Zweiter Adventsonntag

Wolf Paul, 2023-12-10

Tagesgebet für den Zweiten Adventsonntag

Gepriesener Herr,
du hast die gesamte Heilige Schrift uns zur Belehrung schreiben lassen.
Schenke, dass wir sie so hören, überdenken und in unseren Herzen bewegen,
dass wir durch die Geduld und den Trost Deines Wortes
die selige Hoffnung des ewigen Lebens ergreifen und auch immer festhalten,
die Du uns in Jesus Christus, unserem Erlöser, verliehen hast.
Amen.

 

Aus dem Allgemeinen Gebetbuch der Anglikanischen Kirche in Deutschland

Segenslied der Woche

Wolf Paul, 2023-12-04

Als ich vor über fünfzig Jahren zu einem bewußten Glauben an Jesus fand, verbrachte ich zunächst ein paar Monate in England[1], und kam dann in Wien in die von Abe und Irene Neufeld gegründete “Gemeinde Tulpengasse[2].

Abe und Irene waren Missionare der kanadischen Mennonitischen Brüdergemeinden[3]. Sie waren 1953 mit ihren drei Söhnen nach Österreich gekommen und hatten  in Linz eine Gemeinde gegründet, waren dann aus familiären Gründen für eine Weile wieder in Kanada, bevor sie (diesmal ohne die inzwischen erwachsenen Söhne) nach Wien kamen. Sie hatten als Familie zwei Schallplatten mit “erwecklichen” Liedern aufgenommen, deutsche Übersetzungen klassischer amerikanischer Gospel-Songs.

Irgendwie kam ich in den Besitz einer dieser Schallplatten, und diese Lieder wurden für mich, Country-Fan der ich war (und teiweise immer noch bin), Teil der Klangkulisse meines Glaubenslebens, zusammen mit den katholischen, älteren und moderneren Kirchenliedern[4] meiner Kindheit.

Wie so manche anderen Erinnerungsstücke habe ich diese Schallplatte (und andere, ähnliche, wie die von Hildor und Leo Janz[5]) im Laufe meiner vielen Übersiedlungen zwischen Wien und London und Dallas leider verloren, und diese Lieder werden heute in den Gemeinden auch kaum mehr gesungen.[6]

Nachdem ich mit zunehmendem Alter zunehmend nostalgischer werde, bin ich sehr froh, einen YouTube-Kanal gefunden zu haben, der voll ist von solchen “erwecklichen” Liedern auf Deutsch, sowie teilweise auf Spanisch und “Plautdietsch”[7], gesungen von zwei jungen Männern aus der “Colonia Sommerfeld“, einer Mennoniten-Ansiedlung in Paraguay (womit sich der Kreis zu den Neufelds wieder schließt).

Der YouTube-Kanal von Jimmy Thiessen und Elmer Heinrichs heißt „Segenslied der Woche“.

Hier sind ein paar der Lieder, die meine Nostalgie befriedigen:

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  1. Ich arbeitete bei “Send the Light“, einem christlichen Buchgroßhändler, Teil von Operation Mobilisation[]
  2. Damals noch nicht in der Tulpengasse sondern in der Wohnung von Abe und Irene in der Fasangasse im 3. Bezirk; heute heißt die Gemeinde “Stadtlicht” und trifft sich in der Wiedner Hauptstraße.[]
  3. Die mennonitischen Brüdergeneinden sind eine Reformbewegung unter den sogenannten „Rußlandmennoniten“ und sind heute vor allem in Kanada zu finden; auch die Mennoniten in Österreich und Bayern gehen auf missionarische Bemühungen der mennonitischen Brüder zurück.[]
  4. Vor kurzem hab ich die Lieder von Schuberts „Deutscher Messe“ wiederentdeckt, ebenso die Lieder der sogenannten „Jazzmessen“, die größtenteils auf Melodien von Spirituals basierten.[]
  5. Die Janz-Brüder waren ebenfalls mennonitische Missionare aus Kanada, die vor allem mit Musik evangelisierten.[]
  6. Man mag das unterschiedlich bewerten, aber nach Liedern aus der Vineyard-Bewegung in den 1980ern und 1990ern dominieren heute Lieder aus amerikanischen und australischen “Megachurches” die Musik in den freikirchlichen Gemeinden im deutschen Sprachraum.[]
  7. „Plautdietsch“ oder „Mennonitenplatt“ ist die Sprache der sogenannten „Rußlandmennoniten“, die sich, aus Holland und Norddeutschland kommend, zunächst im westpreußischen Weichseldelta, und dann, auf Einladung von Katharina der Großen, im russischen Reich, vor allem im Gebiet der heutigen Ukraine, ansiedelten. „Plautdietsch“ ist eine Variante des Niederdeutschen mit Einflüssen aus dem Weichseldelta und wird heute von etwa einer halben Million Menschen, vor allem in Kanada und Lateinamerika, gesprochen. Mit einiger Anstrengung kann ich es verstehen.[]

