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Wolf’s Notes

… about faith, life, technology, etc.

Ein Testosteron-getriebener Liebesbeweis?

2022-09-26 Wolf Paul

 Elfriede Hammerl, mit der ich nicht immer einer Meinung bin, deren Artikel im profil mich aber immer wieder zum Nachdenken bringen, erzählt im profil-Podcast eine Geschichte, die, gelinde gesagt, ein Armutszeugnis für unsere Gesetzeshüter ist:

Eine 16-jährigen Schülerin geht mit einer Freundin zur Polizei, um auf Rat einer Lehrerin einen Vergewaltigungsversuch durch einen 20-jährigen Bekannten anzuzeigen, und wird dort auf demütigende Weise „abgewimmelt.“

Es fängt an mit der Begrüßung durch einen Polizisten: „Na, seid’s ihr auch da, weil euch jemand aufs Popscherl geklopft hat?“

Sie bittet darum, mit einer Polizistin zu sprechen, aber auch dieses Gespräch verläuft äußerst unbefriedigend.

„Wieviel dumpfe, sexistiscche Idiotie hat sich in Köpfen abgelagert, auch in denen von Frauen, wenn eine Polizeibeamtin einen Vergewaltigungsversuch als Ausdruck verliebten Werbens deklariert, und einen hohen Testosteronspiegel als Entschuldigung für überhaupt alles,“ fragt Frau Hammerl, völlig zurecht.

Daß das Vertrauen der Schülerin (und auch der Lehrerin) in die Polizei erschüttert oder sogar völlig zerstört ist, versteht sich von selbst.

Wir leben in einer sehr widersprüchlichen Welt:

Einerseits wurde mir vor Jahren als Vater einer Teenage-Tochter von naïv-idealistischen Feministinnen gesagt, daß ich meiner Tochter nicht sagen darf, nächtens nicht leicht bekleidet in bestimmten Gegenden unserer Stadt herumzulaufen. Warum? Weil ich dadurch Gewalt- und Mißbrauchstäter „ermächtigen“ würde, und weil das meiner Tochter die Schuld an eventuellen Übergriffen geben würde. Vielmehr müsse man daran arbeiten, daß Männer lernen, sich zu beherrschen und schöne Frauen zu bewundern, ohne an Sex zu denken; und freizügige Kleidung habe ohnehin nichts damit zu tun.

Dabei ignorieren diese naïven Idealisten ein paar Fakten:

  • Meine Warnung an meine Tochter betraf Zufallsbegegnungen mit Unbekannten, die in dieser Situation sicher nichts lernen wollen und werden;
  • Wer behauptet, daß freizügige Kleidung nichts mit sexuell motivierter Gewalt durch Männer zu tun hat, hat keine Ahnung vom männlichen Sexualtrieb;
  • Und auch die Vorstellung, daß Männer schöne Frauen bewundern können ohne an Sex zu denken, zeugt von großer Ignoranz. Natürlich verwerfen und unterdrücken die meisten Männer solche Gedanken oder beschränken sich auf anzügliche Blicke oder Pfiffe.

Andererseits stehen offenbar manche Polizisten und Polizistinnen (und nicht nur sie) auf dem Standpunkt, daß sexuelle Belästigung und sogar (versuchte) Vergewaltigung im Bekanntenkreis, durch scheinbar vertrauenswürdige Personen, nicht mehr ist, als ein ungeschickter und Testosteron-getriebener Liebesbeweis, und daß sich die Frauen doch bitte nicht so anstellen mögen.

Das zerstört nicht nur das Vertrauen betroffener Frauen in die Polizei und den Rechtsstaat insgesamt; sondern es zerstört auch mein Vertrauen, daß die Polizei auf sexuelle Gewalt bei Zufallsbegegnungen im öffentlichen Raum angemessen reagieren würde, statt zu sagen, „Na, hättest Dich halt anders angezogen.“

Das, und nicht meine Warnungen an meine Tochter, „ermächtigt“ Männer, die ihren Sexualtrieb nicht unter Kontrolle haben und die Mädchen und Frauen für Freiwild halten.

Und es macht meine Warnung an meine Tochter umso notwendiger, für alle Frauen. Und diese Warnung ermächtigt und entschuldigt nichts; weist auch den Frauen keine Schuld zu; sondern nimmt zur Kenntnis, daß wir in einer verdorbenen (oder, wie die Bibel sagt, sündigen) Gesellschaft leben.

Sonderbare Bettgenossen

2022-09-01 Wolf Paul

Das Karl-May-Magazin berichtet über die Münchner Premiere des frei nach Motiven von Karl May erzählen und rund um den sonderbaren Rückzieher des Ravensburger-Verlages bereits kontrovers diskutierten Filmes „Der junge Häuptling Winnetou“, am 7. August 2022 (der Film ist seit 11. August in den Kinos).

Natürlich wurde in der Pressekonferenz nach der Uraufführung auch die kulturpolitisch heiße Frage gestellt: Indigene als Filmfiguren, die auch noch überwiegend deutsch besetzt sind – geht das heute überhaupt noch?

Regisseur Mike Marzuk antwortet auf diese Frage nicht ganz politisch korrekt, daß das in einem deutschsprachigen Film kaum zu umgehen sei, spricht dann doch noch politisch korrekt mehrmals von „Native Americans“ statt von Indianern und meint abschließend, „Wir drehen gern Filme über Freundschaft, auch über kulturübergreifende Freundschaften. Aber Filme sollen nicht unterrichten, sondern unterhalten.

