Der Glaube als Waffe in Rußlands Krieg gegen die Ukraine

Wolf Paul, 2025-05-08

Dieser Artikel von Denys Gorenkov1wurde ursprünglich vom Baptist Standard veröffentlicht. Die Veröffentlichung dieser Übersetzung erolgt mit Genehmigung.

Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine – mit allen verfügbaren Mitteln. Darunter auch die Religionsgemeinschaften des Aggressorstaates.

Dabei geht es nicht nur um den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill (Gundjajew), den muslimischen Führer Talgat Tadschuddin und den jüdischen Vertreter Aaron Gurewitsch. Kleine, aber straff organisierte evangelikale Kirchen in Russland mobilisierten schnell ihre Ressourcen, um den imperialen Krieg zu unterstützen.

Evangelikale im Dienst Russlands

Evangelikale Leiter setzen nicht nur auf das Wohlwollen der Behörden, sondern auch auf gewisse Beute – sie haben die Botschaft Christi durch die Gebote der „Z-Religion“ ersetzt. Das „Z“ ist das Symbol für Russlands sogenannte „Spezialoperation“.

Im Gegensatz zur Russisch-Orthodoxen Kirche, die ihre Rhetorik und Strukturen schnell und zentral an die Kriegsmaschinerie angepasst hat, taten sich die evangelikalen Kirchen zunächst schwerer. Einige Leiter widersetzten sich; andere verließen das Land.

Doch drei Jahre nach Beginn der Invasion haben sich russische Evangelikale fest eingereiht: Pastoren segnen Putin öffentlich und bekunden ihre Unterstützung für die „Spezialoperation“.

Hinter den mit Gewehren bewaffneten burjatischen2 Soldaten folgen „Missionare“. Auf den Trümmern ukrainischer Gebetshäuser verteilen russische „Brüder“ Hilfsgüter und singen Lobpreislieder.

Inmitten der Trümmer von Mariupol, Ukraine, nahm der russische „Missionar“ Andrey Krysov ein Einladungsvideo zu einer Missionskonferenz auf, die in Jekaterinburg stattfinden soll.

Krysov ist als einer der Redner gelistet. Gemeinsam mit dem „Missiologen“ Pawel Pusanow soll er russischen Gläubigen beibringen, wie „Mission auf befreiten Gebieten“ funktioniert – so lautete es in einem inzwischen gelöschten Telegram-Kanal der Konferenz.

Doch die Frage, an welchen Gott und an welche Mission die russischen „Z-Christen“ eigentlich glauben, wird weder in Jekaterinburg noch sonstwo gestellt – weder auf Konferenzen, noch bei Leitungsgipfeln oder Gebetsfrühstücken.

Diejenigen, die solche Fragen stellen könnten, sitzen im Gefängnis, leben im Exil oder wurden beseitigt. Die Verbliebenen gieren nach ihrem Anteil am Festmahl des Kannibalen.

Russische Kirchenleiter – Schatrow: Bischof, stellv. Leitender Bischof des Bundes Evangelischer Christen im Nordwestlichen Föderalbezirk; Dirinenko: Bischof, stellv. Leitender Bischof im Zentralbezirk; Kolesnikow: Vorsitzender der Gesamtunion Evangelischer Christen; und Karassjow: Bischof des Gesamtverbandes Evangelischer Christen – berichteten stolz über das Wachstum ihrer Gemeinden beim Gebetsfrühstück3 in Washington, D.C., am 6. Februar 2025:
„Selbst unter den schwierigen Bedingungen der Spezialoperation vermehren sich unsere Kirchen“, so Teilnehmer.

Und tatsächlich – wie schon nach den Okkupationen von Moldawien, Georgien und der Krim.

Gemeindewachstum als Strategie

Die Strategie ist überall gleich: Erst durchkämmen Sicherheitskräfte die Häuser und Kirchen örtlicher Christen in den besetzten Gebieten. Danach kommen Beamte, die verlangen, dass Kirchen sich nach russischem Recht neu registrieren.

Dann treten Gesandte russischer protestantischer Kirchen auf: „Schließt euch uns an, dann erhaltet ihr offizielle russische Registrierung.“ Wer ablehnt, wird vom Sicherheitsdienst beseitigt. Wer zustimmt, zählt nun zur Statistik des russischen Gemeinde-Wachstums.

Hauptakteur dieser „Übernahmen“ ist die Vereinigte Russische Union der Christen Evangelikalen Glaubens (ROSKhVE).

Früh im Verlauf der „Spezialoperation“ erklärte ROSKhVE-Leiter Sergej Rjachowskij die Position des Verbands unmissverständlich 4:
„Wir sind russische Bürger und Patrioten unseres Landes.“

Auf einer Sitzung des Religionsrats der Russischen Föderation zum Thema Ukraine sagte Rjachowskij 5:
„Heute haben wir keinen anderen Weg, die Wahrheit zu verteidigen“, und fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, dass uns die Liebe bewegt.“

Natürlich haben russische Evangelikale nicht denselben Einfluss wie die Moskauer Orthodoxie – und im Vergleich zum „Wolf“ Kirill Gundjajew wirken ihre Leiter eher wie „Wolfswelpen“. Doch auch diese „Wolfswelpen“ wollen profitieren – und beten nicht nur für Putin, sondern auch zu Putin.

In den Jahren des Krieges haben sich die Kirchen des Aggressorstaates dank der Gemeinden in den besetzten Gebieten vervielfacht.

Theologischer Wandel

Schon 2014, nach der Annexion der Krim, richteten sich russische Baptisten 6 – einst unerschütterliche Bekenner unter dem Sowjetregime – mit einem unterwürfigen Appell an Putin: „Danke für den Schutz und die Stärkung geistlicher und moralischer Werte.“

Heute sind russische Kirchen nicht wiederzuerkennen. Sie ähneln nicht mehr dem historischen protestantischen Zeugnis, das einst bereit war, der Macht die Wahrheit zu sagen.

