Wenn Terroristen Geiseln töten, dann ist das Mord, keine Hinrichtung

Wolf Paul, 2024-11-09

ORF Online berichtet, daß Katar Mitglieder der Terrororganisation Hamas aufgefordert habe, das Land zu verlassen, angeblich auf dringendes Ersuchen der USA.

Unter anderem enthält der Bericht diesen Absatz:

«Zu der jüngsten US-Entscheidung beigetragen habe unter anderem die Hinrichtung des amerikanisch-israelischen Staatsbürgers Hersh Goldberg-Polin und fünf weiterer Geiseln durch die Hamas Ende August, erklärte ein US-Beamter der „Times of Israel“.»
 
Ich finde es problematisch, daß der Begriff, “Hinrichtung“, der im engeren Sinn die Vollstreckung eines legalen Todesurteils beschreibt,[[Egal, was man von der Todesstrafe hält, gibt es einen haushohen Unterschied zwischen der Vollstreckung eines von einem ordentlichen Gericht ausgesprochenen Urteils einerseits, und der willkürlichen Ermordung von Geiseln durch Kriminelle und Terroristen (nicht, daß ich da einen großen Unterschied sehe zwischen diesen beiden Gruppen).]] immer wieder, genauso wie der englische Begriff “execution“, für die illegale Tötung von Menschen verwendet wird — dabei handelt es sich in Wirklichkeit um Mord. Die Tötung von Geiseln ist nichts anderes als feiger Mord.

Solche Taten als  “Hinrichtung” zu bezeichnen, verleiht sowohl der Tat als auch den Tätern einen Anschein der Respektabilität und Legitimität, der ihnen nicht zusteht.

Die Sprache, die wir verwenden, ist  genauso wie die Worte die wir wählen, sehr wichtig.

Was ist die demokratische Pflicht der Parteien?

Wolf Paul, 2024-10-25

Herbert Kickl behauptet, daß es die demokratische Pflicht der ÖVP wäre, ihm als dem Erstplatzierten der Nationalratswahl zu einer Regierungsmehrheit zu verhelfen und mit der FPÖ eine Koalition einzugehen. Viele seiner Wähler sind der gleichen Meinung, und empfinden es als unfair und undemokratisch, daß Bundespräsident Van der Bellen nicht Kickl, sondern Karl Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt hat.

Aber sehen wir das ganze mal genauer an.

  • Die FPÖ unter Herbert Kickl wurde mit 28,85% der gültigen Stimmen von etwas mehr als einem Viertel der Wahlbeteiligten gewählt – das heißt, 71,15% haben sie nicht gewählt. Er hat also bestenfalls eine relative Mehrheit, und genaugenomnen eine „absolute“, bzw. sogar eine „Zweidrittel“-Minderheit“ – weit entfernt von einer regierungsfähigen Mehrheit.
  • Die Parteiführungen sind ihrem Gewissen, ihren Wählern, und dem Wohl des Staates verpflichtet. Sie haben keinerlei Verpflichtung gegenüber den anderen Parteien oder deren Wählern. Entscheidungen über mögliche Koalitionen sind daher Gewissensentscheidungen, je nach dem, wie sie das Wohl des Staates und den Willen ihrer Wähler einschätzen.
  • Der Bundespräsident ist seinem Gewissen, den Gesetzen, und dem Wohl des Staates verpflichtet; erst danach kommt, wenn überhaupt, eine Verpflichtung, etablierte Gepflogenheiten („Des hamma scho imma so gmacht“) einzuhalten. Außer dem Wahlergebnis ist bei der Überlegung, wen er mit der Regierungsbildung beauftragen soll, die Wahrscheinlichkeit einer regierungsfähigen Mehrheit ein wesentlicher Faktor – schließlich würde ein Scheitern der Regierung nach kurzer Zeit und eine Neuwahl enorme Kosten verursachen.
  • Alle zahlenmäßig relevanten Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter Herbert Kickl ausgeschlossen, weil ihr Gewissen und das Wohl des Staates, wie sie es verstehen, dies nicht zulassen. Herbert Kickl hat seinerseits einen Rückzug seiner Person dezidiert ausgeschlossen. Also war und ist es klar, daß die FPÖ keine regierungsfähige Mehrheit zustande bringen würde, und deshalb war die Entscheidung des Bundespräsidenten, den Auftrag zur Regierungsbildung an Karl Nehammer zu geben, durchaus logisch und rechtens.
  • Die klare Weigerung von ÖVP, SPÖ, NEOS, und Grünen mit der FPÖ zu koalieren impliziert allerdings, im Hinblick auf das Wohl des Staates, der eine stabile Regierung braucht, die grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit, einschließlich einer möglichen Koalition. Und nachdem die FPÖ ihren (relativen) Wahlsieg zu einem großen Teil nicht ihrer ideologischen Ausrichtung verdankt, sondern der Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den vielen Themen, die dank ständigem Parteien-Hickhack seit Jahren oder sogar Jahrzehnten ungelöst dahindümpeln, gibt es da auch eine moralische Verpflichtung, diese Themen konstruktiv anzugehen.
  • Aufgrund der Zahlen liegt die Verantwortung dabei primär auf ÖVP und SPÖ, ihre Differenzen zu überwinden und dann einer der beiden kleineren Parteien ein akzeptables Angebot zu machen, damit eine stabile, regierungsfähige Mehrheit zustande kommt, die in erster Linie nicht Parteiinteressen im Auge hat, sondern das Wohl des Staates und seiner Menschen. Eine ÖVP/SPÖ/NEOS Koalition hätte eine Wählerstimmen-Mehrheit von 56,55%, eine ÖVP/SPÖ/Grüne Koalition hätte 55,65%. In Parlamentssitzen wären das 110 oder 108 Sitze von 183 – beides wären durchaus demokratisch legitime Regierungen mit einer absoluten Mehrheit.
  • Die primäre moralische Verantwortung von ÖVP und SPÖ ergibt sich aus aus der historischen Tatsache, daß es Regierungen unter Führung dieser beiden Parteien waren, welche die fehlende Aufarbeitung und Lösung dieser lange anstehenden Mißstände zu verantworten haben.

