Dieser Artikel hat mir sehr gut gefallen und wichtige Hinweise für die öffentliche Schriftlesung geboten. Damit auch andere davon profitieren können, habe ich ihn mit Erlaubnis des Autors übersetzt.
Wolf
Hinweise für das Vorlesen der Heiligen Schrift im Gottesdienst
von Russell E. Saltzman
Nur weil ich gerade daran denke: hier sind einige Hinweise für Lektoren, die irgendwie das falsche Handbuch für das öffentliche Vortragen der Heiligen Schrift bekommen haben. Ich möchte einige diesbezügliche Mißverständnisse beseitigen. Ihr werdet mir noch dafür danken.
Aber laßt mich zuerst meine Qualifikationen vorlegen: Ich habe mehrere Jahre lang Öffentliches Sprechen an der Uni unterrichtet, und ich habe meine Studenten nicht nur all die üblichen Kategorien von Ansprachen halten lassen, sondern sie auch Gedicht vortragen lassen (das war gar nicht beliebt), und das Vorlesen vor einer Gruppe, z.B. im Gottesdienst, üben lassen. Meiner Meinung nach ist öffentliches Vorlesen eine Kunst, und als solche habe ich es auch unterrichtet.
Meine Lehrerin in der dritten Klasse der Volksschule konnte das. Sie hat uns Bambi und Bambis Kinder vorgelesen. Sie saß an ihrem Schreibtisch – ich sehe sie noch vor mir – und hielt das Buch in Händen, aus dem sie uns vorlas, Kapitel für Kapitel. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ihre Stimme und die Worte über uns hin schwappten und uns in der Geschichte gefangen nahmen. Sie schaffte das mit den Worten, nur den Worten, klar ausgesprochen, und mit ihrer Stimme, die immer der jeweiligen Situation angepasst war: Humor, Bericht, Gespräch, Trauer, usw, wie es eben im Text vorkam; alles von ihrem Schreibtisch aus, während wir an unseren Tischen saßen und zuhörten.
Dorthin soll mich ein Lektor zurückführen, in die dritte Klasse Volksschule. Wenn es gut gemacht wird, dann ist das öffentliche Verlesen der Heiligen Schrift mehr als nur Bibellese. Wir hören Gottes Geschichte für uns, und der Lektor haucht ihr Leben ein.
Das ist der Anfangspunkt: Öffentliches Das ist der Anfangspunkt: Öffentliches Vorlesen ist nicht öffentliches ist nicht öffentliches Reden. Das stimmt auch umgekehrt: Öffentliches Reden ist nicht öffentliches Vorlesen. Allzu oft werden diese beiden Dinge verwechselt.
Aber was meine ich damit, wenn ich sage daß öffentliches Vorlesen nicht öffentliches Reden ist?
Beim öffentlichen Reden muß der Redner sichtbar mit seinen Zuhörern in Verbindung treten, um eine authentische Beziehung aufzubauen. Das verlangt nach dauerndem Augenkontakt, Gestik, einer engagierten und energischen Körpersprache, Gesichtsausdruck, all diese Dinge. Der Redner kombiniert alle diese Dinge um die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich zu ziehen und sie f¨ûr das zu gewinnen, was er zu sagen hat. Die Präsenz des Redners kommuniziert ebensoviel wie die Worte, die er spricht. Wir sehen den Redner, und erkennen etwas von seinem Charakter.
Beim öffentlichen Vorlesen hingegen sollte der Lektor, der Vorlesende, möglichst unsichtbar sein. Öffentliches Vorlesen ist ein Redezvous mit einem Text, der den Zuhörern oft schon bekannt ist. Und es ist dieser Text, auch wenn wir ihn schon kennen, der unsere Aufmerksamkeit gefangen nehmen soll, nicht der Vorlesende. Der Lektor muß, sozusagen, beiseite treten. Der Lektor muß den Text so vorlesen, daß er uns gefangen nimmt und zu uns spricht.
