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Wolf’s Notes

… about faith, life, technology, etc.

Ekstatisch und Asketisch — die Evangelikalen?

2022-02-03 Wolf Paul

Franz Graf-Stuhlhofer hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Günter Kaindlstorfer, der bereits im November 2021 eine reichlich tendenziöse Ö1 Radiokolleg-Reihe über die Evangelikalen gemacht hat, es nicht lassen kann, und sich nun, ebenfalls in Ö1, in der Sendereihe Logos – Glauben und Zweifeln, wiederum die Evangelikalen vornimmt.

Anhand der Sendungsbeschreibung kann man schon vorhersehen, daß die Sendung, “Ekstatisch und asketisch” – Warum evangelikale Bewegungen so erfolgreich sind, die am 19. Februar 2022 ausgestrahlt werden soll, auch wieder von Ungenauigkeiten und Fehlern strotzen wird. So wie schon im November, wirft Herr Kaindlstorfer alle möglichen Gruppen in einen Topf; lediglich die Methodisten hat er diesmal, nachdem diese sich wohl nach der Radiokolleg-Reihe beschwert haben, mit einer Erklärung außen vor gelassen. Adventisten und Gemeinden Christi[1], die sich selbst nicht zur evangelikalen Bewegung zählen, sind nach wie vor in dem Mix, und der Titel läßt darauf schließen, daß er sowohl charismatisch/pfingstlerische als auch nicht-charismatische Gruppen und Gemeinden in den einen Topf namens evangelikal wirft. Das ist zwar international durchaus üblich, aber gerade im deutschen Sprachraum nicht. Den evangelikalen Flügel der Evangelischen Kirche (auch als “Fromme” oder “Pietisten” bekannt) ignoriert er geflissentlich.

Ekstase und Askese sind ja Begriffe, die in der Kirchengeschichte immer wieder vorkommen, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht; wenn man die Freikirchen betrachtet[2], was wohl ein zutreffenderer Begriff wäre für die Gruppe, die Kaindlstorfer mehr oder weniger akkurat portraitieren möchte, dann gibt es sicher Gruppen, denen mehr Ekstase zu wünschen wäre, und andere, bei denen mehr Nüchternheit empfehlenswert wäre. Was die Askese anlangt, kann man wohl sagen, daß allen christlichen Gruppen und Kirchen in Österreich (und im “Westen” insgesamt) mehr Askese gut täte; großteils sind wir genauso Teil der Konsumgesellschaft um uns herum, wie die “Un-” oder “Andersgläubigen”, was schwerlich auf eine wörtliche Auslegung der Bibel zurückzuführen ist.

Lassen wir diese Sendung also auf uns zukommen und hoffen, daß Herr Kaindlstorfer diesmal mehr auf Frank Hinkelmann und weniger auf Bernd Vogt[3]  gehört hat; es wäre seinem Ruf als objektiver Journalist sehr zuträglich.

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  1. In der Sendungsbeschreibung werden sie als Churches of Christ genannt, obwohl sie schon seit kurz nach dem 2. Weltkrieg als Gemeinden Christi in  Österreich präsent sind[]
  2. ich verwende den Begriff hier als “Gattungsbezeichnung”, nicht bezogen auf die anerkannte Religionsgemeinschaft der Freikirchen in Österreich[]
  3. Bernd Vogt ist in einer Pfingstgemeinde in Deutschland aufgewachsen und hat dort offenbar viele Verletzungen erlitten; allerdings liegt das alles fast ein halbes Jahrhundert zurück, und die Art von Pfingstgemeinde, die er in seinem Buch schildert, war immer schon am extremen Rand der evangelikalen Bewegung angesiedelt und ist vor allem für die Evangelikalen in Österreich überhaupt nicht repräsentativ.[]

Christenverfolgung in Deutschland …

2022-02-02 Wolf Paul

Diese Eltern, Camelia und Petru Furdui aus Rumänien, jetzt wohnhaft in Walsrode in Norddeutschland, müssen sich wohl fühlen, als wären sie in das kommunistische Rumänien zurückversetzt worden, das sie wahrscheinlich nur aus Erzählungen ihrer eigenen Eltern kennen — und das in dem Musterland der Europäischen Union, in Deutschland!

Am 26. April 2021 wurden ihnen vom Jugendamt ihre sieben Kinder, David, Naomi, Estera, Natalia, Ruben, Albert, und Lea, ohne Vorwarnung weggenommen und in Heimen und Pflegefamilien untergebracht. Lea war diesem Zeitpunkt erst knapp über ein Jahr alt; sie feierte vor wenigen Tagen ihren zweiten Geburtstag, ohne ihre Eltern und Geschwister!

Nachdem sich der ursprüngliche Vorwurf der Kindesmißhandlung als haltlos herausgestellt hat wird den Eltern (Mitglieder einer Pfingstgemeinde) nun die religiöse Erziehung der Kinder vorgeworfen “die nicht im Einklang steht mit den Werten der Mehrheitsgesellschaft” — da wird ganz offensichtlich die Religionsfreiheit mit Füßen getreten, ebenso wie das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen. Das deutsche Grundgesetz sagt in Artikel 6,

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

Von einer Erziehung, die die nicht im Einklang steht mit den Werten der Mehrheitsgesellschaft ist hier als legitimer Grund für eine Kindeswegnahme nicht die Rede.

Nun kann man sicherlich die Frage stellen, ob diese Schilderung der Vorgänge durch die Eltern Furdui den Tatsachen entspricht, bzw ob da nicht noch mehr dahintersteckt; daß das Jugendamt bei Kindeswegnahmen normalerweise sehr vorsichtig agiert. Was ich in diesem Zusammenhang interessant finde ist, daß, wenn man “Furdui Walsrode” in Google eingibt, viele, auch sekulare, Medienberichte findet, die im wesentlichen die gleiche Geschichte wie die Furduis erzählen, aber keine, die dieser Darstellung widersprechen. Es wäre schon sonderbar, wenn kein sekularer Journalist eine legitime Begründung für diese Aktion finden könnte — wenn es denn eine solche gäbe.