Wenn sie das nicht zustandebringen, und die vielen Mißstände im Land nicht produktiv in Angriff nehmen, dürfen sie sich nicht beschweren und jammern, wenn die FPÖ bei der nächsten NR-Wahl, oder bei der BP-Wahl 2029, noch mehr Wähler überzeugt.

Darmol wird nicht mehr produziert

Wolf Paul, 2024-09-09

Bis vor Kurzem habe ich Darmol Abführschokolade zur Regulierung meines Stuhlgangs verwendet; seit ein paar Monaten ist das Medikament in den Apotheken (sowohl vor Ort als auch Online) „derzeit nicht verfügbar,“ ohne Hinweis darauf, warum, bzw. wann es wieder verfügbar sein wird. Diese Woche wurde mir diese Situation zu dumm und ich habe dem Hersteller eine E-Mail geschrieben mit der Bitte um eine Erklärung.

Heute kam nun die Antwort:

Der Artikel Darmol Abführschokolade wird leider nicht mehr produziert.

Ich poste das hier, damit wer in Hinkunft im Internet nach „Darmol Verfügbarkeit“ sucht, erfährt, daß Darmol Abführschokolade nicht nur „derzeit nicht verfügbar“ ist, sondern eigestellt wurde und daher nie wieder verfügbar“ sein wird.

Hier die e-Mail des Herstellers::

Vaterland – ein Roman

Wolf Paul, 2024-08-04

Ich habe gerade „Vaterland“ von Robert Harris fertig gelesen, einen Kriminalroman, der 1964 in einem Deutschland spielt, das den Krieg gewonnen hat. Die Idee zu diesem Buch kam Harris, als er als Journalist über die „Hitler-Tagebücher“-Affäre berichtete. Hier ist die Buchbeschreibung von Amazon:

Berlin, 1964. Deutschland hat den Krieg gewonnen, und das Großdeutsche Reich erstreckt sich vom Rhein bis zum Ural und hält einen unsicheren Frieden mit seinem nuklearen Rivalen, den Vereinigten Staaten. Während das Vaterland sich auf eine große Feier zu Adolf Hitlers fünfundsiebzigstem Geburtstag vorbereitet und einem versöhnlichen Besuch des US-Präsidenten Joseph Kennedy und des Botschafters Charles Lindbergh entgegensieht, wird ein Kriminalpolizei-Ermittler mit der Untersuchung einer Leiche in einem See nahe Berlins vornehmstem Vorort beauftragt.

Doch als Xavier March die Identität der Leiche entdeckt, stößt er auch auf Anzeichen einer Verschwörung, die bis in die höchsten Kreise des Deutschen Reiches reichen könnte. Und während die Gestapo ihm dicht auf den Fersen ist, geraten March und die amerikanische Journalistin Charlotte Maguire in einen Wettlauf, um die Wahrheit aufzudecken – eine Wahrheit, die bereits gemordet hat, eine Wahrheit, die Regierungen stürzen könnte, eine Wahrheit, die die Geschichte verändern wird.

