Der Glaube als Waffe in Rußlands Krieg gegen die Ukraine

Wolf Paul, 2025-05-08

Dieser Artikel von Denys Gorenkov1wurde ursprünglich vom Baptist Standard veröffentlicht. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung erolgt mit Genehmigung.

Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine – mit allen verfügbaren Mitteln. Darunter auch die Religionsgemeinschaften des Aggressorstaates.

Dabei geht es nicht nur um den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill (Gundjajew), den muslimischen Führer Talgat Tadschuddin und den jüdischen Vertreter Aaron Gurewitsch. Kleine, aber straff organisierte evangelikale Kirchen in Russland mobilisierten schnell ihre Ressourcen, um den imperialen Krieg zu unterstützen.

Evangelikale im Dienst Russlands

Evangelikale Leiter setzen nicht nur auf das Wohlwollen der Behörden, sondern auch auf gewisse Beute – sie haben die Botschaft Christi durch die Gebote der „Z-Religion“ ersetzt. Das „Z“ ist das Symbol für Russlands sogenannte „Spezialoperation“.

Im Gegensatz zur Russisch-Orthodoxen Kirche, die ihre Rhetorik und Strukturen schnell und zentral an die Kriegsmaschinerie angepasst hat, taten sich die evangelikalen Kirchen zunächst schwerer. Einige Leiter widersetzten sich; andere verließen das Land.

Doch drei Jahre nach Beginn der Invasion haben sich russische Evangelikale fest eingereiht: Pastoren segnen Putin öffentlich und bekunden ihre Unterstützung für die „Spezialoperation“.

Hinter den mit Gewehren bewaffneten burjatischen2 Soldaten folgen „Missionare“. Auf den Trümmern ukrainischer Gebetshäuser verteilen russische „Brüder“ Hilfsgüter und singen Lobpreislieder.

Inmitten der Trümmer von Mariupol, Ukraine, nahm der russische „Missionar“ Andrey Krysov ein Einladungsvideo zu einer Missionskonferenz auf, die in Jekaterinburg stattfinden soll.

Krysov ist als einer der Redner gelistet. Gemeinsam mit dem „Missiologen“ Pawel Pusanow soll er russischen Gläubigen beibringen, wie „Mission auf befreiten Gebieten“ funktioniert – so lautete es in einem inzwischen gelöschten Telegram-Kanal der Konferenz.

Doch die Frage, an welchen Gott und an welche Mission die russischen „Z-Christen“ eigentlich glauben, wird weder in Jekaterinburg noch sonstwo gestellt – weder auf Konferenzen, noch bei Leitungsgipfeln oder Gebetsfrühstücken.

Diejenigen, die solche Fragen stellen könnten, sitzen im Gefängnis, leben im Exil oder wurden beseitigt. Die Verbliebenen gieren nach ihrem Anteil am Festmahl des Kannibalen.

Russische Kirchenleiter – Schatrow: Bischof, stellv. Leitender Bischof des Bundes Evangelischer Christen im Nordwestlichen Föderalbezirk; Dirinenko: Bischof, stellv. Leitender Bischof im Zentralbezirk; Kolesnikow: Vorsitzender der Gesamtunion Evangelischer Christen; und Karassjow: Bischof des Gesamtverbandes Evangelischer Christen – berichteten stolz über das Wachstum ihrer Gemeinden beim Gebetsfrühstück3 in Washington, D.C., am 6. Februar 2025:
„Selbst unter den schwierigen Bedingungen der Spezialoperation vermehren sich unsere Kirchen“, so Teilnehmer.

Und tatsächlich – wie schon nach den Okkupationen von Moldawien, Georgien und der Krim.

Gemeindewachstum als Strategie

Die Strategie ist überall gleich: Erst durchkämmen Sicherheitskräfte die Häuser und Kirchen örtlicher Christen in den besetzten Gebieten. Danach kommen Beamte, die verlangen, dass Kirchen sich nach russischem Recht neu registrieren.

Dann treten Gesandte russischer protestantischer Kirchen auf: „Schließt euch uns an, dann erhaltet ihr offizielle russische Registrierung.“ Wer ablehnt, wird vom Sicherheitsdienst beseitigt. Wer zustimmt, zählt nun zur Statistik des russischen Gemeinde-Wachstums.

Hauptakteur dieser „Übernahmen“ ist die Vereinigte Russische Union der Christen Evangelikalen Glaubens (ROSKhVE).

Früh im Verlauf der „Spezialoperation“ erklärte ROSKhVE-Leiter Sergej Rjachowskij die Position des Verbands unmissverständlich 4:
„Wir sind russische Bürger und Patrioten unseres Landes.“

Auf einer Sitzung des Religionsrats der Russischen Föderation zum Thema Ukraine sagte Rjachowskij 5:
„Heute haben wir keinen anderen Weg, die Wahrheit zu verteidigen“, und fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, dass uns die Liebe bewegt.“

Natürlich haben russische Evangelikale nicht denselben Einfluss wie die Moskauer Orthodoxie – und im Vergleich zum „Wolf“ Kirill Gundjajew wirken ihre Leiter eher wie „Wolfswelpen“. Doch auch diese „Wolfswelpen“ wollen profitieren – und beten nicht nur für Putin, sondern auch zu Putin.

In den Jahren des Krieges haben sich die Kirchen des Aggressorstaates dank der Gemeinden in den besetzten Gebieten vervielfacht.

Theologischer Wandel

Schon 2014, nach der Annexion der Krim, richteten sich russische Baptisten 6 – einst unerschütterliche Bekenner unter dem Sowjetregime – mit einem unterwürfigen Appell an Putin: „Danke für den Schutz und die Stärkung geistlicher und moralischer Werte.“

Heute sind russische Kirchen nicht wiederzuerkennen. Sie ähneln nicht mehr dem historischen protestantischen Zeugnis, das einst bereit war, der Macht die Wahrheit zu sagen.

Die Sprache der Kirche – Spiegel ihres Denkens – hat rasch die Vokabeln des Staates übernommen. Phrasen wie „Befreiungshandlungen“ oder „befreite Gebiete“ gehen glatt über die Lippen.

Sergej Kirejew, ROSKhVE-Leiter 7, erklärte in einem Bericht mit dem Titel Zwei Jahre SVO: Der Beitrag der Protestanten von Pensa zu unserem gemeinsamen Sieg,
„Großartige Arbeit wurde bereits geleistet – doch noch größere Aufgaben stehen uns bevor, sowohl in Pensa als auch in den neuen Gebieten.“

Tatsächlich bleibt für ROSKhVE und andere russische Evangelikale viel zu tun. Ihre Organisationen konzentrieren sich auf die „neu befreiten Gebiete“, und ihre „Missiologen“ haben eine maßgeschneiderte Missionsstrategie entwickelt – zur Besiedlung und „Bepflanzung“ jener ukrainischen Länder, die russische Truppen „gesäubert“ haben.

Christenverfolgung

Die Fakten zur Christenverfolgung aufgrund der Ablehnung der „Z-Religion“ sind im Bericht Faith Under Russian Terror 8 dokumentiert.

Laut Pastor Mychajlo Bryzsyn, Mitautor des Berichts:
„Auf den zwischen 2022 und 2024 besetzten ukrainischen Gebieten orchestrierte Russland einen regelrechten religiösen Genozid: Hunderte Glaubensgemeinschaften wurden zerstört; Geistliche verhaftet, verhört, brutal deportiert oder zur Flucht gezwungen; Kirchengebäude konfisziert und umfunktioniert.“

Allein in Melitopol wurden mehr als 15 Kirchengebäude – die meisten protestantisch – beschlagnahmt. Keines wurde je zurückgegeben, selbst nach der erzwungenen „Neuregistrierung“ nach russischem Recht.

In diesem Klima entfalten russische Kirchenleiter ihre „Missionstätigkeit“ – eine groteske Operation, wie das Zerstören eines prächtigen Parks, nur um ein paar Setzlinge zu pflanzen.

Gleichzeitig reisen diese Kirchenführer ungehindert durch die Welt und überzeugen westliche Zuhörer davon, dass Russland ein Land der Religionsfreiheit, christlicher Werte und kirchlicher Blüte sei.

Der amerikanische Prediger Rick Renner, der nach Russland gezogen ist, lobt offen das Regime und bietet mächtige mediale Unterstützung. Man glaubt Renner, Rjachowskij, Schatrow und Dirinenko – denn diejenigen, die ihnen widersprechen könnten, sitzen im Gefängnis, liegen im Grab oder gelten als radikale Ausgestoßene.

Beispiel Drittes Reich

All das ist in der Geschichte des Christentums nicht neu. Die „Deutschen Christen“ im Dritten Reich handelten ähnlich. Ihre Ideologen wussten sehr wohl, welche Rolle sie bei der „Endlösung der Judenfrage“ spielten – ebenso wie heutige russische „Missiologen“ wissen, was ihr „Einsatz auf befreitem Gebiet“ bedeutet.