Natürlich gelten manche der Regeln für die öffentliche Rede auch für das öffentliche Vorlesen: Gute und deutliche Aussprache, Stimmqualität, usw. Aber viele der Dinge, die einen guten Redner ausmachen, sind beim Vorlesen eher hinderlich. Ich sage es nocheinmal: Die Aufgabe des Lektors ist es, unsere Aufmerksamkeit auf den Text zu lenken, nicht auf sich selbst. Öffentliches Vorlesen ist nicht öffentliches Reden.
Augenkontakt? Ich kenne kein Handbuch für Lektoren, das nicht auf Augenkontakt mit der Gemeinde beharrt. Trotzdem: Nein, ignoriere das.
Es gibt nur zwei Gelegenheiten bei der öffentlichen Schriftlesung, wo der Augenkontakt mit der Gemeinde angebracht ist, und keine davon findet während des eigentlichen Vorlesens statt. Die erste Gelegenheit ist während der Einleitung: “Lesung aus dem Buch ….”, und die zweite ist am Schluß, bei “Wort des Herrn.” Mach nach der Einleitung eine Pause. Zähle in Gedanken bis fünf, bevor du zu lesen beginnst. Nach dem Vorlesen mach wieder eine Pause, zähle wieder bis fünf, dann richte die Augen auf die Gemeinde und sage, “Das Wort des Herrn.” Stille ist die effektivste Art, Aufmerksamkeit zu erregen. Nutze sie!
Wo sollten Deine Augen sonst hinschauen? Auf den Text natürlich. Um zu betonen, daß Du die Schrift verkündest, und nicht deine eigenen Gedanken, nimm die Bibel in die Hand und lies sichtbar aus dem Buch. Es soll nicht nur versteckt auf dem Pult oder der Kanzel liegen, mach es sichtbar. Indem du deine Aufmerksamkeit auf das Lesen des Textes richtet (und das Buch in Deiner Hand macht diese Aufmerksamkeit deutlich), konzentriert sich auch die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf den Text. Wenn die Bibel zu schwer ist, um sie aufzuheben, mach Dir eine Fotokopie des Textes und halte diese in einer Mappe in der Hand.
Vorbereitung? Du mußt laut üben. Meiner Meinung nach ist es nicht zu viel, den Text zehn mal laut zu lesen — nachdem Du den Text ebensooft leise, für dich gelesen hast. Du mußt mit den Worten und ihrem Fluß vertraut werden, und entdecken, wo eine Pause den Vortrag klarer macht. Überlege, wie du den Text durch deine Stimme besser verständlich machen kannst. In der Heiligen Schrift gibt es Ironie, Humor, Verspieltheit, ernste Warnungen, Klagen, Gespräche, Berichte, und mehr. Ich kann mir keine Art der verbalen Kommunikation vorstellen, die wir nicht in der Schrift finden. Passe den Ton und Ausdruck deines Vortags an die Worte an, die du vorliest.
Mikrofon? Verlaß dich nicht auf das Mikrofon, um deine Stimme zu projizieren. Finde den richtigen Abstand vom Mikro, damit deine Stimme weder verloren geht, noch die Zuhörer erschlägt. Komm pünktlich genug, um es auzuprobieren, mit einem Freund, der von der hintersten Reihe aus zuhört. Und paß auf deine ‘p’ und ‘t’ Laute auf – die klingen manchmal wie Schüsse aus einem Kapselrevolver. Tritt etwas vom Mikro zurück, wenn Du diese “Pops” beim üben hörst.
Das wärs. Das wäre die Kunst. Weniger künstlerisch: sprich ein Gebet, ein Gebet der Dankbarkeit, daß man dir diesen Dienst übertragen hat. Noch besser: fang mit dem Gebet an, und dann sorg dich um die Kunst des Vorlesens.
Russell E. Saltzman lebt in Kansas City, Missouri, und war viele Jahre lang lutherischer Pastor. Dieser Artikel ist auf Pastor Saltzman’s Blog auf der Webseite von First Things erschienen und wurde von mit mit Erlaubnis des Autors übersetzt und hier veröffentlicht.