Der Ravensburger Verlag hat das Buch Der junge Häuptling Winnetou nach dem gleichnamigen Film zurückgezogen, weil ihm kritische Stimmen eine der aktuellen Todsünden, nämlich „kulturelle Aneignung“, vorwerfen.
Ich halte den Rückzieher von Ravensburger für reines virtue signalling und stimme voll und ganz mit dieser Aussage der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter überein, die das Konzept der kulturellen Aneignung als Vorwurf für sehr problematisch und absurd hält:
«Die Skandalisierung der kulturellen Aneignungen weist eine Reihe von Absurditäten auf. Eine betrifft die Folgen, die sich ergeben, wenn man die geforderten Nutzungsbeschränkungen zu Ende denkt. Dann müssten bei jedem Gegenstand, jedem Stil, jeder Form kulturellen Ausdrucks die Urheber ausfindig gemacht und ihr Gebrauch auf diese Urheber beschränkt werden.
Menschen haben stets Dinge von anderen übernommen, wenn sie diese für sinnvoll erachtet haben. Um es auf den Punkt zu bringen, ist die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte.
Kulturelle Aneignung ist wohl die wichtigste Kulturtechnik, die ein friedliches Zusammenwachsen möglich macht.»[1]
Leider ist das konsequente Zu-Ende-Denken der eigenen Ideen und Forderungen etwas, was die wenigsten “progressiven” Aktivisten schaffen, und Menschen wie die Ravensburger Verlagsleitung denken leider die Folgen ihres Rückziehers auch nicht zu Ende: Wer bestimmt wohl in ein paar Jahren das Verlagsprogramm?
Neben der kulturellen Aneignung wirft man Karl Mays Büchern, dem diesen entfernt darauf basierenden Film, sowie dem Buch zum Film, „rassistische Vorurteile“ und eine „kolonialistische Erzählweise“ vor.
Aber gerade May, bei dessen Büchern es sich um reine Phantasieprodukte, um Märchen also, handelt (was man mich, als jungen Leser vor 57 Jahren, von Seiten der Erwachsenen auch keine Minute vergessen ließ), beschreibt seine Charaktere, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, durchaus differenziert: sowohl unter den Weißen als auch unter den „Indianern“ gibt es Gute wie Böse, und gerade May thematisiert auch die zunehmende Unterdrückung der „Indianer“ durch die weißen Einwanderer.
Sowohl Film als auch Buch Der junge Häuptling Winnetou basieren nun mal auf Karl Mays Material und seinen Charakteren, und können diese nicht einfach umschreiben.
Ich glaube, daß der Drang, solche Bücher zu verbannen, und auch die genre-getreue Verfilmung solcher Bücher zu unterbinden, ebenso wie das cancelling historischer Persönlichkeiten, die keine aus unserer heutigen Sicht blütenreine Weste haben, einer verständlichen und nachvollziehbaren Scham über die historischen Vorurteile und Schandtaten unserer Kultur und Vorfahren entspringt; aber so zu tun, als hätte es die Vorurteile und Schandtaten nie gegeben, indem wir ihre Werke, soweit sie unseren heutigen ethischen Standards nicht hundertprozentig entsprechen, macht uns nicht zu besseren Menschen und ist keine gesunde Vorgehensweise. Viel wichtiger wäre es, sich um die heute existierenden Vorurteile und die daraus entspringenden Schandtaten zu kümmern und diese zu bekämpfen.
(Das Titelbild dieses Artikels ist eine „gestauchte“ Version des Filmplakats zu Der junge Häuptling Winnetou. Sollte sich jemand dadurch in seinen Rechten verletzt fühlen, bitte ich um Mitteilung und werde es dann natürlich entfernen.)
__________- Zitiert nach dem ORF Online Bericht, Wirbel um Rückzieher von Ravensburger[↩]