Erster Adventsonntag

Wolf Paul, 2023-12-03

Tagesgebet für den ersten Adventsonntag

Allmächtiger Gott,
verleihe uns die Gnade in diesem vergänglichen Leben, in das dein Sohn Jesus Christus in
großer Niedrigkeit uns zu besuchen kam,
dass wir die Werke der Finsternis ablegen
und die Waffen des Lichts anlegen,
damit wir am jüngsten Tag,
wenn er in seiner herrlichen Majestät wiederkommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten,
auch wir zum unsterblichen Leben auferstehen werden.
Durch ihn, der mit dir und dem Heiligen Geist
lebt und regiert, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

(Aus dem “Allgemeinen Gebetbuch” der Anglikanischen Kirche in Deutschland)

Die Krise der nachchristlichen Kultur

Wolf Paul, 2023-11-11

in sehr interessantes und provokantes Video des katholischen Podcasters und ehemaligen anglikanischen Priesters Gavin Ashenden[1]:

«Der große Fehler in der Verteidigung der westlichen Zivilisation scheint zu sein, dass sie den Glauben, der sie geschaffen hat, aufgegeben hat: das Christentum. Sie hat sich freiwillig und energisch vom Christentum losgesagt. Christen und liberale Säkularisten werden am kommenden Gedenkwochenende vor einer ernsten Herausforderung stehen, wenn, wie es wahrscheinlich ist, islamische Proteste “überkochen” und sich mit den Überresten der Erinnerungskultur konfrontieren.

Werden all die Säkularisten erkennen, dass der genussorientierte Konsumismus ideologisch nicht stark genug ist, um Grenzen zu setzen, um die islamische Expansion und den missionarischen Ehrgeiz einzudämmen? Sie haben sich bisher geweigert, dies zu glauben. Und wenn die Säkularisten zu ihren eigenen Grenzen und ihrer existentiellen Instabilität erwachen, wohin werden sie sich dann wenden?

Sie werden nur drei Möglichkeiten haben:

  • Mehr säkularen Pseudofortschritt, bei dem der Drache seinen eigenen Schwanz frisst und in immer größere Inkohärenz und Widerspruch gerät, während die DIE-Agenda (Diversity, Inclusion and Equity) ihn in einen wachsenden totalitären Wahnsinn saugt;
  • oder den Islam selbst, der wieder  andere Formen totalitärer Kontrolle verspricht, wie wir am Beispiel des Iran sehen;
  • oder drittens das Christentum und die christliche Kultur, in der Freiheit des Gewissens, Freiheit der Wahl, die Würde des Einzelnen als Ebenbild Gottes, der Vorrang der Vergebung und das Versprechen jener grundlegenden Freiheiten, die wir für selbstverständlich gehalten haben, angeboten werden.»

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  1. Gavin Ashenden ist ein ehemaliger anglikanischer Priester, der vor vier Jahren zur römisch-katholischen Kirche konvertierte, nachdem er von dem zunehmenden Revisionismus der Church of England desillusioniert war. Heute ist er Laie und schreibt und podcastet über aktuelle Themen in Kirche und Welt.[]

Einige Gedanken zu den aktuellen Ereignissen

Wolf Paul, 2023-11-04

Ein Gastbeitrag von James M. Kushiner[1] von Touchstone[2].


Lass mein Gebet vor dich kommen:
Neige dein Ohr zu meinem Schreien;
Denn meine Seele ist voller Leiden;
und mein Leben naht sich dem Grabe.

Gute Nachrichten scheinen schwer zu finden zu sein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man zu viel Aufmerksamkeit auf „aktuelle Ereignisse“ statt auf das ewige Ereignis der frohen Botschaft Jesu Christi legt.

Natürlich sind aktuelle Ereignisse wichtig. Nur Herzen aus Stein können das menschliche Leid durch die jüngste Gewalt und Tragödie, die aus dem Abgrund menschlicher Verderbtheit und Sünde überquellen, ignorieren: das brutale Abschlachten von Zivilisten durch die Hamas; der Tod von achtzehn Menschen in Lewiston, Maine, durch einen geistig gestörten Einwohner; der Tod von Zivilisten durch Raketenangriffe in Israel und dem Gazastreifen und in der Ukraine. Näher zu Hause wurde ein 6-jähriges Kind einer muslimischen Familie von einem Mann erschossen, der Muslime töten wollte nach dem Angriff der Hamas; und die wöchentliche Tötung junger Chicagoer durch andere junge Chicagoer mit Schusswaffen.

Bei jedem dieser Vorfälle sind die Leben der Überlebenden zerstört, Trauma setzt ein und der Schatten des Bösen verdunkelt das Licht des Lebens. Eltern trauern um erschlagene Kinder, Ehepartner um verlorene Ehepartner; Beerdigungen sind geprägt vom Gespenst der Grausamkeit der Gewalt. Die Medien berichten einige Fakten, können aber letztlich wenig oder nichts über das „Warum“ erklären. Das Böse ist real und der Mensch allein hat keine Heilung.