Und es ist diese Aussage (der ich durchaus zustimme), die für mich eine interessante Gemeinsamkeit von konservativ-fundamentalistischen, vor allem evangelikalen Christen einerseits und „woken,“ „progressiv“-fundamentalistischen Aktivisten andererseits, aufzeigt; im Englischen spricht man von „strange bedfellows“, sonderbaren Bettgenossen:

Beide lehnen nämlich diese These von Regisseur Marzuk ab und sehen Romane und Filme nur dann als gerechtfertigt an, wenn diese sehr wohl primär als Lehrmittel angelegt sind: Sie sollen nicht nur unterhalten (das natürlich auch, sonst fänden sie ja kein Publikum), sondern unbedingt auch Wahrheiten vermitteln, theologisch-korrekte für die Christen und politisch-korrekte für die Progressiven.

Deshalb sind im konservativ-christlichen Lager hauptsächlich Romane erfolgreich (und werden dann auch verfilmt), die irgendein Thema „biblisch“ beleuchten[1] ; diese werden dann von ihrem Zielpublikum auch oft nicht als Fiktion gelesen, sondern als biblisch-theologische Glaubens- und Lebensratgeber. Gleichzeitig wird von manchen gegen Filme, die sich auf „christliche“ Themen beziehen und dabei das christliche Wahrheits- und Ehrfurchtsgefühl verletzen[2] ähnlich vehement protestiert, wie von moslemischen Fundamentalisten gegen die Satanischen Verse oder Charlie Hebdo, wenn auch ohne Gewalt.

Und ebenso hält man im „progressiven“ Lager Literatur und Filme, die nicht der aktuellen politischen Korrektheit entsprechen (darunter auch viele Klassiker der Weltliteratur), für entbehrlich, ja sogar gefährlich, und geht daher mit den Mitteln der „Cancel Culture“ dagegen vor, damit z.B. Verlage diese (Beispiel Ravensburger) zurückziehen, Kinos sie boykottieren oder Unis sie aus den Lehrplänen streichen.

Ich halte solche Proteste und „Cancellations“ für kontraproduktiv. Kaum jemand bekehrt sich zu Christus, weil er  von Demonstranten am Kinobesuch gehindert wird, oder zu einer „progressiven“, anti-kolonialistischen Geisteshaltung, weil irgendwo gegen einen schwarz geschminkten Othello-Darsteller demonstriert wird.

Überzeugungsarbeit sieht anders aus: dem Anderen Intoleranz vorzuwerfen, wenn man es selbst an Toleranz gegenüber Andersdenkenden mangeln läßt, ist selten überzeugend.

Und diejenigen, die solche explizit belehrenden Romane schreiben bzw Filme produzieren, sind meist keine wirklichen Künstler (denn die lassen sich normalerweise keinen ideologischen Maulkorb, welcher Art auch immer, anlegen), sondern bestenfalls gute Handwerker, und das, was sie produzieren ist dann auch nicht Kunst, sondern solide, gut verkäufliche Handwerksarbeit.

 

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  1. z.B. Finsternis dieser Welt usw von Frank Peretti oder die FinaleSerie von LaHaye und Jenkins[]
  2. z.B. Das Leben des BrianDie letzte Versuchung Christi, aber auch Sakrileg (The DaVinci Code), die Harry Potter Bücher und Filme, und von manchen sogar Tolkiens Der Herr der Ringe[]

„Kulturelle Aneignung” als Vorwurf?

2022-08-22 Wolf Paul

Der Ravensburger Verlag hat das Buch Der junge Häuptling Winnetou nach dem gleichnamigen Film zurückgezogen, weil ihm kritische Stimmen eine der aktuellen Todsünden, nämlich „kulturelle Aneignung“, vorwerfen.

Ich halte den Rückzieher von Ravensburger für reines virtue signalling und stimme voll und ganz mit dieser Aussage der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter überein, die das Konzept der kulturellen Aneignung als Vorwurf für sehr problematisch und absurd hält:

«Die Skandalisierung der kulturellen Aneignungen weist eine Reihe von Absurditäten auf. Eine betrifft die Folgen, die sich ergeben, wenn man die geforderten Nutzungsbeschränkungen zu Ende denkt. Dann müssten bei jedem Gegenstand, jedem Stil, jeder Form kulturellen Ausdrucks die Urheber ausfindig gemacht und ihr Gebrauch auf diese Urheber beschränkt werden.

Menschen haben stets Dinge von anderen übernommen, wenn sie diese für sinnvoll erachtet haben. Um es auf den Punkt zu bringen, ist die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte.

Kulturelle Aneignung ist wohl die wichtigste Kulturtechnik, die ein friedliches Zusammenwachsen möglich macht.»[1]

Leider ist das konsequente Zu-Ende-Denken der eigenen Ideen und Forderungen etwas, was die wenigsten “progressiven” Aktivisten schaffen, und Menschen wie die Ravensburger Verlagsleitung denken leider die Folgen ihres Rückziehers auch nicht zu Ende: Wer bestimmt wohl in ein paar Jahren das Verlagsprogramm?

Neben der kulturellen Aneignung wirft man Karl Mays Büchern, dem diesen entfernt darauf basierenden Film, sowie dem Buch zum Film, „rassistische Vorurteile“ und eine „kolonialistische Erzählweise“ vor.

Aber gerade May, bei dessen Büchern es sich um reine Phantasieprodukte, um Märchen also, handelt (was man mich, als jungen Leser vor 57 Jahren, von Seiten der Erwachsenen auch keine Minute vergessen ließ), beschreibt seine Charaktere, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, durchaus differenziert: sowohl unter den Weißen als auch unter den „Indianern“ gibt es Gute wie Böse, und gerade May thematisiert auch die zunehmende Unterdrückung der „Indianer“ durch die weißen Einwanderer.

