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Wolf’s Notes

… about faith, life, technology, etc.

Kettenbriefe sind Schwachsinn, auch im Internet-Zeitalter und auf Facebook!

2020-09-05 Wolf Paul

Als ich aufwuchs, kursierten bei uns in der Schule sogenannte Kettenbriefe, die man kopieren und an fünf bis zehn andere Leute weiterschicken sollte; wenn man das tat, wurde einem Glück und Reichtum versprochen, und wenn man sich weigerte, dann wurden einem alle möglichen Katastrophen versprochen.

 

Ich weiß nicht, ob diese Dinger auch heute noch kursieren, aber in diesem Online-Zeitalter gibt es eine neue Spielart davon, hier auf Facebook. Sie sehen meist so oder ähnlich aus:

Die meisten von euch kennen mich ziemlich gut. Ich akzeptiere nicht viele Freunde von Freunden, weil ich das Gefühl habe, dass es nichts für mich ist… Fast alle FB-Freunde, die ich habe, habe ich auf irgendeiner Ebene getroffen, du bist nicht nur eine Nummer…. aber wenn du auf meinem Facebook bist, dann weil wir welche Verbindung. Ich würde gerne sehen, ob wir noch mehr plaudern können als nur ich mag und etwas füreinander schreiben können. Ich habe mich entschieden, an einer Erfahrung namens ′′ Brottreffen ′′ teilzunehmen. Die Idee ist, zu sehen, wer Posts ohne Foto liest. Wir sind so verzehrt mit Technologie, dass wir das Wichtigste vergessen: gute Freundschaften. Wenn niemand diese Nachricht liest, wird es ein kurzes soziales Experiment sein. Aber wenn du das bis zum Ende fertig machst, würde ich mich freuen, wenn du mit einem Wort über uns kommentierst. Zum Beispiel: ein Ort, ein Objekt, eine Person, ein Moment, in dem du dich an mich erinnerst. Dann kopiere diesen Text und poste ihn auf deiner Seite (nicht teilen) und ich gehe zu deiner Seite, um ein Wort zu hinterlassen, das mich an dich erinnert. Bitte kommentiere nicht, wenn du keine Zeit hast, den Text zu kopieren. Das wird das Experiment zerstören. Mal sehen, wer seine Zeit damit verschwendet hat, nach der gemeinsamen Geschichte außerhalb von Facebook zu lesen und zu antworten!

Dieses Beispiel habe ich aus dem Newsfeed eines FB-Freundes kopiert, nachdem dieser es aber sicher nicht verfaßt hat, sondern “nur kopiert und eingefügt (nicht geteilt)” hat (das merkt man z.B. an der “schleißigen” Grammatik, die auf eine automatisierte Übersetzung aus dem Englischen hinweist, und weil ich diesen Text schon x-mal gelesen habe), fühle ich mich da ganz frei.

Es geht nicht immer um ein soziales Experiment, manchmal geht es um Krebs, oder um Leute, deren Eltern verstorben sind, oder deren Kinder, oder die irgendeine andere Schwierigkeit durchgemacht haben, aber manche Elemente kommen bei allen vor:

  • Der Versuch, die Leser zu manipulieren mit dem Verdacht, daß die Mehrzahl den Beitrag (“Posts ohne Foto”) gar nicht bis zu Ende lesen wird, und nur eine Minderheit den Anweisungen folgen wird, “Leute mit denen ich mehr plaudern kann als nur ich mag” oder “meine wahren Freunde”;
  • Die Aufforderung, den Beitrag NICHT zu teilen, sondern ihn zu kopieren und einzufügen;
  • Oft (wie auch hier) die Aufforderung, den Vollzug durch einen Kommentar zu melden, oft noch eingeschränkt auf “nur ein Wort”; und schließlich
  • Das Fehlen jeglichen wahren Inhalts, und damit jeglichen Sinns.

Hier sind ein paar Gründe, warum das alles unnötiger Schwachsinn ist, und äußerst schädlich für zwischenmenschliche Beziehungen:

  • Die Inhaltsleere bedeutet, daß das Mitmachen wirklich niemandem nützt: waserfährst Du wirklich über Deine Freunde, wenn diese paar Zeilen tausende Male in Facebook wiederholt werden? Was hilft es den an Krebs Verstorbenen, oder denen, die mit Krebs kämpfen, ihn haben, oder ihn gehabt haben, oder die irgendeine andere schwierige Zeit durchgemacht haben?
  • Der Versuch, Freunde (auch wenn’s nur Facebook-Freunde sind) mittels Schuldgefühlen zu manipulieren, schadet den zwischenmenschlichen Beziehungen, und ist besonders unter Christen völlig Fehl am Platz.
  • Durch die Aufforderung, den Beitrag nicht zu teilen, sondern zu kopieren und einzufügen, spiegelt jeder, der mitmacht, seinen Lesern vor, ER oder SIE hätte diesen Beitrag verfaßt; in Wirklichkeit hat den ein wildfremder Mensch geschrieben, und Tausende haben gedankenlos die Anweisungen befolgt und sich damit selbst ein intellektuelles Armutszeugnis ausgestellt.
  • Ein weiterer Effekt ist, daß das Internet mit diesen inhaltslosen Beiträgen zugemüllt wird — zugegeben, es handelt sich nicht um riesige Datenmengen, aber es schwirrt ohnehin schon genug Müll herum im Netz, und man sollte wirklich nicht unnötig durch das endlose Kopieren nichtssagender Texte dazu beitragen;
  • Und schließlich gibt es guten Grund zu der Annahme, daß die Urheber solcher Texte deren Verbreitung genau verfolgen, und die Antworten (“nur ein Wort”) sammeln und verwerten — solche Worte, die gemeinsame, wichtige Erfahrungen beschreiben, sind ja sehr gute Kandidaten für Kennwörter oder Passwörter, die man damit preisgibt.

Ich mache bei solchen Spielchen grundsätzlich nicht mit; wenn ich einen Beitrag (mit sinnigem Inhalt) gut finde, und denke, daß auch andere davon profitieren können, dann teile ich ihn; damit ist klar, daß er nicht auf meinem Mist gewachsen ist und er braucht auch keinen zusätzlichen Speicherplatz.

Wenn ich wirklich einmal einen Beitrag kopiere, z.B. weil er sich nicht teilen läßt, dann schreibe ich eine Quellenangabe dazu (meist mit der Abkürzung “HT” für “Hat Tip”), wiederum, damit man sieht, daß das nicht auf meinem Mist gewachsen ist.

Ein ähnliches manipulatives Spiel sind die Beiträge, die sagen, “Kommentiere mit Amen, wenn du Jesus liebst”, oder “Teile das wenn du Jesus liebst” — auch die sind eines Christen nicht würdig, weil das Teilen oder nicht, oder Amen tippen oder nicht, in Wirklichkeit überhaupt nichts darüber aussagt, ob jemand Jesus liebt.

So, und ich bin jetzt sicher, daß ein Großteil meiner Leser nicht bis hierher gelesen hat, und es ist mir völlig egal!

(Dieser Text ist eine leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags, den ich bereits vor drei Jahren einmal veröffentlicht habe)