Die Sprache der Kirche – Spiegel ihres Denkens – hat rasch die Vokabeln des Staates übernommen. Phrasen wie „Befreiungshandlungen“ oder „befreite Gebiete“ gehen glatt über die Lippen.

Sergej Kirejew, ROSKhVE-Leiter 7, erklärte in einem Bericht mit dem Titel Zwei Jahre SVO: Der Beitrag der Protestanten von Pensa zu unserem gemeinsamen Sieg,
„Großartige Arbeit wurde bereits geleistet – doch noch größere Aufgaben stehen uns bevor, sowohl in Pensa als auch in den neuen Gebieten.“

Tatsächlich bleibt für ROSKhVE und andere russische Evangelikale viel zu tun. Ihre Organisationen konzentrieren sich auf die „neu befreiten Gebiete“, und ihre „Missiologen“ haben eine maßgeschneiderte Missionsstrategie entwickelt – zur Besiedlung und „Bepflanzung“ jener ukrainischen Länder, die russische Truppen „gesäubert“ haben.

Christenverfolgung

Die Fakten zur Christenverfolgung aufgrund der Ablehnung der „Z-Religion“ sind im Bericht Faith Under Russian Terror 8 dokumentiert.

Laut Pastor Mychajlo Bryzsyn, Mitautor des Berichts:
„Auf den zwischen 2022 und 2024 besetzten ukrainischen Gebieten orchestrierte Russland einen regelrechten religiösen Genozid: Hunderte Glaubensgemeinschaften wurden zerstört; Geistliche verhaftet, verhört, brutal deportiert oder zur Flucht gezwungen; Kirchengebäude konfisziert und umfunktioniert.“

Allein in Melitopol wurden mehr als 15 Kirchengebäude – die meisten protestantisch – beschlagnahmt. Keines wurde je zurückgegeben, selbst nach der erzwungenen „Neuregistrierung“ nach russischem Recht.

In diesem Klima entfalten russische Kirchenleiter ihre „Missionstätigkeit“ – eine groteske Operation, wie das Zerstören eines prächtigen Parks, nur um ein paar Setzlinge zu pflanzen.

Gleichzeitig reisen diese Kirchenführer ungehindert durch die Welt und überzeugen westliche Zuhörer davon, dass Russland ein Land der Religionsfreiheit, christlicher Werte und kirchlicher Blüte sei.

Der amerikanische Prediger Rick Renner, der nach Russland gezogen ist, lobt offen das Regime und bietet mächtige mediale Unterstützung. Man glaubt Renner, Rjachowskij, Schatrow und Dirinenko – denn diejenigen, die ihnen widersprechen könnten, sitzen im Gefängnis, liegen im Grab oder gelten als radikale Ausgestoßene.

Beispiel Drittes Reich

All das ist in der Geschichte des Christentums nicht neu. Die „Deutschen Christen“ im Dritten Reich handelten ähnlich. Ihre Ideologen wussten sehr wohl, welche Rolle sie bei der „Endlösung der Judenfrage“ spielten – ebenso wie heutige russische „Missiologen“ wissen, was ihr „Einsatz auf befreitem Gebiet“ bedeutet.

Auch damals wurden amerikanische Christen von den Reichskirchenführern getäuscht – und glaubten ihnen.

1936 besuchte Oswald Smith von der People’s Church in Toronto – ein hochgeschätzter Missionar – Deutschland und kehrte begeistert zurück. Deutschland, so sein Bericht, sei „erwacht“.
„Deutsche Gläubige sagen, sie seien zufrieden mit Hitler.“ Und: „Jeder wahre Christ ist für Hitler.“ Siehe Fußnote.

Verstummter Widerstand

Auch heute gibt es russische Christen, die nicht die Euphorie von Rjachowskij oder Kirejew teilen – aber ihre Stimmen werden nicht gehört.

Was bleibt, ist das laute Singen bei Konferenzen und Gottesdiensten – ein Echo auf das Bild, das Erwin Lutzer in Hitler’s Cross beschreibt:

„Ein Eisenbahngleis verlief hinter unserer kleinen Kirche. Jeden Sonntagmorgen hörten wir den Pfiff in der Ferne und dann das Rattern der Räder. Wir wurden unruhig, wenn wir die Schreie aus dem Zug hörten.

Woche für Woche kam der Zug – wir wussten, dass er Juden wie Vieh in Waggons transportierte. Ihre Schreie quälten uns.

Wir wussten, wann der Zug kommen würde, und wenn wir den Pfiff hörten, begannen wir, Lieder zu singen. Wenn der Zug vorbeifuhr, sangen wir lauter. Und wenn wir Schreie hörten, sangen wir noch lauter – bis wir nichts mehr hörten.“

Ebenso werden die Teilnehmer der kommenden „Missionskonferenz“ in Jekaterinburg lauter singen – bevor sie zu Workshops über „Mission in befreiten Gebieten“ übergehen.

Wird es einen treuen Überrest geben?

Das Christentum in Russland hat sich in eine „Z-Religion“ verwandelt – eine Religion der Unterwerfung, der Eroberung, eingehüllt in Lobpreis.

Wird sich unter den russischen Christen ein „Überrest von siebentausend“ finden, „die ihr Knie nicht vor dem Baal gebeugt haben“ (1. Könige 19,18)? Nur der Herr weiß es. Nur er weiß, ob neue Leiter entstehen, die widerstehen, erkennen und treu bleiben können.