Das Buch war eine faszinierende Lektüre mit historischen Akteuren, die zu jener Zeit außerhalb der Fiktion bereits unterschiedlich lange tot waren. Der Roman verfälscht die Geschichte nicht: Keine historisch bösen Figuren wurden beschönigt, und keine historisch guten Figuren wurden zu Monstern gemacht. Der überraschendste Aspekt des Buches ist, daß die Welt offenbar noch immer nicht weiß, was aus den Juden Europas geworden ist – es wird angenommen, daß sie irgendwo in den weiten Gebieten im Osten verschwunden sind.

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen und war beeindruckt von der Sorgfalt, mit der der Autor die deutschen Wörter im Buch verwendet hat – er ist der erste englischsprachige Autor, den ich kenne, der den korrekten Plural von „Autobahn“ benutzt: „Autobahnen“, nicht „Autobahns“.

Das Buch wurde in der englischsprachigen Welt sofort ein Bestseller; seine Rezeption in Deutschland war zunächst recht negativ. Es wurde weithin als anti-deutsch angesehen (Der Spiegel: eine „Dämonisierung der Bundesrepublik“), und kein deutscher Verlag wollte es veröffentlichen; es erschien in der Schweiz, und erst Jahre später wurde das Taschenbuch von einem deutschen Verlag herausgebracht. Ich empfand das Buch weder als anti-deutsch noch als Dämonisierung, aber dies zeigt, wie schwierig und schmerzhaft es für Deutsche und Österreicher immer noch ist [1]), sich an ihre schuldhafte nationale Geschichte zu erinnern. Letztendlich setzte sich eine objektivere Rezeption durch.

Die Filmversion werde ich mir nicht ansehen: Laut Wikipedia hält sie sich nicht getreu an die Vorlage und hat ein völlig anderes Ende.

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  1. (ich erwähne Österreich hier ausdrücklich, weil entgegen dem populären Mythos in diesem Land, daß Österreich das erste Opfer der Nazis war, viele Österreicher an den Gräueltaten des Dritten Reiches beteiligt waren, angefangen bei Hitler selbst. Eine der Hauptfiguren des Buches ist der Kärntner Odilo Globocnik, Gauleiter in Wien und später SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin des Generalgouvernements (Polen).[]

Der Fall Angela Carini – Imane Khelif

Wolf Paul, 2024-08-02

Ein paar Gedanken, angestoßen von der Kausa Carini-Khelif, aber auch darüber hinausgehend, in willkürlicher Reihenfolge, die wahrscheinlich zu meiner Einstufung als rückständiger und “transphober” männlicher Chauvinist führen werden — sei’s drum, als “homophob” gelte ich ohnehin schon.[1]

  • Ich sage „Hut ab!“ vor Angela Carini, die sagte, „Wenn sie nach Meinung des IOC kämpfen darf, respektiere ich diese Entscheidung. Diese Kontroversen haben mich traurig gemacht, und es tut mir leid für die Gegnerin, die auch nur hier ist, um zu kämpfen“, sagte Carini. Dass sie nach dem Ende des Kampfes den üblichen Handschlag verweigert habe, sei ein Missverständnis gewesen: „Das war keine absichtliche Geste, ich entschuldige mich bei ihr und bei allen. Ich war wütend, weil die Olympischen Spiele für mich vorbei waren. Ich habe nichts gegen Khelif, wenn ich sie noch einmal treffen würde, würde ich sie umarmen.“ Hochachtung!
  • Ich halte Boxen generell für untauglich als  Sportart, und erst recht für Frauen unpassend. Das ist eine Fähigkeit, die sicherlich in die Polizei- und Soldatenausbildung, sowie eventuell in Selbstverteidigungskurse, gehört, aber nicht in die olympischen Spiele.
  • J.K. Rowling setzt sich seit Jahren dafür ein, biologisches/genetisches Geschlecht (engl. Sex) und das davon möglicherweise abweichende soziale Geschlecht (Gender) auseinander zu halten, und tritt in diesem Zusammenhang lobenswerterweise dafür ein, mühsam erkämpfte Schutzräume für biologische/genetische Frauen zu erhalten. Beide Positionen unterstütze ich voll und ganz.
  • Ob es sich bei Imane Khelif tatsächlich um einen Mann oder eine Frau handelt, ist mir nicht klar. Imane scheint nicht in das typische Transgender-Muster zu passen. Allerdings ist Khelifs (biologisch-genetisches) Geschlecht auch nicht ganz eindeutig.[2]
  • Wenn man sportliche Wettkämpfe nach Männern und Frauen, das heißt nach biologisch-genetischem Geschlecht, getrennt durchführt, wofür es ja auch gute, wissenschaftliche Gründe gibt,[3]  dann muß es fairerweise objektive Kriterien dafür geben, wer Mann und wer Frau ist, und die müssen im Zweifelsfall auch überprüft werden. 

