Das Evangelium des Friedens in einer Zeit des Terrors

Wolf Paul, 2023-10-23

Ein Gastbeitrag von Heinrich Arnold1 von der Bruderhof-Gemeinschaft

Anmerkung: Dieser Artikel eines Leiters der Bruderhof-Gemeinschaft2, Heinrich Arnold, ist ein wertvoller Gedankenanstoß und Beitrag zu unseren Überlegungen zum Themenkomplex Feindesliebe/Selbstverteidigung/staatliche Gewalt/Gerechter Krieg (bellum iustum), der durch die Ereignisse in Israel brandaktuell geworden ist.3

Das Evangelium des Friedens in einer Zeit des Terrors

Ein Bruderhof-Pastor über die Frage, wie Christen auf die Hamas-Attacke auf Israel und essen Folgen reagieren sollen.

von Heinrich Arnold
12. Oktober 2023

Am Freitag, den 6. Oktober 2023 strömten Scharen von Menschen in die Synagogen Israels, um das Ende von Sukkot und den Beginn von Simchat Tora, „Freude an der Tora“, zu feiern. Während dieser freudige Festtag am Samstag anbrach, wurde unvorstellbares Unheil entfesselt. Tausende von Raketen schlugen in dem Gaza-Streifen nahegelegenen Städten, auch in Tel Aviv und Jerusalem ein. Maskierte Bewaffnete durchbrachen eine der am stärksten überwachten Grenzen der Welt, töteten ganze Familien, die noch im Bett lagen, vergewaltigten Frauen und nahmen schätzungsweise 150 Geiseln gefangen.

Inzwischen hat jeder von den schockierenden Gräueltaten gehört, die die Hamas in der letzten Woche in Israel verübt hat. Wie sollen wir Christen angesichts dieses Grauens reagieren?

Das Neue Testament fordert uns auf, mit den Trauernden zu trauern (Röm. 12,14). In einer Zeit wie dieser müssen wir mit dem israelischen Volk trauern, insbesondere mit den Überlebenden des Hamas-Angriffs. Und wir müssen auch mit den Zivilisten in Gaza trauern, die bereits als Kollateralschaden unter der militärischen Reaktion leiden. Wir müssen für den Frieden beten. Dies hört sich an wie eine Floskel. Aber wenn wir an die Macht Gottes glauben, in die Geschichte einzugreifen, bleibt das Gebet enorm wichtig.

Was sollten wir außer trauern und beten noch tun?

Aus vielen Ecken werden von den führenden Politikern der Welt strenge Maßnahmen gefordert. Dies ist mehr als verständlich angesichts der tiefen Wut, Angst und Panik, die die Israelis empfinden, wenn sie auf so schreckliche Weise von einer Organisation verletzt werden, die sich verpflichtet hat, ihr Land auszurotten. Der Wunsch nach einer raschen und heftigen Reaktion ist der Kern unserer menschlichen Reaktion auf das Böse. Wie viele andere bin ich mehrmals nach Israel und ins Westjordanland gereist, zuletzt im vergangenen Jahr, und habe auf beiden Seiten des langjährigen Konflikts in der Region enge Freundschaften geschlossen. Viele dieser Freunde haben Jahre damit verbracht, sich für Frieden und Dialog einzusetzen, um den tiefsitzenden Hass in ihrer Gesellschaft zu überwinden. Als ich in den letzten Tagen mit einigen von ihnen gesprochen habe, schilderten sie ihren unglaublichen Schmerz. Sie erleben ein Ausmaß an Wut und Angst vor der Zukunft, dass ich mir nicht vorstellen kann.

In meiner Gemeinschaft, dem Bruderhof, hat uns der Terror unter anderem durch die Massaker in Kibbuz-Gemeinden wie Kfar Aza und Be’eri, bei denen Hunderte von Menschen getötet wurden, darunter auch Kleinkinder und Säuglinge, besonders aufgewühlt. Die Freundschaftsbande zwischen den Kibbuzim und dem Bruderhof als zwei Gemeinschaftsbewegungen reichen neunzig Jahre zurück. Obwohl der Bruderhof eine christliche Gemeinde ist und die Kibbuzim jüdisch sind, teilen wir das Engagement für eine gemeinschaftliche Lebensweise und haben gemeinsame historische Wurzeln. Im Herzen sind wir mit diesen Gemeinschaften und mit allen, die in den letzten Tagen so viel Leid erfahren haben, verbunden.

Als Seelsorger kann ich nicht sagen, welche Maßnahmen die betroffenen Regierungen ergreifen sollten. Ich habe auch keinen Vorschlag, wie andere Weltmächte reagieren sollten. Die Regierungschefs werden ohnehin tun, was sie für das Beste halten. Hoffen wir, dass ihre Entscheidungen in den kommenden Tagen und Wochen dem Wohlergehen und dem Schutz aller betroffenen Menschen dienen, insbesondere der Schwächsten.

Aber auch wenn ich nicht sagen kann, was die Regierungen tun sollen, so weiß ich doch, wozu die Nachfolger Jesu aufgerufen sind.

Was wir Christen auf jeden Fall tun können: das Evangelium des Friedens bezeugen. Unsere Berufung ist es, für den Frieden und für alle Opfer von Gewalt zu beten, uns zu weigern, selbst Gewalt zu unterstützen, und Friedensstifter zu sein. Als Mitglieder seiner weltweiten Kirche auf Erden sollen wir in der gegenwärtigen Welt eine Botschaft des zukünftigen Friedensreiches sein.
Jesus sagte: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden­“ (Mt 5,9). Er lehrte: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen‘. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel seid.“ (Mt 5,43-45).