Auf Grund anderer Berichte über das Vorgehen deutscher Behörden gegen christliche Eltern sowie über die Ursachen von Konflikten zwischen christlichen Einwanderern nach Deutschland mit dem dortigen Schulsystem und Jugendamt, kann ich mir beispielsweise gut vorstellen, daß sich eines oder mehrere der Furdui-Schulkinder in der Schule mehrmals gegen einen der Werte der Mehrheitsgesellschaft ausgesprochen hat, die dort fächerübergreifend vermittelt werden, wie z.B. die Gleichwertigkeit aller sexuellen Neigungen. In Kombination mit dem Einwanderer-Status der Familie kann ich mir eine solche Aktion, z.B. nach einer Meldung aus der Schule über diese unangepassten Einwandererkinder, durchaus vorstellen.

Und diese Floskel vom mangelnden Einklang mit den Werten der Mehrheitsgesellschaft paßt da sehr gut dazu, das kommt aus einer bestimmten Ecke, die konservatives Christentum z.B. mit islamischem Fundamentalismus auf eine Stufe stellt und das Entstehen von Parallelgesellschaften als Schreckgespenst an die Wand malt, gegen das der Staat vorgehen muß.

Ich will dabei den Jugendamt-Mitarbeitern nicht einmal böse Absicht unterstellen. Die moderne, “progressive” Sicht der Dinge betrachtet Religion nicht nur als unnötig, sondern sieht viele Aspekte eines traditionellen christlichen Welt- und Menschenbildes als falsch und sogar unmoralisch an (wie z.B. das Beharren auf der lebenslangen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die Ablehnung von vor- und außerehelichem Geschlechtsverkehr, die Ablehnung von Abtreibung, das Beharren darauf, daß Männer und Frauen nicht beliebig austauschbar sind und der Mensch auch sein Geschlecht nicht beliebig wechseln kann, usw.) — und vor falschen und unmoralischen Ansichten muß man Kinder schützen. Allerdings ist in einem demokratischen Rechtsstaat immer noch das Gesetz der Maßstab der Legitimität jeder Maßnahme, und nicht das individuelle moralische Empfinden der handelnden Amtspersonen.

Wer sich an den Anwaltskosten von Familie Furdui beteiligen will, kann diesen GoFundMe Link benützen.

Die Welt, Israel, und die Kirche

2022-02-01 Wolf Paul

CNN berichtet:

Jerusalem (CNN) Amnesty International ist die letzte in einer Reihe von Menschenrechtsorganisationen, die Israel wegen seiner Behandlung von Palästinensern der Apartheid beschuldigt, was eine zornige Reaktion von Seiten Israels hervorgerufen hat, in der dieser Bericht als anti-semitische verurteilt wird. …

Wie zwei vorhergegangene Berichte zum selben Thema — von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem und der New Yerker Human Rights Watch (HRW) untersucht der Bericht von Amnesty die israelische Politik in den Palästinensergebieten, die seit 1967 von Israel besetzt sind, aber nie formell annektiert wurden, sowie in Israel selbst.[1]

Die israelische Regierung wirft Amnesty (und den anderen Menschenrechtsorganisationen) vor, mit zweierlei Maß zu messen und so die Existenz Israels als Heimatland des jüdischen Volkes zu unterminieren. Genau das mache den modernen Antisemitismus aus.

Definieren wir mal Begriffe. Palästinenser sind in diesem Zusammehang die arabischen Bewohner der besetzten Gebiete, die keine israelische Staatsbürgerschaft besitzen.  Warum besitzen sie keine Staatsbürgerschaft? Weil diese Gebiete lediglich von Israel besetzt, aber nicht annektiert sind; das heißt, sie sind völkerrechtlich nicht Teil von Israel.

Israel könnte diese Gebiet zwar annektieren, aber das scheitert an mindestens zwei Tatsachen:

  • Erstens würde das auf heftigen Widerstand aus allen möglichen Richtungen stoßen, inklusive Europas und der USA, vor allem aber natürlich sämtlicher arabischer und muslimischer Staaten.
  • Zweitens würde eine Annektierung die dort lebende Bevölkerung automatisch zu Staatsbürgern machen, was sowohl unter dem Gesichtspunkt von Israel als jüdischem Staat als auch wegen der ungebrochen feindseligen Haltung der palästinensischen Führung, welche sich seit jeher weigert, die legitime Existenz Israels anzuerkennen. 

Der Bericht von Amnesty merkt an, was wohl zutrifft, daß diese Palästinenser nicht die gleichen Rechte besitzen, und von den israelischen Behörden nicht gleich behandelt werden, wie Israelis, und kommt zu dem Schluß, “daß der israelische Staat Palästiner als eine minderwertige, nicht-jüdische rassische Gruppe betrachtet und behandelt.

In genau dieser Schlußfolgerung liegt der Antisemitismus begraben, denn die unterschiedliche Behandlung der palästinensischen Bevölkerung läßt sich nicht nur durch israelischen Rassismus erklären, sondern auch dadurch, daß die Palästinenser nicht nur durch ihre Führung, sondern auch durch das Verhalten weiter Teile der Bevölkerung ihre feindselige Haltung gegenüber dem israelischen Staat und seiner jüdischen Bevölkerung  zum Ausdruck bringen, und daher auch als Feinde behandelt werden.

Klar kommt es in der Beziehung zwischen Besatzern und Besetzten immer wieder auch von staatlicher Seite zu Übergriffen, und diese darf und soll man aufgreifen, thematisieren und auch kritisieren, aber diese Schlußfolgerung ignoriert den de-fakto Kriegszustand zwischen Israel und den Palästinensern und ist deshalb als antisemitisch zu beurteilen.