Soweit spezifisch zum Fall Carini-Khelif. Aber die Diskussion  über diesen Fall berührt und wirft auch weitere Themen auf.

  • Ich unterscheide einerseits zwischen religiösen Überzeugungen, die in meinem Privatleben und im Leben meiner Glaubensgemeinschaft gelten, und andererseits der Gesetzgebung und den gesellschaftlichen Konventionen unserer größtenteils sekularen Gesellschaften und Staaten. Im Gegensatz zu vielen meiner Glaubensgenossen bestehe ich nicht darauf, daß Menschen mit anderen oder gar keinen religiösen Überzeugungen sich entsprechend meiner Überzeugungen verhalten.
  • In einem demokratisch regierten Staat muß es legitim sein, daß Personen mit unterschiedlichen Überzeugungen und Wertevorstellungen diese im Einklang mit den geltenden Gesetzen politisch vertreten und umzusetzen versuchen. Dieses Recht steht sowohl Konservativen als auch “Progressiven” zu, Rechten und Linken, Religiösen und Atheisten.
  • Ich respektiere das Recht jedes Menschen, im Einklang mit den geltenden Gesetzen nach seinen Vorstellungen zu leben und zu lieben. Ich behalte mir aber die freie Meinungsäußerung zu den Lebensstil-Entscheidungen Anderer vor und wehre mich gegen die zwanghafte, teilweise sogar gesetzliche erzwungene, Erwartung, diese Entscheidungen gut und richtig zu finden
  • Mit Ausnahme bestimmter physischer Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht halte ich Diskriminierungsverbote nur im Bereich der öffentlichen Hand sowie bei lebensnotwendigen Einrichtungen, eventuell auch bei sogenannten Anonymgesellschaften[4], für legitim; ich denke, daß sie dort zu weit gehen, wo sie  in das Recht individueller Bürger eingreifen, selbst zu bestimmen, mit wem sie arbeiten oder Geschäfte treiben wollen, indem sie ihnen vorschreiben, wen sie z.B. anstellen oder für welche Kunden sie ihre Dienstleistungen erbringen sollen. 
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  1. Die Anwendung von Begriffen wie “homophob” und “transphob”auf Alle, die nicht mit der gerade politisch korrekten Meinung zu Homo- oder Transsexualität übereinstimmen, impliziert, daß solche Meinungen keine rationale Grundlage haben können, und ist daher sowohl unwissend als auch einer vernünftigen, zivilisierten Debatte wenig zuträglich.[]
  2. Einer der großen Trugschlüsse in der aktuellen Gender-Debatte ist die Annahme, daß sich Dinge wie Gender-Dysphorie, Intersexualität, und rein psychologische Probleme, wie das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, ganz einfach und problemlos durch Hormonbehandlung und/oder chirurgische Eingriffe, oder sogar einfach durch rechtliche Vorschriften, lösen lassen. Umso länger Medizin, Psychologie, und Gesetzgebung diesen Ansatz verfolgen, umso mehr unerwartete, schädliche Nebenwirkungen tauchen auf.[]
  3. Neben den individuellen Unterschieden zwischen einzelnen Menschen es gibt wissenschaftlich nachgewiesene Unterschiede in der körperlichen Leistungsfähigkeit zwischen Menschen mit männlicher DNA und Menschen mit weiblicher DNS.[]
  4. Anonymgesellschaften heißen bei uns Aktiengesllschaften. Es sind Firmen oder Organisationen, die nicht einzelnen, namentlich bekannten Personen gehören oder zuzuordnen sind, und die daher auch nicht in demselben unmittelbaren Zusammenhang stehen mit den Überzeugungen der Eigentümer, wie es bei Personengesellschaften der Fall ist,[]