Die von den Lebenden zurückbehaltenen Wunden können bestenfalls teilweise geheilt werden und hinterlassen Narben. Im schlimmsten Fall eitern Wunden und entwickeln sich zu tieferen Wunden, die in Depression, Sucht, sogar zum Verlust des Lebens führen können. Die Therapie, die vielen angeboten wird, ist ein Pflaster, das Symptome lindern, aber letztlich nicht heilen kann.

Der häufigste Gedanke für viele muss sein: „Wo ist Gott?“ Wie Gott, wie sie ihn sich vorstellen, in das passt, was sie gerade erlebt haben, ist für sie nicht greifbar.

Das Nachdenken über solche Dinge brachte mich zurück zu einem Artikel von Stephen Muse, der vor zehn Jahren in Touchstone veröffentlicht wurde: „No Dead Man’s Prayer: on the Suffering of Faith & the Paradox of Psalm 88.“ Es ist der dunkelste der Psalmen in dem Sinne, dass es nur die dünnste Hoffnung gibt, die am Anfang angesprochen wird: „O Herr, Gott meines Heils…“ Aber darauf folgt hart ein Katalog von Beschwerden und Leiden, die oft Gott zugeschrieben werden: „Du hast mich in die Tiefen der Grube gelegt… Du hast bewirkt, dass meine Gefährten mich meiden…“ und der Psalm endet mit Dunkelheit.

Die Geschichte Israels verläuft nicht von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, obwohl die Herrlichkeit immer wieder durchbricht. Und wenn sie es tut, ist es eine Herrlichkeit, die als fester Bezugspunkt leuchtet, eine Herrlichkeit, die nicht verweigert werden wird, die Quelle der sicheren Verheißungen von Erlösung und Heil, die erfüllt werden, während alle Spreu und alles Böse dieser Welt verzehrt wird, wenn Gott selbst „jede Träne von ihren Augen abwischen wird.“ Die Welt ohne Gott ist einfach dunkel.

Die Skeptiker und Atheisten nennen das Wunschdenken. Aber es gibt unter uns Menschen, die wissen, dass es wahr ist. Sie haben Missbrauch, Trauma, Leid, Herzschmerz und Verlust erlitten, aber echte Heilung in der niemals schwindenden Liebe Christi gefunden, die durch die Heilige Schrift, die Psalmen, die geistige Lieder und das Leben anderer, Heiliger in der Gemeinschaft namens Kirche sichtbar wird. Sie haben Glauben, wie Stephen Muse schrieb: „… echter Glaube ist mehr wie das, was mir ein sich erholender Crack-Abhängiger einmal sagte, ‘Du weißt nicht, dass du Glauben hast bis Glaube alles ist, was du hast.'”

Manchmal sind wir nicht stark genug, um Hilfe zu suchen. Glaube ist schwer. Wir fühlen uns gelähmt, unfähig zu handeln. Wir könnten uns mit dem Gelähmten im Markus-Evangelium identifizieren, der von seinen Freunden durch ein Loch im Dach in den überfüllten Raum hinabgelassen wurde, in dem Jesus predigte. „Und als Jesus ihren Glauben sah“, verkündete er die Vergebung der Sünden des Gelähmten, dann sagte er: „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“ Der Gelähmte hatte gerade genug Glauben, um sich dem verzweifelten Versuch seiner Freunde zu unterwerfen, ihn heil zu sehen.

Wenn wir manchmal nur wenig Glauben haben, sind wir umgeben von ewigen Freunden in Christus. Wir können uns an andere wenden, die Christus vertrauen. Wir können uns auf Christi eigenen Glauben verlassen und uns an ihn klammern. Verletzt, verwundet, wütend, verwirrt – wir können eintreten, wo zwei oder drei in Christi Namen versammelt sind, eine Kirche oder Gemeinde, wo die Psalmen gebetet werden. Höre auf das Evangelium. Höre und sage die Worte, die so viele in den Evangelien und auf der ganzen Welt seit Jahrtausenden gesprochen haben: Kyrie, eleison! Herr, erbarme dich! Denn er ist der philanthropos, der Menschenfreund. Bei ihm finden wir Barmherzigkeit in den dunkelsten Zeiten.


Dieser Beitrag von James M. Kushiner wurde ursprünglich im E-Mail Newsletter von Touchstone im November 2023 veröffentlicht. Copyright ©2023 by Fellowship of St. James. Hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Übersetzung: Wolf Paul

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  1. James M. Kushiner ist emeritierter Chefredakteur der Zeitschrift Touchstone und Verlagsleiter der Fellowship of St. James.[]
  2. Touchstone, “A Journal of Mere Christianity”, wird von der Fellowship of St. James herausgegeben und betont jenen traditionellen Kern des historischen Christentums, der uns alle, unabhängig von Konfessionen und kirchlichen Traditionen, vereint.[]

Der Große Austausch

Wolf Paul, 2023-09-13

Chad Bird:[1]

Hier ist der Vers,der für mich auf den Punkt bringt, worum es beim Christentum letztlich geht, was die Frohbotschaft des Christentums ist, die wir der Welt anbieten. Es handelt sich dabei um den letzten Vers von 2. Korinther 5:

Gott hat Ihn, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in Ihm Gerechtigkeit Gottes würden.