In unserer sekularisierten Welt, in der Gottes Verheißungen nicht ernst genommen werden, kann man jetzt auch lange darüber debattieren, wie legitim die Errichtung des Staates Israel als jüdisches Heimatland überhaupt war[2], aber gerade Europäer und Amerikaner, die entweder selbst schuldig am Holocaust beteiligt waren, oder viel zu lange untätig bei Hitler’s “Endlösung” zugesehen haben, und deren Regierungen dann sozusagen als “Wiedergutmachung” den modernen Staat Israel aus der Traufe gehoben haben, sind wirklich die allerletzten, welche jetzt die Existenz und Legitimität Israels in Frage stellen dürfen, entweder durch ihre Regierungen, oder durch ihre Non-Profit “Do Gooder” Organisationen.

Aber das Problem geht viel tiefer, und hat eine Parallele zu dem Widerstand, den neben Israel auch die christliche Kirche, in all ihren Traditionen,  in dieser Welt erfährt.

Auch der Kirche werden konkrete Verfehlungen vorgeworfen, und vieles davon zu Recht. Der sexuelle Mißbrauch durch Priester und Pastoren und andere kirchliche Mitarbeiter, die Ausgrenzung verschiedener Personengruppen im täglichen Leben, die Kreuzzüge, die Inquisition, und vieles mehr, kann man völlig berechtigterweise kritisieren.

Aber letztlich liegt dem zunehmenden Widerstand, den sowohl Israel und das jüdische Volk, als auch die Kirche und Menschen, die sich zu ihrem Glauben an Gott bekennen, in der Welt erleben, etwas anderes zugrunde: Die Ablehnung Gottes, und daher auch der Vorstellung, daß irgendjemand, sei es Israel oder die Kirche, “Volk Gottes” ist. Das ist natürlich auch bizarr: einerseits leugnet man die Existenz Gottes, andererseits wehrt man sich vehement dagegen, daß sich da ein paar Gruppen einbilden, von diesem nicht existierenden Gott auserwählt zu sein.

Das wird auch nicht besser werden: die christliche Eschatologie ist da ziemlich klar, die Geschichte wird ein Ende haben, und gegen dieses Ende zu wird es zu ziemlich blutiger Verfolgung sowohl Israels als auch der Kirche kommen. Aber der Sieg Gottes steht auch schon fest!

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  1. meine Übersetzung[]
  2. das Konzept eines Heimatlandes für ein Volk, welches dort dann privilegiert ist, widerspricht modernem, progressivem Empfinden und wird als dumpfer Nationalismus gesehen[]

Matura abschaffen?

Wolf Paul

Der österreichische Philosoph und Publizist Konrad Paul Liessmann hat sich kürzlich zu den Protesten einiger Schüler gegen die Weisung des Bildungsministers, die mündliche Matura wieder verpflichtend durchzuführen und nicht mehr zur Wahl zu stellen, in einer Kolumne geäußert, die in mehreren Tageszeitungen erschien.

Ein paar brilliante Zitate daraus:

“Was bedeutet es, wenn die zukünftige Elite des Landes jeder Schwierigkeit aus dem Weg gehen möchte und gar nicht auf die Idee kommt, selbstbewußt und stolz zu verkünden, daß man bereit und fähig sei, eine mündliche Matura abzulegen, auch und gerade in Herausfordernden Zeiten?”

“So richtig es ist, Schüler nicht grundlos zu überfordern, so falsch ist es, in ihrer Entlastung einen kategorischen pädagogischen Imperativ zu sehen.”

“Daß großzügige Bildungsangebote hierzulande eher als eine lästige Zumutung denn als eine veritable Chance begriffen werden, ist höchst irritierend.”

“Die Matura hat dramatisch an Wert verloren, auf ein Prüfungsgespräch mehr oder weniger kommt es da nicht an. … Seit die Universitäten ihre eigenen Aufnahmeverfahren definieren, berechtigt die Matura in vielen Fällen nur mehr dazu, sich für einen Studienplatz bewerben zu dürfen. Das einst strenge und sinvolle Ritual der Reifeprüfung ist leer geworden.”

“Das Ende der Schullaufbahn könnte unspektakulär durch das Zeugnis der Abschlußklasse bescheinigt werden. Möglich, daß es gegen solch ein Ansinnen wiederum Demonstrationen gäbe, den immerhin stünden damit auch die Maturareisen mit ihren berühmten feucht-fröhlichen Partys zur Disposition. Aber keine Sorge, kreativ wie junge Menschen nun einmal sind, werden sie schon für einen trendigen Ersatz sorgen. Denn eines ist klar, Matura hin oder her, Spaß muß sein.”

(Diese Zitate geben sicher nicht die Kernaussage des Artikels von Konrad Paul Liessmann wieder, aber wie er selbst sagt, Spaß muß sein. Und ja, ich schreibe Deutsch größtenteils in der alten Rechtschreibung, auch in Zitaten aus Artikeln, die in der neuen Schreibweise vorliegen.)

(HT für den Artikel: Rudolf Mitlöhner via Emanuela Sutter.)

Diversity? Shmiversity!

2022-01-31 Wolf Paul

Gregor Kucera beklagt in der Wiener Zeitung die innovative Lähmung im “Silicon Valley” und erwähnt dabei, als ein bereits lange bestehendes Problem, das einer Lösung harrt, die mangelnde Diversität unter den Entwicklern.

Diversität ist dabei ein Maß für equality of outcome, und wie auch Jordan Peterson aufzeigt, ist das ein zweifelhafter Parameter, viel nützlicher und fairer wäre equality of opportunity. Denn equality of outcome beruht auf der zwar politisch korrekten, aber wissenschaftlich nicht haltbaren Annahme, daß Männer und Frauen, sowie Menschen verschiedenster Ethnien, Kulturen, und auch sexueller Neigungen, alle genau die gleiche Vorstellung davon haben, wie ein gutes und erfülltes Leben aussieht, bzw. daß sich sämtliche Neigungen und Talente in all diesen verschiedenen Gruppen in jeweils gleicher anteiliger Verteilung finden.
Im Fall von EDV-Entwicklern ist das die Annahme, daß der Prozentsatz derer, die mit Algorithmen und Programmiersprachen herumtüfteln wollen und das befriedigend finden, unter Frauen und Männern genau gleich ist, und es daher ein Zeichen von illegitimer Diskriminierung ist, wenn es mehr Männer als Frauen unter den Entwicklern gibt. Oder daß diese Berufsgruppe für Menschen unterschiedlichster Kulturen genau gleichermaßen anziehend ist, usw.