Die Niederlande sind schon weit unten auf einer schiefen Bahn …

Wolf Paul, 2024-07-27

Während meiner Kindheit hatte ich Kontakte zu flämischen (belgischen) und niederländischen Menschen, die mich sehr beeindruckten; in meinen späten Teenagerjahren kam ich durch eine Gruppe, die mehrere Niederländer umfasste, zu einem lebendigen Glauben an Christus, und in den folgenden Jahren beeinflussten mich niederländische Menschen, darunter die verstorbene Autorin Corrie ten Boom, eine niederländische jüdische Holocaust-Überlebende, in vielerlei Hinsicht. Ich wurde ein “Holland-Fanboy”, so sehr, dass ich Niederländisch lernte (was, zugegeben, keine allzu schwierige Aufgabe für einen sprachlich begabten Deutschsprecher ist).

In den letzten Jahrzehnten hat das Land, das einst gegen die unmenschlichen Nazi-Ideologien, einschließlich Euthanasie und Antisemitismus, aufstand, die Euthanasie angenommen und kürzlich eine beunruhigende Toleranz gegenüber sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern gezeigt.

Der 29-jährige niederländische Beachvolleyballspieler Steven van de Velde wurde 2016 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er gestanden hatte, 2014 in Großbritannien ein 12-jähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Unter einem Abkommen zwischen Großbritannien und den Niederlanden wurde er in die Niederlande überstellt, um seine Strafe zu verbüßen, wo seine Verurteilung in “Unzucht” geändert und seine Strafe auf ein Jahr reduziert wurde, das er in einem niederländischen Gefängnis verbüßte. Etwa ein Jahr nach seiner Freilassung nahm van de Velde seine Sportkarriere wieder auf und trat im Beachvolleyball an. Heuer wurde er ausgewählt, die Niederlande bei den Olympischen Spielen in Paris zu vertreten.

Als Reaktion auf Proteste gegen seine Teilnahme von Opfervertretern sowohl in Großbritannien als auch in den Niederlanden selbst erklärte das niederländische Olympische Komitee, dass “Steven kein Pädophiler ist”, dass er kein Rückfalltäter ist und dass alle notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.

Aber Rückfall ist hier nicht das Problem.

Erstens, angesichts der quasi-religiösen Rolle und Bedeutung des Wettkampfsports in unserer Kultur – etwas, das durch den Prunk und das Ritual sowohl bei den Olympischen Spielen als auch bei anderen internationalen Wettbewerben sowie durch die Verehrung erfolgreicher Athleten belegt wird – kommt die Aufstellung eines Athleten bei einem großen internationalen Wettbewerb wie den Olympischen Spielen einer Art Heiligsprechung gleich, einer Darstellung dieses Athleten als Heiliger und Vorbild, als jemand, der nachahmenswert ist. Ist das wirklich angemessen im Fall von jemandem, der wegen dreimaliger Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens verurteilt wurde?

Zweitens beweist dies enormen Respektlosigkeit gegenüber den Opfern sexuellen Missbrauchs, von denen die meisten jahrelang mit den negativen Auswirkungen kämpfen, oft körperlich, aber immer psychologisch, während Täter, selbst wenn sie lange Gefängnisstrafen verbüßen, und noch mehr, wenn ihre Inhaftierung wie im Fall von van der Velde nur sehr kurz war, die Situation psychologisch überwunden und sogar erfolgreiche Karrieren haben. Sie auf ein Podest zu stellen, verschärft die den Opfern zugefügte Gewalt.

Ich bin sehr enttäuscht, dass das niederländische Rechtssystem die Dreistigkeit besaß, eine Verurteilung wegen Vergewaltigung zu “Unzucht” zu umzuwandeln und eine vierjährige Strafe auf ein Jahr zu reduzieren; ich bin enttäuscht, dass es in den Niederlanden keinen Massenprotest gegen die Aufstellung eines verurteilten Kinderschänders gibt, und dass der Rest des niederländischen Teams offenbar auch kein Problem mit der Anwesenheit dieses Mannes in ihren Reihen hat.

Schließlich finde ich die Behauptung, dass van der Velde kein Pädophiler sei, ebenfalls sehr beunruhigend. Pädophilie wird als Pathologie definiert, als krankhafte,  abnormale, fast süchtig machende oder zwanghafte sexuelle Anziehung zu Kindern; und obwohl es definitiv schuldhaft ist, dieser Anziehung nachzugeben, und die Auswirkungen für die Opfer verheerend sind, impliziert die Einstufung als Erkrankung zumindest eine gewisse Milderung der Schuld. Wenn jedoch jemand Kinder missbraucht, insbesondere sie sexuell missbraucht und bis zur Vergewaltigung geht, ohne an der Krankheit der Pädophilie zu leiden, dann ist diese Tat nur durch reines, unvermitteltes Böses zu erklären.