Auch damals wurden amerikanische Christen von den Reichskirchenführern getäuscht – und glaubten ihnen.

1936 besuchte Oswald Smith von der People’s Church in Toronto – ein hochgeschätzter Missionar – Deutschland und kehrte begeistert zurück. Deutschland, so sein Bericht, sei „erwacht“.
„Deutsche Gläubige sagen, sie seien zufrieden mit Hitler.“ Und: „Jeder wahre Christ ist für Hitler.“ Siehe Fußnote.

Verstummter Widerstand

Auch heute gibt es russische Christen, die nicht die Euphorie von Rjachowskij oder Kirejew teilen – aber ihre Stimmen werden nicht gehört.

Was bleibt, ist das laute Singen bei Konferenzen und Gottesdiensten – ein Echo auf das Bild, das Erwin Lutzer in Hitler’s Cross beschreibt:

„Ein Eisenbahngleis verlief hinter unserer kleinen Kirche. Jeden Sonntagmorgen hörten wir den Pfiff in der Ferne und dann das Rattern der Räder. Wir wurden unruhig, wenn wir die Schreie aus dem Zug hörten.

Woche für Woche kam der Zug – wir wussten, dass er Juden wie Vieh in Waggons transportierte. Ihre Schreie quälten uns.

Wir wussten, wann der Zug kommen würde, und wenn wir den Pfiff hörten, begannen wir, Lieder zu singen. Wenn der Zug vorbeifuhr, sangen wir lauter. Und wenn wir Schreie hörten, sangen wir noch lauter – bis wir nichts mehr hörten.“

Ebenso werden die Teilnehmer der kommenden „Missionskonferenz“ in Jekaterinburg lauter singen – bevor sie zu Workshops über „Mission in befreiten Gebieten“ übergehen.

Wird es einen treuen Überrest geben?

Das Christentum in Russland hat sich in eine „Z-Religion“ verwandelt – eine Religion der Unterwerfung, der Eroberung, eingehüllt in Lobpreis.

Wird sich unter den russischen Christen ein „Überrest von siebentausend“ finden, „die ihr Knie nicht vor dem Baal gebeugt haben“ (1. Könige 19,18)? Nur der Herr weiß es. Nur er weiß, ob neue Leiter entstehen, die widerstehen, erkennen und treu bleiben können.

Was den Rest betrifft – jene „Z-Christen“, die ihr Zeugnis gegen Propaganda eingetauscht haben, die zum Imperium beten und durch Gesang das Leiden übertönen – auf sie treffen Longfellows prophetische Worte zu:

„Mag Gottes Mühle langsam mahlen, doch sie mahlt sehr fein;
Mit Geduld steht Er wartend, doch genau ist Sein Gericht.“

*******
Das Zitat von Oswald J. Snith über Christen im Dritten Reich stammt aus:
Oswald J. Smith, “My Visit to Germany,”
The Defender 11 (September 1936): 15. David A. Rausch, A Legacy of Hatred (Chicago: Moody, 1984), 101.

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  1. Denys Gorenkov ist Pastor der Evangelischen Freikirche „Neues Leben“ in Kyjiw, Ukraine, und Dozent am Ausbildungszentrum für Militärseelsorge des Militärinstituts der Taras-Schewtschenko-Universität Kyjiw. Die in diesem Meinungsartikel geäußerten Ansichten stammen vom Autor.
  2. Die Burjaten sind ein mongolisches Volk
  3. https://irp.news/protestanty-iz-rf-na-molitvennyj-zavtrak-v-ssha-2025/
  4. https://tass.ru/obschestvo/14799195
  5. https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=4QYz8yCCvcw
  6. https://baptist.org.ru/news/main/view/obraschenie-k-prezidentu-rossii-34-sezd
  7. https://shaltnotkill.info/pastor-roshve-podgotovil-doklad-o-vklade-protestantov-v-svo/
  8. https://missioneurasia.org/wp-content/uploads/2025/01/2025-Mission-Eurasia-report-on-Ukraine-ENG.pdf

Rotes Zeug: Warum wir Alles für Nichts eintauschen

Wolf Paul, 2025-05-06

C. Michael Patton1, Theologe und Gründer von Credo House, hat diesen Artikel auf seinem Blog veröffentlicht, und ich fand ihn so hilfreich für mein Verständnis von Sünde, dass ich mich entschlossen habe, ihn zu übersetzen und hier zu posten.
Ich habe Michael per E-Mail um Erlaubnis gebeten, konnte ihn aber bisher nicht erreichen. Daher nehme ich seine Zustimmung an und poste den Artikel trotzdem – ich kann ihn ja jederzeit wieder entfernen, falls er etwas dagegen hat.

Rotes Zeug: Warum wir Alles für Nichts eintauschen:
Hamartiologie für den Rest von uns

von C. Michael Patton

Wenn mich jemand in meinem normalen Alltag – in meiner selbsternannten Rolle als “Theologie-Zar” – danach fragen würde, würde ich ihm wahrscheinlich eine Maschinengewehr-artige Übersicht über die Sündenlehre aus dogmatischer Sicht geben. Zuerst würde ich es wahrscheinlich als “Hamartiologie” definieren. (Ja, vielleicht auch, um Eindruck zu schinden – mit 52 bin ich darüber noch nicht hinweg.)
Aber lieber wäre mir, dass sie die reiche Geschichte der christlichen Theologie im tiefen Nachdenken über Sünde kennenlernen.

Dann würde ich loslegen: persönliche Sünde, angerechnete Sünde, ererbte Sünde, Todsünden vs. lässliche Sünden, Sünden der Unterlassung vs. Sünden der Begehung — und der Vollständigkeit halber würde ich noch ein weiteres bedeutungsvolles Fremdwort fallen lassen: Augustinus’ concupiscentia (das musst du selbst nachschlagen).

Das ist es, was mir in den Sinn kommt.

Aber obwohl diese Unterscheidungen wichtig sind, würden sie den durchschnittlichen Menschen heute wahrscheinlich nur verwirren. Denn heutzutage ist das Wort Sünde nicht mehr nur ein altmodischer Begriff, der einen als “Fundamentalisten” dastehen lässt (wie zu meiner Zeit) — es ist fast schon ein vergessenes Relikt. Früher galt man als altmodisch, wenn man darüber sprach, heute kennen viele kaum noch die Bedeutung. Sie haben das Wort vielleicht schon mal gehört, aber es ist ihnen genauso fremd wie das Wort “Hamartiologie”.

(Hamartiologie bedeutet übrigens “die Lehre von der Sünde”, abgeleitet vom griechischen Wort ἁμαρτία (hamartía) – Sünde. Damit habe ich meinen kleinen R.C.-Sproul-Moment auch erledigt!)

Deshalb ist es meist besser, mit der einfachsten und praktischsten Definition zu beginnen:

Sünde ist das Verfehlen des Ziels.

So habe ich es immer gehört. So hat es auch mein Griechisch-Professor im Seminar definiert.
Stell dir einen Pfeil vor, der auf eine Zielscheibe abgeschossen wird, aber das Zentrum verfehlt.
Nur dass es hier darum geht, das Ziel zu verfehlen, das Gott für seine geliebten Kinder gesetzt hat.

Diese Definition ist gut – sehr gut. Aber ehrlich gesagt, denke ich, es gibt noch eine bessere Formulierung – eine, die Gottes Perspektive näherkommt. (Natürlich muss ich das behaupten!)

Hier ist meine Definition:

Sünde ist eine wertlose Entscheidung.

Das rote Zeug schlucken

Es gibt – in meinem Kopf – kein besseres Bild dafür als die uralte Geschichte von Jakob und Esau.
Und ja, sie ist wirklich uralt — aber für die meisten Menschen heute werden sie wahrscheinlich noch nie gehört haben..
Und das ist okay, denn wenn man erst einmal versteht, was passiert, vergisst man es nie wieder. Außerdem ist es auf eine tragische Weise auch irgendwie lustig.

Die Charaktere:
Zwei Brüder — der listige jüngere Bruder Jakob und der törichte ältere Bruder Esau.
Wie damals üblich, sollte der ältere Bruder das Familienerbe erhalten — einschließlich eines göttlichen Versprechens, eines Bundessegens, der die ganze Welt betreffen würde. Dies  wurde Erstgeburtsrecht genannt.

Die Szene:
Der Tag neigt sich seinem Ende zu in den Hügeln Kanaans. Jakob — das Muttersöhnchen mit weichen Händen und einer Begabung fürs Kochen — ist zu Hause und rührt in einem Kochtopf. Gleichzeitig heckt er einen Plan aus, um seinen Bruder hereinzulegen. Er sorgt dafür, dass der köstliche Duft seines Essens sich ausbreitet.