Es ist für mich zwar durchaus nachvollziehbar, daß emanzipatorische Bewegungen von dieser Annahme ausgehen und sie propagieren, und auch davon ausgehen, das dort wo verschiedene Kulturen unterschiedliche Wertvorstellungen haben, die dieser equality of outcome entgegenstehen, die Kulturen verändert werden müssen; erstens heißt das noch lange nicht, daß diese Annahme richtig ist, und zweitens zeugt die Tatsache, daß dabei die Wertvorstellungen “progressiven” weißen Elite als Maßstab vorausgesetzt werden, letztlich von ziemlich kolonialistischer und paternalistischer Arroganz.

So gesehen erscheint Diversität nicht wirklich als erstrebenswert an sich, sondern scheint die Forderung danach vielmehr ein Werkzeug zu sein, um die sogenannte Identitätspolitik und die kritische Theorie, die ihr zugrunde liegt, als permanentes Feature der Gesellschaft zu verankern, im Interesse eben genau der bereits genannten “progressiven” weißen Elite.

(Der Großteil von Gregor Kuceras Artikel behandelt natürlich ganz andere Themen; ich bin hier einfach einem “rabbit trail” gefolgt.)

Viel Lärm um nichts: der koalitionäre Side-Letter

Wolf Paul

UPDATE: Meine Reaktion auf das ZiB-Interview mit dem Korruptionsexperten Martin Kreutner am Abend des 31. Januar.

Ich halte die Aufregung über den “Side Letter” der türkis-grünen Koalition für gekünstelt, übertrieben und absolut verzichtbar.

Natürlich werden in Koalitionsverhandlungen auch Absprachen über Personalbesetzungen getroffen, das war bei türkis-grün genauso wie bei türkis-blau, und natürlich auch bei rot-schwarz, und ist auch bei allen anderen Koalitionen, in Österreich und anderswo, genauso.

Daß das in den Koalitionen unter dem sich modern und mondän gebenden Sebastian Kurz dann “Side Letter” heißt, ist ein rein kosmetisches Detail und sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das ein völlig normaler Teil von Koalitionsabkommen ist. Ebenso ist inzwischen klar, trotz gegenteiliger Ankündigungen bei seinem Amtsantritt an der ÖVP-Spitze, daß diese Koalition im wesentlichen genauso funktioniert, wie jede andere.

Das einzige, was bei der ÖVP nach dem Farbwechsel von schwarz nach türkis anders ist: bei der ehemals christlich-sozialen Volkspartei ist nun von “christlich” fast nichts mehr zu bemerken (die Handvoll von gläubigen Christen unter den Abgeordneten hat leider nicht viel Einfluß auf die Politik), und auch das Soziale muß man länger suchen.

UPDATE am 1. Februar:

In der gestrigen ZiB dazu befragt, weist der Korruptionsexperte Martin Kreutner darauf hin,

  • daß es bei Vereinbarungen natürlich darauf ankommt, ob ihre Inhalte gesetzeskonform sind;
  • daß geheime Vereinbarungen nicht nur zu Zweifeln daran führen, sondern auch zur steigenden Politikverdrossenheit in der Bevölkerung beitragen;
  • daß bei manchen der angesprochenen Personalentscheidungen eine Ausschreibung gesetzlich vorgeschrieben ist, welche durch solche Vereinbarungen zu teuren Alibiaktionen verkommen, die letztlich nichts als Verschwendung von Steuermitteln sind;
  • und daß der Hinweis, es hätte derartige Vereinbarungen zu Personalentscheidungen immer schon gegeben und sie wären Teil jedes Koalitionsabkommens, gerade dann besonders problematisch ist, wenn man sich Transparenz und “eine andere Art der Politik” (und damit auch die Abkehr vom üblichen Postenschacher) auf die Fahnen geschrieben hat.

All dem kann ich durchaus zustimmen; dennoch halte ich vor allem die Empörung von Oppositionspolitikern für unehrlich und gekünstelt, weil sie aufgrund der langen Geschichte von Koalitionen in diesem Land erst einmal beweisen müßten, daß ihre Parteien das jetzt radikal anders machen. Die Herren Kickl und Co von der FPÖ waren schließlich alle Teil der türkis-blauen Koalition, in der es ebenfalls einen “Side Letter” gab, und die SPÖ hat ja gemeinsam mit der ÖVP “große Koalitionsgeschichte” geschrieben, wo es auch nur so gewimmelt hat von nicht-öffentlichen Absprachen.

Daß die größere Transparenz und “andere Art der Politik” in der ÖVP unter Kurz nur Augenauswischerei war und vielmehr einher ging mit einer Abkehr von den traditionellen christlich-sozialen Wurzeln/Werten dieser Partei habe ich ja auch geschrieben.

Diese Schmutzkampagne hat Papst Benedikt nicht verdient!

Wolf Paul

Angesichts der öffentlichen Empörung über den emeritierten Papst Benedikt aus Anlaß des kürzlich veröffentlichten Münchner Mißbrauchs-Gutachtens finde ich diese Stellungnahme des Passauer Bischofs Stefan Oster sehr hilfreich und fair.

