ORF Online berichtet über einen Vorschlag des (röm.-kath.) kirchlichen Experten für Mißbrauchsprävention, Hans Zollner SJ, für “kirchliche Gefängnisse” für (sexuelle) Mißbrauchstäter, wo diese nach Verbüßung ihrer Haftstrafe aufgenommen und weiter streng kontrolliert werden können, um eine Rückfälligkeit und damit Gefährdung der Gesellschaft zu verhindern.
Laut Zollner weiß man aus Studien, daß viele Täter, die schweren sexuellen Mißbrauch begangen haben, nach Verbüßung ihrer Haftstrafe und trotz Therapie und und anderen Auflagen, nach dem Auslaufen dieser Maßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit rückfällig werden und wieder Mißbrauchstaten begehen.
In den USA macht man seit Jahrzehnten gute Erfahrungen mit solchen Einrichtungen, die zwar als “etwas Ähnliches wie ein Gefängnis” beschrieben werden, wo die Aufnahme jedoch freiwillig erfolgt, wenn Täter einsehen, daß sie die Kontrolle brauchen, um nicht wieder straffällig zu werden. Solche Einrichtungen befinden sich meist in entlegenen Gegenden und bieten ein strenges Regime mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen.
Dieser Vorschlag klingt zunächst mal nicht schlecht, denn diese Art von Kontrolle auch nach Strafverbüßung ist wahrscheinlich bei einer Mehrheit der Täter notwendig. Man könnte solche Täter natürlich auch lebenslang in Sicherheitsverwahrung nehmen; das ist aber, nur auf den bloßen Verdacht einer Rückfälligkeit hin, weder mit den Grundsätzen moderner Rechtsstaatlichkeit noch mit christlicher Theologie vereinbar. Einrichtungen, wo sich Freiwilligkeit und Verbindlichkeit die Waage halten, die den Tätern ihre Menschenwürde lassen und gleichzeitig die Gefahr eines Rückfalls vermindern, sind da sicher der bessere Ansatz.
Ich zweifle allerdings an, ob es ideal ist, solche Einrichtungen durch die Kirche(n) führen zu lassen.
Die Institution Kirche, in ihren verschiedensten konfessionellen Ausprägungen, hat sowohl in der Prävention und Verfolgung von sexuellem Mißbrauch in den eigenen Reihen, als auch in der Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben im staatlichen Auftrag kaum mehr Glaubwürdigkeit. Praktisch alle Kirchen haben bei der Vermeidung und Aufklärung von Mißbrauch durch kirchliche Amtsträger jahrezehntelang versagt, indem sie den Ruf der Institution sowie finanzielle Überlegungen vor das Wohl der meist minderjährigen Opfer gestellt haben. Dabei denken viele Menschen zuerst an die Mißbrauchsskandale in der römisch-katholische Kirche, aber erst im vorigen Jahr wurde der fragwürdige Umgang der weltweit größten baptistischen Denomination, den Southern Baptists, mit dem Mißbrauch durch Pastoren und Jugendleiter aufgedeckt. Und die Mißhandlung von Schülern in kirchlichen Internatsschulen und anderen Jugendeinrichtungen in der nicht allzu entfernten Vergangenheit kommt immer wieder ans Tageslicht, ob es sich nun um evangelische Schulen in Deutschland, anglikanische Schulen in Australien und Kanada, anglikanische Sommercamps in England, oder katholische Schulen in vielen verschiedenen Ländern, wie zuletzt in Kanada, handelt. Oft waren das Einrichtungen, die in staatlichem Auftrag betrieben wurden, und wo “schwer erziehbare” oder straffällig gewordene Jugendliche von Gerichten oder anderen Behörden eingewiesen wurden, bzw versucht wurde, Kinder von indigenen Völkern an die “moderne”, weiße Gesellschaft anzupassen. Diese Vergangenheit wird zwar inzwischen, aufgrund der Aufdeckung durch die Medien, zunehmend aufgearbeitet, allerdings teilweise immer noch sehr zögerlich und nicht radikal genug.
Auf jeden Fall fehlt der Institution Kirche die für eine solche Aufgabe notwendige Glaubwürdigkeit. Wenn wir, als gläubige Christen, das nicht einsehen, wird uns die weltliche Gesellschaft daran erinnern.
Ich habe aber auch einen schwerwiegenden theologischen Einspruch. Wenn solchen Einrichtungen im Auftrag oder in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen agieren (was notwendig ist, wenn sie denn als Alternative zu einer lebenslangen Sicherheitsverwahrung dienen sollen), dann besteht in unserem heutigen gesellschaftlichen Klima mit Sicherheit die Erwartung, daß diese Einrichtungen zwar im Einklang mit der allgemeinen, liberalen Gesellschaftsordnung betrieben werden, daß sie ansonsten jedoch weltanschaulich neutral sind, d.h. daß die Insassen keiner ideologischen oder religiösen Beeinflussung ausgesetzt sind. Ich stelle mal in den Raum, daß eine christliche Kirche, die diesen Namen verdient, eine solche Einschränkung nicht akzeptieren darf. Das soziale Engagement der Kirche Jesu Christi muß immer mit der Verkündigung des Evangeliums einhergehen. Natürlich ist eine Zwangsbeglückung der Insassen solcher Einrichtungen, mit Vorschriften wie verpflichtendem Gottesdienstbesuch usw., nicht der richtige Weg, den Menschen muß ihr freier Wille gelassen werden; aber die Kirche darf sich nicht den Mund verbieten lassen, darf sich Evangelisation nicht verbieten lassen.
Ich weiß nicht, was die Alternative ist: solche Einrichtungen vom Staat, oder auch in staatlichem Auftrag von privaten Firmen führen zu lassen, erscheint angesichts der Zustände in den meisten Gefängnissen weltweit auch nicht ideal. Wenn es jedoch staatliche Einrichtungen diese Art gibt, daß sollen sich die Kirchen natürlich einbringen, in Form von Anstaltsseelsorge wie man das ja bereits aus dem Strafvollzug, dem Spitalswesen, oder dem Militär kennt.