Währenddessen kommt Esau, der raue Jäger, durch die Tür gestürzt. Er war den ganzen Tag auf der Jagd (ohne Erfolg) — mit leeren Händen, verschwitzt, ausgehungert und halb überzeugt, dass er sterben wird. Er riecht das Essen. Er sieht Jakob am Herd, in einem Topf mit „rotem Zeug“ rühren, wie er es nennt. Und ohne nachzudenken, zeigt er darauf und… nun, lesen wir selbst:

Genesis 25,29–34

Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde und sprach zu Jakob: Lass mich schnell von dem Roten essen, dem Roten da; denn ich bin müde. Daher heißt er Edom.
Aber Jakob sprach: Verkaufe mir zuvor dein Erstgeburtsrecht.
Esau antwortete: Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir da das Erstgeburtsrecht?
Jakob sprach: So schwöre mir zuvor. Und er schwor ihm und verkaufte so Jakob sein Erstgeburtsrecht.
Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon.
So verachtete Esau sein Erstgeburtsrecht.

Esau tauscht das Ewige gegen das Sofortige.

Er gibt das Erstgeburtsrecht — das Erbe, den Segen, die Verheißungen Gottes — für etwas her, das er nicht einmal richtig benennen kann. Er nennt es einfach „das rote Zeug“: „Das da… das Rote… was auch immer das ist… ist mir egal… Hauptsache, ich bekomme es jetzt.“

Und genau das ist die beste Definition von Sünde, die es gibt.

Denn das tut Sünde:

Sie lockt uns.
Sie überzeugt uns, dass wir sie „unbedingt brauchen — oder sterben“.
Sie spielt mit unserem Hunger, unserer Schwäche, unserer Verzweiflung.
Und in diesem Moment vergessen wir den Wert dessen, was wir bereits haben.

Der Tausch sieht immer notwendig aus.
Aber danach trifft uns die Wahrheit:
Wir haben alles für nichts eingetauscht.

Sünde ist eine wertlose Entscheidung.
Sie bedeutet, das abzulehnen, was Gott uns anbietet — das Potenzial, das Gott in uns sieht — für etwas Wertloses.

Eine Vater-Sohn-Illustration

Hier ein kleines Beispiel:

Ein Vater kommt in das Zimmer seines Sohnes und sieht ihn völlig vertieft in ein Videospiel.
Er ruft ihm zu:

  • „Willst du eine Bibelstunde mit mir machen?“ — „Nein.“

  • „Willst du mit Freunden wandern gehen?“ — „Nein.“

  • „Willst du ein Buch lesen?“ — „Nein.“

  • „Willst du mit mir essen gehen?“ — „Nein.“

  • „Willst du trainieren, Basketball spielen, jagen, angeln oder einfach nur Zeit mit mir verbringen?“ — „Nein.“

Egal, was der Vater vorschlägt — etwas Besseres, Tieferes, Bedeutenderes — die Antwort bleibt dieselbe.
Der Junge ist fixiert auf den Bildschirm und merkt nicht, was er verpasst.

Aber der Vater weiß es.
Er weiß, was sie hätten teilen können.
Er weiß, welche Erinnerungen sie hätten schaffen können.
Er weiß, welches Lachen, welche Verbindung, welches Wachstum möglich gewesen wäre.

Es ist keine offene Rebellion.
Es ist kein Hass.
Aber es tut weh.

Denn wenn du jemanden liebst, schmerzt es, wenn er die guten Dinge verpasst, die du für ihn bereithältst.

Und genau so — glaube ich — sieht Gott uns.

Gott hat uns für etwas Großartiges erschaffen:
Für Gemeinschaft, nicht für Flucht.
Für Freude, nicht für Ablenkung.
Für Herrlichkeit, nicht Langeweile.

Er hat uns geschaffen, um Gnade über Gnade zu empfangen und in der Berufung zu leben, die er seit Anbeginn der Zeit für uns vorbereitet hat.

Ein paar Verse dazu:

„Der Dieb kommt nur, um zu stehlen und zu schlachten und zu verderben; ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es im Überfluss haben.“
(Johannes 10,10)

„Du wirst mir den Weg des Lebens zeigen; vor deinem Angesicht sind Freuden in Fülle, zu deiner Rechten Wonne ewiglich.“
(Psalm 16,11)

„Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat — wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“
(Römer 8,32)

Er will uns nicht das Schlechte zeigen, sondern das Beste.

Aber jedes Mal, wenn wir sündigen, treffen wir eine wertlose Entscheidung.
Wir gehen daran vorbei.
Wir sagen: „Nein, danke.“

Wir tauschen die Ewigkeit für das Jetzt.
Für rotes Zeug.

Und Gott, wie ein Vater, sieht es — und es tut ihm weh.

Nicht, weil wir ein abstraktes Gesetz gebrochen haben.
Sondern weil wir ihn selbst zurückgewiesen haben.

Meine eigene rote Suppe

Warum hat Esau diesen Handel gemacht?

Ich würde gerne sagen, dass ich es nicht verstehe — aber ich verstehe es.

Ich bin mindestens genauso gut darin, wenn nicht sogar besser, ein Erstgeburtsrecht für irgendein rotes Zeug einzutauschen.

Es gab eine Zeit, da hatte Gott mein Wirken eindeutig gesegnet.

Das Credo House2 wuchs.

Das Credo House Coffee Shop3 — ein Traum, für den ich gebetet und den ich mir sehnlichst gewünscht hatte — war endlich Wirklichkeit geworden.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich damals im Seminar in einem Kirchengeschichte-Unterricht saß und dachte:

“Gott, lass mich allen das zeigen. Lass mich ihnen die Schätze offenbaren, die ich gerade entdecke.”

Es fühlte sich an, als hätte ich Gold auf einem Feld gefunden — und alles, was ich wollte, war, es mit der Welt zu teilen.

Ich hatte eine Richtung.

Ich hatte eine Berufung.

Und eine Zeit lang begannen sich erste Früchte zu zeigen.

Aber dann wurde das Leben schwer.

Es waren nicht nur Kämpfe im Dienst.

Es ging tiefer — es war härter.

Familiäre Tragödien.

Ein Körper, der zu versagen begann, besonders mein Rücken.

Ein überwältigendes Gefühl, dass alles schneller zerfiel, als ich es retten konnte.

Und genau da traf ich eine wertlose Entscheidung.

Ich griff zu Schmerztabletten.

Am Anfang ging es bei den Tabletten nur um den Schmerz.

Mein Rücken tat höllisch weh — und die Tabletten wirkten.

Aber sie betäubten nicht nur meinen Körper, sie betäubten auch den Schmerz meiner Seele.

Unter dem Einfluss der Tabletten fühlte sich das Leben nicht mehr so schwer an.

Der Druck, die Angst, die Traurigkeit — all das trat in den Hintergrund, auch wenn es nur kurz war.

Zum ersten Mal seit Langem konnte ich wieder atmen.

Es war nicht nur körperliche Erleichterung.

Es war emotionale Erleichterung.

Spirituelle Erleichterung.

Die Tabletten flüsterten mir leise Versprechen zu — Versprechen, die ich unbewusst hörte:

  • „Jetzt bist du okay.“

  • „Du schaffst das.“

  • „Du musst das alles nicht mehr fühlen.“

Und eine Zeit lang glaubte ich ihnen.

Ich war nicht auf der Suche nach einem Kick.

Ich wollte nicht rebellieren.

Ich war einfach müde.

Müde vom Schmerz.

Müde vom Hoffen.

Müde davon, zu kämpfen und trotzdem unterzugehen.

Die Tabletten machten das alles erträglicher — sie gaukelten mir vor, dass Überleben möglich sei.

Aber es war ein Überleben ohne Vertrauen.

Erleichterung ohne Wiederherstellung.

Eine Abkürzung, die ins Nichts führte.

Sie boten mir Frieden — aber es war ein Frieden ohne Fundament.

Ein falscher Frieden — rotes Zeug, das im Moment gut aussah, aber mich am Ende leerer zurückließ.

Ich wusste, was Gott mir angeboten hatte.

Ich wusste um das Erstgeburtsrecht — die Berufung, die Mission, den Sinn.

Aber ich tauschte es ein.

Ich tauschte es gegen rotes Zeug.

Überleben statt Vertrauen.

Falscher Trost statt echtes Leben.

Und genau wie Esau lernte ich die Wahrheit zu spät:

Wir haben alles für nichts eingetauscht.

„Sie haben die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauscht.“

(Römer 1,25)

Was ist dein rotes Zeug? — Jeder hat seins

Ich hasse es, noch eine Illustration einzuführen — aber diese hier versteht wirklich jeder:

Sünde ist nicht nur eine wertlose Entscheidung.

Sünde ist nicht nur „rotes Zeug“.