Die relevante Stelle in Peter Seewalds Buch

Natürlich muß auch Papst Benedikt / Joseph Ratzinger Verantwortung übernehmen für das, was er getan oder auch verabsäumt hat, aber man sollte bei der Beurteilung dessen fair bleiben. Das Gutachten wirft Benedikt vor, seine Anwesenheit bei einer bestimmten Sitzung bewußt geleugnet zu haben, um die Ermittler in die Irre zu führen; Bischof Oster weist darauf hin, daß Benedikts Anwesenheit bei und Teilnahme an dieser Sitzung bereits in Peter Seewalds Benedikt-Biografie dokumentiert ist, welche mit Benedikts Mitwirken entstanden ist, und es sich daher bei der gegenteiligen Aussage in Benedikts Einlassung tatsächlich um einen redaktionellen Irrtum gehandelt haben dürfte. Und er weißt auch darauf hin, daß es bei dieser Sitzung, anders als im Gutachten behauptet, nicht um den seelsorgerlichen Einsatz eines beschuldigten Priesters in München ging, sondern um dessen Aufenthalt zur Therapie.

Es ist völlig normal, daß sich ein körperlich nicht mehr ganz fitter 94-jähriger für seine Korrespondenz, insbesondere in Rechtsangelegenheiten, auf Mitarbeiter verläßt; einen Fehler eines solchen Mitarbeiters für eine derartige Schmutzkampagne zu mißbrauchen, und dabei auch den Inhalt der Sitzung falsch darzustellen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verfasser des Gutachtens sowie auf die Medien, die das jetzt ausschlachten.

Ich bin als evangelikaler Christ in vielen Dingen anderer Meinung als der emeritierte Papst, aber die Lektüre seiner Jesus-Bücher[1] hat mich beeindruckt als das Zeugnis eines zutiefst Jesus-gläubigen Mannes, als eines Bruders im Herrn, und ich kann all jene, die ihn jetzt über die Maßen verurteilen, vor allem jene, die sich selbst als Christen sehen, nur auf Römer 14,4 hinweisen:

«Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn aufrecht halten.»

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  1. wobei ich auch nicht in allem mit ihm einer Meinung war[]

Ein paar Gedanken zu Covid-19

2022-01-16 Wolf Paul

(Dieser Post ist eine beabsichtigte “Dauerbaustelle” – er wird mit Sicherheit laufend korrigiert und ergänzt, wenn sich meine Meinung verschiebt oder ich mir zu anderen Aspekten des Themas Gedanken mache. Letzte Aktualisierung: 2022-01-18 17:06:20)

Wir befinden uns am Anfang des dritten Jahres der globalen Covid-19 Pandemie, und die unterschiedlichen Meinungen dazu, und zu den Maßnahmen dagegen, spalten zunehmend die Gesellschaft, angefangen in Familien, in Kirchengemeinden, und natürlich in der Politik auf allen Ebenen. Hier sind einige meiner Überlegungen zu dem Thema.

Zu allererst meine persönliche Situation: Ich habe mich lange nicht impfen lassen, weil es mir angesichts meiner gesundheitsbedingten Mobilitätsprobleme zu schwierig erschien. Mein Hausarzt macht impft nicht und macht auch normalerweise keine Hausbesuche, und die diversen Impfstellen erfordern alle etweder lange Fußwege vom Parkplatz oder, im Fall von Impfbussen, längers Warten im Freien. Und angesichts meiner Wohnsituation, in einem relativ abgelegenen Dorf, und durch meine Mobilitätsprobleme ohnehin nie draußen unter Menschen, schien die Dringlichkeit nicht gegeben.

Mitte Dezember hat sich die Gelegenheit ergeben, anlässlich eines Besuches bei meiner Tochter, von ihrem Hausarzt bei einem Hausbesuch geimpft zu werden, und die habe ich wahrgenommen; in den nächsten Wochen werden wir diese Aktion wiederholen und ich werde mir meinen “zweiten Stich” holen. Es gibt in meinem unmittelbaren Umfeld auch Leute, die aus Überzeugung ungeimpft sind und es auch bleiben wollen, und damit muß und kann ich leben, auch gut leben.

Wenn es jetzt um die große Diskussion geht, dann ist die erste Frage, die sich stellt, ist, ob wir überhaupt eine Pandemie haben, ob Covid-19 nicht nur eine neue Variante der Grippe ist, auf die wir genauso reagieren sollten, bestenfalls mit freiwilligen Impfungen und keinen weiteren Maßnahmen. Diejenigen, die diese Meinung vertreten, zweifeln normalerweise die Statistiken über erhöhte Sterblichkeit und die Überlastung des Gesundheitssystems an, und gehen davon aus, daß die Zahlen von den Regierungen manipuliert werden, um die “drakonischen” Einschränkungen der Bürgerrechte zu rechtfertigen, mit denen sie uns aus nicht näher definierten, aber sicherlich bösartigen, Gründen nerven.

Ich kann diese Meinung ganz und gar nicht nachvollziehen:

Wenn ich mir unsere Politiker, hier in Europa, in Amerika, und auch sonstwo auf der Welt, ansehe, dann sind das alles keine intellektuellen Koryphäen, und sie gehören auch nicht zu den fähigsten Leuten (die sind auf besser bezahlten Posten in der Wirtschaft zu finden). Ich halte es für absolut unglaubwürdig, daß diese Leute, quer durch alle politischen Lager, eine globale Verschwörung aufgezogen haben, die nur von ein paar besonders Schlauen durchschaut wird; daß sie es geschafft haben, die Medien, die Wirtschaft, die ja mit Ausnahme der Impfstoff- und Maskenhersteller auch unter den Einschränkungen leidet, sowie das gesamte Gesundheitssystem, in diese Verschwörung einzubinden. Wir reden ja hier von Leuten, die erstaunt sind, daß man Jahre nach irgendeinem korrupten Postenschacher anhand ihrer SMS- und WhatsApp-Nachrichten ihre Absprachen rekonstruieren und ihnen daraus einen Strick drehen kann; von Leuten, die sich selbst nicht an die Regeln halten, die sie der Bevölkerung aufzwingen und dann ganz erstaunt sind, wenn dieses Benehmen rauskommt und die Bevölkerung dann nicht tolerant darüber hinwegsieht, usw. 