Natürlich gehen wir davon aus, dass ein Straftäter, der seine Gefängnisstrafe verbüßt hat damit für seine Tat bezahlt hat, oder in einem christlichen Kontext, seine Sünde bereut und Vergebung von Christus empfangen hat, und daß seine Tat ihm nicht länger vorgehalten werden sollte; aber es spricht viel dafür, dass bestimmte Verbrechen, selbst nachdem sie gebüßt und vergeben wurden, eine Person für bestimmte Rollen disqualifizieren. Dies gilt für Pastoren, Priester, Lehrer und andere, die unsere Kultur zu Vorbildern erhebt. Sühne (weltlich und religiös) und Vergebung implizieren nicht, dass es keine bleibenden Konsequenzen gibt.

Übersetzt aus meinem ursprünglichen englischen Text mit Hilfe von ChatGPT.

Aktueller Status

Wolf Paul, 2024-07-17

Kürzlich hat mich jemand auf Facebook nach meinem Gesundheitszustand gefragt, daher hier ein kurzes Update:

Im April 2022 hatte ich eine Operation wegen eines Abszesses an der Innenseite meines rechten Oberschenkels und war mehrere Monate mit einem “vacuum-assisted closure” Gerät ans Bett gefesselt. Als dieses nach etwa drei Monaten entfernt wurde, waren meine Beinmuskeln so stark verkümmert, dass ich nicht mehr aufstehen oder auch nur mein Gesäß vom Bett heben konnte.

Nach viel Arbeit war ich im Oktober 2023 fast wieder in der Lage, mit Hilfe einer stabilen Gehhilfe aufzustehen, als ich wegen einer Lungenentzündung für zwei Wochen im Krankenhaus lag. Als ich entlassen wurde, war ich wieder am Ausgangspunkt, und seitdem geht es nur sehr langsam voran.

Dank meines Kindle, YouTube und live gestreamten Gottesdiensten im Gefolge von Covid, sowie gelegentlichen Besuchen und regelmäßigen Anrufen von Freunden habe ich mir meinen Verstand bewahrt, während ich auf die 2 Quadratmeter meines Bettes beschränkt bin.

Großer Dank gebührt meiner Frau Geraldine, die mich die ganze Zeit hindurch hingebungsvoll gepflegt und versorgt hat.

Predigen mit einem Mühlstein um den Hals?

Wolf Paul, 2024-07-16

Es ist fast zu einem wöchentlichen Ereignis geworden: Ein weiterer langjähriger Pastor einer evangelikalen Gemeinde in den USA wurde wegen Kindesmissbrauchs festgenommen.

Ich möchte nicht darüber spekulieren, ob dies ein typisch amerikanisches Problem ist; ich vermute eher nicht, denn wir hatten hier vor einigen Jahren den massiven Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche. [1] Wenn wir in  evangelikalen Gemeinden hier weniger von solchen Skandalen hören, liegt das wahrscheinlich an soziologischen Gründen wie der vergleichsweise geringen Größe der Bewegung und ihrem Minderheitenstatus in den meisten Teilen Europas und nicht daran, dass die europäischen Evangelikalen heiliger sind als die amerikanischen.

Ich möchte auch nicht mit dem Finger auf diese Männer zeigen; wir alle haben unsere Versuchungen, und wenn meine nicht so abscheulich sind wie ihre, dann ist es rein durch die Gnade Gottes.

Aber ich möchte auf etwas eingehen, das ich nicht nachvollziehen kann, nicht in einer verurteilenden Weise, sondern weil es mich verwirrt.

Wenn ich auch nur einmal solche Taten begangen hätte, und besonders wenn ich sie kontinuierlich begehen würde, könnte ich nicht am Sonntagmorgen vor die Gemeinde treten, das Evangelium predigen und den Gottesdienst leiten. Ich würde mich selbst als disqualifiziert betrachten, ständig bewusst und niedergedrückt von dem Mühlstein um meinen Hals, den Jesus in Matthäus 18:6 erwähnt. [2] Tatsächlich habe ich mich immer als disqualifiziert betrachtet, zu predigen, und zögerte,  Gottesdienst zu leiten, wegen meiner eigenen Kämpfe mit menschlich gesprochen kleineren und gesellschaftlich akzeptableren Versuchungen und meinem Versagen, ihnen zu widerstehen.