Sünde ist auch so etwas wie spirituelles Impulskaufen.

Du kennst das Gefühl.

Du schlenderst durch ein Geschäft.

Plötzlich siehst du etwas, das du nicht brauchst und nicht geplant hast — aber es ruft nach dir.

Du legst es trotzdem in deinen Einkaufswagen.

Vielleicht suchst du Trost.

Vielleicht Bequemlichkeit.

Vielleicht einfach das Gefühl, dass du es verdienst.

Aber tief im Inneren weißt du, dass es eine schlechte Entscheidung ist.

Und kaum hast du es gekauft, setzt die Reue ein:

Käuferreue.

Wir alle kennen dieses Gefühl.

Und wenn wir nach der Sünde leben, ist es, als würden wir innerhalb dieser Käuferreue existieren — sie rechtfertigen, so tun, als wäre es eine gute Entscheidung gewesen, während wir tief im Inneren wissen, dass es nicht so ist.

Sünde verspricht Trost, aber sie liefert Leere.

Sie verspricht Erleichterung, aber sie hinterlässt Bedauern.

Sie ist spirituelles Impulskaufen in seiner schlimmsten Form.

Jeder hat etwas im Einkaufswagen.

Etwas, wonach wir ohne Nachdenken gegriffen haben.

Es sitzt da — macht Versprechen, nimmt Platz ein und zieht uns von den besseren Dingen weg.

Was ist es bei dir?

  • Ein Moment der Lust, wenn niemand zusieht?

  • Das endlose Scrollen durch Social Media?

  • Der Drink, der dich vergessen lässt?

  • Der Groll, den du nicht loslassen willst?

  • Das Kleid, das dir Anerkennung bringen soll?

  • Der Wutausbruch, der Erleichterung verschafft?

  • Der Trost, zu dem du greifst, statt zu Gott?

Wir alle haben unser “rotes Zeug”.

Und hier ist die Wahrheit:

Gott sieht es.

Er weiß es.

Wenn das rote Zeug zu Hass wird

Am Ende der Geschichte steht dieser erschütternde Satz — ein Satz, den man leicht überliest:

„So verachtete Esau sein Erstgeburtsrecht.“

(Genesis 25,34)

Das passiert, wenn wir oft genug das rote Zeug wählen.

Wenn wir immer wieder das eintauschen, wofür wir geschaffen wurden, gegen das, wofür wir nie gedacht waren.

Dann geschieht etwas Schlimmes:

Wir hören nicht nur auf, das Bessere zu bevorzugen — wir fangen an, es zu hassen.

Lass mich das noch einmal klar wiederholen:

Nicht nur: „Das ist nichts für mich.“

Nicht nur: „Ich lasse es lieber.“

Sondern: Wir fangen an, es zu verachten.

Warum?

Weil Schuld unser Herz verändert.

Wenn wir tief im Inneren wissen, dass wir etwas Gutes verraten haben — wenn wir uns betäubt haben und Bürger eines Landes geworden sind, in dem nur wertlose Entscheidungen zählen — dann bleibt uns oft nur eine Verteidigung:

Wir wenden uns gegen das Gute.

Wir sehen etwas Wertvolles im Einkaufswagen eines anderen — und wir lachen spöttisch.

Wir sehen jemanden, der im Licht wandelt — und wir spotten.

Wir begegnen der Wahrheit — und wir zucken zusammen.

Wir sehen Schönheit — und sie widert uns an.

Das ist es, was unverheilte Schuld bewirkt:

Sie verwandelt Ehrfurcht in Bitterkeit.

Sie macht aus Sehnsucht nach Gutem eine Abscheu dagegen.


Gott ist immer bereit, dich zurückzukaufen: Die Zeit ist jetzt

Bist du an diesem Punkt?

Selbst wenn ja:

Gott kann dich immer noch zurückbringen.

Selbst wenn du dein Erstgeburtsrecht eine Million Mal eingetauscht hast,

selbst wenn du vom roten Zeug bedeckt bist —

die Gnade Gottes steht immer noch.

Durch das, was Christus für dich am Kreuz getan hat, gibt es einen Weg zurück.

Hier kommt mein Lieblingsvers über das „rote Zeug“:

„Den, der von keiner Sünde wusste, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden.“

(2. Korinther 5,21, LUT)

Und wenn du mir ein bisschen kreative Freiheit erlaubst, würde ich es so formulieren — in der Neuen Michael-Standard-Übersetzung (NMSÜ):

„Er ließ Christus — der nie rotes Zeug gekauft hat, der immer das Richtige gewählt hat, der niemals das Erstgeburtsrecht eingetauscht hat —  all das rote Zeug, das an dir klebt, auf sich nehmen, damit es so ist, als hättest du nie welches gehabt. Und dann legte er dir das Erstgeburtsrecht wieder in deinen Einkaufswagen.“

(2. Korinther 5,21, NMSÜ)

Christus hing am Kreuz, um einen hohen Preis für deine Sünde zu zahlen — für all deine wertlosen Entscheidungen.

Und seine Auferstehung beweist, dass das Geschäft besiegelt ist.

Dein Vater steht bereit — mit offenen Armen — und wartet darauf, dass du den Tausch rückgängig machst.

Gib es Christus.

Leg alles rote Zeug bei ihm ab.

„In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade.“

(Epheser 1,7)

„Kehre zurück zu mir, denn ich habe dich erlöst.“

(Jesaja 44,22)

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  1. C. Michael Patton ist ein amerikanischer Theologe, Autor und Pädagoge, der sich dafür einsetzt,  christliche Theologie für Laien zugänglich zu machen. Er hat einen Th.M.-Abschluss in neutestamentlichen Studien vom Dallas Theological Seminary sowie einen B.A.-Abschluss in Biblischer Theologie von der University of Biblical Studies and Seminary in Bethany, Oklahoma.
    Michael entwickelte The Theology Program, ein sechsteiliges systematisches Theologiekurrikulum für Gemeindemitglieder, und gründete das Credo House of Theology, ein einzigartiges Café und Veranstaltungszentrum in Edmond, Oklahoma, das dafür gedacht ist, theologische Gespräche in einer einladenden Atmosphäre zu fördern.
  2. Das Credo Haus ist Michaels Mittel, um Theologie für normale Gemeindeglieder zugänglich zu machen
  3. Das Credo Haus Coffee Shop ist ein Lokal, in dem man in angenehmer Atmosphäre Theologie diskutieren, Vorträge anhören, theologische Bücher lesen kann

Karfreitag für alle? Ja!

Wolf Paul, 2025-04-01

Seit dem Beginn der Zweiten Republik im Jahr 1955 war der Karfreitag gesetzlicher Feiertag für die Angehörigen der Evangelischen Kirche A.B. und H.B, sowie für Altkatholiken und Methodisten. Die Evangelische Kirche sieht den Karfreitag als höchsten Feiertag des Kirchenjahres, und die Altkatholiken und Methodisten fielen aus nicht ganz klaren Gründen ebenfalls unter diese Regelung.

Im Jahr 2015 klagte ein katholischer Arbeitnehmer gegen diese Regelung, die er als diskriminierend empfand. Der Fall landete schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof, und dieser entschied am 22. Januar 2019, daß diese Regelung eine Diskriminierung aufgrund der Religion darstelle und gegen EU-Recht verstoße.

Aufgrund dieser EuGH-Entscheidung wurde am 22. Februar 2019 im Nationalrat eine Gesetzesänderung beschlossen, die mit 1. April 2019 in Kraft trat. Anstelle des bisherigen „Feiertags“ für bestimmte Religionsgruppen wurde der „persönliche Feiertag“ eingeführt. Seither haben Arbeitnehmer einmal pro Jahr das Recht, einen freien Tag zu wählen („persönlicher Feiertag“), müssen diesen aber mindestens drei Monate im Voraus bekannt geben, und es ist kein zusätzlicher arbeitsfreier Tag, sondern wird vom normalen Urlaubskontingent des Arbeitnehmers abgezogen.

Aus der Überlegung, daß der Karfreitag zurecht als der wichtigste christliche Feier- bzw. Gedenktag zu sehen ist, da es ohne Karfreitag, also ohne Jesu Tod, auch keine Auferstehung, und damit weder Ostern noch Pfingsten, noch überhaupt die Kirche gegeben hätte, haben einige evangelische Christen das Volksbegehren „Karfreitag-Feiertag für alle“ initiiert mit dem Ziel, den Karfreitag für alle Arbeitnehmer im § 7 des Feiertagsruhegesetzes zu verankern.