Damit das funktioniert, müsste die Mehrzahl der Ärzte korrupt sein und mitspielen; müssten Wirtschaftsbosse, deren Firmen aufgrund von Lockdown usw. den Bach runtergehen, den Mund halten; müssten wirklich alle Politiker korrupt sein.

Es sind übrigens die Anhänger solcher Verschwörungstheorien, die gr¨oßtenteils für die Spaltungen verantwortlich sind, weil sie dazu neigen, alle, die sich an die Vorgaben der Regierungen halten, für Mitverschwörer oder zumindes Mitläufer zu halten, sich von ihnen verraten fühlen und ihnen daher grundsätzlich mit Mißtrauen begegnen.

Von dieser absoluten Verweigerungshaltung gegenüber einer angenommenen Welterschwörung zu unterscheiden sind meiner Meinung nach differenzierte Haltungen, die aus verschiedenen Gründen die Notwendigkeit und Effektivitʼ¨ät der Maßnahmen, von Masken über Social Distancing bis zu Impfungen, anzweifeln, oder die für sich pers¨onlich die Nebenwirkungen von Impfungen für schwerwiegende erachten, als das Risiko, an Covid-19 zu erkranken oder gar zu sterben, oder, unter Christen, die den Tod nicht als so tragisch sehen und ihn daher möglichen Dauerschäden bevorzugen. Solche Meinungen sollte man respektieren, auch wenn man sie nicht teilt; allerdings sollte man sich in den meisten Fällen die Freiheit nehmen, nicht unbedingt notwendige Kontakte mit Leuten, die solche Meinungen vertreten, einzuschränken, wenn man es für die eigene Sicherheit für notwendig erachtet.

Wie sehe ich nun die Maßnahmen der Regierung zum Thema Covid-19?

Es steht für mich außer Zweifel, daß die Maßnahmen nicht immer gut durchdacht sind, und erst recht nicht optimal argumentiert und kommuniziert wurden und werden Der Grund dafür liegt in genau der gleichen Unvollkommenheit unserer Politiker, die mich an der Weltverschwörung zweifeln läßt, sowie in der Spannung zwischen der Notwendigkeit, Maßnahmen zu setzen und dem Bewußtsein, daß diese Maßnahmen Auswirkungen haben könnten, die einen zuk¨unftigen Wahlerfolg beeinträchtigen oder verhindern können: Wenn eine Regierung keine ausreichenden Maßnahmen gegen das Risiko der Pandemie ergreift, und es kommt zu einem drastischen Anstieg der Todesfälle oder einem Kollaps des Gesundheitssystems, dann werden die verantwortlichen Politiker garantiert geprügelt und bei der nächsten Wahl abgestraft. Andererseits, wenn eine Regierung nach bestem Wissen und Gewissen Maßnahmen ergreift, zum Beispiel eine Maskenpflicht einführt oder einen Lockdown verhängt, nehmen ihr auch dies viele Menschen übel, und stimmen bei der n¨ächsten Wahl für Politiker, die sich lautstark gegen diese Maßnahmen ausgesprochen haben. Wie bei so vielen Entscheidungen stehen Politiker vor der Wahl, das zu tun, was ihnen ihr Gewissen als richtig anzeigt, oder das, was am ehesten Wählerstimmen bringt. Das ist eine der großen Schwächen der Demokratie; die Schwächen alternativer Regierungssysteme sind allerdings größer und schwerwiegender.

Die Politiker, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, sind auch zumeist keine Experten, weder für Medizin, noch für Wirtschaft, sondern sind von Beratern abhängig. Auch wenn es einen breiten Konsens gibt, was die notwendigen Maßnahmen betrifft, so gibt es immer wieder laut vorgebrachte abweichende Meinungen von genausogut qualifizierten Fachleuten, die das ganze noch schwieriger machen.

Das andere große Thema ist die Frage, wie wir als Christen sowohl mit der Pandemie als auch mit dem großen Streit darüber umgehen. Auf der Covid-Infoseite auf dem Österreichischen Freikirchenatlas habe ich zwei Videos verlinkt, eines von Johannes Hartl, und eines von Johannes Reimer, sowie Stellungnahmen der Evangelischen Allianz in in Österreich und Deutschland.

Ich habe dort auch geschrieben, “Als Christen sind wir allerdings zur Rücksichtnahme auf andere Menschen aufgerufen, sowie dazu,  staatliche Gesetze zu befolgen, solange sie nicht Gottes Geboten widersprechen. Außerdem sollen wir uns nicht Gottes Rolle als Richter anmaßen, und daher möchte ich uns, als Jünger Jesu, dazu aufrufen, unsere Meinungsäußerungen gut zu überlegen. Höchstwahrscheinlich ist Vieles, was uns an den Maßnahmen der Regierung “aufstößt”, nicht die Folge von Lügen ist oder ein Versuch, uns mutwillig unsere Bürgerrechte wegzunehmen, sondern einfach die Folge von Überforderung und der Spannung zwischen vielleicht notwendigen Maßnahmen und dem Wunsch, auch die nächsten Wahlen zu gewinnen, und daher das “Stimmvolk” nicht zu vergrämen. Ich will damit ausdrücklich nicht sagen, daß wir Regierung und Politiker nicht kritisieren dürfen (das ist unser verfassungsgemäßes Recht), aber wir sollten niemandem vorschnell unlautere Motive unterstellen, von Verschwörungstheorien ganz zu schweigen.

Am 18. Januar hat Ulrich Parzany auf Facebook gepostet, “Angesichts der schmerzlichen Konflikte auch in christlichen Gemeinden über Impfungen und Corona-Maßnahmen rate ich Römerbrief Kapitel 14 und 15 zu lesen. Allerdings liegt auch darin Sprengstoff: Wer ist denn nun schwach oder stark – Impfbefürworter und Impfgegner? Jedenfalls, etwas weniger moralische Keule von beiden Seite wäre schon hilfreich.”