Wir müssen jeden Krieg beklagen; wir dürfen niemals der Gewalt zujubeln, wie gerechtfertigt sie auch erscheinen mag.

Wir Christen müssen gegen die unmenschlichen Angriffe auf Israel protestieren – die kaltblütigen Angriffe auf Zivilisten, die Vergewaltigungen, das Massaker an Kindern, Frauen und älteren Menschen. Wir müssen uns auch gegen den Entzug von Wasser und Strom für die Zivilbevölkerung und die Bombardierung von Wohngebieten aussprechen. Wir müssen jeden Krieg beklagen. Das ist unsere Pflicht; zu schweigen ist eine Sünde. Vor allem in Momenten, in denen die öffentliche Stimmung blutrünstig und rachsüchtig wird, dürfen wir niemals der Gewalt zujubeln, wie gerechtfertigt sie auch erscheinen mag.

Welche Kraft kann solch ein Übel überwinden? Wieder lehrt uns Jesus die Antwort: Nur die Liebe kann wirklich über Feinde siegen.

Der Apostel Paulus griff die Lehre Jesu über das Friedenstiften auf und schrieb in seinem Brief an die Römer: „Ihr Lieben, rächt euch nicht, sondern überlasst es dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: ‚Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.‘ Ganz im Gegenteil: Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen; wenn er durstig ist, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, wirst du brennende Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Wir können allzu leicht die Lehre Jesu über die Feindesliebe aus den Augen verlieren. Es ist verlockend, stattdessen nach Antworten zu greifen, die „realistischer“ erscheinen. Harte Antworten auf Feindseligkeit sind jedoch keine Garantie für Sicherheit; in der Tat lassen sich leicht Beispiele dafür finden, wie sie nach hinten losgehen können. Wir Christen glauben jedenfalls, dass der Weg Jesu, Frieden zu stiften, die einzige wirklich realistische Antwort auf das Böse ist.

Wir, die wir uns zu Christus bekennen, müssen zuversichtlich sein Gebot bezeugen, zu lieben und nicht auf Waffengewalt zu vertrauen. Wir müssen an seiner Verheißung festhalten, dass sein Friedensreich kommen wird und dass darin die Hoffnung der Welt liegt. Das ist die Zukunft, die der Psalmist verheißt:

Kommt und seht, was der Herr getan hat …
Er lässt die Kriege aufhören
bis an die Enden der Erde.
Er zerbricht den Bogen und zerschmettert den Speer;
er verbrennt die Schilde mit Feuer.
Er sagt: „Seid still und erkennt, dass ich Gott bin;
Ich will hoch erhoben werden unter den Völkern,
Ich bin hoch erhaben auf der Erde.“

Der Herr, der Allmächtige, ist mit uns;
der Gott Jakobs ist unsere Festung.


Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Plough.com als The Gospel of Peace in a Time of Terror. Copyright ©2023 by Plough Quarterly. Diese Übersetzung von Aidan Manke erscheint hier mit freundlicher Genehmigung.

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  1. Heinrich Arnold ist Senior Pastor der Bruderhof -Gemeinschaft in den USA und weltweit. Heinrich ist ein Urenkel des Bruderhof-Gründers und ist ein Vater, Großvater, Lehrer in den Schulen des Bruderhofs, und Heilpraktiker. Er schreibt regelmäßig für die Zeitschrift des Bruderhofs, Plough Quarterly, und bringt jeden Sonntag eine Evangeliumsbotschaft auf seinem YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/c/JHeinrichArnold/featured). Er wohnt mit seiner Frau und Familie auf dem Woodcrest Bruderhof (https://www.bruderhof.com/en/where-we-are/united-states/woodcrest). Twitter: @JHeinrichArnold (https://twitter.com/JHeinrichArnold[]
  2. Die Bruderhof-Gemeinschaft ist eine Bewegung in der Tradition der Täufer, die eine am Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde orientierte Gütergemeinschaft praktiziert. Ihre Entstehung geht unter anderem auf die Eheleute Eberhard und Emmy Arnold zurück, die 1920 in Hessen die erste Bruderhof-Gemeinschaft gründeten. Nach der Vertreibung durch die Nationalsozialisten 1937 fanden sie zunächst Zuflucht im Fürstentum Liechtenstein und später in England. Heute gibt es Niederlassungen der Bruderhöfer in Australien, Großbritannien, Paraguay, den Vereinigten Staaten, Deutschland und Österreich (in Retz und Stein/Furth) []
  3. Ich habe in den Tagen seit dem schrecklichen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 zwei Beiträge hier auf dem Blog und viele weitere auf Facebook gepostet, in denen ich das Recht Israels auf Selbstverteidigung betont habe. Wegen der unmenschlichen Strategie der Hamas, Terroreinrichtungen (die ein legitimes Ziel israelischer Angriffe sind) in Wohngebieten, Spitälern, Schulen, usw., unterzubringen, kommt es bei dieser legitimen Verteidigung zu vielen Opfern unter der Zivilbevölkerung, und ich bleibe dabei: das ändert letztlich nichts an Israels Recht zu Selbstverteidigung.
    Ich weiß auch, daß es in der israelischen Armee (Israeli Defense Force, IDF) nicht wenige Menschen gibt, die an Jesus als den jüdischen Messias glauben. Ich weiß von einer solchen Familie, die fünf Kinder an der Front hat, drei eigene und zwei Schwiegerkinder, und nach meinem Verständnis des Neuen Testaments ist das legitim.
    Es gibt allerdings in der Kirche, der Gemeinde Jesu, von allem Anfang an, d.h. seit den Aposteln und frühen Kirchenväter, eine Tradition des Pazifismus, der Überzeugung, daß Jünger Jesu unter keinen Umständen zu irgendeiner Gewalt greifen sollen, sei es als Soldaten oder auch als Polizisten. Im Mittelalter ist diese Tradition etwas in der Versenkung verschwunden, und wurde dann, während der Reformationszeit, von den Täufern (oft als „Radikale Reformation“ oder als der dritte Flügel der Reformation, neben Lutheranern und Reformierten, bezeichnet) wieder entdeckt und aufgenommen. Heute lebt die Täuferbewegung in Form der Mennoniten, Amischen, und Hutterer weiter. Die Bruderhof-Gemeinschaft, die in der Zwischenkriegszeit des 20.Jahrhunderts in Deutschland entstanden ist, steht ganz in dieser Tradition und war auch eine Weile sehr eng mit den Hutterern verbunden.
    Ich empfinde diese Tradition als sehr wertvoll, und vor allem heute als wichtiges Gegengewicht zu Strömungen in der Gemeinde Jesu, die staatlicher Gewalt zu kritiklos gegenüberstehen.[]