Das wird manchmal „der große Austausch“ genannt. Denn Jesus nimmt unsere Sünde auf Sich: Gott hat Ihn, der keine Sünde kannte, zu unserer Sünde, zu alldem, was uns von Gott trennt, gemacht. Das ist, wozu Jesus am Kreuz wurde. Er wurde der Sünder, Er wurde Sünde – unsere Sünde, meine Sünde, deine Sünde, die Sünde der ganzen Welt, der ganzen Menschheit – dazu wurde Jesus am Kreuz. Er war die ganze Menschheit reduziert auf eine Person, die ganze sündige Menschheit reduziert auf eine Person. Dazu wurde Jesus am Kreuz. Warum?

Damit wir in Ihm die Gerechtigkeit Gottes würden. Indem Er unsere Sünde auf sich genommen hat, gibt Er uns Seine Gerechtigkeit. Indem Er unseren Tod auf sich genommen hat, schenkt Er uns Sein Leben. Das ist der Große Austausch: Jesus wird zu all dem, was uns vom Vater trennt, damit wir in Jesus mit dem Vater versöhnt, zu Ihm gezogen werden.

Das ist die Frohbotschaft, die gute Nachricht. Das ist die beste Nachricht. Und sie richtet sich an dich, sie richtet sich an mich, sie richtet sich an die ganze Welt. Es gibt niemanden, für den Jesus nicht Sünde wurde, damit sie oder er in Ihm, durch den Glauben an Ihn, zur Gerechtigkeit Gottes würde.

 

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  1. Chad Bird ist Theologe bei 1517.org. Er hat als Pastor, Professer, und Gastlehrer für Altes Testament und Hebruaisch gedient. Er hat Master-Abschlüsse vom Concordia Theological Seminary und vom Hebrew Union College. Er hat Artikel geschrieben für Christianity Today, The Gospel Coalition, Modern Reformation, The Federalist, Lutheran Forum, und andere Zeitschriften und Webseiten. Er ist Autor einiger Bücher, einschließlich seines letzten, Limping with God: Jacob and the Old Testament Guide to Messy Discipleship („Hinkend mit Gott: Jakob und der alttestamentliche Leitfaden für chaotische Jüngerschaft“). Er ist auch Co-Moderator des populären Podcasts, 40 Minutes in the Old Testament („40 Minuten im Alten Testament“).[]

Gedanken zu Gottesdienst, Kirchenjahr, Tradition

Wolf Paul, 2023-09-01

Ausgehend von den interessanten Gedanken von Pfarrer i. R. Detlef Korsen zum Thema “Eventgottesdienste”, die wohl vor allem auf seinen Erfahrungen im norddeutschen evangelischen Umfeld basieren, habe ich mir meine eigenen Gedanken gemacht über die Situation in meinem österreichischen[1] freikirchlichen Umfeld – da gibt es nämlich ein ganz ähnliches Problem: Gottesdienste neigen dazu, mit zunehmender Größe der Gemeinde immer mehr den Charakter einer perfekt orchestrierten Bühnenshow anzunehmen (dies nicht nur in Österreich).

Wie in Pfr. Korsens Schilderung, sind auch in unseren Gemeinden die sehr traditionsbeladenen Feste Weihnachten und Ostern Anlässe für besondere Events, entweder am Feiertag selbst oder im Vorfeld desselben. Was mir dabei auffällt ist, daß sich diese Events oft mehr an den kulturellen Traditionen als am christlichen Charakter des Festes orientieren. Das scheint mir daran zu liegen, daß in unseren österreichischen freikirchlichen Kreisen das Kirchenjahr, aus dem diese Feiertage kommen und ihren christlichen Charakter beziehen, kaum Beachtung findet, sondern als “Tradition” abgetan wird. Es steht ja nicht direkt in der Bibel. Daher feiern wir an diesen Tagen nicht primär Geburt und Auferstehung Jesu, sondern nutzen das kulturelle Restbewußtsein dieser Bedeutungen als evangelistischen Aufhänger (was ja an sich durchaus lobenswert ist).

Allerdings hat das Kirchenjahr, als Ordnung des Jahres anhand der vergangenen Großtaten Gottes mit dem Ziel, uns diese zu vergegenwärtigen und uns bewußt zu machen, daß Gott auch heute noch wirkt, durchaus ein biblisches Vorbild: den Festkreislauf des jüdischen Volkes.[2] Dieser Festkreislauf basiert nicht nur auf der biblischen Offenbarung, sondern entspricht auch, wie eben auch das Kirchenjahr, dem menschlichen Bedürfnis, uns an wichtige Ereignisse in Feiern zu erinnern (z.B. Geburts- und Hochzeitstage).