Das war leider kein sehr erfolgreicher Aufruf, denn in den Kommentaren wurde, mit wenigen Ausnahmen, weiterhin die moralische Keule geschwungen.

Dabei ist der Hinweis auf Römer 14 sehr passend. Um Römer 14:2 zweimal leicht angepasst zu zitieren:

Der eine glaubt, er soll sich impfen lassen. Der Schwache aber lässt sich nicht impfen. Wer sich impfen lässt, verachte den nicht, der sich nicht impfen lässt, denn Gott hat ihn angenommen.

und —

Der eine glaubt, die Impfung ist gefährlich und unnötig. Der Schwache aber meint, die Impfung sei gut und notwendig. Wer die Impfung für unnötig hält, verachte den nicht, der sich Impfen lässt, denn Gott hat ihn angenommen.

Das Argument, daß die Impfgegnerschaft objektiv falsch ist, oder auch einer sündigen Ideologie entspringt, wie einer der Kommentatoren leichtfertig urteilend schreibt, zählt hier genauswenig, wie die Tatsache, daß laut Paulus die Speisevorschriften für Christen nicht gelten. Den anderen annehmen, weil auch Gott ihn angenommen hat, gilt auf jeden Fall.

Dazu kommt dann noch, daß Paulus in 2. Korinther 10:5 sagt, wir sollen “alles Denken gefangen nehmen in den Gehorsam gegen Christus.” Christus sagt uns, «Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: “Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.» (Matthäus 5:22) Es wäre also wirklich gut, unsere Gedanken soweit zu beherrschen, daß wir beim Gedanken an einen Mitmenschen, mit dem wir unterschiedlicher Meinung sind, auch wenn wir seine Meinung für grundfalsch und unvernünftig halten, zwar durchaus denken, “Dieser Bruder, oder dieser Mensch, hat unrecht”, aber nicht “Dieser Idiot hat unrecht.” Ich bin absolut überzeugt davon, daß diese Disziplin, unsere Gedanken gefangen zu nehmen, dazu führen würde, daß wir anders miteinander umgehen.

Und wir sollten bedenken, daß wir unseren Menschen Respekt schulden, nicht für ihre richtige Meinung, sondern weil sie im Ebenbild Gottes erschaffen sind, wie sehr dieses auch durch Sünde und Unwissenheit entstellt sein mag.

Wenn es dann darum geht, was lieblos ist, so ist jeder für seine eigenen liebvollen oder lieblosen Handlungen verantwortlich, und das Zeigen auf andere ist erfahrungsgemäß nicht sehr hilfreich.

Noch ein Gedanke zu der Vorstellung, daß das ganze eine Verschwörung zur Einschränkung unserer Bürgerrechte ist:

Gerade in Österreich sollten wir als Christen diesbezüglich vorsichtig sein. Im Gegensatz zu manchen anderen Ländern sind hier nämlich Kirchen und Gottesdienste von den staatlichen Maßnahmen explizit ausgenommen; die Verordnung gelten ausdrücklich nicht für “Räumlichkeiten zur Religionsausübung”, und auch die diversen Lockdowns, einschließlich des noch immer geltenden Lockdowns für Ungeimpfte, haben als Ausnahmebestimmung die “Befriedigung religiöser Grundbedürfnisse”, mit klaren Erklärungen von Regierungsseite, daß dies auch den Gottesdienstbesuch umfaßt. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind aufgefordert, für ihren jeweils eigenen Bereich die ihnen notwendig erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen; das ausführlichste Beispiel solcher eigener Maßnahmen ist die Rahmenordnung für Gottesdienste der röm.-kath. Bischofskonferenz. Und bemerkenswerter Weise findet sich dort dieser Satz, an dem sich auch evangelikale Gemeinden ein Vorbild nehmen könnten: Um niemanden von der Feier öffentlicher Gottesdienste von vornherein auszuschließen, ist die Teilnahme weiterhin ohne Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr im Sinne der aktuellen staatlichen Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (d.h. ohne 2G- bzw. 3G-Nachweis) möglich. 

Diese Situation mit Bezug auf Gottesdienste sowie auch die Tatsache, daß bis heute regelmäßig Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen stattfinden, bei den diese (Abstands- und Maskenpflicht) von einer Mehrheit der Demonstrationsteilnehmer ignoriert werden, ist für mich ein ausreichendes Indiz dafür, daß es dem Staat nicht um eine allgemeine Einschränkung der Bürgerrechte geht.

Meine Einstellung zum Judentum hat sich geändert

2021-12-26 Wolf Paul

Ich habe vor kurzem vier Romane des amerikanischen jüdischen Schriftstellers Chaim Potok wieder gelesen: “Die Erwählten” (The Chosen), “Das Versprechen” (The Promise), “Mein Name ist Ascher Lev” (My Name is Asher Lev), sowie The Gift of Asher Lev (m.W. nicht auf Deutsch erschienen). In den letzten paar Jahren habe ich auch viele andere Sachbücher und Artikel über Juden und Judentum gelesen, und das hat bei mir ein Umdenken ausgelöst:

Umso mehr ich über das Thema lese, umso weniger bin ich davon überzeugt, wie die Religion des Älteren Testaments im evangelikalen Christentum verstanden wird, nämlich als eine Religion, deren Anhänger bemüht sind, sich Erlösung durch ihre eigenen Taten, durch ihre Gesetzestreue, zu verdienen, statt auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade zu vertrauen. Dieses Verständnis des Judentums erscheint mir zunehmend unzutreffend und unsinnig.

Natürlich gibt es “Namensjuden“, genauso wie es in allen christlichen Kirchen “Namenschristen” gibt. Natürlich gibt es sehr gesetzliche Juden, die glauben, daß sie gut genug sind, um ihr Heil zu verdienen, so wie es ja auch genug Christen gibt, die diesem Irrglauben anhangen. Natürlich gibt es Gruppen innerhalb des Judentums, die den Glauben an einen eingreifenden Gott aufgegeben haben, und deren Religion sich auf ethische Grundsätze reduziert – genauso, wie es soche Gruppen auch innerhalb des Christentums gibt.