Gedanken zum aktuellen Krieg in Israel

Wolf Paul, 2023-10-16

  • Ich erwähne in meinen Kommentaren zu den aktuellen Ereignissen in Israel die biblischen Aussagen über das Land und Volk Israel kaum, und zwar ganz bewußt,mit Ausnahme der Aufforderung, für den Frieden Jerusalems zu beten. Denn erstens haben biblische Aussagen und göttliche Verheißungen in unserer sekularisierten Welt kein besonders großes Gewicht, zweitens beruft sich die Hamas ebenso auf göttliche Verheißungen “from the river to the sea“, zwar nicht aus dem Koran sondern aus anderen islamischen Quellen1, und ich erwarte nicht wirklich, daß die sekularisierte Weltöffentlichkeit diese zwei, einander widersprechenden Ansprüche versteht und objektiv beurteilt (das schaffen ja, zu ihrer Schande, nicht einmal manche hochrangigen Vertreter christlicher Kirchen), und schließlich reicht meiner Meinung nach ein Blick auf die Geschichte dieses Landes, einschließlich der Umstände der Entstehung des Staates Israel im 20. Jahrhundert, durchaus aus, das Existenzrecht Israels und das Lebensrecht sowohl von Juden und Arabern sowie von anderen, kleineren Bevölkerungsgruppen “vom Fluß bis zum Meer” zu begründen und zu rechtfertigen.
  • Vor der Gründung des modernen Staates Israel, unter der Ägide der UNO, gab es bereits 1947 einen Plan, der die Aufteilung des Mandatsgebietes Palästina in einen arabischen und einen jüdischen Staat vorsah, mit einem Sonderstatus für Jerusalem; dieser Plan wurde von den arabischen Staaten kategorisch abgelehnt, weshalb sie Israel unmittelbar nach dessen Unabhängigkeitserklärung 1948 angriffen. Ein Jahr später kam es zu einem Waffenstillstand, in dessen Gefolge der Gazastreifen von Ägypten und das Westjordanland von Jordanien annektiert wurden.

  • Die Gründung Israels durch die Staatengemeinschaft der UNO, mit Unterstützung vor allem von Großbritannien und USA, war vor allem von ihrem schlechten Gewissen getrieben, weil sie in den Jahren zuvor beim Holocaust weggeschaut und den Juden keine oder zu wenig Zuflucht und Hilfe angeboten hatten. Als unmittelbar nach der Ausrufung des Staates Israel dieser von den arabischen Staaten angriffen wurde, haben die UNO und die westlichen Staaten wieder weggeschaut, statt den arabischen Staaten unmißverständlich klar zu machen, daß dies nicht toleriert wird. Umso verwerflicher ist es, wenn die UNO jetzt ihre Sorge um die Zivilbevölkerung von Gaza auf eine Weise ausdrückt, die Israel im Grunde genommen das Recht auf Selbstverteidigung abspricht.2

  • Nach dem, von Ägypten und anderen arabischen Staaten provozierten, Sechs-Tage-Krieg 1967, aus dem Israel unerwarteterweise siegreich hervorging, besetzte Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golanhöhen — dies läßt sich ohne jede Bezugnahme auf die biblischen Grenzen Israels, allein mit den legitimen Sicherheitsinteressen des Staates begründen und rechtfertigen.

  • Das Hauptproblem in all den Jahren seit der Gründung des Staates Israel ist die Weigerung gewisser arabischer Kreise, die Existenz eines Judenstaates in Palästina zu tolerieren; wobei man dazusagen muß, daß es in Regierungskreisen vieler Staaten hier ein Umdenken gegeben hat und etliche arabische Staaten inzwischen in normalen  Beziehungen zu Israel stehenDer Haupt-Kriegstreiber ist inzwischen nicht ein arabisches Land, sondern der fundamentalistisch-islamische Iran, der sowohl die Hizbollah im Libanon als auch die Hamas in Gaza finanziert.

  • Wenn man weit genug in der Geschichte zurückgeht und die Dinge ohne jeglichen religiösen Überlegungen betrachtet, dann haben die Juden (das Volk Israel) das Land zwischen Mittelmeer und Jordan vor ca. 3000 Jahren erobert, und Araber sind seit mehr als tausend Jahren dort ansässig (seit das Land unter osmanischer Herrschaft stand) — beide können daher das Recht für sich reklamieren, dort zu leben. Im Lauf der Geschichte hat das Land immer wieder den Besitzer gewechselt, meistens in Form der Eroberung durch den Sieger eines Krieges. So gesehen ist die Besetzung Gazas und des Westjordanlandes durch Israel (die ja ihrerseits erst ein paar Jahre zuvor durch Ägypten und Jordanien annektiert worden waren) im Gefolge des Sechs-Tage-Krieges nichts ungewöhnliches.