In 1. Timotheus 4:1-2 spricht Paulus von “Heuchlern, die Lügen reden und in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind,” und vielleicht erklärt das einiges. Und jeder von uns, dessen Gewissen nicht gebrandmarkt ist, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, sollte Gott für seine Bewahrung danken.

Im Englischen gibt es einen bekannten Ausspruch der dem englischen Reformator und Märtyrer John Bradford zugeschrieben wird. Er sah Verurteilte auf dem Weg zur Hinrichtung und sagte, “Nur aus Gottes Gnade bin ich nicht einer von ihnen!”

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  1. Diese Welle von missbrauchenden Pastoren sollte auch diejenigen nachdenklich stimmen, die den R.C. Skandal auf das Zölibatsgebot für römisch-katholische Geistliche zurückführen – all diese evangelikalen Pastoren sind verheiratet.[]
  2. Der Abschnitt spricht davon, Kindern ein Anstoß zu sein, und der jüngste Fall, auf den ich mich bezog, betrifft Kindesmissbrauch, aber ich möchte keineswegs implizieren, dass der Missbrauch von Jugendlichen oder Erwachsenen weniger abscheulich ist.[]

Geschlecht vs Gender?

Wolf Paul, 2024-07-03

idea (Nr. 27.2024, S. 7) zitiert aus einem taz-Interview mit Alexander Korte, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, der sich darin zu der Aussage äußert, Geschlechtsidentität sei angeboren:

«Das ist abstrus. Die neurobiologische Forschung ist definitiv den Beleg schuldig, dass Geschlechtsidentität genetisch bedingt sein könnte. Auch aus der Sicht der Entwicklungspsychologie ist es abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas ist, mit dem man zur Welt kommt. Aus meiner Sicht ist Identität stets das Resultat einer individuellen Bindungs- und Beziehungsgeschichte – und auch Körpergeschichte.»[1]

Politisch gesehen stimme ich dieser Aussage zu, halte sie aber für den Großteil der kontroversen Genderdebatte für irrelevant. Da geht es nämlich gar nicht primär um Identität, sondern um Biologie. Separate sportliche Bewerbe für Frauen und Männer begründen sich durch die biologischen Unterschiede zwischen (biologischen) Frauen und Männern; das Gleiche gilt für nach Geschlecht getrennte Toiletten, Duschen, Umkleideräume, usw. All das hat nichts mit Identität zu tun.

Und ganz ehrlich: Abstrus ist auch die Annahme, daß die empfundene Geschlechtsidentität (Gender) in jeder Hinsicht und in allen Situationen Vorrang vor dem biologischen Geschlecht haben soll. Das ist postmoderner, postwissenschaftlicher Unsinn, und ist dort, wo z.B. die Rechte der kleinen, aber sehr lautstark auftretenden Anzahl von “Trans-Menschen” die Rechte der großen Mehrheit der “Cis-Menschen”[2] übertrumpfen sollen, zutiefst undemokratisch.

Auch für die Einschätzung dieses Themas in der (traditionellen[3] ) christichen Theologie ist diese Frage nicht besonders relevant: Die theologische Beurteilung von gesellschaftlichen Phänomenen und menschlichen Verhaltensweisen richtet sich weder nach der Genetik noch danach, ob etwas angeboren ist, sondern danach, was Gottes Wort, die Bibel, dazu sagt. Schließlich sagt die Bibel ganz klar, daß wir alle eine angeborene Neigung zur Sünde haben (Römer 3, 10-18[4]), die sich in verschiedenen Menschen unterschiedlich manifestiert. Trotzdem ist Sünde nie gerechtfertigt.

Ob und wie weit die Bibel eine vom biologischen Geschlecht abweichende Identität als Folge der gefallenen und deshalb sündhaften Natur des Menschen darstellt, darüber kann man natürlich diskutieren. Klar ist, daß die Bibel zwar Männer in Frauenkleidung (und umgekehrt) als “Greuel” bezeichnet (2. Mose 22,5[5]), aber weit mehr  Zeit und Worte dafür aufbringt, andere Verhaltensweisen und Einstellungen als Sünde, “Greuel” und “Frevel” zu verurteilen. Und wie hat es Jesus ausgedrückt? “Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.”

(Das Bild oben auf dieser Seite ist ein Screenshot aus dem “Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg.)