Und es ist ja auch nicht so, daß wir Tradition generell ablehnen, sondern lediglich die Tradition der alten Kirche. Jede unserer Gemeinden hat ihre Tradition, oft geteilt mit anderen Gemeinden des gleichen Bundes oder Netzwerks. Wir lehnen ja größtenteils auch Liturgie ab, aber auch da nur die traditionell überlieferte altkirchliche Liturgie – denn jede Gemeinde hat ihre eigene Liturgie: meist laufen Gottesdienste Sonntag für Sonntag nach dem gleichen Schema ab, und die “freien” Gebete mancher Geschwister[3] klingen auch jeden Sonntag ziemlich gleich.

Wir berufen uns in der Ablehnung der altkirchlichen Tradition oft auf die Reformation und deren Grundsatz “sola Scriptura” – aber Martin Luther z.B. hat ja nicht die Tradition an sich abgelehnt, sondern den Versuch, diese zusätzlich zur Bibel (und teilweise im Widerspruch zur Bibel) als Maßstab für Lehre, Glauben, und Leben heranzuziehen.[4]

Ich persönlich sehe den zunehmenden Eventcharakter unserer Gottesdienste mit Bedauern, und würde einen von der Gemeinde im Gottesdienst bewußt als Vorbereitung auf die Geburt und Wiederkunft des Erlösers gefeierten Advent[5], sowie eine Fasten- und Passionszeit als Vorbereitung auf das Gedächtnis des Leidens und Sterbens sowie auf die Feier der Auferstehung Jesu, sehr begrüßen.

Das ganze erfordert jedenfalls noch mehr Nachdenken, und eine leichte Änderung in Bezug auf das Kirchenjahr ist ja Gott sei Dank zu beobachten.

 

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  1. Ich streiche das hervor, weil sich meiner Erfahrung nach die Situation in Österreich von der Situation in Deutschland und der Schweiz in einigen Aspekten unterscheidet. Durch die Jahrhunderte dauernde Dominanz des habsburgischen Katholizismus war bis vor wenigen Jahrzehnten die römisch-katholische Kirche die dominante Kirche, neben der protestantische Kirchen einschließlich der Lutherischen und Reformierten, ein Schattendasein führten. Freikirchen waren bis 2013 nicht einmal als Kirchen anerkannt und durften sich bis 1999 auch nicht als Vereine organisieren. Die Mehrzahl der österreichischen Freikirchen entstanden erst nach dem 2. Weltkrieg und waren die ersten Jahrzehnte von Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten und Jugoslawien sowie von ehemals katholischen Konvertiten geprägt. Letztere standen allem, was irgendwie katholisch aussah, verständlicherweise sehr skeptisch und ablehnend gegenüber, was sich erst jetzt, wo die Gemeinden bereits von Mitgliedern in der vierten Generation bevölkert sind, langsam ändert. Auch die offene Unterstützung der Anerkennung der Freikirchen 2013 durch den katholischen Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, hat viel zu einer Haltungsänderung beigetragen. []
  2. Daß die Kirche dabei, in ihrem zunehmenden Antijudaismus und der supersessionistischen Theologie (auch “Ersatzlehre“, die Kirche hat Israel ersetzt, ist das neue Israel), die biblischen Feste des Alten Bundes durch völlig neue, christliche Feste ersetzt hat, statt sie um diese zu ergänzen, ist meines Erachtens sehr traurig, und die Tatsache, daß das Feiern der jüdischen Feste und des Sabbats für zwangsbekehrte Juden durch die Staatsmacht als Handlanger der Kirche unter schwere Strafe gestellt wurde empfinde ich als absoluten Schandfleck der Kirchengeschichte.[]
  3. Wo es denn noch eine freie Gebetszeit gibt im Gottesdienstablauf, denn mit zunehmendem Eventcharakter verschwindet diese oft[]
  4. Allerdings gibt es in der “Schweizer” Reformation (Calvin, Zwingli, usw.), und auch in der “radikalen Reformation” des Täufertums, das Prinzip des “Regulativs des Gottesdienstes“. Dieses besagt, daß im christlichen Gottesdienst nur das legitim ist, was ausdrücklich in der Bibel geboten ist. Alles, was nicht direkt im Wort Gottes befohlen wird, ist demnach im Gottesdienst unzulässig. Manche dehnen das dann auf das gesamte kirchliche bzw. Gemeindeleben aus, wodurch dann auch traditionelle Feste verboten sind. Insofern sich Gemeinden (freikirchliche oder nicht) heute darauf berufen, muß man den meisten von ihnen vorwerfen, daß sie sich nur sehr selektiv daran halten.[]
  5. mit mehr Inhalt als das Anzünden der Adventkranzkerzen[]

Bibelübersetzungen

Wolf Paul, 2023-07-12

Vor kurzem wurde der von mir sehr geschätzte Theologe Chad Bird auf Facebook gefragt, welche Bibelübersetzungen er als besonders gut und textgetreu empfehlen würde, und er empfahl die NASB, ESV, und CSV. Das sind natürlich alles englische Übersetzungen, und ich habe dann überlegt, welche deutsche Übersetzungen ich empfehlen würde.