Was den Rest betrifft – jene „Z-Christen“, die ihr Zeugnis gegen Propaganda eingetauscht haben, die zum Imperium beten und durch Gesang das Leiden übertönen – auf sie treffen Longfellows prophetische Worte zu:

„Mag Gottes Mühle langsam mahlen, doch sie mahlt sehr fein;
Mit Geduld steht Er wartend, doch genau ist Sein Gericht.“

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Das Zitat von Oswald J. Snith über Christen im Dritten Reich stammt aus:
Oswald J. Smith, “My Visit to Germany,”
The Defender 11 (September 1936): 15. David A. Rausch, A Legacy of Hatred (Chicago: Moody, 1984), 101.

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  1. Denys Gorenkov ist Pastor der Evangelischen Freikirche „Neues Leben“ in Kyjiw, Ukraine, und Dozent am Ausbildungszentrum für Militärseelsorge des Militärinstituts der Taras-Schewtschenko-Universität Kyjiw. Die in diesem Meinungsartikel geäußerten Ansichten stammen vom Autor.
  2. Die Burjaten sind ein mongolisches Volk
  3. https://irp.news/protestanty-iz-rf-na-molitvennyj-zavtrak-v-ssha-2025/
  4. https://tass.ru/obschestvo/14799195
  5. https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=4QYz8yCCvcw
  6. https://baptist.org.ru/news/main/view/obraschenie-k-prezidentu-rossii-34-sezd
  7. https://shaltnotkill.info/pastor-roshve-podgotovil-doklad-o-vklade-protestantov-v-svo/
  8. https://missioneurasia.org/wp-content/uploads/2025/01/2025-Mission-Eurasia-report-on-Ukraine-ENG.pdf

Sind Trumps USA noch eine befreundete Nation?

Wolf Paul,

Laut einem Bericht des Wall Street Journal 1 verstärken die USA ihre nachrichtendienstlichen Bemühungen bezüglich Grönland, was Präsident Trumps Absichten unterstreicht, sich die große Insel einzuverleiben. Der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen sagte am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur Ritzau: „Das beunruhigt mich sehr, denn unter Freunden spioniert man nicht.2

Ich denke, es ist an der Zeit, dass alle traditionellen Verbündeten der Vereinigten Staaten erkennen, dass die USA, zumindest was die Trump-Regierung betrifft, Verbündete nicht als Freunde, sondern als Vasallen betrachten und dass ihre Handlungen dies widerspiegeln werden.

Die Trump-Regierung behauptet, von zwei Mottos geleitet zu werden, die ihr Handeln bestimmen und angeblich lauten: „America first!“ (“Amerika zuerst!”) und „Make America great again!“ (“Machen wir Amerika wieder groß!”). In der Praxis scheint es jedoch zu heißen „Machen wir Amerika wieder groß, indem wir alle anderen klein machen!“ und „Amerika allein!“, und ihre Politik und ihre Maßnahmen spiegeln dies wider, von der einseitigen Umbenennung des Golfs von Mexiko über die Beanspruchung von Territorien anderer Länder (oder sogar ganzer Länder) bis dahin, die Hilfe gegen einen Aggressor von einem ausbeuterischen Mineraliengeschäft abhängig zu machen.

An diesem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage der faschistischen Regime in Deutschland und Italien sollte es uns beunruhigen, dass eine Reihe von politischen Analysten und Kommentatoren immer offensichtlichere Merkmale faschistischer Regime in der Rhetorik und im Verhalten der Trump-Regierung festgestellt haben. Während Trumps erster Amtszeit habe ich Vergleiche von Trump mit Hitler immer abgetan, etwas, das mir zunehmend schwerfällt.

Die Aussicht, dass die Europäische Union auf allen Seiten von zunehmend unfreundlichen, großen und mehr oder weniger aggressiven Ländern (Trumps USA, Putins Russland und Xis China) sowie einer zunehmend von islamistischen Extremisten dominierten muslimischen Welt umgeben ist, finde ich nicht sehr beruhigend. Das Einzige, was die Verzweiflung in Schach hält, ist die Gewissheit, dass „He‘s got the whole world in His hand!“ und dass Er mächtiger ist als jeder dieser (Möchtegern- oder tatsächlichen) Diktatoren und Terroristen und dass Er am Ende siegen wird. 3

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  1. Leider ist alles außer dem ersten Absatz hinter einer Paywall
  2. Guardian-Artikel
  3. Muss ich buchstabieren, wer He bzw. Er ist? Falls es jemand nicht mitkriegt, ich spreche vom dreieinigen Gott, Vater, Sohn (Jesus) und Heiliger Geist.

Israel darf sich nicht länger für seine Existenz entschuldigen

Wolf Paul, 2025-05-07

Eeine arabische Stimme für das Existenzrecht Israels

Die Originalfassung dieses Artikel des marokkanischen Politikanalysten und Autors Amine Ayoub1 ist unter dem Titel, “Israel needs to stop apologizing for its existence” in der israelischen Zeitschrift Jerusalem Post erschienen. Die deeutsche Fassung wird hier mit Erlaubnis des Autors veröffentlicht.

Israel darf sich nicht länger für seine Existenz entschuldigen

Gastbeitrag von Amine Ayoub 

Seit seiner Gründung wurde die Existenz Israels als Provokation betrachtet. Ein Zuhause für Juden? Im Nahen Osten? Das darf doch nicht wahr sein.

Es gibt eine Wahrheit, die viele sich nicht trauen auszusprechen: Israel wird nicht wegen seines Handelns gehasst, sondern wegen seines Wesens – als selbstbewusster, erfolgreicher, unbeugsamer jüdischer Staat in einer Region – und einer Welt –, die nie wollte, dass er überlebt.