Aber gläubige Juden, die bemüht sind, nach der Torah (den fünf Büchern Mose, auch Pentateuch genannt) zu leben, wissen ganz genau, daß sie von Gottes Barmherzigkeit abhängen, nicht von ihrem eigenen moralischen Verhalten — das ist schließlich das Thema von Pesach und Yom Kippur und all den anderen Festen: sie daran zu erinnern, auf Gott zu vertrauen, der sich im Verlauf der Geschichte Israels immer wieder als treu erwiesen hat. Sie sehen ihren Gehorsam den Geboten der Torah gegenüber nicht als eine ärgerliche Last, sondern als Quelle der Freude, deshalb feiern sie ja auch das Fest Simchat Torah, die Freude an der Torah, zum Abschluß des Perikopenzyklus.

Und Jesus selbst hat seine Zuh¨örer ermahnt: “Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln, denn sie sagen’s zwar, tun’s aber nicht.” (Matt. 23:2,3) Er wendet sich hier nicht gegen die jüdische Religion an sich, sondern gegen religi¨ose Funktionäre, deren Leben nicht mit dem übereinstimmte, was sie lehrten und vom gläubigen Volk verlangten–von dieser Sorte gibt es auch in unseren Kreisen genug.

Christen beklagen natürlich, daß die meisten Juden Jesus nicht als den verheißenen Messias anerkennen. Aber ich glaube, es ist höchste Zeit, daß wir als Christen die traurige Rolle erkennen, die wir dabei gespielt haben, unsere eigene kollektive Mitschuld daran, daß die meisten Juden Jesus als Messias ablehnen. Der Apostel Paulus sagt in Römer 11, daß er es als seine — und damit letztlich auch unsere — Verantwortung sieht, in den Juden Neid zu provozieren, wenn sie nämlich Gottes Wirken in den Jüngern Jesu sehen. Dieser Verantwortung sind wir überhaupt nicht gerecht geworden; stattdessen haben wir in den mehr als 2000 Jahren Kirchengeschichte unser Bestes getan, das jüdische Volk zum Zorn und zur Abscheu zu provozieren, und den Namen Jesus unter ihnen zum Schimpfwort zu machen.

Und auch diejenigen unter uns, die Israel unterstützen, tun dies allzu oft auch nicht aus einer Liebe zu den Juden als Gottes auserwähltem Volk, Seinem Augapfel, sondern aus sehr pragmatischen, eschatologischen Überlegungen, um die Wiederkehr Jesu zu beschleunigen.

Jedenfalls hat mich meine Lektüre, wie zuletzt die Romane von Chaim Potok, dazu gebracht, meine eigene Einstellung zu den Juden, zum Judentum, und zu Israel zu überdenken. Ich bin zwar kein Anhänger der “Zwei-Bünde-Lehre” (ein Bund für die Juden, ein anderer für die restlichen Menschen), aber es ist für mich nicht unvorstellbar, daß ein barmherziger, gnädiger Gott sehr wohl in Betracht ziehen wird, wie das Verhalten derer, die sich auf Jesus berufen, es den Juden sehr schwer gemacht hat, Jesus als den verheißenen Messias zu erkennen.

Gerechtigkeit …

2021-12-04 Wolf Paul

“Sondern das Recht ströme wie Wasser,
die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Amos 5,24

Eine Freundin, Karin Laser Ristau, die in einem Altersheim in Kanada lebt und arbeitet, hat kürzlich diesen Vers auf Facebook gepostet, und als Antwort auf die Frage einer Leserin, “Was ist unsere Rolle dabei?”, hat Dr. Jerry Shepherd, Professor für Altes Testament am Taylor College and Seminary in Alberta, Kanada, den folgenden Kommentar gepostet:

Das Alte Testament spricht auf vielerlei Weise davon.

Recht und Gerechtigkeit bedeuten im Alten Testament vor allem, diejenigen gerecht zu behandeln, die ohne eigenes Verschulden in Schwierigkeiten sind, die in Not sind, die unterdrückt oder an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden.

Das Alte Testamen hat also viel dazu zu sagen, wie man gerecht oder richtig handelt:

  • für die Witwen, die Waisen, und die Armen zu sorgen;
  • denen Geld zu borgen, die in Not sind;
  • alle Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln, weil sie im Ebenbild Gottes geschaffen sind;
  • den Nächsten zu lieben, und auch den “Fremdling” in unserer Mitte;
  • den Armen zu helfen, indem man die Felder nicht vollständig aberntet;
  • die Armen vor Gericht gerecht zu behandeln statt sie über den Tisch zu ziehen und ihnen so ihr Recht zu verwehren;
  • die Zwangsenteignung von Menschen zu verhindern und Spekulanten entgegenzutreten;
  • die Armen vor unfairen Steuern bewahren;
  • der Korruption und Bestechung ein Ende zu machen.

Das sind nur ein Paar Wege, wie Recht und Gerechtigkeit in der Gesellschaft zum Ausdruck kommen sollen.

Ich finde, das fordert uns als Jünger Jesu heraus, weil wir so manche sehen, die diese Gerechtigkeit mehr verkörpern, als viele von uns. Allzu oft neigen wir dazu, das Christ-Sein und das Evangelium in erster Linie als eine Frage unserer eigenen Erlösung zu sehen, als das Ticket für unsere persönliche Himmelfahrt. Aber Jesus hat sehr viel davon gesprochen, daß das Reich Gottes hier auf Erden sichtbar werden soll, und das ist zum Teil unsere Verantwortung.

Ich finde es bedrückend, wenn Menschen, die teilweise recht unbiblische Ansichten vertreten, mehr von dieser Gerechtigkeit verwirklichen als so manche, deren Theologie untadelig rechtgläubig ist.