Zuvor möchte ich aber einen Satz aus Chad Birds Antwort herausstellen und ganz dick unterstreichen:

“Jede Übersetzung ist natürlich unvollkommen, weil es unmöglich ist, eine Sprache zu 100% in eine andere Sprache zu übertragen.”

Das ist eine ganz wichtige Tatsache, die leider viel zu oft übersehen wird.

Als Pendant zur NASB, die mehr Wert auf  Übersetzungsgenauigkeit als auf Lesbarkeit legt, würde ich die Elberfelder Bibel empfehlen, wobei die revidierte Version (1985, neue Rechtschreibung 2006) bereits wesentlich lesbarer ist, als ihre Vorgänger. Als Pendant zu ESV und CSB finde ich drei deutsche Übersetzungen empfehlenswert: die revidierte Schlachterbibel (2000), die revidierte Lutherbibel (2017) und die revidierte Einheitsübersetzung.

In der Basisbibel der Deutschen Bibelgesellschaft ist zwar nicht ganz meins, aber mit ihr werden schließlich auch jene fündig, die gegen traditionelle Sprache allergisch sind.

Auf Englisch empfehle ich für eine zusätzliche Perspektive die CJB (Complete Jewish Bible) von David Stern;  von der gibt es auf Deutsch lediglich das Jüdische Neue Testament welches kombiniert mit der Heiligen Schrift, dem Tanach (Alten Testament) in der Übersetzung von Naftali Herz Tur-Sinai eine ähnliche Perspektive bietet.

Generell glaube ich, daß man mit den meisten Bibelübersetzungen besser fährt, als ohne Bibel. Aber es gibt ein paar Übersetzungen, die entweder sehr tendenziös sind (z.B. die Neue Welt Übersetzung der Zeugen Jehovas) oder aber von ihrer Ubersetzungsphilosophie her problematisch sind (z.B. Konkordantes Neues Testament, DaBhaR-Übersetzung)[1]

NACHTRAG:

Auf Facebook fand dann folgender Austausch zwischen mir (WNP) und Dagmar Gollatz (DG) statt:

DG: Wem empfehlen und wofür? Das macht doch einen Unterschied.

WNP: Wir reden hier von generellen Empfehlungen für den “normalen” Gläubigen und “normale” Bibellese/Bibelstudium. Daß es in speziellen Situationen auch andere Möglichkeiten gibt, ist unbestritten.

DG: Was meinst du in dem Zusammenhang mit normal? Ist das jemand deines Alters und deiner Sozialisation? Ist es die Jugendliche, die die Bibel zum ersten Mal liest? Ist es der mit Buddhismus liebäugeldnde beruflich stark belastete Mittdreißiger? Das 10jährige Kind das in frommer Familie aufwächst? Das theologisch interessierte Mitglied der Gemeindeleitung? Die junge Mutter, die den Bezug zur Gemeinde verloren hat, aber ihren Kindern doch biblische Geschichten erzählen will und vorher selbst nachlesen will. Der fromm erzogene Teenie, der die Nase voll hat von salbungsvollen Worten. Die aktive Pensionistin, die jetzt mit theologischer Literatur neben der Bibel ihr Verständnis vertiefen will?

WNP: “Normal” ist ein bisserl ein ungeschicktes Wort, wie wir auch der aktuellen politischen Diskussion entnehmen können.

Während ich nicht glaube, daß es die EINE richtige und allgemeingültige Übersetzung gibt (das liegt in der Natur von Sprache), und während ich durchaus eine gewisse Berechtigung für Zielgruppen-Übersetzungen sehe, gibt es doch einen Unterschied zwischen Übersetzung (translation) an einem Ende des Spektrums und Übertragung (paraphrase) am anderen Ende des Spektrums, und auf den Unterschied hab ich auch hingewiesen. Wie wichtig einem dieser Unterschied ist, hängt sicher auch davon ab, für wie wichtig man den tatsächlichen Wortlaut des biblischen Textes hält; wenn man ihn (wie ich) für wichtig hält, dann bevorzugt man möglichst wortgetreue Übersetzungen gegenüber freieren Übersetzungen und Übertragungen.

Ich habe keinen Zweifel, daß Menschen auch durch Übertragungen zu einem lebendigen Glauben an Jesus finden können; ich bin aber auch davon überzeugt, daß sowohl jugendliche Bibel-Anfänger ebenso wie Kinder und Jugendliche aus einem christlichen Umfeld, sowohl beruflich stark belastete Männer als auch alleinerziehende Mütter, aktive Pensionisten und Pensionisten ebenso wie alle anderen, der Deutsch lesen, die von mir empfohlenen Übersetzungen lesen und verstehen können, wenn sie offen sind für Gottes Reden. Und wenn sie das nicht sind, werden sie auch mit der Volxbibel nicht weiterkommen.