  • Im Jahr 2005 verließ Israel, als Teil von “Land gegen Frieden”-Überlegungen, den Gazastreifen und übergab ihn der Fatah-dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde als Vertreterin der Palästinenser. Zwei Jahre später vertrieb Hamas die Fatah, und benutzt den Gazastreifen seither als Basis, um Israel ständig und auf verschiedenste Weise anzugreifen. Das Ziel der Hamas und ihrer iranischen Geldgeber, Israel zu zerstören und die Juden umzubringen oder zumindest zu vertreiben, ist religiös motiviert (es entspringt ihrem Islam-Verständnis) und hat für sie einen wesentlich größeren Stellenwert als das Leben und Wohlergehen der Zivilbevölkerung im Gazastreifen.

  • Ich bin nicht für den Krieg. Er bringt unvorstellbares Leiden über die Menschen. Aber angesichts eines Feindes, der sich so benimmt wie die Hamas am 7. Oktober 2023, und der nicht nur in seiner Charta das Existenzrecht Israels leugnet, sondern sich auch auf ein Hadith3 beruft, das die Muslime aufruft, Juden abzuschlachten4, kann ich die israelische Entscheidung, sich mit militärischen Mitteln zu verteidigen, verstehen und nachvollziehen — auch wenn dies aufgrund der Strategien der Hamas zu zivilen Todesopfern führt.

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  1. Aus der Hamas-Charta von 1988: “Die Islamische Widerstandsbewegung glaubt, dass das Land Palästina ein islamisches Waqf ist, das für zukünftige muslimische Generationen bis zum Tag des Gerichts geweiht ist. Es, oder irgendein Teil davon, sollte nicht verschwendet werden: Es, oder irgendein Teil davon, sollte nicht aufgegeben werden. Weder ein einzelnes arabisches Land noch alle arabischen Länder, weder irgendein König oder Präsident, noch alle Könige und Präsidenten, weder irgendeine Organisation noch alle von ihnen, seien sie palästinensisch oder arabisch, besitzen das Recht dazu. Palästina ist ein islamisches Waqf-Land, das für muslimische Generationen bis zum Tag des Gerichts geweiht ist. Da dies so ist, wer könnte beanspruchen, das Recht zu haben, muslimische Generationen bis zum Tag des Gerichts zu vertreten?
    Dies ist das Gesetz, das das Land Palästina in der islamischen Sharia (Gesetz) regiert, und dasselbe gilt für jedes Land, das die Muslime mit Gewalt erobert haben, denn während der Zeiten der (islamischen) Eroberungen haben die Muslime diese Länder für muslimische Generationen bis zum Tag des Gerichts geweiht.
    Es geschah so: Als die Führer der islamischen Armeen Syrien und den Irak eroberten, schickten sie an den Kalifen der Muslime, Umar bin-el-Khatab, um seinen Rat bezüglich des eroberten Landes zu erbitten – ob sie es unter den Soldaten aufteilen sollten oder es den Besitzern überlassen sollten oder was? Nach Beratungen und Diskussionen zwischen dem Kalifen der Muslime, Omar bin-el-Khatab, und Gefährten des Propheten, Allah segne ihn und schenke ihm Heil, wurde entschieden, dass das Land seinen Besitzern überlassen werden sollte, die von seinen Früchten profitieren könnten. Was die eigentliche Eigentümerschaft des Landes und des Landes selbst betrifft, sollte es für muslimische Generationen bis zum Tag des Gerichts geweiht bleiben. Diejenigen, die sich auf dem Land befinden, sind nur dort, um von seinen Früchten zu profitieren. Dieses Waqf bleibt bestehen, solange Erde und Himmel existieren. Jedes Verfahren, das im Widerspruch zur islamischen Sharia steht, was Palästina betrifft, ist nichtig und unwirksam.”[]
  2. Da die Hamas seit ihrer Machtübernahme im Gazastreifen (2007) ihre Terror-Infrastruktur (Waffenlager, Kommandozentralen, Raketen-Abschußbasen, etc) systematisch in zivilen Wohngegenden, neben und sogar in Krankenhäusern, Schulen, und Kindergärten positioniert, sodaß es unmöglich ist, diese legitimen militärisch/terroristischen Ziele anzugreifen, ohne daß es zu massiven Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt, wird Israel’s Möglichkeit der Selbstverteidigung stark eingeschränkt — vor allem, da ein Großteil der Weltpresse dabei mitspielt und bei israelischen Verteidigungsschlägen die zivilen, palästinensischen Opfer in ihrer Berichterstattung hervorhebt. Solche Terror-Einrichtungen finden sich übrigens auch in Schulen, die von der UNO betrieben werden — ohne daß man regelmäßige Proteste der Weltorganisation dagegen hört.[]
  3. Die Hadithe (Plural, Singular: Hadith) sind eine Sammlung von Überlieferungen, Aussprüchen und Handlungen des Propheten Mohammed und seiner Weggefährten. Die Bedeutung der Hadithe ergibt sich daraus, dass die Handlungs- oder Lebensweise (Sunna) Mohammeds neben dem Koran normativen Charakter haben.[]
  4. z.B. Sahih Muslim, 41:2922: “Abu Huraira reported Allah’s Messenger (may peace be upon him) as saying: The last hour would not come unless the Muslims will fight against the Jews and the Muslims would kill them until the Jews would hide themselves behind a stone or a tree and a stone or a tree would say: Muslim, or the servant of Allah, there is a Jew behind me; come and kill him; but the tree Gharqad would not say, for it is the tree of the Jews.” sowie andere[]

Gedanken über die Unruhen in Frankreich und ihre Ursachen

Wolf Paul, 2023-07-02

Frankreich wurde in den letzten Tagen von Ausschreitungen und Unruhen erschüttert, die infolge der Tötung des 17-jährigen Nahel Merbouz bei einer Verkehrskontrolle ausgebrochen sind.