Dieser Hass ist nicht logisch. Er gründet nicht in politischen Maßnahmen; er widerspricht allen Fakten. Und doch durchzieht er internationale Institutionen, Universitäten, westliche Medien und die Straßen der Großstädte Europas. Es ist gesellschaftlich akzeptabel – ja sogar modern – geworden, Israel zu verurteilen, weil es sich verteidigt, es als koloniales Projekt zu brandmarken und nicht für Koexistenz, sondern für seine Auslöschung zu kämpfen.

Und doch besteht Israel fort. Und nicht nur das – es blüht auf. Trotz unermüdlichem Druck baut es, erfindet, integriert, verteidigt und schafft Neues. Das ist nicht nur Widerstandsfähigkeit – das ist stille Auflehnung. Und genau das ist der Grund, warum es bestehen wird.

Seit seiner Gründung wurde Israels Existenz als Provokation betrachtet. Ein Zuhause für Juden? Im Nahen Osten? In Gebieten, in denen Juden seit Jahrhunderten lebten, lange bevor der Islam entstand? Allein die Idee wurde von den Nachbarn gewaltsam abgelehnt.

Innerhalb von 24 Stunden nach Israels Staatsgründung 1948 fielen fünf arabische Staaten ein, um es noch in der Wiege zu ersticken. Sie scheiterten. So wie auch alle späteren Versuche, es zu zerstören – ob durch konventionelle Kriege, Intifadas, Raketenangriffe oder Terror-Tunnel.

Doch Israels militärischer Sieg war nur eine Front. Der tiefere Krieg – der heimtückischere – ist der Krieg um die Wahrnehmung. Und in diesem Krieg steht Israel einer viel dunkleren Kraft gegenüber: der Normalisierung antisemitischer Doppelmoral, die sich als soziale Gerechtigkeit tarnt.

Heute ist Antizionismus zur gesellschaftlich akzeptierten Maske des Antisemitismus geworden. Seine Anhänger rufen nicht mehr „Tod den Juden“, sondern „From the river to the sea“. Sie brennen keine Synagogen mehr nieder; sie boykottieren jüdische Geschäfte, schüchtern jüdische Studenten ein und leugnen das Juden das Recht auf Selbstbestimmung – im Namen der Befreiung.

DIESER HASS versteckt sich heute hinter dem Wort „Palästina“, aber das Ziel bleibt dasselbe: die jüdische Legitimität, Sicherheit und das Überleben.

Es ist wichtig, klar zu sagen: Kritik an Israel ist kein Antisemitismus. Aber Israel das Existenzrecht abzusprechen, ist Antisemitismus. Es nach Maßstäben zu beurteilen, an denen kein anderes Land gemessen wird, ist Antisemitismus. Sein Volk selbst unter Beschuss als dauerhafte Verdächtige zu behandeln, ist Antisemitismus.

Und trotzdem – selbst wenn der Hass lauter wird – darf Israel nicht zurückweichen. Im Gegenteil: Seine Antwort darf keine Beschwichtigung sein; sie muss moralische Klarheit sein.

Die Welt wirft Israel Apartheid vor, während arabische Bürger in seinem Parlament sitzen, seine Universitäten besuchen, in der Justiz tätig sind und sich frei in allen Städten bewegen. Die Welt nennt es ein Kolonialprojekt – als wäre die Rückkehr eines Volkes in seine angestammte Heimat nach zweitausend Jahren Exil, Verfolgung und Völkermord Kolonialismus. Die Welt beschuldigt es des Völkermords, während seine Armee Zivilisten vor Angriffen auf Terrorziele warnt, die in Wohnhäusern und Krankenhäusern versteckt sind – etwas, das keine andere Armee der Welt tut.

Israel darf sich nicht mehr für seine Existenz entschuldigen.

Israel darf seine Energie nicht darauf verwenden, um Verständnis zu betteln. Es muss aufhören, sich für seine Existenz zu entschuldigen. Es gibt keine moralische Rechtfertigung für den Beschuss von Spielplätzen mit Raketen, für Terroranschläge in Synagogen oder für den Einsatz der eigenen Bevölkerung als menschliche Schutzschilde. Es gibt keinen moralischen Höhenflug in dem Ruf nach der Auslöschung eines Staates.

Wie soll Israel also reagieren? Nicht nur mit militärischer Stärke, sondern mit einer starken Erzählung.

Es muss anfangen, seine Geschichte neu – und besser – zu erzählen. Die Welt braucht keine weitere verteidigende Pressemitteilung. Sie braucht Wahrheit mit Rückgrat. Sie braucht Stimmen, die nicht westlicher Anerkennung hinterherlaufen, sondern moralische Realität vertreten.

Israel darf nicht länger zulassen, dass seine Feinde die Begriffe der Debatte bestimmen. „Besatzung“? Das Land, das es angeblich besetzt, wurde den Palästinensern in unzähligen Friedensangeboten überlassen – alle abgelehnt, nicht wegen Grenzen, sondern wegen Israels Existenz. „Kolonialismus“? Es hat nie einen palästinensischen Staat gegeben, den man hätte kolonisieren können. Juden sind keine Fremden in Jerusalem, Hebron oder Tiberias. Sie sind Heimkehrer in ihre angestammte Heimat.

Und jenen, die „Free Palestine“ skandieren und gleichzeitig den Mord an jüdischen Zivilisten rechtfertigen, muss Israel entgegnen: Freiheit ist nicht das Recht, eine andere Nation auszulöschen.

Aber die Strategie darf nicht bei Verteidigung stehenbleiben. Israel muss auch kulturell, diplomatisch und intellektuell in die Offensive gehen. Es muss massiv in Medien, Geschichtenerzählen und internationale Bildung investieren. Keine trockenen Fakten, sondern kraftvolle Narrative, die Menschen emotional erreichen.

Menschen mobilisieren sich nicht wegen Tabellen – sie mobilisieren sich wegen Geschichten. Die Geschichte Israels ist stark – eine Geschichte von Trauma, Triumph, Wiedergeburt und Hoffnung. Die Welt muss sie von Israelis selbst hören – nicht gefiltert durch ausländische Korrespondenten oder politische NGOs.