Zwei Vorschläge zur praktischen Umsetzung wurden vorgelegt:

  1. Entweder einen gesetzlichen Karfreitags-Feiertag für alle herzustellen, verbunden mit der Auflage, daß dieser Tag nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen. Kriterien dafür müßten erarbeitet werden;
  2. Oder einen zusätzlichen arbeitsrechtlichen Urlaubstag für alle Arbeitsnehmer zu schaffen, welchen Christen dann zur Begehung des Karfreitags nutzen können. Eine solche Regelung würde Einwände von anderen Religionsgemeinschaften verhindern.

Das Volksbegehren wurde bald nach der Abschaffung des Karfreitags-Feiertags initiiert und befindeet sich derzeit noch in der „Unterstützungsphase“, in der  es fast 9000 Unterstützungserklärungen erreichen muß. Um dann vom Parlament behandelt zu werden, muß es mindestens 100.000 Unterschriften erhalten.1

Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn auch freikirchliche Christen und ihre Gemeinden den Karfreitag mit einem Gottesdienst, aber auch in der persönlichen Andacht und Gebetszeit, begehen würden, egal obe es letztlich einen zusätzlichen Urlaubstag dafür gibt. Wir betonen die Bedeutung von Jesu Opfer am Kreuz, und das ist sicherlich ein wichtigeres Ereignis, als viele andere Dinge, denen wir einen Gedenk- oder Feiertag widmen. Und wenn man sich am Karfreitag innerlich auf das Leiden und den Tod Jesu einläßt, wird die Freude des Ostersonntags umso größer sein.2

Wir sehen, daß der christliche Glaube in unserer Gesellschaft immer mehr an den Rand gedrängt wird, und es wird eine Zeit kommen, wo wir uns dagegen nicht mehr wehren können (das hat Jesus uns vorhergesagt). Solange wir uns jedoch durch die Mittel unserer demokratischen Verfassung gegen diese Marginalisierung wehren und in der Öffentlichkeit ein Lebenszeichen setzen können, sollten wir diese Gelegenheit beim Schopf packen.3

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  1. Das Volksbegehren liegt bereits in allen Gemeinden (Gemeindeämter, Bezirksämter, Magistrat, je nach Gemeinde) auf, und dort, oder auch online, können diese Unterstützungserklärungen abgegeben werden. Erreicht das VB rund 9000 Unterstützungserklärungen, wird es sozusagen „offiziell“ und wird zur 8 Tage dauernden „Eintragungswoche“ zugelassen, in der es dann weiter aufliegt und von allen Österreichern dort oder online unterschrieben werden kann. Um vom Parlament behandelt zu werden, muß ein Volksbegehren mindestens 100.000 Unterschriften erhalten – ob es dann auch tatsächlich von Parlament und Regierung umgesetzt wird, ist natürlich eine andere Sache.[]
  2. Mir ist bewußt, daß viele freikirchliche Christen ein gespaltenes Verhältnis zum Kirchenjahr und seinen religiösen Festen haben. In vielen Gemeinden werden Weihnachten und Ostern zwar als gute Gelegenheit zur Evangelisation gesehen, nicht jedoch als Möglichkeit, uns geistlich und emotional auf diese wichtigen Heilsereignisse einzustimmen. Ich ermutige Euch, diese Einstellung zu überdenken.[]
  3. Mir ist klar, daß es Christen gibt, die jede Beteiligung an politischen Prozessen, d.h. auch an Wahlen und Volksbegehren, als „weltlich“ Angelegenheiten, die uns nichts angehen, ablehnen. Ich bin, bei allem Respekt, anderer Meinung. Die Menschen zur Zeit des Neuenn Testaments (und auch für Jahrhunderte danach) hatten keine Möglichkeit, sich gegen staatliche Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen, und auch heute noch trifft das in vielen Ländern zu. Es ist ein riesiges Privileg, daß wir heute und in unserem Land die Möglichkeit der Beteiligung an politischen Prozessen haben.[]

Theokratie gehört nicht ins Parlament?

Wolf Paul, 2025-02-07

In einem Artikel auf der Webseite des “Humanistischen Verbands Österreichs” mit dem Titel „Theokratie gehört nicht ins Parlament“ kommentiert Balász Bárány einen offenen Brief, den die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler an SPÖ-Chef Andreas Babler gerichtet hat. Sie drückt darin ihre Meinung darüber aus, was die Aufgabe des Staates und seiner Bürger ist, und zitiert in diesem Zusammenhang den Katechismus der Katholischen Kirche. Das ist natürlich völlig legitim und sollte nicht weiter verwundern, denn als katholische Christin hat der Katechismus einen großen Anteil an ihrer Meinungsbildung. Für Bárány allerdings ist das ein Skandal:

Gudrun Kugler, eine der profiliertesten Vertreter*innen des politischen Katholizismus in Österreich, zitiert in einem offenen Brief an Andreas Babler (als Replik auf dessen Reaktion auf die Nehammer-Burger-Video-Affäre) in normativer Weise den katholischen Katechismus. Sie definiert damit die „Hauptaufgabe des Staates“, verteilt „Verantwortung“ an verschiedene „Gruppen und Vereinigungen“ und bezeichnet Arbeit als „Pflicht“. In einer an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Auseinandersetzung.

Damit trifft sie – als Parlamentarierin, die der Demokratie und dem österreichischen Volk verpflichtet sein sollte – Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft, die nicht demokratisch verhandelbar sind, sondern in einer absolutistischen Monarchie vom damaligen Oberinquisitor Ratzinger ausgedacht und festgeschrieben wurden. Das widerspricht eindeutig der „unverbrüchlichen Treue der Republik Österreich“, die sie bei ihrer Angelobung geloben musste. Statt die österreichischen Wähler*innen über Aufgaben des Staates, von Gruppen und Vereinigungen entscheiden zu lassen, meint sie, dies bei einem ehemaligen Oberhaupt einer von sechzehn anerkannten Religionsgesellschaften zu erfahren – aus einem Land, das die Europäische Menschenrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. Das ist nicht Demokratie, das ist Theokratie. Und eine Vertreterin der Theokratie gehört nicht in den Nationalrat.

Mit Verlaub, was heißt „sie zitiert in normenhafter Weise“? Was heißt, sie „trifft Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft“? All das in einem Brief, der zwar auch für die Öffentlichkeit bestimmt ist, aber lediglich eine private Meinungsäußerung darstellt und ihre persönlichen Überzeugungen widerspiegelt?

Wie alle anderen Abgeordneten kann Gudrun Kugler nur durch ihr  Abstimmverhalten im Parlament Festlegungen“ treffen, und auch das nur, wenn gen¨¨gend andere Abgeordnete genauso abstimmen. Alles andere ist freie Meinungsäußerung, egal ob im Parlament oder eben in einem offenen Brief an einen Politiker, und ist in keiner Weise  normenhaft“ oder eine Festlegung“.

Die österreichische Verfassung garantiert Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, und das heißt, daß jeder, auch Politiker und ganz besonders Abgeordnete auf allen Ebenen, frei ist, sich jegliche beliebige Meinung zu bilden und sie (mit einigen wenigen Ausnahmen) auch öffentlich auszudrücken und auch in den politischen Gremien, im Rahmen der demokratischen Spielregeln, zu vertreten und für sie zu werben. Das gilt auch für Meinungen, die auf religiösen oder auch ideologischen Überzeugungen beruhen — und hier liegt, glaube ich, Balász Báránys Problem:

Wie viele andere Meinungsmacher heutzutage vertritt er die Meinung, daß religiös geformte Meinungen nicht geäußert oder vertreten werden dürfen, schon gar nicht im Rahmen der der demokratischen Prozesse und Spielregeln. Daß er mit dieser Meinung selbst im Widerspruch zur Verfassung steht, ist natürlich völlig legitim — auch er genießt die verfassungsgemäße Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, einschließlich der Freiheit, Religion für sich selbst abzulehnen und auch, diese religionsfeindliche Haltung öffentlich zu vertreten und zu propagieren, genauso wie Gudrun Kugler  oder auch die von Bárány zitierte muslimische1 Politikerin die Freiheit genießen, ihre von ihrer jeweiligen Religion geformte Meinung zu vertreten und zu propagieren.

Der „Humanistische Verband Österreich” sagt übrigens von sich selbst, er „setzt sich für eine faktenbasierte, naturwissenschaftliche Weltsicht, eine Ethik ohne religiösen Bezug und einen Staat, der nicht auf religiösen Überzeugungen gründet, ein.”  Letzteres ist, rechtlich gesehen, durchaus o.k, sofern der Verband und seine Anhänger über ausreichende Mehrheiten verfügen, um die entsprechenden Gesetze zu erlassen. Ebenso ist es o.k wenn religiöse Menschen mit ausreichenden Mehrheiten Gesetze erlassen, die ihre religiösen Überzeugungen reflektieren. Das ist eben Demokratie und hat mit Theokratie nichts zu tun.