Sowohl Film als auch Buch Der junge Häuptling Winnetou basieren nun mal auf Karl Mays Material und seinen Charakteren, und können diese nicht einfach umschreiben.

Ich glaube, daß der Drang, solche Bücher zu verbannen, und auch die genre-getreue Verfilmung solcher Bücher zu unterbinden, ebenso wie das cancelling historischer Persönlichkeiten, die keine aus unserer heutigen Sicht blütenreine Weste haben, einer verständlichen und nachvollziehbaren Scham über die historischen Vorurteile und Schandtaten unserer Kultur und Vorfahren entspringt; aber so zu tun, als hätte es die Vorurteile und Schandtaten nie gegeben, indem wir ihre Werke, soweit sie unseren heutigen ethischen Standards nicht hundertprozentig entsprechen, macht uns nicht zu besseren Menschen und ist keine gesunde Vorgehensweise. Viel wichtiger wäre es, sich um die heute existierenden Vorurteile und die daraus entspringenden Schandtaten zu kümmern und diese zu bekämpfen.

(Das Titelbild dieses Artikels ist eine „gestauchte“ Version des Filmplakats zu Der junge Häuptling Winnetou. Sollte sich jemand dadurch in seinen Rechten verletzt fühlen, bitte ich um Mitteilung und werde es dann natürlich entfernen.)

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  1. Zitiert nach dem ORF Online Bericht, Wirbel um Rückzieher von Ravensburger[]

Untersuchungs­aus­schüsse und Korruptionsvorwürfe

2022-04-21 Wolf Paul

Seit Monaten laufen nun in Österreich Korruptionsermittlungen. Angefangen hat es mit dem Ibiza-Video mit den Herren Strache und Gudenus, zu dem dann, trotz des Rücktritts dieser beiden FPÖ-Politiker, auf Verlangen der Opposition ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde. Dieser Ausschuß begann ziemlich schnell, auch andere Vorwürfe zu untersuchen, die weder mit dem Ibiza-Video noch mit der FPÖ und ihren Politikern zu tun hatten, sondern die sich vornehmlich gegen ÖVP-Politiker richteten.

Seither ermitteln sowohl der Ausschuß als auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen alle möglichen aktiven und ehemaligen ÖVP-Politiker und ihnen nahestehende Personen, wobei alle möglichen fragwürdigen Vorgänge aufgedeckt wurden, größtenteils durch SMS und andere Chatverläufe dokumentiert.

Vor Kurzem nun stellte einer meiner Facebook-Freunde die Frage, wie weit solche Untersuchungen, die ja sehr viel Geld und Zeit kosten, von Verantwortungsbewußtsein getrieben sind, und wie weit von anderen Motiven.

Es macht natürlich schon nachdenklich und betroffen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unbekümmertheit sich unsere “Oberen” über die Regeln und Gesetze, die sie ja selbst beschlossen haben, hinwegsetzen[1], und zwar entweder ohne jedes Schuldbewußtsein, denn sonst würden sie ja diese Aktivitäten nicht schriftlich festhalten, oder aber mit beispielloser Naivität, falls ihnen nicht bewußt ist, daß auch ein elektronischer “Paper Trail” nachverfolgbar ist.

Momentan triffts die Türkisen, weil sie an der Macht und die anderen in Opposition sind; ich glaube jedoch keinen Augenblick, daß es bei umgekehrtem Vorzeichen wirklich anders aussehen würde. Es gibt ja nicht ohne Grund im Deutschen den Begriff “Parteibuchwirtschaft“, und zwar nicht erst seit sich die ÖVP von Schwarz nach Türkis umgefärbt hat.

Und genau deshalb glaube ich nicht, daß es beim Ibiza-Ausschuß und den daraus resultierenden strafrechtlichen Untersuchungen um Verantwortungsbewußtsein geht; vielmehr geht es darum, den politischen Gegner auflaufen zu lassen, und ihn, sozusagen am Pranger, vorzuführen.

Politik ist und war immer schon ein schmutziges Geschäft, auf allen Seiten, und wer sich darauf einläßt, auch mit den besten Motiven, bekommt unweigerlich einiges von dem Dreck ab, und sei es auch nur durch die unvermeidlichen Loyalitätsbezeugungen gegenüber Kollegen und Parteiführer, denen irgendwann mal Dreck am Stecken nachgewiesen wird.

Und Politik wird auch ein schmutziges Geschäft bleiben: der jugendliche Wunderwuzzi, der “eine andere Art der Politik” verspricht, bringt letztlich nur weniger Lebenserfahrung[2], mehr Unbedarftheit, und sehr viel jugendliche Arroganz zu seiner Aufgabe, wie unser kurzer Kanzler anschaulich demonstriert hat.

Christen waren ja immer schon gespalten über der Frage, ob und wie weit sich Christen politisch engagieren dürfen oder sollen. Ich glaube, daß wir uns nicht beschweren dürfen, daß unsere Gesellschaft immer weltlicher wird, wenn wir Christen uns nicht in allen Bereichen engagieren, wo ein solches Engagement nicht in sich gegen Gottes Gebote verstößt. Deshalb habe ich auch durchaus Verständnis für Christen, die sich in der Politik engagieren uns sich z.B. als Kandidaten aufstellen lassen, auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene, damit sie in diesen Institutionen christliche Werte vertreten und verteidigen können. Sie haben meine Sympathie, mein Verständnis, und meine Gebete.