Neben der Kommunikation muss Israel seine Allianzen neu definieren. Zu lange hat es um die Gunst westlicher Eliten gebuhlt, die sie ihm nie gewähren werden. Es ist an der Zeit, Partnerschaften nicht nur mit Regierungen, sondern mit Menschen aufzubauen – mit afrikanischen Innovatoren, osteuropäischen Denkern und arabischen Dissidenten, die Israels Stärke und Stabilität bewundern.

Israels moralische Unterstützung kommt vielleicht nicht mehr aus den traditionellen diplomatischen Hallen Europas, sondern aus einer neuen Koalition von Nationen und Individuen, die für das einstehen, was Israel wirklich verkörpert: Freiheit, Innovation und Überleben.

Im eigenen Land darf Israel niemals zulassen, dass der Hass von außen die Seele im Inneren vergiftet. Die Antwort auf Hass ist nicht Angst – sondern Glaube. Glaube an seine Demokratie, seine Widerstandskraft und seine Vielfalt. Der jüdische Staat muss das bleiben, was er immer sein wollte: ein Leuchtfeuer des Pluralismus und des Fortschritts in einer Region, die von Tyrannei erstickt wird. Seine größte Rache an seinen Feinden ist es, weiter zu gedeihen.

Und für Juden in aller Welt muss die Botschaft laut und deutlich sein: Ihr müsst euch nicht für eure Unterstützung Israels entschuldigen. Zionismus ist kein Extremismus; er ist Gerechtigkeit. Er ist der Glaube, dass Juden sicher leben dürfen – in dem einzigen Land, das existiert, um sie zu schützen, wenn die Welt sich wieder einmal abwendet.

Israel war nie dazu bestimmt, beliebt zu sein. Es war dazu bestimmt, zu überleben. Und es hat mehr getan als das – es hat einem zerstreuten Volk eine Zukunft, Würde und eine Flagge gegeben, unter der es sich versammeln kann. Diese blau-weiße Flagge ist kein Symbol der Eroberung. Sie ist ein Versprechen: Nie wieder werden Juden sich auf andere verlassen müssen, wenn es um Sicherheit, Gerechtigkeit oder Identität geht.

Ja, die Welt mag Israel hassen. Aber Israel existiert nicht, um geliebt zu werden. Es existiert, um frei zu sein. Und in seiner Freiheit hat es jeden Feind überlebt, jede Erwartung übertroffen und wieder und wieder bewiesen: Hass ist nicht stärker als Geschichte.

Am Ende muss Israel keine Herzen gewinnen, um zu siegen. Es muss nur aufrecht stehen – klar und furchtlos.

Und das wird es.

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  1. Amine Ayoub ist Politikanalyst und Autor mit Wohnsitz in Marokko. Er ist ein Fellow am Middle East Forum. Seine Beiträge erschienen unter anderem in der Jerusalem Post, Yedioth Ahronoth, Arutz Sheva, The Times of Israel und vielen weiteren Medien. In seinen Texten befasst er sich vor allem mit Islamismus, Dschihad, Israel und der Politik der MENA-Region. Auf Twitter ist er unter @amineayoubx aktiv.

Waffenbesitz ist ein Privileg, kein Recht

Wolf Paul, 2025-05-06

Am frühen Morgen des 3. Mai 2025 hat in Maria Alm ein 32-jähriger Mann seine 34-jährige Ex-Freundin erschossen — einfach so, im Zorn, vor den Augen einer Zeugin. Der Täter ist jetzt auf der Flucht.1

Das Opfer hatte bereits vor der Tat Anzeige gegen den späteren Täter erstattet, wegen Bedrohung. Die Ermittlungen wurden allerdings mangels spezifischer Beweise für eine Straftat eingestellt.2

So weit ist das mehr oder weniger nachvollziehbar.

Was für mich absolut NICHT nachvollziehbar ist: Warum konnte der Mann nach Einstellung der Ermittlungen erfolgreich eine Waffenbesitzkarte beantragen? Er war zwar unbescholten (keine Vorstrafen), aber wäre das Vorliegen der Anzeige, trotz Einstellung, nicht nicht ein vernünftiger Grund gewesen, den Antrag zumindest so lange einzufrieren, bis sich die Gemütslage zwischen den beiden Kontrahenten beruhigt hat?

So konnte ein Mann, der auf seine Ex-Freundin zornig genug war, sie zu bedrohen (wenn auch nicht in strafbarer Weise), und dessen Zorn jetzt aufgrund ihrer Anzeige ins unermessliche gesteigert war, völlig legal eine Schußwaffe erwerben, mit der er seine Ex-Freundin letztlich ermordet hat.

Die Situation bei uns ist, was Waffengesetze angeht, nicht annähernd so verrückt wie in den USA, aber optimal ist sie leider auch nicht, mit tragischen Auswirkungen. Unbescholtenheit allein sollte kein ausreichendes Kriterium für den legalen Waffenbesitz sein; die psychische und moralische Unbedenklichkeit, durch sorgfältige Ermittlungen festgestellt, sollte ein ebenso wichtiges Kriterium sein, denn Waffenbesitz ist kein Recht, sondern ein Privileg.

Demokratiemangel in Deutschland?

Wolf Paul, 2025-05-04

Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft, und die anderen Parteien sind sich einig darin, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben darf – die sogenannte Brandmauer.