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  1. Aus rein rechtlic-politischer Sicht ist das Problem mit dem Islam nicht der Inhalt seiner Lehre, sondern die Tatsach daß aller Erfahrung nach viele (nicht alle) Muslime ihre Meinungen und Überzeugungen nicht mit demokratischen Mitteln, sondern mit Gewalt durchsetzen wollen.[]

Die Intoleranz der politischen Rechtgläubigkeit

Wolf Paul, 2025-01-25

Der Wiener ÖVP-Gemeinderat und gläubige Katholik Jan Ledóchowski1 beklagt die Tatsache, daß der “Rechtsextremismus-Bericht”2 des “Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes” (DÖW) Begriffe wie “rechtsextrem” und “rechtskatholisch3 einander gleichsetzt und in diesem Zusammenhang ihn sowie andere politisch engagierte konservative Christen wie  Suha Dejmek4 oder Gudrun Kugler5 erwähnt.

Meiner Meinung nach reflektiert das DÖW, so wie viele andere øffentliche (staatliche, halbsttatliche und private) Institutionen, einfach die “politische Rechtgläubigkeit6 des Zeitgeists, der keinen Widerspruch gegen seine Lieblingsprojekte (wie Abtreibungsfreiheit und Normalisierung “alternativer Sexualitäten”) duldet. Ein integraler Teil dieser politischen Rechtgläubigkeit ist die Prämisse, daß politische Positionen, die religiösen Überzeugungen entspringen (oder religiöse Überzegungen, die nicht an der Gardarobe abgegeben werden, sondern zu politischem Handeln führen), gefährlich sind und potentiell der Trennung von Kirche und Staat widersprechen, egal ob sie mit demokratischen Mitteln vertreten werden oder versucht wird, sie mit Gewalt durchzusetzen. Deshalb werden sowohl konservative Christen als auch radikale Islamisten mit dem zum Schimpfwort umgemünzten Begriff “Fundamentalisten7 belegt und in die Extremismus-Schublade gesteckt.

Aber all das sollte uns nicht überraschen, denn schon vor rund zweitausend Jahren schrieb der Apostel Paulus an seinen Schüler Timotheus,

„Alle, die in der Gemeinschaft mit Christus Jesus ein frommes Leben führen wollen, werden verfolgt werden.“
(2. Tim. 3,12, EÜ)

Ich persönlich würde die Intoleranz der politischen Rechtgläubigkeit gegenüber religiös motivierten Überzeugungen in der Politik hier in Österreich (und den meisten “westlichen Ländern”8) noch nicht als Verfolgung9 bezeichnen; aber sie ist eine Vorstufe, die früher oder später den Vorwand für die kommende, tatsächliche Verfolgung liefern wird.

 

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  1. Jan Ledóchowski ist Jurist, verheiratet und Vater von fünf Kindern. Als Präsident der Plattform Christ­demokratie und Wiener Gemeinderat setzt er sich für christliche Werte in der Politik und ein stärkeres politisches Engagement der Christen Österreichs ein.

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  2. Der Rechtsextremismusbericht dient der Beobachtung und Dokumentation rechtsextremer Strukturen und umfasst:

    • Rechtsextreme Gruppierungen und Parteien: Etwa Neonazis, Burschenschaften oder Identitäre Bewegung.
    • Ideologische Schwerpunkte: Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Nationalismus.
    • Straftaten: Statistik rechtsextrem motivierter Delikte (z. B. Sachbeschädigungen, Gewalt, Propaganda).
    • Rechtsterrorismus und Netzwerke: Überwachung internationaler Verbindungen und potenzieller Gefährdungen.
    • Internet und soziale Medien: Zunehmende Bedeutung von Online-Plattformen und deren Rolle bei der Radikalisierung.

    Bis 2001 wurde der Bericht regelmäßig vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) herausgegeben; seither wird er vom “Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes” (DÖW) verantwortet.

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  3. Es ist nicht einfach, diese beiden Begriffe so zu definieren, daß sich niemand davon diskriminiert fühlt. Die beiden Wikipedia-Artikel Rechtsextremismus und Rechtskatholizismus bieten gute Anhaltspunkte, sind aber (was nicht verwundert) sehr tendenziös.

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  4. Die Unternehmensberaterin Suha Dejmek ist evangelikale Christin und ÖVP-Bezirksrätin in Wien-Liesung

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  5. Gudrun Kugler ist römisch-katholische Theologin und Juristin sowie Nationalratsabgeordnete der ÖVP

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  6. “Politische Rechtgläubigkeit ist die Summe der politischen und weltanschaulichen Positionen und Überzeugungen, die in einer Gesllschaft als “salonfähig” gelten; abweichende Meinungen werden stigmatisiert

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  7. Der Begriff Fundamentalismus drückte bei seiner Entstehung im Protestantismus Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA  zunächst  eine Rückbesinnung auf die fundamentalen Glaubenssätze des Christentums aus. Mit der Zeit wurde der Begriff zunächst neutral und dann sogar negativ verwendet, um eine dogmatische und kompromisslose Haltung zu beschreiben, und wurde schließlich auch auf Bewegungen in anderen Religionen übertragen, wie z. B. den Islamismus, das orthodoxe Judentum oder den Hindu-Nationalismus, und inzwischen auch auf säkulare ideologische Bewegungen, die eine kompromisslose Haltung einnehmen.

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  8. „Westliche Länder“ bezieht sich typischerweise auf Nationen, die kulturelle, politische und historische Verbindungen zu Westeuropa und dessen globalem Einfluss haben. Diese Länder zeichnen sich oft durch folgende Merkmale aus:

    1. Geografie:

      • Westeuropa (z. B. Deutschland, Frankreich, Großbritannien).
      • Länder mit kulturellen Wurzeln in Europa, wie die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland.
    2. Politische Systeme:

      • Demokratien mit einem Schwerpunkt auf individuellen Rechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung.
    3. Wirtschaftliche Merkmale:

      • Marktorientierte Volkswirtschaften mit fortschrittlicher Infrastruktur und Industrie.
    4. Kulturelle und religiöse Grundlagen:

      • Historisch geprägt durch die griechisch-römische Tradition, das Christentum und die Ideale der Aufklärung.
    5. Globaler Kontext:

      • Häufig als Gegensatz zu „östlichen Ländern“ oder dem „Globalen Süden“ gesehen, einschließlich Regionen mit unterschiedlichen Traditionen, wie Asien, der Nahe Osten oder Afrika.

    Der Begriff wird zwar häufig verwendet, aber seine Definition kann je nach Kontext variieren und umfasst manchmal kulturelle, wirtschaftliche oder politische Faktoren statt nur geografische.

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  9. Die Europäische Union definiert religiöse bzw ideologische Verfolgung wie folgt:

    „(1) Als Verfolgung im Sinne des Artikels 1A der Genfer Flüchtlingskonvention gelten Handlungen, die

    1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
    2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

    (2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

    1. Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
    2. gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
    3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
    4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
    5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
    6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

    (3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe c) muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen.“

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Predigen mit einem Mühlstein um den Hals?

Wolf Paul, 2024-07-16

Es ist fast zu einem wöchentlichen Ereignis geworden: Ein weiterer langjähriger Pastor einer evangelikalen Gemeinde in den USA wurde wegen Kindesmissbrauchs festgenommen.

Ich möchte nicht darüber spekulieren, ob dies ein typisch amerikanisches Problem ist; ich vermute eher nicht, denn wir hatten hier vor einigen Jahren den massiven Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche. 1 Wenn wir in  evangelikalen Gemeinden hier weniger von solchen Skandalen hören, liegt das wahrscheinlich an soziologischen Gründen wie der vergleichsweise geringen Größe der Bewegung und ihrem Minderheitenstatus in den meisten Teilen Europas und nicht daran, dass die europäischen Evangelikalen heiliger sind als die amerikanischen.

Ich möchte auch nicht mit dem Finger auf diese Männer zeigen; wir alle haben unsere Versuchungen, und wenn meine nicht so abscheulich sind wie ihre, dann ist es rein durch die Gnade Gottes.

Aber ich möchte auf etwas eingehen, das ich nicht nachvollziehen kann, nicht in einer verurteilenden Weise, sondern weil es mich verwirrt.

Wenn ich auch nur einmal solche Taten begangen hätte, und besonders wenn ich sie kontinuierlich begehen würde, könnte ich nicht am Sonntagmorgen vor die Gemeinde treten, das Evangelium predigen und den Gottesdienst leiten. Ich würde mich selbst als disqualifiziert betrachten, ständig bewusst und niedergedrückt von dem Mühlstein um meinen Hals, den Jesus in Matthäus 18:6 erwähnt. 2 Tatsächlich habe ich mich immer als disqualifiziert betrachtet, zu predigen, und zögerte,  Gottesdienst zu leiten, wegen meiner eigenen Kämpfe mit menschlich gesprochen kleineren und gesellschaftlich akzeptableren Versuchungen und meinem Versagen, ihnen zu widerstehen.