Und ein wesentliches Gebet ist, daß solche christlichen Politiker nicht nur dem Dreck ausweichen können, den es in der Politik unweigerlich gibt, sondern daß sie auch vor jeder Versuchung bewahrt bleiben, das schmutzige Spiel nach den schmutzigen Regeln mitzuspielen. Die Wiederwahl ist nicht alles wert.

 

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  1. Das ist kein rein österreichisches Phänomen, darum geht es derzeit auch im britischen Partygate-Skandal, betreffend ranghohe Politiker und Beamte, bis hinauf zu Premierminister Boris Johnson, die sich über die Covid-19 Lockdownbestimmungen hinwegsetzten und Parties veranstalteten, für die normalsterbliche Bürger von der Polizei streng abgestraft wurden[]
  2. Mangelnde Politikerfahrung gilt ja als Vorteil[]

Österreich, Rußlands Tunnel ins Herz Europas?

2022-04-20 Wolf Paul

In einem Artikel im “New Statesman” mit dem Titel “Austria is Russia’s tunnel into the heart of Europe” (“Österreich ist Rußlands Tunnel in das Herz Europas“) schreibt Liam Hoare, “The country’s attachment to neutrality has led it to cultivate obsequious relations with Russian energy and espionage,” auf Deutsch, “Das Festhalten an der Neutralität hat Österreich dazu geführt, unterwürfige Beziehungen mit Russland in den Bereichen Energie und Spionage zu kultivieren,” und beschreibt dann weiter die engen Beziehungen zwischen Österreich und zunächst der Sowjetunion und dann der Russischen Föderation.

Nachdem ich von einigen Leuten gefragt wurde, was ich davon halte, hier meine Meinung dazu:

Das österreichische Neutralitätsgesetz 1955 (ein Verfassungsgesetz) definiert Österreichs Neutralität ausschließlich militärisch, und verbietet lediglich (a) die Mitgliedschaft in Militärbündnissen sowie (b) die Errichtung ausländischer Militärstützpunkte auf österreichischem Staatsgebiet.

Auszug aus dem Bundesgesetzblatt, “Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs”

Im Verlauf der Geschichte der Zweiten Republik hat Österreich immer wieder betont, daß wir nicht politisch neutral sind (und auch nicht sein müssen) sondern eindeutig zum westlichen Lager gehören – wenn es denn opportun war, also z.B. im Gespräch mit westlichen Regierungen und Politikern. Andererseits hat Österreich auch immer wieder eine wesentlich breiter verstandene Neutralität betont, wenn diese opportun war, also z.B. im Gespräch mit der Sowjetunion/Rußland und den Ländern des Ostblocks.

Österreichische Regierungen beider Couleurs (ÖVP und SPÖ) haben nach innen, dem österreichischen Volk gegenüber, immer betont, “Wir sind natürlich nicht moralisch neutral,” und russische Aggressionen wie die Einmärsche in Ungarn 1956 und Tschechoslowakei 1968, oder das angedrohte Eingreifen in Polen 1988 wurden ebenso offiziell verurteilt wie der Krieg gegen die Ukraine 2022. Es wurde auch betont, daß unsere Neutralität uns zu Vermittlern in diversen Konflikten prädestiniert. Gleichzeitig hat Österreich während und trotz dieser Aktionen profitable Geschäftsbeziehungen zur Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten unterhalten. Und wie alle anderen westlichen Staaten hat auch Österreich nach dem Zerfall der Sowjetunion russische Oligarchen und ihr Geld willkommen geheißen, obwohl jedem denkenden Menschen klar sein mußte, daß so kurz nach dem Ende der Sowjetwirtschaft solche Vermögen nur durch die korrupte Aneignung von Staatsvermögen der Nachfolgestaaten zustande gekommen sein konnten.

In einer Situation, in der es nie ein Risiko feindseliger Handlungen gegen Österreich von Seiten westlicher Staaten oder der NATO gab, wohl aber ein solches Risiko von Seiten der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, war die offizielle Position, die den Bürgern kommuniziert wurde, daß jeder der beiden Blöcke unsere Sicherheit vor den Aggressionen des jeweils anderen Blocks garantieren würde, und daß das Bundesheer, so klein und schwach es ist, neben seiner Funktion als Katastrophenhilfsorganisation, lediglich als symbolischer Beweis für unsere Bereitschaft dient, unsere Neutralität zu verteidigen, während die eigentliche Verteidigung in den Händen der Signatarmächte des Staatsvertrags lag.

Heute ist in der österreichischen Bevölkerung die Idee weit verbreitet, daß Kritik an der russischen Invasion der Ukraine durch das offizielle Österreich unsere Neutralität verletzt und daher problematisch ist; angesichts von Meldungen, daß Finnland und Schweden angesichts der russischen Aggression bereit sind, ihre Neutralität aufzugeben und der NATO beizutreten, ist der Prozentsatz der österreichischen Bevölkerung, der davon überzeugt ist, daß eine wesentlich breiter als nur militärisch verstandene Neutralität für Österreichs Existenz und Wohlergehen unabdingbar ist, auf 91% gestiegen, und zwar quer durch das ganze politische Spektrum.

