices “which should not be part of any church.”

In reply I asked, What things other than “heretical practices and beliefs” shouldn’t be part of any church?

He has, so far, not replied to my questions, but this reminds me of what, in Reformed theology, is called the regulative principle of worship.

Theopedia says, 

The Regulative principle of worship in Christian theology teaches that the public worship of God should include those and only those elements that are instituted, commanded, or appointed by command or example in the Bible. In other words, it is the belief that God institutes in Scripture whatever he requires for worship in the Church, and everything else should be avoided.

The regulative principle is often contrasted with the Normative Principle of Worship, which teaches that whatever is not prohibited in Scripture is permitted in worship, so long as it is agreeable to the peace and unity of the Church. In other words, there must be agreement with the general practice of the Church and no prohibition in Scripture for whatever is done in worship.

These two ways of looking at worship can also be applied to church practice in general (i.e. church governance), and and while both in worship and in general church practice I hold with the normative way of looking at things, I respect those who follow the regulative principle and would never belittle that stand.

This is how I understand Scripture:

  1. Any practice that is expressly forbidden in Scripure is heretical and shouldn’t be part of any church.
  2. Any practice that is commanded or commended in Scripture is orthodox and should be part of every church.
  3. Anything that is neither prohibited nor commanded/commended in Scripture is a matter for prudential judgment and freedom which (as long as it is agreeable to the peace and unity of the the church and doesn’t contradict biblical principles) a church can decide to adopt or not while still respecting those who decide differently.

The reformers of the 16th century rightly rejected the authority, jurisdiction, and infallibility of the Roman pope and insisted on Scripture as the only binding standard for both the church and the individual believer. Ever since then there have been people in the church who have claimed for themselves that authority, jurisdiction, and infallibility, and have disparaged and condemned anyone who didn’t agree with them on every point.

It is very sad that there are those in the church who have given up on Sola Scriptura; unlike the Roman Catholic Church they are not guided by Sacred Tradition but by the Zeitgeist, the spirit of the age. They seek to be relevant in this post-modern age by abandoning “the faith once delivered to the saints” and instead adopting the mores of the new, “progressive” secular public morality.

It is even sadder, however, when those who claim to still be comitted to the authority of Scripture disparage, castigate, and maul each other over what are, after all, adiaphora, peripheral matters. 

Weihe an das “Unbefleckte Herz Mariens”?

2022-03-16 Wolf Paul

Die katholische Nachrichtenagentur CNA Deutsch berichtet, daß Papst Franziskus am 25. März die Ukraine und Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen wird, und erläutert in einem weiteren Beitrag, was das genau bedeutet.

Nachdem in den letzten Jahrzehnten viele protestantische Kirchen zunehmend wesentliche Teile des biblisch bezeugten christlichen Glaubens aufgegeben bzw relativiert haben, hat es zwischen der Katholischen Kirche und weiten Teilen der evangelikalen Bewegung eine ebenfalls zunehmende Annäherung gegeben, aus der Erkenntnis heraus, daß diese beiden Traditionen, trotz aller Unterschiede, wenigstens die alten Glaubensbekenntnisse noch mit gutem Gewissen gemeinsam rezitieren können[1]. Gleichzeitig entstanden in der Katholischen Kirche eine Reihe von Erneuerungsbewegungen, deren Frömmigkeit der evangelikalen Frömmigkeit nahe steht. Auch das hat eine Annäherung und Versöhnung gefördert.

Als Evangelikaler mit römisch-katholischen Wurzeln, der Familie und viele Freunde in der Katholischen Kirche hat, stimmt mich diese geplante Aktion traurig, weil sie die immer noch bestehenden, schwerwiegenden Unterschiede zwischen unseren Traditionen und Glaubensauffassungen unterstreicht.

Angesichts dessen, was der Schreiber des Hebräerbriefes über die Wolke von Zeugen sagt,  die uns umgibt[2], habe ich als Evangelikaler relativ wenig Probleme mit der Vorstellung, die Heiligen, d.h. gläubige Menschen, die uns im irdischen Tod vorausgegangen sind, und die uns die Kirche aufgrund ihres vorbildlichen Lebens als Beispiele hinstellt, um ihre Fürbitte zu bitten. Ich  sehe die Bitte um Fürbitte an die verstorbenen Heiligen nicht viel anders, als die auch unter Evangelikalen übliche Bitte um Fürbitte an noch unter uns lebende Brüder und Schwestern.

Aber ich kann in der Heiligen Schrift keinerlei Rechtfertigung für eine Heiligen-Frömmigkeit finden, die den Heiligen, und damit auch der Mutter Jesu, Wunder zuschreibt; die Gebete an Heilige für wirksamer und mächtiger erachtet, als Gebete zu Gott selbst, und schon gar keine Rechtfertigung dafür, Menschen oder Länder irgendjemandem Anderen als Gott selbst zu weihen. Das ist meines Erachtens sehr, sehr nahe daran, die Grenze zwischen Verehrung, die man vorbildlichen Menschen entgegenbringen kann, und Anbetung, die nur Gott zusteht, zu überschreiten, wenn es sie nicht gar überschreitet, und das wäre Götzendienst. Die Frage, ob das Herz Mariens tatsächlich unbefleckt ist, obwohl die Heilige Schrift eher anderes sagt[3], kommt da noch dazu.

Ich finde diese Aktion umso bedauerlicher, als wir uns in der Pandemie zusammengefunden haben, über die konfessionellen Grenzen hinweg, um sowohl in Deutschland (Deutschland betet) als auch in Österreich (Österreich betet gemeinsam) für unsere Länder zu beten, und gerade eine Woche abschließen, wo wir europaweit und konfessionsüberschreitend für die Ukraine und Rußland gebetet haben (Europe prays together). Mit dieser Aktion wird die Gemeinsamkeit gebrochen: die Einen befehlen diese beiden Länder Gott an, und die Anderen befehlen sie der Mutter Jesu an, als wäre diese gewissermaßen auf gleicher Ebene mit dem dreieinigen Gott.

Und es legt noch einen Verdacht nahe: in der Katholischen Kirche steht die angebliche Offenbarung der Maria in Fatima über der Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift.

Schade.

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  1. auch wenn das in der Mehrzahl evangelikaler Gemeinden kein fixer Bestandteil des sonntäglichen Gottesdienstes ist[]
  2. Heb. 12,1[]
  3. Markus 10, 18; Röm. 3, 10-12[]