Wie nützlich diese „Brandmauer“ ist, mag jeder für sich beurteilen. Aber es wirkt schon seltsam, wenn ausgerechnet US-Politiker wie Vizepräsident J. D. Vance oder Außenminister Marco Rubio Deutschland wegen dieser Haltung mangelnde Demokratie und Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit vorwerfen – während ihr Chef, Präsident Trump, seit Monaten ganz offen darüber nachdenkt, ihm unliebsame Medien, Journalisten und Politiker mithilfe einer ihm zunehmend hörigen Justiz mundtot zu machen.

Tatsache ist: Die AfD spricht Themen an, die immer mehr Wählerinnen und Wählern am Herzen liegen – oder ihnen akute Sorgen bereiten. Die Brandmauer und die pauschale Verurteilung als rechtsextrem, ohne sich ernsthaft mit den sehr realen Problemen auseinanderzusetzen, auf die die AfD hinweist, werden die AfD zwangsläufig weiter stärken – bis irgendwann bei einer Wahl die Brandmauer die Flammen des Wählerzorns nicht mehr aufhalten kann.

Übrigens gilt das Gleiche auch für den Umgang mit der Kickl-FPÖ hier in Österreich.

Wenn die neue deutsche Regierung – wie auch unsere schwarz-rot-pinke Koalition hierzulande – es nicht schafft, die Sorgen und Anliegen der AfD- und FPÖ-Wähler sichtbar und wirksam aufzugreifen, dann steuern sowohl Deutschland als auch Österreich früher oder später auf eine absolute Mehrheit für AfD bzw. FPÖ zu. Und es ist völlig unerheblich, wie wichtig man diese Anliegen findet oder für wie realistisch man die Sorgen der Bevölkerung einschätzt. In einer Demokratie zählen nicht nur die Sorgen verschiedener Eliten.

Karfreitag für alle? Ja!

Wolf Paul, 2025-04-01

Seit dem Beginn der Zweiten Republik im Jahr 1955 war der Karfreitag gesetzlicher Feiertag für die Angehörigen der Evangelischen Kirche A.B. und H.B, sowie für Altkatholiken und Methodisten. Die Evangelische Kirche sieht den Karfreitag als höchsten Feiertag des Kirchenjahres, und die Altkatholiken und Methodisten fielen aus nicht ganz klaren Gründen ebenfalls unter diese Regelung.

Im Jahr 2015 klagte ein katholischer Arbeitnehmer gegen diese Regelung, die er als diskriminierend empfand. Der Fall landete schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof, und dieser entschied am 22. Januar 2019, daß diese Regelung eine Diskriminierung aufgrund der Religion darstelle und gegen EU-Recht verstoße.

Aufgrund dieser EuGH-Entscheidung wurde am 22. Februar 2019 im Nationalrat eine Gesetzesänderung beschlossen, die mit 1. April 2019 in Kraft trat. Anstelle des bisherigen „Feiertags“ für bestimmte Religionsgruppen wurde der „persönliche Feiertag“ eingeführt. Seither haben Arbeitnehmer einmal pro Jahr das Recht, einen freien Tag zu wählen („persönlicher Feiertag“), müssen diesen aber mindestens drei Monate im Voraus bekannt geben, und es ist kein zusätzlicher arbeitsfreier Tag, sondern wird vom normalen Urlaubskontingent des Arbeitnehmers abgezogen.

Aus der Überlegung, daß der Karfreitag zurecht als der wichtigste christliche Feier- bzw. Gedenktag zu sehen ist, da es ohne Karfreitag, also ohne Jesu Tod, auch keine Auferstehung, und damit weder Ostern noch Pfingsten, noch überhaupt die Kirche gegeben hätte, haben einige evangelische Christen das Volksbegehren „Karfreitag-Feiertag für alle“ initiiert mit dem Ziel, den Karfreitag für alle Arbeitnehmer im § 7 des Feiertagsruhegesetzes zu verankern.

Zwei Vorschläge zur praktischen Umsetzung wurden vorgelegt:

  1. Entweder einen gesetzlichen Karfreitags-Feiertag für alle herzustellen, verbunden mit der Auflage, daß dieser Tag nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen. Kriterien dafür müßten erarbeitet werden;
  2. Oder einen zusätzlichen arbeitsrechtlichen Urlaubstag für alle Arbeitsnehmer zu schaffen, welchen Christen dann zur Begehung des Karfreitags nutzen können. Eine solche Regelung würde Einwände von anderen Religionsgemeinschaften verhindern.

Das Volksbegehren wurde bald nach der Abschaffung des Karfreitags-Feiertags initiiert und befindeet sich derzeit noch in der „Unterstützungsphase“, in der  es fast 9000 Unterstützungserklärungen erreichen muß. Um dann vom Parlament behandelt zu werden, muß es mindestens 100.000 Unterschriften erhalten.1

Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn auch freikirchliche Christen und ihre Gemeinden den Karfreitag mit einem Gottesdienst, aber auch in der persönlichen Andacht und Gebetszeit, begehen würden, egal obe es letztlich einen zusätzlichen Urlaubstag dafür gibt. Wir betonen die Bedeutung von Jesu Opfer am Kreuz, und das ist sicherlich ein wichtigeres Ereignis, als viele andere Dinge, denen wir einen Gedenk- oder Feiertag widmen. Und wenn man sich am Karfreitag innerlich auf das Leiden und den Tod Jesu einläßt, wird die Freude des Ostersonntags umso größer sein.2

Wir sehen, daß der christliche Glaube in unserer Gesellschaft immer mehr an den Rand gedrängt wird, und es wird eine Zeit kommen, wo wir uns dagegen nicht mehr wehren können (das hat Jesus uns vorhergesagt). Solange wir uns jedoch durch die Mittel unserer demokratischen Verfassung gegen diese Marginalisierung wehren und in der Öffentlichkeit ein Lebenszeichen setzen können, sollten wir diese Gelegenheit beim Schopf packen.3

