Wie ein unbewachsener Hügel oder eine Klippe am Meer, die beide dem Wind und Regen ausgesetzt, immer mehr abgetragen oder unterspült werden, bis sie schließlich fast verschwunden sind, so erodiert derzeit auch meine pro-amerikanische Einstellung; die entsprechenden Gefühle haben sich schon länger verabschiedet und sind einer tiefen Enttäuschung gewichen.
Ich gebe gern zu, daß meine Sympathien teileweise ohnehin auf Sand, auf Fiktionen gebaut waren, aber gerade in den letzten zehn Jahren oder so kam es zu Veränderungen und Entwicklungen im selbst-definierten “Land of the Free and Home of the Brave”[1], die auch den letzten Rest dieser Sympathien zu vertreiben drohen.
Ihren Ursprung hat meine Sympathie für Amerika in der Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg — gar nicht aus einem idealisierten Heldenmythos heraus, sondern aus der Erkenntnis, daß wir ohne den Kriegseintritt der Amerikaner und ihre Beteiligung bis zum Ende, und schließlich als wesentliche Vertragspartei am österreichischen Staatsvertrag heute entweder immer noch in einer Nazi-Diktatur, oder aber in einer Diktatur nach sowjetischem Vorbild leben würden.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kam sehr viel materielle Hilfe aus den USA in unser kriegszerstörtes Land; das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, haben meine Eltern mit eigenen Händen und einem ERP-Kredit[2] gebaut, und bis in meine Schulzeit hinein erhielten wir immer wieder Kartons mit Nahrungsmitteln aus dem C.A.R.E-Programm[3], die seit der Nachkriegszeit in irgendeinem Pfarrhauskeller überlebt hatten, und deren Inhalte in Konservendosen aus Blech teilweise immer noch genießbar waren. Das waren meine ersten Erfahrungen mit Corned Beef, SPAM, Trocken– und Kondensmilch, sowie mit Kaugummi mit Zimtgeschmack.
Dann lernte ich lesen, und entdeckte die Bücher von Karl May. Fragt mich nicht, warum ich mehr vom Wilden Westen als vom wilden Kurdistan, de¨r nordafrikanischen Sahara oder dem peruanischen Urwald fasziniert war, und natürlich war das eine sehr idealisierte und unrealistische Sicht dieses Landes jenseits des Atlantik, die unter anderem sowohl die Unterdrückung der Ureinwohner als auch die ganze Sklavereithematik ausblendete oder beschönigte. Damals wußte ich natürlich nicht, daß May nie in den Ländern gewesen war, die er so faszinierend beschrieb; als ich vor ein paar Jahren meinen ersten Kindle erwarb und kostenlose Bücher entdeckte, stieß ich auf Friedrich Gerstäcker und mir wurde klar, woher May seine Schilderungen und auch Teile seiner Geschichten hatte.
Als ich älter wurde, las ich dann viele andere Geschichten: Klassiker wie die Bücher von Mark Twain, die Perry Mason-Romane von Erle Stanley Gardener, die “87. Revier”-Krimis von Ed McBain, aber auch viele “Schund-Krimis” wie die Jerry Cotton und Kommissar X Hefte.
Fernsehen und Kino hat mein frühes Bild der USA fast nicht geprägt, weil wir bis ins Teenager-Alter ohne Fernseher aufwuchsen, und aus finanziellen Gründen auch fast nie ins Kino gingen. Hin und wieder habe ich bei Schulfreunden Serien wie “Lassie” gesehen, aber nicht oft genug, um viel davon zu behalten.
Ein reiferes Bild dieses “Landes meiner Träume” entwickelte sich erst, als ich mit 17 Jahren Evangelikale Christen traf, eine persönliche Glaubensentscheidung für Jesus traf, und begann, mich in der evangelikalen Szene in Wien zu bewegen. Die ersten evangelikalen Christen, die ich kennenlerte, kamen aus Deutschland, Holland und Kanada, aber nach sechs Monaten in England, wo ich Engländer, Schotten, und Südamerikaner kennen lernte, lernte ich dann nach und nach amerikanische Missionare in Wien kennen. Mit manchen von ihnen hatte ich meine liebe Not, andere jedoch haben mich sehr beeindruckt und sowohl mein christliches Leben als auch mein Bild von Amerika nachhaltig beeinflußt. Auch die Bücher, die ich durch sie entdeckte (sowie auch in England, wo ich in einer Buchauslieferung arbeitete), und dann das breite Spektrum amerikanischer Taschenbücher, auf die ich dann durch meinen Job bei der damals größten Verlagsauslieferung für englischsprachige Bücher in Wien stieß, haben meinen amerikanischen Horizont erweitert.
__________- “Land der Freien und Heimat der Tapferen”, die jeweils letzte Zeile aller Strophen der US-Nationalhymne, “The Star-Spangled Banner”[↩]
- European Recovery Program oder Marshallplan, ein historisch bedeutendes Wirtschaftsförderungsprogramm der USA für den Wiederaufbau der Staaten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zeitraum von 1948 bis 1952 wurden Hilfen im Wert von insgesamt 13,12 Milliarden Dollar (entspricht 2020 rund 141,67 Milliarden Dollar) an viele, insbesondere westeuropäische Staaten geleistet. Unter den am Programm teilnehmenden Staaten befanden sich neben den im Zweiten Weltkrieg mit den USA verbündeten Staaten wie Großbritannien, Frankreich und den Beneluxländern auch die Kriegsgegner Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Den mittel- und osteuropäischen Staaten und der Sowjetunion wurden die Hilfe ebenfalls angeboten. Allerdings zog sich die Sowjetunion bald aus den Verhandlungen zurück und verbot auch den unter ihrem Einfluss stehenden europäischen Staaten die Teilnahme.[↩]
- zunächst Cooperative for American Remittances to Europe (kurz C.A.R.E.), heute Cooperative for Assistance and Relief Everywhere, eine 1945 in USA gegründete Hilfsorganisation, die in Deutschland und Österreich durch die in der Nachkriegszeit versandten CARE-Pakete bekannt wurde.[↩]