In 1. Timotheus 4:1-2 spricht Paulus von “Heuchlern, die Lügen reden und in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind,” und vielleicht erklärt das einiges. Und jeder von uns, dessen Gewissen nicht gebrandmarkt ist, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, sollte Gott für seine Bewahrung danken.

Im Englischen gibt es einen bekannten Ausspruch der dem englischen Reformator und Märtyrer John Bradford zugeschrieben wird. Er sah Verurteilte auf dem Weg zur Hinrichtung und sagte, “Nur aus Gottes Gnade bin ich nicht einer von ihnen!”

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  1. Diese Welle von missbrauchenden Pastoren sollte auch diejenigen nachdenklich stimmen, die den R.C. Skandal auf das Zölibatsgebot für römisch-katholische Geistliche zurückführen – all diese evangelikalen Pastoren sind verheiratet.[]
  2. Der Abschnitt spricht davon, Kindern ein Anstoß zu sein, und der jüngste Fall, auf den ich mich bezog, betrifft Kindesmissbrauch, aber ich möchte keineswegs implizieren, dass der Missbrauch von Jugendlichen oder Erwachsenen weniger abscheulich ist.[]

Im Vergleich mit Anderen hatte ich eine wirklich privilegierte Kindheit

Wolf Paul, 2024-05-15

Ich lese gerade “Baptistland: A Memoir of Abuse, Betrayal, and Transformation” (“Baptistland: Memoiren von Missbrauch, Verrat und Transformation“) von Christa Brown, die als dritte von vier Mädchen in Farmers Branch, TX, in einer sehr dysfunktionalen Familie und der örtlichen Baptistengemeinde aufgewachsen ist. Christa wurde vom Jugendpastor der Kirche mißbraucht. Später hat sie herausgefunden, daß das in der Gemeindeleitung ein offenes Geheimnis war. Unten steht etwas mehr darüber.

Dieses Buch hat mir wieder einmal klar gemacht, wie privilegiert ich war, in einer überwiegend funktionalen Familie mit liebevollen Eltern, fünf Geschwistern und meistens ein oder zwei Hunden aufzuwachsen; und daß es während meiner Kindheit und Jugend in mehreren katholischen Pfarren niemals auch nur einen Hauch von Missbrauch durch Geistliche oder andere gab. Auch in der Schule habe ich nichts derartiges erlebt.

Sind diese Probleme auf die USA, die Southern Baptists, die Anglikanischen Kirchen, oder die Katholische Kirche beschränkt? Das glaube ich nicht, und ich glaube auch nicht, daß Österreich diesbezüglich eine “Insel der Seligen” ist, aber in unseren österreichischen Baptisten- und anderen freikirchlichen Gemeinden habe ich nicht einmal gerüchtehalber von derartigem, letztlich unbestraften Mißbrauch gehört. Das liegt vielleicht daran, daß die freikirchliche Szene hier wesentlich überschaubarer; daß wir Österreicher braver sind und weniger zur Sünde neigen, als die Amis, glaube ich eher nicht.

Ich nehme von diesem Buch (hab jetzt ca. ein Viertel gelesen) zwei wesentliche Dinge mit:

  1. Dankbarkeit, daß ich, wie schon gesagt in einer intakten, überwiegend funktionalen Familie aufgewachsen bin und auch Mißbrauch jeder Art ein Fremdwort für mich war, und
  2. Die Notwendigkeit wachsam zu sein, nicht nur im Gemeinde-Kontext, sondern überall, wo Kinder und Jugendliche möglicherweise in Gefahr sind, von Erwachsenen oder anderen Jugendlichen.

Hier ist etwas mehr Information über das Buch:

Seit Jahren ist Christa Brown eine beständige, entschlossene und fürsorgliche Stimme, die der Southern Baptist Convention die Wahrheit sagt – kürzlich wurde sie für ihre Arbeit als eine der „Top 10 Religion Newsmaker“ benannt.

In Baptistland, ihrem Bericht über den Missbrauch in ihrer texanischen Kindheitsgemeinde, deckt sie die Schäden des südlichen Patriarchats und des religiösen Fundamentalismus auf. Sie beschreibt, wie männliche religiöse Führer so sehr auf den Schutz der Institution konzentriert sind, dass sie die Sicherheit der Kinder opfern.

Doch Christa fand ihre Stimme und erhob sich über das Trauma, Gaslighting und andere Herausforderungen, um Anwältin am Berufungsgericht zu werden. Ihre unermüdliche Ehrlichkeit stieß viele Jahre lang auf taube Ohren. Aber nun erkennt die Welt das Wahrheitsreden als kraftvolles Zeugnis der Liebe an.

Christa Browns Botschaft in “Baptistland: A Memoir of Abuse, Betrayal, and Transformation” muss gehört werden – eine Geschichte der Hoffnung, die sich zu weitreichenden Auswirkungen entwickelt.

Führende Persönlichkeiten und Überlebende, über die wir bei The Roys Report berichtet haben, loben dieses Buch. Meine Freundin und Bestsellerautorin Karen Swallow Prior schreibt: „Baptistland wird dich zum Weinen bringen. Es wird dich wütend machen. Es wird dein Herz brechen. Es wird dir die Augen öffnen.“

Dr. Prior fügt hinzu: „Jeder Southern Baptist muss diese Geschichte lesen, und jeder Southern Baptist Führer muss sich für das, was sie offenbart, verantworten.“

Dee Parsons von The Wartburg Watch, das Missbrauchsgeschichten in Kirchen beleuchtet, sagte, sie sei zunächst von Christas Bericht über „emotionalen und physischen Missbrauch“ überwältigt gewesen. Dann wurde Christa „die bekannteste Fürsprecherin für Veränderungen im Umgang der SBC mit sexuellem Missbrauch. Sie blieb standhaft, triumphierte und inspirierte mich“, sagte Parsons.

Und David Clohessy, ehemaliger Geschäftsführer des Survivor’s Network of those Abused by Priests, nennt Baptistland „ein erschütterndes, aber inspirierendes Memoir und einen dringend benötigten Leitfaden für alle, die versuchen, korrupte Institutionen aufzudecken.“

Hier gibt es das Buch bei Amazon, hier bei Thalia in Österreich und Deutschland, sowie bei Buchhaus Schweiz. (Außer in der Schweiz auch als eBook)

(Dieser Text stammt aus einem Newsletter von The Roys Report, einem Nachrichtendienst, der sich für Ehrlichkeit und Tranzparenz bei Mißständen in evangelikalen Kirchen und Gemeinden einsetzt.)

 
 

Politik oder Gott – wem vertrauen wir?

Wolf Paul, 2024-01-21

Ein Gastbeitrag von James Kushiner
 
„So wird mein Wort sein, das aus meinem Munde hervorgeht:
es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird vollbringen,
was mir gefällt, und es wird gedeihen
in dem, wozu ich es gesandt habe.“
 
Die Zukunft ist das einzige in unserem Blickfeld, das zu verändern noch in unserer Macht steht. So wird die Gegenwart von Plänen für und Versprechen über „die Zukunft“ dominiert.
 
Das ist alles Wasser auf die Mühlen der Rhetorik, die in einem weiteren Wahljahr in den USA dominieren wird, das offiziell am vergangenen Montag begann, genauso wie in anderen Ländern  wo dieses Jahr Wahlen anstehen. Kandidaten sprechen darüber, was sie in der Zukunft tun werden, um die Dinge zum Besseren zu wenden. Das einzige Problem ist, dass sie selten ihre Versprechen einhalten können.
 
Das hält sie nicht von Versprechen und Vorhersagen ab. Einige der Vorhersagen sind auch darüber, was passieren wird, wenn stattdessen der politische Gegner gewählt wird. Manchmal glaubt ein Kandidat wirklich, dass er Kriminalität stoppen und die Steuern senken kann. Zu anderen Zeiten wird ein Kandidat einfach sagen, was er denkt, um gewählt zu werden, und dann, einmal an der Macht, tun, was er will, ohne sich an sein früheres Skript zu halten.
 
Mit anderen Worten, „Setze nicht dein Vertrauen in Fürsten, in Menschenkinder, in denen keine Rettung ist.“ Selbst der beste, ehrlichste und weiseste Kandidat kann die Zukunft nicht kontrollieren. Und jeder Präsident, jeder Regierungschef kann sich (und sein Land) in Umständen wiederfinden, die nicht zuvor erwartet oder vorbereitet wurden (z.B. George W. Bush am 11. September oder Benjamin Netanyahu am 7. Oktober). Wir können die Zukunft nicht vorhersagen – es sei denn, wir sind ein Prophet.
 