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  1. Das Volksbegehren liegt bereits in allen Gemeinden (Gemeindeämter, Bezirksämter, Magistrat, je nach Gemeinde) auf, und dort, oder auch online, können diese Unterstützungserklärungen abgegeben werden. Erreicht das VB rund 9000 Unterstützungserklärungen, wird es sozusagen „offiziell“ und wird zur 8 Tage dauernden „Eintragungswoche“ zugelassen, in der es dann weiter aufliegt und von allen Österreichern dort oder online unterschrieben werden kann. Um vom Parlament behandelt zu werden, muß ein Volksbegehren mindestens 100.000 Unterschriften erhalten – ob es dann auch tatsächlich von Parlament und Regierung umgesetzt wird, ist natürlich eine andere Sache.[]
  2. Mir ist bewußt, daß viele freikirchliche Christen ein gespaltenes Verhältnis zum Kirchenjahr und seinen religiösen Festen haben. In vielen Gemeinden werden Weihnachten und Ostern zwar als gute Gelegenheit zur Evangelisation gesehen, nicht jedoch als Möglichkeit, uns geistlich und emotional auf diese wichtigen Heilsereignisse einzustimmen. Ich ermutige Euch, diese Einstellung zu überdenken.[]
  3. Mir ist klar, daß es Christen gibt, die jede Beteiligung an politischen Prozessen, d.h. auch an Wahlen und Volksbegehren, als „weltlich“ Angelegenheiten, die uns nichts angehen, ablehnen. Ich bin, bei allem Respekt, anderer Meinung. Die Menschen zur Zeit des Neuenn Testaments (und auch für Jahrhunderte danach) hatten keine Möglichkeit, sich gegen staatliche Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen, und auch heute noch trifft das in vielen Ländern zu. Es ist ein riesiges Privileg, daß wir heute und in unserem Land die Möglichkeit der Beteiligung an politischen Prozessen haben.[]

Koalitionsfragen

Wolf Paul, 2025-03-09

Nach dem dramatischen Scheitern der Koalitionsverhandlungen von FPÖVP, wo allen Beteeiligten und Zuschauern klar wurde, welcher dramatische Staatsumbau weg von Demokratie und hin zu einem autokratischen Gebilde nach Orbans Beispiel Herbert Kickl vorschwebt, und schließlich sogar der schwarz-türkise Wirtschaftsflügel eingesehen hat, daß mit dem “möchte-gern Volkskanzler” kein Staat zu machen ist, haben es SPÖVPNEOS doch noch geschafft, über ihre jeweils eigenen parteipolitischen Schatten zu springen und sich auf eine Regierung zum Wohl des Landes zu einigen.

Es bleiben zwei Fragen:

  1. Warum hat das nicht schon beim ersten Alauf geklappt? und
  2. Wie lange wird diese Bereitschaft, das Wohl Österreichs über die eigenen Parteiinteressen zu stellen, anhalten?

Donald Trumps Botschaft an die Welt

Wolf Paul,

Es lohnt sich nicht, Verbündeter der USA unter seiner Herrschaft zu sein, denn er wird dich nicht verteidigen, er wird dir höhere Zölle auferlegen als seinen Feinden und wird dir mit der Beschlagnahmung deines Territoriums drohen, während er gleichzeitig die Diktaturen unterstützt, die dich überfallen.
— Claude Malhuret, frz. Senator

Das alljährliche blaue Aschermittwoch-Spektakel

Wolf Paul, 2025-03-06

Wie jedes Jahr mißbraucht die FPÖ den Aschermittwoch, einen kirchlichen Gedenktag, für unchristliche Selbstbeweihräucherung und Ausfälle gegen die politischen Mitbewerber. Der „Hoffentlich-Nie“-Kanzler Kickl befürchtet völlig zu Unrecht, daß er sich die „erarbeitete Seriosität z’ammhaun“ könnte – denn welche Seriosität, bitte schön?

Was Kickl nicht versteht (oder nicht verstehen will) ist, daß Österreich kein „Winner takes it all“, „First past the post“ Wahlsystem1 hat, sondern ein Verhältniswahlrecht2, in dem knapp 29% eben nur eine relative Mehrheit (d.h. eine absolute Minderheit) darstellt, der die absolute Mehrheit all derer gegenübersteht, die andere Parteien gewählt haben, und daß diese anderen Parteien mit ihren rund 70% keinerlei Verpflichtung haben, den 29%-Parteichef ins Bundeskanzleramt zu heben.

Die jetzt angelobte Regierung aus ÖVP, SPÖ, und NEOS ist eben nicht eine Regierung der Verlierer, sondern eine Regierung von 56% der Wähler, die nicht für die FPÖ gestimmt haben und die sich keinen „Volkskanzler“ Kickl wünschen. Mit 110 Abgeordneten hat diese Regierung auch eine komfortable absolute Mehrheit im Parlament.

Es ist auch sehr bezeichnend, daß Kickl seine eigene Unnachgiebigkeit und mangelnde Kompromißbereitschaft in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP seinem „Rückgrat“ zuschreibt, die von ÖVP-Chef Stocker jedoch dessen mangelnder Ehrlichkeit.

Daß es Kickl bei all dem nicht um Österreich geht ist daraus ersichtlich, daß er der neuen Regierung nicht, zum Wohl des Landes, Erfolg wünscht, sondern deren baldiges Scheitern beschwört und Neuwahlen fordert. Wahlen kosten viel Geld – Steuergeld. Und nachdem es sehr unwahrscheinlich ist, daß Kickls FPÖ be einer neuerlichen Wahl tatsächlich die absolute Stimmenmehrheit erhält, geht danach der Koalitionspoker erneut los, mit vorhersagbarem Resultat. Es wäre also reine Geldverschwendung. Patriotismus sieht anders aus.