Ich billige die Ausschreitungen und Gewalt der Demonstranten nicht (und Nahels Großmutter stimmt zu), aber ich kann nicht leugnen, dass ich eine gewisse Sympathie für die überwiegend jungen arabischen und schwarzen Menschen in Städten wie Paris habe, die sich schon lange über Polizeidiskriminierung beschweren. Da ihre Beschwerden von den Behörden im Grunde genommen ignoriert werden (ein Vorwurf, den die UN bestätigt hat), können die Politiker nicht die Verantwortung für die Schaffung der Umstände, die zu diesen Ausschreitungen führen, entkommen.

Jetzt beschuldigen französische Politiker, einschließlich Präsident Macron, die sozialen Medien, die aktuellen Ausschreitungen und Unruhen anzufachen.

Es scheint, dass sie sich auf die weit verbreitete Verteilung von Videos beziehen, die über TikTok, Snapchat, Instagram und andere Plattformen verbreitet werden und Polizeidiskriminierung und -brutalität gegenüber nicht-weißen Bürgern dokumentieren, wie das Video, das die Behauptung des Polizeibeamten Florian M., er habe Nahel aus Notwehr erschossen, als Lüge entlarvt; es zeigt Nahel, wie er flieht, anstatt die Beamten anzugreifen, indem er auf sie zufährt.

Nahel war natürlich nicht unschuldig; aber in unseren Gesellschaften gelten Fahren ohne Führerschein und Nichtanhalten bei einer Verkehrskontrolle nicht als Verbrechen, die die Todesstrafe verdienen.

Dass Herr Macron und andere die Ausschreitungen und die weite Verbreitung solcher Videos offenbar problematischer finden als das, was diese Videos zeigen, spricht Bände.

Florian M. wurde wegen vorsätzlichen Tötung angeklagt; wenn er freigesprochen oder wegen eines geringeren Vergehens verurteilt werden sollte, rechnen Sie mit weiteren Ausschreitungen.

Zweifellos hat Frankreich, so wie andere europäische Länder, einschließlich meines eigenen auch, ein massives Problem mit “Ausländern”, d.h. Menschen aus verschiedenen Kulturen, snd ich lasse keines davon aus der Verantwortung, wenn es darum geht, fair und gerecht mit ihnen umzugehen. Aber Frankreichs Problem, im Gegensatz zu Österreichs, ist hausgemacht; es ist das Ergebnis von Frankreichs kolonialer Vergangenheit. Es sind sozusagen die Sünden der Väter, die auf die Kinder übertragen werden. Alle diese Menschen aus Nord- und Schwarzafrika zu deportieren, einzusperren, oder sonst irgendwi loszuwerden, werden fehlschlagen: der “ethnisch reine Nationalstaat” ist ein unrealistisches Hirngespinst, und wenn die Franzosen, von den obersten Politikern bis hin zu den gewöhnlichen Bürgern, nicht lernen, friedlich mit allen Ethnien und Kulturen in ihrem Land zusammenzuleben, befürchte ich, dass wir in der Zukunft noch mehr solcher Szenen sehen werden.

Flüchtlingsboot-Tragödie: Erste Reaktion

Wolf Paul, 2023-06-16

Hier meine Reaktion auf die jüngste Flüchtlingsboot-Katastrophe im Mittelmeer mit mehr als 500 Todesopfern:
Es ist Zeit, dass wir alle hier im affluenten Westen, sowohl unsere Regierungen als auch wir als Einzelpersonen, uns einer ernsthaften Gewissensprüfung unterziehen darüber, wie wir mit Flüchtlingen umgehen.
1. Wir müssen aufhören, die fehlende Einstimmigkeit innerhalb der EU als Entschuldigung dafür zu mißbrauchen, selbst untätig zu bleiben. Unsere Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft von der Anderer abhängig zu machen, ist eine moralische Bankrotterklärung.
2. Wir müssen die Unterscheidung zwischen denen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen („echte Flüchtlinge“), und denen, die vor bitterer Armut in ihren Herkunftsländern Ländern fliehen („Wirtschaftsflüchtlinge“), aufgeben.  Es ist moralisch verwerflich, hier in unseren, trotz Inflation und Teuerung  immer noch komfortablen, Verhältnissen zu sitzen, und angesichts der verzweifelten Armut Anderer mit den Schultern zu zucken.
3. Menschen in Not unsere Hilfe zu versagen, um damit den Schleppern das Geschäft zu verderben, ist zutiefst unmoralisch. Wir alle haben in unseren Ländern den Tatbestand der Unterlassenen Hilfeleistung; gegenüber den Flüchtlingen machen wir uns kollektiv dieser schuldig.
4. Ich widerspreche denen, die Verteidigungsausgaben gegen angemessene Hilfe für Menschen in Not ausspielen wollen;  Das vergangene Jahr hat ganz deutlich gezeigt, daß miltärische Verteidigung nach außen notwendig ist, genauso wie eine funktionierende Polizei nach innen. Und sich für unsere Verteidigung auf die zunehmend dysfunktionalen USA zu verlassen1 kann gefählich werden.
5. In allen unseren Ländern gibt es genug Einsparungspotential bei nicht essentiellen und Prestige-Projekten, um wesentlich effektiver helfen zu können. Wir müssen nur wollen und richtige Prioritäten setzen.
6. Es gibt in unseren Ländern zutiefst unanständige politische Parteien, die unterlassene Hilfeleistung gegenüber Fremden aus irgendwelchen, perversen ideologischen Gründen akzeptabel finden2. Wenn anständige Parteien mit christlichem oder sozialdemokratischem Wertesystem eine “strenge Ausländerpolitik” verfolgen, um den unanständigen Parteien Stimmen wegzunehmen, dann ist das nicht nur wenig erfolgreich (weil ausländerfeindliche Menschen lieber “den Schmied als den Schmiedel” wählen), sondern stellt auch einen unmoralischen Verrat an den eigenen Werten dar. Was vielmehr nottut sind breite Koalitionen der Anständigen, auch über ideologische Grenzen hinweg, um die Unanständigen von der Macht fernzuhalten.
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  1. Kein Mench wiß, ob die USA unter einem neuerlichen Präsidenten Trump ihre Nato-verpflichtungen einhalten und erfüllen würde; Trumps Haltung zu Vladimir Putin ist höchst zwiespältig, und die Ukraine (und damit wir alle) würde unter seiner Präsidentschaft kaum die notwendige Hilfe bekommen.[]
  2. Die gleichen Parteien, die immer wieder in “bedauerlichen Einzelfällen die Verbrechen der Nazis herunterspielen und minimieren.[]