 

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  1. Diese Übersetzungen treiben die Worttreue so weit, daß sie jedes Wort des Urtexts durch jeweils ein Wort der Zielsprache übersetzen wollen. Das offenbart ein mangelndes Verständnis davon, wie Sprache funktioniert, und daß man eine Sprache nie zu 100% in eine andere Sprache übersetzen kann. Der Übersetzer der DaBhaR versucht das zu kompensieren, indem er einfach Wörter erfindet, was am Sinn einer Übersetzung vorbeigeht.[]

Ratschläge zum Beten

Wolf Paul, 2023-06-26

Chad Bird[1] gibt folgende Ratschläge zum Beten:

Viele von uns sind wahrscheinlich mit dem Ausdruck „Herr, lehre uns beten...“ aus Lukas 11 vertraut. Was uns möglicherweise weniger bekannt ist, ist der Rest des Satzes: „…wie Johannes seine Jüngern gelehrt hat.“

Wie Johannes seine Jüngern gelehrt hat. Welche Auswirkungen hat das? Sowohl Johannes als auch Jesus hatten Jünger, die von sich aus nicht wussten, wie man betet. Oder vielleicht wollten sie ihr Verständnis und/oder ihre Praxis des Gebets vertiefen. Oder sie suchten nach konkreter Anleitung. Oder sie wollten die genauen Worte wissen, die man sagen sollte.

So oder so, Beten war nichts, was ihnen natürlich kam, wie Essen, Trinken und Schlafen.

Gebet, wie jede Sprache, will erlernt werden.

Jesus gab seinen Jüngern das Vater Unser. Dieses Gebet fasst im Grunde das gesamte Buch der Psalmen in sieben “Bitten” oder Anliegen zusammen. Betet die Psalmen und ihr werdet ständig Echos des Vater Unsers vernehmen.

Hier sind ein paar weitere Ideen, wie man mit unserem Herrn sprechen kann:

1. Wiederhole mehrmals am Tag ein kurzes Gebet und konzentriere dich jedes Mal auf ein anderes Wort. Mein Favorit ist „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner, eines Sünders“ (das sogenannte Jesusgebet). Manchmal nenne ich auch einfach die Namen von Menschen, an die ich denke, und sage: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über ________.“

2. Beim Vater Unser kannst du entweder das gesamte Gebet beten oder eine oder mehrere Bitten auswählen und sie ausführlicher behandeln. Zum Beispiel: „Unser Vater im Himmel, danke, dass du mich zu deinem Sohn/deiner Tochter gemacht hast, dass du mein Vater bist, dass du mich in deine Familie aufgenommen und mir deinen Namen gegeben hast, usw.“

3. Mein bester Vorschlag ist, die Psalmen der Reihe nach zu beten. Der Vorteil, alle Psalmen immer wieder zu beten, anstatt nur diejenigen auszuwählen, die man gerne beten möchte, besteht darin, dass der volle Umfang der Psalmen deine Gebete formt. Auf gewisse Weise beten sie dich, anstatt dass du sie betest. Diese Worte von Gott werden zu deinen Worten zu Gott.

4. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, andere Worte der Schrift in Gebete umzuwandeln. Es ist sehr einfach. Zum Beispiel: „Im Anfang hast du, o Gott, Himmel und Erde erschaffen. Lob sei dir für das Geschenk dieser Welt, meines Körpers und meiner Seele, meiner Familie, meines Geschäfts, denn sie alle sind ein Geschenk von dir.“ Oder: „Jesus, du hast uns, die wir müde und beladen sind, aufgefordert, zu dir zu kommen. Gib mir Ruhe. Lege dein leichtes Joch auf mich. Hilf mir, von dir zu lernen.“

Mir gefällt auch das, was von Makarios, einem ägyptischen Priester und Mönch des 4. Jahrhunderts, überliefert ist: Abba Makarios wurde gefragt: „Wie sollte man beten?“ Der alte Mann antwortete: „Es ist überhaupt nicht nötig, lange Reden zu halten; es genügt, die Hände auszustrecken und zu sagen: ‚Herr, wie du willst und wie du es weißt, habe Erbarmen.‘ Und wenn der Kampf heftiger wird, sag: ‚Herr, hilf!‘ Er weiß sehr gut, was wir brauchen, und er zeigt uns seine Barmherzigkeit.“

Noch eine Anmerkung von Wolf zu den Psalmen:

Viele davon kann ich nicht beten, so wie wir „Beten“ verstehen. Aber ich kann durch die Psalmen lesen, und wo sie in meine Situation hineinsprechen, werden sie zu meinen Gebeten; auf jeden Fall aber sind sie Gottes Wort und formen meine Gedanken.