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  1. Dr. Korte steht der Gender-Ideologie übrigens durchaus kritisch gegenüber, wie eine schnelle Google-Suche klar macht.[]
  2. Der Begriff Trans-(Männer, Frauen, Menschen) bezeichnet Menschen, deren empfundene Geschlechtsidentität (Gender) nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt, im Gegensatz zu Cis-(Männern, Frauen, Menschen), Menschen, deren Geschlechtsidentität und biologisches Geschlecht übereinstimmen. Ergänzend dazu gibt es die Adjektive transgender und cisgender bzw eingedeutscht, transgeschlechtlich und  cisgeschlechtlich . Das sind Wort-Neuschöpfungen (spätes 20. Jahrhundert) auf der Basis der lateinischen Worte trans (jenseits von) und cis (diesseits von) sowie des englischen gender (grammatikalisches Geschlecht).[]
  3. Das ist eine Theologie, unabhängig von der Konfession, die davon ausgeht, daß die Bibel Gottes Selbstoffenbarung ist, deren lehrmäßige Aussagen auch heute noch maßgeblich sind für Theologie und Glauben.[]
  4. «Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Alle sind sie abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer (Psalm 14,1-3). Ihr Rachen ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen betrügen sie (Psalm 5,10), Otterngift ist unter ihren Lippen (Psalm 140,4); ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit (Psalm 10,7). Ihre Füße eilen, Blut zu vergießen; auf ihren Wegen ist lauter Zerstörung und Elend, und den Weg des Friedens kennen sie nicht (Jesaja 59,7-8). Es ist keine Gottesfurcht bei ihnen (Psalm 36,2).» Paulus zitiert hier verschiedene Stellen in der hebräischen Bibel (“Altes Testament”), welche die angeborene Neigung des Menschen zur Sünde beschreiben. Text aus der Lutherbibel 2017.[]
  5. «Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll keine Frauenkleider anziehen; denn wer dies tut, der ist dem HERRN, deinem Gott, ein Greuel.» Text aus der Lutherbibel 2017.[]

Bre-Entry? Eher unwahrscheinlich …

Wolf Paul, 2024-06-22

DE / EN

Laut dem heutigen Daily Telegraph, „wird die Labour-Partei den Brexit rückgängig machen, wenn sie die Parlamentswahlen gewinnt, hat die britische Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch gewarnt.“[1]

Als überzeugter Remainer[2] würde ich es begrüßen, wenn das gelingt, aber ich bin mir nicht sicher, ob dies mehr ist als Kemi Badenochs verzweifelter Versuch, die Wähler vor einer Labour-Regierung zu warnen. Ich denke, dass Keir Starmer, wenn er tatsächlich glaubt, dass er das schaffen würde, Hirngespinsten nachhängt.

Großbritannien trat 1973 der EU bei[3] und sicherte sich schließlich mehrere sehr günstige Zugeständnisse, wie einen großen Rabatt auf den finanziellen Beitrag des Landes zur Union[4]. Doch in den Jahren seitdem hat eine sehr lautstarke Fraktion von Euroskeptikern, hauptsächlich in der Konservativen Partei, immer wieder gegen die Mitgliedschaft agitiert, was in David Camerons unüberlegtem Brexit-Referendum 2016 und dem endgültigen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU Anfang 2020 gipfelte.

Während der Brexit-Verhandlungen nahm Großbritannien weitgehend die Haltung ein, dass die EU die Briten mehr brauche als die Briten die Union, und forderte allerlei Mitgliedschaftsprivilegien, obwohl es austreten wollte. In den Jahren seitdem fordert Großbritannien immer wieder  Änderungen am Brexit-Austrittsabkommen – mit dem Ergebnis, dass viele in der EU, sowohl Politiker als auch Bürokraten, die Briten satt haben und nicht sehr daran interessiert sind, sie wieder in den Club aufzunehmen.

Da die Wiederaufnahme Großbritanniens in die Europäische Union sehr wahrscheinlich alle Phänomene der 47-jährigen britischen EU-Mitgliedschaft (d.h. lautstarke euroskeptische Agitation usw.) neu entfachen und früher oder später zu Brexit 2.0 führen würde, wird jeder Vorschlag eines Bre-Entry[5] in Brüssel auf wenig Begeisterung stoßen. Ich fürchte, es ist nichts als ein Hirngespinst.

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  1. Starmer will reverse Brexit, warns Badenoch[]
  2. Befürworter des britischen Verbleibs in der EU[]
  3. Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU[]
  4. Britenrabatt[]
  5. Britischer Wiedereintritt (Re-Entry) in die EU[]