ChatGPT: Sperre oder Verbot wäre ein Armutszeugnis

Wolf Paul, 2023-04-04

Wenn es in Österreich zu einer Sperre von ChatGPT oder ähnlichen Anwendungen kommen würde, wie sie in Italien bereits verfügt wurde, und wie sie in der heutigen 8-Uhr-ZIB auch für Österreich als Möglichkeit angedeutet wurde, dann werde ich diese Sperre selbstverständlich mittels VPN umgehen und solche Tools weiterhin verwenden.

Eine Sperre bzw. ein Verbot wäre der absolut falsche Ansatz; das ist etwas, das wir von autoritären und diktatorischen Regimes kennen und erwarten, nicht in einem liberalen westlichen Land.

Eine Regulierung zum Schutz z.B. von Kindern und Jugendlichen wäre etwas anderes; ein Verbot, um generell leichtgläubige, erwachsene Menschen zu schützen, geht zu weit –  da sollte man mehr Aufwand treiben, um solche Menschen zu informieren, und letztlich müssen diese auch selbst Verantwortung für ihre Leichtgläubigkeit übernehmen.

Eine Sperre von KI-Anwendungen wegen der Gefahr des Mißbrauchs käme einem Verbot der Fotografie gleich, weil diese zur Herstellung von Kinderpornografie verwendet werden kann, oder einem Verbot von Autos, weil man damit jemanden niederfahren kann. Es stellt ein Armutszeugnis für Politik und Verwaltung dar, wenn man Dinge generell verbietet, statt lediglich deren Mißbrauch zu verbieten und zu verfolgen.

Schund- und Boulevardpresse sowie demagogische Politiker manipulieren leichtgläubige Menschen in großem Ausmaß, trotzdem bleiben sie von Politik und Justiz weitgehend unbehelligt, weil ein Verbot oder auch eine Regulierung unerlaubte Einschränkung der Meinungs- Rede- und Pressefreiheit wäre; eine Sperre oder ein Verbot von KI-Anwendungen wäre ebenso ein Angriff auf die Meinungs-, Rede-, und Forschungsfreiheit, und davor sollten wir uns hüten.

Frau Mikl-Leitner’s armselige Partner

Wolf Paul, 2023-03-30

Mit ihrem geschlossenen Auszug aus dem Parlament vor der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky hat sich die FPÖ heute – wieder einmal – ein Armutszeugnis ausgestellt.1

Den Unterschied zwischen Täter und Opfer zu verwischen und einem „Frieden“ das Wort zu reden, bei dem der Angreifer behält, was er sich unrechtmäßig genommen hat, ist weder neutral noch demokratisch; das ist ein von Feigheit geprägtes und unmoralisches (Miß-)Verständnis von Neutralität.2

Frau Mikl-Leitner, mit Unterstützung solcher „Partner“ lassen Sie sich ins Amt wiederwählen?3 Mit solchen „Partnern“ wollen Sie regieren? Mit solchen „Partnern“ verbindet Sie ein „gewisses Grundvertrauen“?4

Ich schäme mich für Sie, nachdem Sie es offensichtlich nicht tun.


Das Bild oben zeigt einige der leeren Plätze der FPÖ-Abgeordneten, die zu Beginn von Selenskyjs Ansprache aus braunen Papiersackerln Tafeln mit der Aufschrift “Platz für Frieden” und “Platz für Neutralität” hervorholten, die sie vor sich auf den Pulten platzierten. Dann verließen sie geschlossen den Saal und kamen auch nicht wieder zurück, als Selenskyj über die Kriegsverbrechen Russlands in seinem Land Bericht erstattete.

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  1. Bericht DER STANDARD . Die sozialdemokratischen Abgeordneten, die demonstrativ abwesend waren, sind natürlich um keinen Deut besser.[]
  2. Die österreichische „immerwährende Neutralität“ wird im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 wie folgt definiert:
    (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
    (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.</br /> Die österreichische Neutralität ist also eine militärische, nicht eine politische oder moralische Neutralität.[]
  3. Nachdem die ÖVP bei der Landtagswahl 2023 die absolute Mehrheit verloren hat, und danach Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ gescheitert sind, haben ÖVP und FPÖ zwar keine Koalition, wohl aber ein Arbeitsübereinkomnen geschlossen, nach dem, unter anderem, die FPÖ zwar nicht für Mikl-Leitner als Landeshauptfrau  gestimmt hat, aber auch nicht gegen sie, wodurch die Stimmen der ÖVP ausreichten, um Mikl-Leitner wiederzuwählen.[]
  4. Bericht auf ORF NÖ[]

Endzeitliche Zustände?