Das englische Original dieses Beitrags ist am 25. Juni 2023 auf Chad Birds Facebook-Timeline erschienen. Computer-gestützte Übersetzung von Wolf Paul.

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  1. Chad Bird ist lutherischer Pastor, Theologe und Professor für Altes Testament und Hebräisch. Er hat für viele christliche Zeitschriften geschrieben und mehrere Bücher verfaßt.[]

Krebsgeschwüre am Leib Christi

Wolf Paul, 2023-06-03

Der Roys Report berichtet über Verhaftungen von Leitern und Mentoren einer christlichen Studentenverbindung in Texas, wegen mehrfachem sexuellem Mißbrauch von Kindern.

Manche nennen sie Nestbeschmutzer, aber ich glaube, daß der Aufdeck-Journalismus von Julie Roys und ihren Miarbeitern, aber auch anderen z.B. im katholischen und anglikanischen Umfeld, extrem wichtig ist für die Gesundheit der Gemeinde Jesu.

Situationen wie die hier beschriebene schädigen nicht nur die unmittelbaren Opfer, sondern sie sind wie Krebsgeschwüre am Leib Christi: wenn man sie ignoriert und nicht entfernt, schädigen sie die Gesundheit des ganzen Leibes.

Vor ein paar Jahren haben manche Evangelikale fast schadenfroh auf die römisch-katholische Kirche gesehen, als dort immer mehr Mißbrauchsfälle im Klerus bis hinauf zu prominenten Kardinälen bekannt wurden; aber es gab schon immer auch problematische freikirchliche Gruppen wie die extremen “geschlossenen Brüder” vor allem im englischen Sprachraum[1];  dann gab es in den letzten Jahrzehnten Meldungen aus dem evangelischen Milieu in Deutschland und die Enthüllungen über die Internatsschulen für Indigene in Kanada und Australien, wo die anglikanischen Kirchen in diesen Ländern beteiligt waren. Vor einem Jahr gab es dann die Zeitungsberichte in Texas über das massive Versagen der Southern Baptists, adequat mit Mißbrauchstätern im vollzeitlichen Dienst umzugehen, unter dem Mäntelchen der “Autonomie der Ortsgemeinde.”[2]

Und heute wissen wir, nicht zuletzt dank der Arbeit von Frau Roys und ihrem Roys Report, daß diese Krebsgeschwüre leider in allen kirchlichen Traditionen gedeihen, auch in Pfingstgemeinden und den größtenteils charismatischen unabhängigen Gemeinden, und bis hinauf zu den prominentesten Megachurches.[3] Leiter in allen kirchlichen Traditionen und Konfessionen haben viel zu lange und viel zu oft zu- und weggeschaut, haben oft mehr Empathie mit den Tätern als mit den Opfern gezeigt, und sich mehr Sorgen gemacht um den Ruf ihrer jeweiligen Kirche oder Gemeinde als um die Sicherheit und das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Menschen.

Ich kann nicht beurteilen, wie weit dieses Problem auch in freikirchlichen Gemeinden in Deutschland und Österreich existiert[4] , aber statistisch gesehen sind gerade Gemeinden mit sehr konservativer Theologie, wo Männer in ihren Familien und Pastoren oder Älteste in der Gemeinde unangefochten und unwidersprochen “herrschen”, ehr anfällig sowohl für Mißbrauch und Gewalt in der Familie als auch für Mißbrauch durch Pastoren und andere Leiter. Und solche Gemeinden gibt es auch im deutschen Sprachraum, am Rand der evangelikalen Bewegung. Aberselbst wenn “bei uns”, in unseren Gemeinden und Kreisen, alles in Ordnung sein sollte, können wir uns nicht einfach abputzen: die Kirche, die Gemeinde Jesu ist trotz aller Zerrissenheit und geografischer Ausbreitung ein Leib, und “wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit[5]),” leidet der ganze Leib.

Es ist jedenfalls höchste Zeit, daß wir nicht mehr wegschauen, sondern sowohl im Gebet für solche Situationen eintreten als auch Zivicourage zeigen, wo es nötig ist.

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  1. insbesondere die “RavenHale” Gruppe in England, Nordamerika und Australien[]
  2. Bei den Southern Baptists hat jetzt trotz einigem Widerstand in den eigenen Reihen eine Aufarbeitung  diese Problems mit Präventivmaßnahmen begonnen.[]
  3. Die Situation in den Ostkirchen (Orthodoxe und Uniierte) kommentiere ich hier nicht, weil ich nicht genug über deren Situation weiß; ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie davon vollständig verschont sind.[]
  4. Da freikirchliche Gemeinden bei uns, im Gegensatz zu den englischsprachigen Ländern, eher am Rand der Gesellschaft stehen, dringt viel weniger an die Öffentlichkeit[]
  5. 1. Korinther 12,26 (Einheitsübersetzung 2016[]