Unser Verständnis der Zukunft ist illusorisch, es sei denn, wir basieren es auf dem Wort Gottes. Damit meine ich nicht nur, dass Gott allein das letzte Wort hat, sondern dass er sich auch klar darüber gezeigt hat, was in der Zukunft geschehen wird, im Gegensatz zu den Menschenkindern und im Gegensatz zu ihrem Feind, dem Teufel, der über die Zukunft lügt, um uns zu täuschen.
 
Der Feind sagte zu Eva: „Du wirst gewiss nicht sterben“, wenn die verbotene Frucht gegessen wird, und „du wirst wie Gott sein, und Gut und Böse erkennen.“ Ein Vorschlag wurde mit einer Zusicherung gemacht. Nun, der Mensch kennt, gewissermaßen, Gut und Böse, da er sie erlebt, aber sicherlich weiß er nicht, was er mit dem Bösen anfangen soll oder wie er es zu unserer Zufriedenheit erklären soll.
 
Gott hingegen hat dem Menschen von Genesis an klar angekündigt, was Er tun wird und was die Konsequenzen für den Menschen, für die Taten des Menschen, sein werden. Zu Adam und Eva erklärte Er: „An dem Tag, an dem du von [dem Baum der Erkenntnis] isst, wirst du sicherlich sterben.“
 
Vor dem Sündenfall musste Gott der Menschheit keine Versprechen machen; nur Gebote: „Seid fruchtbar und vermehrt euch… Ich habe euch jede grüne Pflanze zur Nahrung gegeben.“ Es war alles „sehr gut“.
 
Aber nach dem Ungehorsam begann Gott, für den Menschen, der sich von Gott abgeschnitten hatte wie ein Astronaut, der in den tiefen und tödlichen Weltraum abdriftet, eine Lebenslinie zu weben. Gott begann davon zu sprechen, was Er in der Zukunft tun würde; Er machte Versprechen in Form von Bündnissen. „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau… ihr Nachkomme… wird dir den Kopf zertreten.“
 
Er machte Versprechen an Abraham, Isaak und Jakob; versprach ein Szepter für Juda; versprach Moses Befreiung aus Ägypten und einen Herrscher aus der Linie Davids, um uns zu erlösen und zu retten. In allen Fällen ist Gott in der Lage, den Startschuss abzugeben, es geschehen zu lassen und die Menschheit aus den Kiefern des Todes zu bergen.
 
Wir haben die Wahl: unser vollstes Vertrauen in Gott zu setzen, oder in Mammon; in den Herrn oder in die Herrscher der Erde. Gott hat verkündet, dass das Ende der Illusionen der Menschen kommen wird und keiner ihrer Pläne Bestand haben wird, während das Reich dieser Welt zum Reich Christi werden wird.
 
Der moderne Mensch verunglimpft das alles als Luftschlösser-Religion. Vielleicht hat er es rückwärts: Politik ist Luftschlösser-Optimismus. Gott hält, was Er verspricht. Er hat seine Absichten nicht verborgen. Er warnte Israel, dass sie im Land leiden würden, wenn sie die Gebote nicht halten würden. Dass sie ins Exil gehen würden. Der Herr sagte, dass nicht ein Stein des Tempels auf dem anderen bleiben und alles weggefegt werden würde. Er sagte, und wir bekennen, dass er wiederkommen wird in Herrlichkeit, um die Lebenden und die Toten zu richten, dass sein Reich kein Ende haben wird. Das ist unser Anker.
 
Wem wirst du glauben? Vertrauen? Jesus sagte, er würde seine Kirche bauen. Das hat Er getan. Sie kämpft, wenn sie ungläubig und sündig ist (wie gewarnt), und leuchtet auf, wenn sie dem Wort und den Geboten Gottes treu ist. Kein anderer Herrscher kann einen solchen Einfluss auf die Welt beanspruchen, und Christus ist noch nicht fertig. Er kommt, um reinen Tisch zu machen und dem Teufel und seinen Werken ein endgültiges Ende zu setzen.
 
Das ist die einzig richtige Seite der Geschichte, auf der man stehen kann.
 

James Kushiner ist Verlagsdirektor für for Touchstone Magazine — A Journal of Mere Christianity.

Dieser Artikel stammt aus dem E-Mail Newsletter von First Things für seine Abonnenten, vom 20. Januar 2024.

Copyright © 2024 by James Kushiner and Fellowship of St. James. Used by permission.

Übersetzung: Wolf Paul

Christlicher Dienst vs. Christliche Gemeinde

Wolf Paul, 2024-01-19

Im Gespräch mit einer Freundin, die einen christlichen Dienst leitet, sagte sie, daß der Dienst nun “gesund geschrumpft” ist: Mehrere Mitarbeiter sind zu einem ähnlichen Dienst gewechselt, und sie fand klare Worte für jene anderen, die nur Mitläufer waren, ohne wirklich ihren Beitrag zu leisten, was zu einem weiteren Exodus führte. Jetzt hat sie ein kleines Team von Menschen, die alle an einem Strang ziehen.

In vielerlei Hinsicht sind eine christliche Gemeinde und ein christlicher Dienst sehr ähnlich, nicht nur, weil sie beide christliche Werte vertreten und christliche Ziele verfolgen: Sie sind eine Gruppe von Christen; hin und wieder wandern einige zur “Konkurrenz” ab; Menschen engagieren sich auf unterschiedlichen Ebenen, und einige können tatsächlich als bloße Mitläufer beschrieben werden.

Es wäre jedoch fatal, eine Gemeinde “gesund schrumpfen” zu wollen:

Ein christlicher Dienst hat, über das hoffentlich vorhandene Gemeinschaftsgefühl unter den Mitarbeitern hinaus, eine klar definierte Aufgabe, die erfüllt werden muß. Dafür ist es wichtig, daß alle Mitarbeiter tatsächlich ihren Teil beitragen, und ein “Gesundschrumpfen” kann tatsächlich gesund sein.

Im Gegensatz dazu ist eine christliche Gemeinde in erster Linie eine Gemeinschaft, eine Familie, der Leib Christi: ein Ort, wo die Liebe Christi gelebt und dadurch sichtbar gemacht wird. In jeder Familie und jedem menschlichen Körper gibt es natürlich stärkere und schwächere Mitglieder – Menschen, die mehr oder weniger fleißig, mit mehr oder weniger Geschick, zum Leben der Gemeinschaft beitragen, und es gehört zur Berufung der Stärkeren, die Schwächeren zu tragen.

Vor ein paar Tagen erzählte mir ein Bruder, daß er aus einer Gemeinde ausgeschlossen wurde, weil er krank sei. Er gab mir keine Einzelheiten über seine Krankheit, ich kenne die Gemeinde nicht wirklich und kann daher nicht feststellen, was tatsächlich passiert ist; aber dieser Bruder fühlt sich in dieser Situation nicht getragen, sondern verlassen, er hat nicht Gottes Liebe erfahren, sondern Gleichgültigkeit und Mangel an Barmherzigkeit.

“Leistungsdenken” hat seinen Platz in einem Unternehmen, einer Firma; in einer Familie, und damit in der Gemeinde, ist es fehl am Platze.

“Tragt einer des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen”, sagt der Apostel Paulus, und er sagt auch, daß wir die schwächeren Mitglieder nicht richten oder verachten, sondern ehren sollen.

Als Christus davon sprach, ein Glied, das uns ärgert oder zum Anstoß wird, auszureißen, sprach er von unseren menschlichen Körpern, und meistens reißen wir nicht buchstäblich einen Arm ab oder ein Auge aus; aber sehr wichtig ist, daß er nicht von Seinem Körper sprach, als Er davon sprach, anstößige Glieder auszureißen – da es Sein Körper ist, steht es nur Ihm zu, dies zu tun. Im Gegenteil, Er warnt uns davor, zu versuchen, Weizen von Unkraut zu unterscheiden, und sagt uns, das Unkraut in Ruhe zu lassen: Er sagt es nicht, aber ganz ehrlich, Er, der Wasser in den besten Wein verwandelte, kann sicherlich Unkraut in den feinsten Weizen verwandeln.

“Seht, wie sie einander lieben!” – das ist es, was Menschen außerhalb der Kirche und unserer Gemeinden über uns sagen sollten, nicht “Seht, wie effizient sie sind.”

Christtag

Wolf Paul, 2023-12-25

Tagesgebet für den Christtag

Allmächtiger Gott. Du hast uns Deinen eingeborenen
Sohn gegeben, um unsere Natur anzunehmen und an
diesem Tag von einer reinen Jungfrau geboren zu werden.
Verleihe, dass wir, die von neuem geboren und zu Deinen
Kindern adoptiert wurden, täglich durch Deinen Heiligen
Geist auch erneuert werden. Durch denselben, unseren
Herrn Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist,
ein einiger Gott, lebt und regiert, jetzt und allezeit und in
Ewigkeit. Amen.

 

Aus dem Allgemeinen Gebetbuch der Anglikanischen Kirche in Deutschland