Wolf Paul, 2023-03-27

In der gestrigen ZIB21: In Österreich und Deutschland finden nach den USA Verschwörungstheorien und politischer Radikalismus den meisten Zuspruch, aber auch im Rest der Welt nimmt ihr Einfluß zu. Dabei geht es um angeblich gestohlene Wahlen, angeblich gesundheitsschädliche und nutzlose Impfungen gegen eine Pandemie, die angeblich von internationalen Geschäftsleuten wie Bill Gates und George Soros absichtlich herbeigeführt wurde, die angebliche Verantwortung von USA und EU als für den Krieg in der Ukraine, usw.

Gleichzeitig führt in allen Industrienationen (und nicht nur in diesen) ein zunehmender Rückgang der Geburtenrate dazu, daß bereits jetzt den Unternehmen die Mitarbeiter fehlen und Kunden abhanden kommen und in wenigen Jahren die Pensionssysteme nicht mehr finanzierbar sein werden.

Und schließlich scheinen immer mehr christliche Kirchenleitungen2 zu dem Schluß gekommen zu sein, daß biblische Sexuallehre und biblisches Eheverständnis gegen den Widerstand der sekularen „progressiven“ Eliten nicht mehr haltbar ist, und man daher segnen kann und darf, was die Bibel als Sünde bezeichnet.

All das führt zu einer Gesamtsituation in der, wie auch schon früher im Laufe der Geschichte, eine baldige Wiederkunft Jesu wahrscheilich und wünschenswert erscheint. In dieser Situation dürfen wir durchaus beten, „Komm, Herr Jesus!“

Gleichzeitig dürfen wir aber nicht vergessen, daß Jesus gesagt hat, „niemand kennt den Tag oder die Stunde“ seiner Wiederkehr.

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  1. ORF Spätabebd-Nachrichtensendung[]
  2. Church of England, evangelische und Katholische Kirche in Deutschland, usw., selbst einige Freikirchen auch bei uns[]

Schwierige Koalitionsverhandlungen in NÖ

Wolf Paul, 2023-03-10

Die neue profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer schreibt in der heutigen heutigen “profil Morgenpost” über das Scheitern der schwarz-ropten Koalitionsverhandlungen in Niederösterreich.

Angeblich hat noch-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die SPÖ-Forderungen (kostenlose Ganztagsbetreuung im Kindergarten, Ausweitung eines Pilotprojekts zur Jobgarantie für Langzeitarbeitslose, Heizpreisstopp für Haushalte, Anstellungsmodell für pflegende Angehörige, sowie eine Strukturoffensive für vernachlässigte Regionen) als “weitgehend standortgefährdend” bezeichnet.

Ich kann das nicht nachvollziehen. Wenn sie gesagt hättee, “Das können wir uns nicht leisten“, hätte ich das verstanden; aber “standortgefährdend“? Im Gegenteil, gerade in einer Zeit wo viele Firmen große Probleme haben, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten, würden Maßnahmen, die das Land für die Menschen attraktiver machen, es auch als Standort für Firmen attraktiver machen.

Jetzt führt die ÖVP Koalitionsgespräche mit der FPÖ, und ein Erfolg dieser Gespräche wäre wirklich standortgefährdend.

Aber ein ganz großes und wesentliches Problem der ÖVP ist die innere Zerissenheit. Die Bünde, in die die Partei gegliedert ist, vor allem Bauernbund, ÖAAB, und Wirtschaftsbund, funktionieren fast wie separate Parteien, mit teilweise sehr unterschiedlichen Interessen. Man könnte sagen, die ÖVP ist selbst eine Koalition, und tut sich als solche nicht gerade leicht bei Koalitionsverhandlungen mit anderen. Das, was früher die ÖVP-Teilorganisationen verbunden hat, nämlich das christliche (katholische) Welt- und Menschenbild, verliert in der Politik immer mehr an Bedeutung, und damit wird der Zusammenhalt der Bünde immer schwächer.

(nicht mein) Erfolg!

Wolf Paul, 2023-01-25

Gestern habe ich, als Reaktion auf das lange Zögern der deutschen Regierung, der Ukraine deutsche Leopard 2 Panzer zur Verfügung zu stellen, bzw. Ländern wie Polen oder Spanien zu erlauben, ihre Leopard-2 Panzer in die Ukraine zu schicken, folgenden Text auf Facebook gepostet:

Angesichts der Geschichte Deutschlands im vorigen Jahrhundert kann ich verstehen, daß die deutsche Regierung verhindern will, daß deutsche Panzer potentiell wieder durch russisches Territorium rollen (auch wenn es sich dabei um völkerrechtswidrig und gewaltsam annektierte Gebiete handelt). Aber die einzige Lösung dafür wäre gewesen, gar nicht erst in Waffenproduktion und -handel einzusteigen.

Aber sie sind nunmal in dieses Geschäftsfeld eingestiegen und haben davon profitiert, einer Reihe von Staaten zu ihrer Verteidigung deutsche Panzer zu verkaufen.

Wenn nun einige dieser Staaten den völkerrechtswidrigen russischen Krieg gegen die Ukraine als Bedrohung auch für ihre eigene Sicherheit sehen, und daher überlegen, Kyiv einige ihrer Panzer zur gemeinsamen Verteidigung zur Verfügung zu stellen, dann ist Deutschland gut beraten, sich nicht querzulegen und sich damit dem Verdacht auszusetzen, insgeheim auf Russlands Seite zu stehen.

Heute vormittag hat nun die deutsche Regierung bekannt gegeben, in einem ersten Schritt 14 Leopard-2 Panzer aus Bundeswehr-Beständen in die Ukraine zu schicken, und gemeinsam mit NATO-Partnern insgesamt zwei Panzerbataillone, also 88 Panzer, zu schicken.