Österreichs opportunistische Einstellung zur Neutralität ist aus dem gleichen Stoff geschneidert wie die langjährige Fiktion, daß Österreich das erste Opfer der Nazis war, und nicht ein integraler Teil des Dritten Reiches oder eine Nation williger Mittäter des Nazi-Regimes. Ein Lieblingsspruch meines Vaters war, “In Österreich war Hitler ein erfolgloser Anstreicher; erst die Deutschen haben ihn zum Führer gemacht” – eine Einstellung, die den Deuschen die Schuld an Hitler und den Nazis zuschiebt und dabei ignoriert, daß Hitlers Ideen sich im fruchtbaren Boden des politischen und intellektuellen Klimas der Ersten Republik entwickelt haben, und daß ein Gutteil der österreichischen Bevölkerung den Anschluß durchaus willkommen geheißen hat.

Erst 1991 hat der damalige Bundeskanzler die Rolle der Österreicher im Terror-Regime der Nazis, sowohl im Inland als auch im Ausland, offiziell eingestanden und sich dafür entschuldigt, und damit auch die Mär von Österreich als Hitlers erstem Opfer aufgegeben – ein Eingeständnis und eine Entschuldigung, die durchaus nicht von allen Österreichern goutiert wurden.

Meiner Meinung nach beschreibt der Artikel im New Statesman also durchaus die Realität, wie sie heute und bereits seit 1955 existiert.

Die plötzliche moralische Entrüstung über russische Oligarchen

2022-04-07 Wolf Paul

In den letzten Wochen gibt es immer wieder Berichte über das schwierige Leben, das russische Oligarchen aufgrund der Sanktionen haben, welche EU und USA und etliche andere Staaten nach dem illegalen und nicht zu rechtfertigenden Angriff Putins auf die Ukraine verhängt haben. Die meisten dieser Berichte sind von einem Grad an moralischer Entrüstung und Schadenfreude über das Jammern dieser Oligarchen, die sich plötzlich in ihrem Lebensstil einschränken müssen, gekennzeichnet.

Ein Beispiel dafür ist dieser Bericht in der Londoner Daily Mail, den die deutsche Kreiszeitung aufgegriffen hat. Darin wird ein “persönlicher Assistent russischer Oligarchen” zitiert, der seiner moralischen Entrüstung über das Jammern seiner Klienten und deren mangelndes Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine Ausdruck verleiht.

Seine moralische Entrüstung in Ehren, aber wie soll man das einordnen, wenn er einfach auflegt, wenn seine Klienten ihn jammernd anrufen und diverse Wünsche äußern? Wieviel von seiner Arbeitsverweigerung hat letztlich damit zu tun, daß seine Klienten aufgrund ihrer sanktionsbedingt eingefrorenen Konten sein Honorar nicht mehr zahlen können?

Denn es war ja denkenden Menschen immer schon klar, daß der einzige Weg, wie Russen nach dem Kollaps der Sowjetunion zu plötzlichen Reichtum kommen konnten, so lief, daß sie sich im Zuge der Privatisierung der ehemals verstaatlichten Sowjetwirtschaft mit Duldung bzw tatkräftiger Unterstützung durch die Herren Gorbachev, Yeltsin, Putin, usw., auf korrupte Weise deren Filetstücke unter den Nagel gerissen haben – sie haben sich also russisches Volksvermögen angeeignetund sind, genau betrachtet, nichts anderes als Diebe im großen Stil.

Das hat diesen “persönlichen Assistenten” offenbar nicht gestört, genausowenig wie die Vielen im Westen, darunter individuelle Politiker, politische Parteien, und sogar Regierungen, die lange Zeit ohne Skrupel lukrative Geschäfte mit diesen Verbrechern machten, getreu dem alten Motto, “Pecunia non olet.”

Ukraine-Krieg: Unnütze Spekulationen

2022-03-03 Wolf Paul

Seit dem Beginn des von Putin angezettelten Krieges gegen die Ukraine bin ich auf sozialen Medien auf einige Kommentare von Christen gestoßen, bei denen ich mir nur an den Kopf greifen kann. Ich möchte zwei davon ansprechen.

Das Endzeit-Szenario

Das ist die Idee, daß der Krieg gegen die Ukraine Teil der Ereignisse ist, die im Neuen Testament für die Endzeit, kurz vor der Wiederkunft Christi, vorhergesagt werden. Deshalb ist es nicht nur sinnlos für ein Ende dieses Krieges zu beten, sondern stellt auch Ungehorsam gegenüber Gott dar. Er hat das vorherbestimmt und vorhergesagt, es passiert, und dagegen anbeten ist sinnlos.

Leute, das ist eine ganz zynische, unbiblische und unchristliche Vorstellung, Schwachsinn pur!

Die Heilige Schrift sagt uns, daß Gott keine Freude hat am Tod des Sünders, sie sagt uns auch, daß Jesus der Friedefürst ist und wir Friedensstifter sein sollen. Und schließlich sagt sie uns auch, daß wir zwar jederzeit für Jesu Wiederkunft bereit sein sollen, jedoch eitle Spekulationen über die Endzeit meiden sollen. Deshalb ist es nie falsch, für ein Ende von Krieg, Leid, Not, Armut, usw. zu beten sondern immer eine heilige Aufgabe für alle, die sich Jünger Jesu nennen.

Was Gott dann damit macht, wie Er unsere gebete erhört und beantwortet, ist eine andere Frage; aber beten dürfen und sollen wir — und auch aktiv und praktisch helfen, so wie es uns möglich ist.

Das Straf-Szenario

Einige Christen haben geäußert, daß Putins Invasion wohl Gottes Strafe ist für die liberale Abtreibungs-Gesetzgebung der Ukraine, für die vielen ungeborenen Kinder, die dort jeden Tag sterben – und wer sind wir denn, daß wir gegen Gottes Strafe anbeten wollen?