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  1. Bei einem „Winner takes it all“ oder „First past the post“ (FPTP) Wahlsystem (auch Mehrheitswahl) gewinnt der Kandidat oder die Partei mit den meisten Stimmen, auch wenn es keine absolute Mehrheit (mehr als 50 %) gibt.[]
  2. In einem Verhältniswahlsystem erhalten Parteien Sitze entsprechend ihrem Stimmenanteil.[]

Theokratie gehört nicht ins Parlament?

Wolf Paul, 2025-02-07

In einem Artikel auf der Webseite des “Humanistischen Verbands Österreichs” mit dem Titel „Theokratie gehört nicht ins Parlament“ kommentiert Balász Bárány einen offenen Brief, den die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler an SPÖ-Chef Andreas Babler gerichtet hat. Sie drückt darin ihre Meinung darüber aus, was die Aufgabe des Staates und seiner Bürger ist, und zitiert in diesem Zusammenhang den Katechismus der Katholischen Kirche. Das ist natürlich völlig legitim und sollte nicht weiter verwundern, denn als katholische Christin hat der Katechismus einen großen Anteil an ihrer Meinungsbildung. Für Bárány allerdings ist das ein Skandal:

Gudrun Kugler, eine der profiliertesten Vertreter*innen des politischen Katholizismus in Österreich, zitiert in einem offenen Brief an Andreas Babler (als Replik auf dessen Reaktion auf die Nehammer-Burger-Video-Affäre) in normativer Weise den katholischen Katechismus. Sie definiert damit die „Hauptaufgabe des Staates“, verteilt „Verantwortung“ an verschiedene „Gruppen und Vereinigungen“ und bezeichnet Arbeit als „Pflicht“. In einer an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Auseinandersetzung.

Damit trifft sie – als Parlamentarierin, die der Demokratie und dem österreichischen Volk verpflichtet sein sollte – Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft, die nicht demokratisch verhandelbar sind, sondern in einer absolutistischen Monarchie vom damaligen Oberinquisitor Ratzinger ausgedacht und festgeschrieben wurden. Das widerspricht eindeutig der „unverbrüchlichen Treue der Republik Österreich“, die sie bei ihrer Angelobung geloben musste. Statt die österreichischen Wähler*innen über Aufgaben des Staates, von Gruppen und Vereinigungen entscheiden zu lassen, meint sie, dies bei einem ehemaligen Oberhaupt einer von sechzehn anerkannten Religionsgesellschaften zu erfahren – aus einem Land, das die Europäische Menschenrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. Das ist nicht Demokratie, das ist Theokratie. Und eine Vertreterin der Theokratie gehört nicht in den Nationalrat.

Mit Verlaub, was heißt „sie zitiert in normenhafter Weise“? Was heißt, sie „trifft Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft“? All das in einem Brief, der zwar auch für die Öffentlichkeit bestimmt ist, aber lediglich eine private Meinungsäußerung darstellt und ihre persönlichen Überzeugungen widerspiegelt?

Wie alle anderen Abgeordneten kann Gudrun Kugler nur durch ihr  Abstimmverhalten im Parlament Festlegungen“ treffen, und auch das nur, wenn gen¨¨gend andere Abgeordnete genauso abstimmen. Alles andere ist freie Meinungsäußerung, egal ob im Parlament oder eben in einem offenen Brief an einen Politiker, und ist in keiner Weise  normenhaft“ oder eine Festlegung“.

Die österreichische Verfassung garantiert Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, und das heißt, daß jeder, auch Politiker und ganz besonders Abgeordnete auf allen Ebenen, frei ist, sich jegliche beliebige Meinung zu bilden und sie (mit einigen wenigen Ausnahmen) auch öffentlich auszudrücken und auch in den politischen Gremien, im Rahmen der demokratischen Spielregeln, zu vertreten und für sie zu werben. Das gilt auch für Meinungen, die auf religiösen oder auch ideologischen Überzeugungen beruhen — und hier liegt, glaube ich, Balász Báránys Problem:

Wie viele andere Meinungsmacher heutzutage vertritt er die Meinung, daß religiös geformte Meinungen nicht geäußert oder vertreten werden dürfen, schon gar nicht im Rahmen der der demokratischen Prozesse und Spielregeln. Daß er mit dieser Meinung selbst im Widerspruch zur Verfassung steht, ist natürlich völlig legitim — auch er genießt die verfassungsgemäße Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, einschließlich der Freiheit, Religion für sich selbst abzulehnen und auch, diese religionsfeindliche Haltung öffentlich zu vertreten und zu propagieren, genauso wie Gudrun Kugler  oder auch die von Bárány zitierte muslimische1 Politikerin die Freiheit genießen, ihre von ihrer jeweiligen Religion geformte Meinung zu vertreten und zu propagieren.

Der „Humanistische Verband Österreich” sagt übrigens von sich selbst, er „setzt sich für eine faktenbasierte, naturwissenschaftliche Weltsicht, eine Ethik ohne religiösen Bezug und einen Staat, der nicht auf religiösen Überzeugungen gründet, ein.”  Letzteres ist, rechtlich gesehen, durchaus o.k, sofern der Verband und seine Anhänger über ausreichende Mehrheiten verfügen, um die entsprechenden Gesetze zu erlassen. Ebenso ist es o.k wenn religiöse Menschen mit ausreichenden Mehrheiten Gesetze erlassen, die ihre religiösen Überzeugungen reflektieren. Das ist eben Demokratie und hat mit Theokratie nichts zu tun.

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  1. Aus rein rechtlic-politischer Sicht ist das Problem mit dem Islam nicht der Inhalt seiner Lehre, sondern die Tatsach daß aller Erfahrung nach viele (nicht alle) Muslime ihre Meinungen und Überzeugungen nicht mit demokratischen Mitteln, sondern mit Gewalt durchsetzen wollen.[]