Meiner Meinung nach ist das die einzig richtige Entscheidung; ich bin natürlich nicht so vermessen, anzunehmen, daß Olaf Scholz meinen Beitrag gelesen hat und daraufhin seine Meinung geändert hat; aber eine gewisse Genugtuung ist es schon, daß einen Tag, nachdem ich das gepostet habe, die deutsche Regierung erkannt hat, daß ich recht habe …

Wie alle vernünftigen Menschen hoffe ich, daß möglichst bald etwas geschieht, wodurch das russische Regime zur Kapitulation, oder zumindest zum Rückzug aus seinem Nachbarland, veranlaßt wird, denn dieser Krieg ist nicht nur für die Ukraine und ihr Volk eine Katastrophe; er ist letztlich auch für die russische Bevölkerung katastrophal und wurde vor allem ohne guten Grund begonnen, wie diese Anekdote klar macht:

Eine Russin wandte sich an ihren Mann und fragte, “Was ist diese spezielle Militäroperation, von der unser glorreicher Führer imer spricht?” Ihr Mann antwortete, “Das ist ein Krieg, um Amerika und die NATO aufzuhalten.” “Ah, gut,” antwortete sie. “Und wie geht es damit?”

“Nun ja,” antwortete er. “bisher haben wirmehr als 20 Generäle verloren, einhundertzehntausend unserer Soldaten sind tot und unzählige weitere verwundet, wir haben dreitausend Panzer, dreihundert Flieger, hunderte Hubschrauber, unzählige gepanzerte Fahrzeuge, Geschütze und LKWs verloren, das Flaggschiff und etliche weitere Schiffe unserer Schwarzmeerflotte worden zerstört, unsere Armee verliert die meisten Kämpfe, und wir mußten zur Zwangsrekrutierung greifen, um unsere Verluste wettzumachen.”

“Schrecklich!” antwortete sie. “Und was ist mit Amerika und der NATO?“

“Die haben sich noch nicht blicken lassen.”1

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  1. Gary Andrews auf Quora auf die Frage, “Hat Putin den Westen überlistet?”[]

Die Prinzen-Rolle ist nicht das Problem

Wolf Paul, 2022-11-13

Im „Standard“ vom 11. November 2022 mokiert sich Florian Wenninger über die Tatsache, daß Kaiserenkel Karl Habsburg sich im gesellschaftlichen Verkehr als Karl von Habsburg titulieren läßt, und meint, „dass die Republik ihn damit durchkommen lässt, ist unerträglich.“

Nun finde ich es durchaus rechtens, daß die junge Republik Österreich im Jahr 1919 den Adel als privilegierten Stand abgeschafft hat, muß aber schon sagen, daß die Hoffnung wohl von Anfang an illusorisch war, daß man damit auch die Unterscheidung zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten abgeschafft hat:

Wenninger zitiert die sozialdemokratische Abgeordnete Adelheid Popp mit den Worten, die Abschaffung des Adels zeige der Bevölkerung, „dass es diesem Hause mit der republikanischen Gesinnung ernst ist. In der Republik kann es keine Privilegien geben, in der Republik kann es nur Menschen geben, die gleichen Rechtes, gleichen Titels und gleichen Ranges sind.“  Das Wort gab es zwar damals noch nicht, aber Frau Popps Formulierung macht klar, was der eigentliche Sinn der Adelsabschaffung war: virtue signalling, Und es ist schon bezeichnend, daß es gerade Parteigranden der Sozialdemokratie waren, die sich in der Zweiten Republik am aristokratischsten geriert und sich auch entsprechende Privilegien herausgenommen haben.

Allerdings kann ich die Streichung des adeligen „von“ sowie von Adelsprädikaten und Standesbezeichnungen in offiziellen Dokumenten sowie im Umgang des Staates mit seinen Bürgern durchaus nachvollziehen; das Führen dieser Bezeichnungen jedoch auch im privaten und gesellschaftlichen Verkehr zu verbieten, schießt über das Ziel hinaus und war schon damals lächerlich; heute ist es schlicht unzeitgemäß. In einer Zeit, in der sich jeder nach Belieben als Mann oder Frau bezeichnen, und die Verwendung dieser Bezeichnung auch gerichtlich einklagen kann, ist das Verbot von Fantasie-Bezeichnungen, nur weil sie bis vor rund hundert Jahren eine reale Bedeutung hatten, mehr als bizarr.

Wenningers begeisterte Charakterisierung dieses Verbotes ist auch ziemlich bizarr:

Das schließlich einstimmig beschlossene Verbot, “von” im Namen zu führen, die Untersagung von Adelsprädikaten (Durchlaucht u. Ä.) und Standesbezeichnungen (Baron etc.) stehen in der Tradition der großen republikanischen Deklarationen, der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ebenso wie der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789. Sie alle postulieren: Demokratie braucht Gleichheit. Die Existenz einer Aristokratie steht dazu im diametralen Gegensatz.

Der Unterschied zwischen dem österreichischen Verbot und den großen republikanischen Deklarationen ist, daß diese sich nicht mit kleinlichen Verboten von Selbstbezeichnungen abgeben, 

Es ist nicht unerträglich sondern vernünftig, daß die Republik nicht eingreift, wenn Karl Habsburg ein „von“ im Namen führt. Es ist jedoch unverständlich, daß dieses Verbot nicht längst aufgehoben wurde, und daß es auch hundert Jahre nach der Abschaffung des Adels immer noch Menschen gibt, die sich und die Republik durch diese traditionellen Bezeichnungen bedroht wähnen.