Ich halte das für selbstgerechten Unsinn, eine weder biblisch noch durch sonstige Fakten belegbare Privatmeinung, die uns nicht von der Pflicht entbindet, für Frieden zu beten und wo es geht, praktisch zu helfen.

Erstens finden in Russland wesentlich mehr Abtreibungen statt, als in der Ukraine, und zweitens “verdanken” beide Länder ihre Abtreibungsgesetze der Sowjetunion, wo man nicht davon reden kann, daß diese Gesetze demokratisch beschlossen worden wären.

Im Gegensatz dazu bewegen sich unsere westlichen Staaten sehr wohl auf demokratischem Weg in Richtung immer “liberalerer” Gesetzgebung, sowohl was Abtreibung als auch Sterbehilfe und Euthanasie angeht.

Wenn also jemand so eine drastische Strafe Gottes verdient hätte, dann ist das wohl nicht die Ukraine. Überhaupt ist es nicht nur ziemlich arrogant, irgendwelche katastrophalen Ereignisse als Gottesstrafe für jemand anderen zu bezeichnen, sondern es verletzt auch das biblische Gebot, nicht zu richten.

Und Putin als Verteidiger christlicher Werte ist überhaupt eine perverse Vorstellung.

Die am schnellsten wachsende Weltreligion

2022-02-24 Wolf Paul

Umfragen in USA legen nahe, daß 84% der Amerikaner der Aussage zu­stimmen, “Das wichtigste Ziel des Menschen ist, das Leben zu genießen.” Und weiter, um das Leben zu genießen, so meinen 86%, muß man “den Dingen nachjagen, die man sich am sehnlichsten wünscht.” Diese Umfrage-Ergebnisse stammen zwar aus den USA, aber ich habe nicht den Eindruck, daß die Gesellschaft hier bei uns in Europa wesentlich anders tickt, und ich glaube auch nur wenige Christen können sagen, daß sie noch nie der Versuchung erlegen sind, ähnlich zu denken. Ich sicher nicht.

In einem Beitrags auf der Website der Gospel Coalition, “Self-Worship is the World’s Fastest-Growing Religion”, schreibt Thaddeus Williams unter anderem:

Damit hat unsere heutige Gesellschaft die Antwort des Katechismus von Westminster umgedreht, so daß sie lautet, “Das höchste Ziel des Menschen ist, sich selbst zu verherrlichen und das Leben für immer genießen.” Man könnte sogar argumentieren, daß Selbstverehrung die am schnellsten wachsende Religion der Welt ist. Sie ist sicherlich die älteste, wie die Lektüre von Genesis 3 klarmacht. Und diese Religion liegt auch den meisten heißen Themen unserer Zeit, in Politik und Gesellschaft, zu Grunde.

Sechs Gebote

Dies sind die heiligen Gebote dieser uralten und immer noch mo­dernen Weltreligion:

  • Dein Verstand ist die Quelle und der Maßstab der Wahrheit, des­halb vertraue dir selbst, egal was kommt. #dieantwortistindir
  • Deine Gefühle sind maßgeblich, also stelle sie nie in Frage und laß auch nicht zu, daß sie von Anderen in Frage gestellt weren. #folgedeinemherz
  • Du bist souverän, also spiele deine Allmacht aus und biege dir die Welt nach deinen Träumen und Wünschen zurecht. #lebedeinewahrheit
  • Du bist der/die Allerhöchste, also handle immer nach deinem höchsten Ziel, dich selbst zu verherrlichen und das Leben für immer zu genießen. #yolo
  • Du bist das “summum bonum” – der Maßstab alles Guten – also laß dich von niemand unterdrücken mit der altmodischen Vorstellung, ein Sünder zu sein, der Gnade braucht. #bleibwiedubist
  • Du bist dein eigener Schöpfer, also nutze diese unbegrenzte kreative Kraft, um deine Identität und Ziel zu formen. #authentischleben

Weil mir die Zeit fehlt, mich um Übersetzungsrechte zu bemühen, ist der ganze Artikel nur auf Englisch verfügbar: “Self-Worship is the World’s Fastest-Growing Religion”

Zensur?

2022-02-04 Wolf Paul

Es kommt immer wieder vor, daß Anschuldigungen von “Zensur” erhoben werden, vor Kurzem bezüglich eines Videoclips einer Predigt von Pastor John McArthur über “biblische Sexualtiät”, und ganz aktuell, weil etliche prominente Musiker ihre Musik von Spotify entfernt haben, weil Spotify auch dem kontroversen Podcaster Joe Rogan eine Plattform bietet.

Aber was ist Zensur überhaupt?

Hier sind die ersten Abs¨atze des Eintrags “Censorship” in der englischen Wikipedia, von mir übersetzt, weil ich sie hilfreicher finde als den parallelen Eintrag in der deutschen Wikipedia:

Zensur ist die Unterdrückung von Rede, öffentlicher Kommunikation, oder anderer Information. Dies kann geschehen, weil das zensierte Material anstößig, gefährlich, vertraulich, oder einfach “unbequem” ist. Zensur kann durch Regierungen, private Einrichtungen, sowie andere Institutionen erfolgen.

Regierungen und private Einrichtungen können selbst Zensur ausüben; andere Gruppen oder Einrichtungen können Zensur beantragen oder vorschlagen. Wenn eine Person, wie ein Autor oder anderer Schöpfer von Inhalten, ihre eigenen Werke zensiert, spricht man von Selbstzensur. Allgemeine Zensur gibt es in einer Vielzahl unterschiedlicher Medien, wie Rede, Bücher, Filme und andere Kunstwerke, die Presse, Radio, Fernsehen und das Internet, mit einer vielzahl von angegebenen Begründungen wie der nationalen Sicherheit, der Verhinderung von Obszönitäten, Kinderpornografie, und Haßrede, um Kinder und andere verletzbare Gruppen zu beschützen, um politische oder religiöse Ansichten zu verbreiten oder einzuschränken, sowie zur Vermeidung von übler Nachrede und Ehrenbeleidigung.

Direkte Zensur kann legal sein oder auch nicht, abhängig von Art, Ort, und Inhalt. Viele Länder verbieten Zensur per Gesetz, aber keines dieser Verbote ist absolut, und oft ist die Rede von der Notwendigkeit, miteinander im Widerspruch stehende Rechte abzuwägen, um Zensur zu erlauben oder zu untersagen. Selbstzensur unterliegt keinen Gesetzen.

Das ist ein guter Ausgangspunkt, weil er unterstreicht, daß Zensur nicht immer illegal oder negativ ist. Im Allgemeinen gibt es in unseren “westlichen” liberalen Demokratien “westlichen” verfassungsrechtliche Garantien von Rede- und Meinungsfreiheit, welche stark einschränken, wie, wo, und wann die Organe der Regierung und öffentlichen Verwaltung Zensur ausüben dürfen, aber Privatpersonen und private Einrichtungen haben mehr Rechte, unerwünschte Rede und Meinungsäußerung zu unterdrücken. So kann eine Behörde zumeist nicht verbieten, daß jemand ein Plakat mit der Aussage, “Es gibt keinen Gott”, aufstellt, ist der private Besitzer einer Plakatwand nicht verpflichtet, dieses Plakat an seiner Wand anzubringen; die Behörde kann einem Atheisten nicht verbieten, Menschen anzusprechen und ihnen seinen Atheismus schmackhaft zu machen, aber Du mußt diesen Atheisten nicht in Dein Haus lassen und ihm erlauben, dort zu Deiner Familie und Deinen Gästen zu reden. Genausowenig muß eine Kirchengemeinde diesen Atheisten auf ihre Kanzel lassen, ebensowenig wie sie irgendjemanden anderen auf die Kanzel lassen muß, der ihren Lehren widerspricht.

Wenn YouTube also Videomaterial von seiner Seite entfernt, wie diesen Videoclip, wo John McArthur verkündet, “Transgender gibt es nicht. Man ist entweder XX oder XY. Das ist alles.”, dann stellt sich die Frage, inwieweit ist YouTube öffentlicher Raum? Das gleiche gilt für Facebook, Twitter, Instagram, usw. Das sind schließliche Privatfirmen, und sind ihre Plattformen nicht öffentlicher, sondern privater Raum. Schließlich muß jeder, der auf ihnen Inhalte zur Verfügung stellen will, den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen, die auch inhaltliche Richtlinien beinhalten. Wenn diese Richtlinien “Haßrede” verbieten, und die Definition von Haßrede der Plattformbetreiber das Leugnen der Realität von Transgender, oder das Leugnen der Legitimität verschiedener sexueller Orientierungen, oder das Leugnen der Legitimität der gleichgeschlechtlichen Ehe umfaßt, dann bewegen sie sich klar im gesetzlichen Rahmen, wenn sie solche Inhalte löschen. Das ist auch deshalb nicht wirklich Zensur, weil sie ja niemandem verbieten, seine Meinung zu sagen, sondern sich lediglich weigern, ihren privaten Raum für die Verbreitung dieser Meinung zur Verfügung zu stellen. Es ist genau das gleiche, wie wenn eine Kirchengemeinde es nicht zuläßt, daß von ihrer Kanzel aus Buddhismus oder Islam gepredigt wird.

Kommen wir zu den Musikern, die ihre Musik von Spotify entfernt haben, weil sie mit den Meinungsäußerungen von Joe Rogan und seinen Gästen in seinem Podcast auf Spotify nicht einverstanden sind. Diejenigen, welche diese Musiker der Zensur beschuldigen, tun dies, weil die Musiker Spotify bewegen wollte, Joe Rogans Podcast von der Platform zu werfen. Kann schon sein, daß sie das wollten, aber sie hatten sicherlich keine realistische Erwartung, daß sich Spotify für sie statt für Joe Rogan entscheiden würde (alle finanziellen Überlegungen sprechen dagegen), und außerdem gibt es etliche legitime Gründe, warum diese Musiker die Spotify-Plattform verlassen wollen:

  1. Spotify hat als Musik-Streaming-Dienst begonnen, und hat diese Musiker als solcher unter Vertrag genommen. Jetzt verändert sich die Firma, wegen des höheren erwarteten Profits, in eine Podcast-Plattform, wo der erwartete Profit umso höher ist, umso kontroverser die präsentierten Meinungen sind. Die Musiker haben einen Vertrag mit einem Musik-Streaming-Dienst unterzeichnet; sind sie wirklich verpflichtet, auf einer Podcast-Plattform mit kontroversen Inhalten zu bleiben?
  2. Der Unterschied zwischen dem, was Spotify Musikern zahlt (Groschenbeträge) und dem, was sie bereit sind, für Podcaster wie Joe Rogan oder die ehemaligen britischen Royals Harry und Meghan zu bezahlen (Millionensummen) ist gewaltig. Ich verurteile Spotify nicht dafür, aber genausowenig sollten wir die Musiker verurteilen, die da nicht mitmachen wollen und daher ihre Musik entfernen – beide üben ihre Rechte aus.
  3. Die Musiker haben auch gesagt, daß sie nichts mit einer Plattform zu tun haben wollen, wo Joe Rogan und die Gäste, die er einlädt, mit ihren Ansichten toleriert werden. Das ist letztlich eine Gewissensfrage, und es gibt eine Parallele mit der Frage der Covid-19 Impfstoffe. Manche Leute lassen sich nicht gegen Covid-19 impfen, weil in der Entwicklung oder Herstellung Stammzellen möglicherweise Stammzellen verwendet wurden, die von einem abgetriebenen Baby stammen. Andere Menschen stört das nicht, oder sie akzeptieren die Entscheidung des Vatikan, daß diee Abtreibung so lange her ist, daß man sich mit der Impfung nicht mitschuldig macht. Wir sind gut beraten, sowohl was die Impfung anlangt und auch was Spotify anlangt, die Gewissensentscheidung der Menschen zu respektieren, gerade dort, wo unser eigenes Gewissen uns anders führt.
  4. Und schließlich hängt Zensur davon ab, daß derjenige, der der Zensur Beschuldigte eine Verpflichtung hat gegenüber dem, den er angeblich zensuriert, seine Rede oder Meinungsäußerung zu erlauben, zu finanzieren, oder zu erleichtern. Es ist vielleicht schon so, daß Neil Young und seine Kollegen eine Verpflichtung haben, die freie Meinungsäußerung von Joe Rogan und seinen Gästen nicht aktiv zu behindern; sie haben aber sicherlich keine Verpflichtung, sie zu erleichtern oder zu unterstützen, indem sie weiterhin mit Spotify Geschäfte machen. Und mit der öffentlichen Ankündigung, warum sie Spotify verlassen, nehmen sie schließlich ihre eigenes Recht auf Redefreiheit wahr.

Wir müssen einfach damit leben, daß Google, YouTube, Facebook, Spotify, usw. private, weltliche Firmen sind, deren Management von Leuten dominiert wird, welche das Christentum (und auch die meisten anderen Religionen) skeptisch bis negativ sehen, und die primär von Geld- und Profitdenken motiviert sind. Sie tolerieren christliche Inhalte auf ihren Plattformen, solange diese ihren eigenen Ansichten, oder denen ihrer wichtigen Klienten, nicht allzu sehr zuwiderlaufen, und sie dadurch genug Geld verdienen könnnen. Das gleiche gilt für Joe Rogan und andere kontroverse Podcasts: was sie motiviert, ist das Geld, das sie damit zu verdienen hoffen. Aber sie garantieren auf ihren Plattformen keine Rede- und Meinungsfreiheit, und unsere Rechtssystem verlangen das auch nicht von ihnen. Wenn man dann noch in Betracht zieht, daß die meisten von uns, sowohl Inhalte-Anbieter als auch Konsumenten, die Dienste dieser Firmen ohne entgeltliche Verträge nutzen, dann ist die einfache Realität, daß sie uns gegenüber keinerlei Verpflichtungen haben.

Matura abschaffen?

2022-02-01 Wolf Paul

Der österreichische Philosoph und Publizist Konrad Paul Liessmann hat sich kürzlich zu den Protesten einiger Schüler gegen die Weisung des Bildungsministers, die mündliche Matura wieder verpflichtend durchzuführen und nicht mehr zur Wahl zu stellen, in einer Kolumne geäußert, die in mehreren Tageszeitungen erschien.

Ein paar brilliante Zitate daraus:

“Was bedeutet es, wenn die zukünftige Elite des Landes jeder Schwierigkeit aus dem Weg gehen möchte und gar nicht auf die Idee kommt, selbstbewußt und stolz zu verkünden, daß man bereit und fähig sei, eine mündliche Matura abzulegen, auch und gerade in Herausfordernden Zeiten?”

“So richtig es ist, Schüler nicht grundlos zu überfordern, so falsch ist es, in ihrer Entlastung einen kategorischen pädagogischen Imperativ zu sehen.”

“Daß großzügige Bildungsangebote hierzulande eher als eine lästige Zumutung denn als eine veritable Chance begriffen werden, ist höchst irritierend.”

“Die Matura hat dramatisch an Wert verloren, auf ein Prüfungsgespräch mehr oder weniger kommt es da nicht an. … Seit die Universitäten ihre eigenen Aufnahmeverfahren definieren, berechtigt die Matura in vielen Fällen nur mehr dazu, sich für einen Studienplatz bewerben zu dürfen. Das einst strenge und sinvolle Ritual der Reifeprüfung ist leer geworden.”

“Das Ende der Schullaufbahn könnte unspektakulär durch das Zeugnis der Abschlußklasse bescheinigt werden. Möglich, daß es gegen solch ein Ansinnen wiederum Demonstrationen gäbe, den immerhin stünden damit auch die Maturareisen mit ihren berühmten feucht-fröhlichen Partys zur Disposition. Aber keine Sorge, kreativ wie junge Menschen nun einmal sind, werden sie schon für einen trendigen Ersatz sorgen. Denn eines ist klar, Matura hin oder her, Spaß muß sein.”

(Diese Zitate geben sicher nicht die Kernaussage des Artikels von Konrad Paul Liessmann wieder, aber wie er selbst sagt, Spaß muß sein. Und ja, ich schreibe Deutsch größtenteils in der alten Rechtschreibung, auch in Zitaten aus Artikeln, die in der neuen Schreibweise vorliegen.)

(HT für den Artikel: Rudolf Mitlöhner via Emanuela Sutter.)