Die Taliban und “christliche Fundamentalisten”

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Warum ich auch den nur angedeuteten Vergleich von konservativen Christen und islamistischen Fundamentalisten für skandalös halte

Vor ein paar Tagen wurde dieser Facebook-Post kommentarlos von einem österreichischen christlichen Leiter geteilt:

“Women can work but not be leaders” (Taliban). Now where have I come across that before?

Meine Kritik an diesem Post wurde von diesem Leiter als “mehr als überzogen” zurückgewiesen, und andere stimmten ihm zu oder bestritten, daß dies ein Vergleich sein sollte. Wieder ein anderer meinte, meine Kritik lege nahe, daß an dem Vergleich was dran ist. Ein einziger Kommentar stimmte mir zu und fand dies auch unpassend.

Ich habe meinen kritischen Kommentar inzwischen wieder gelöscht, weil ich nicht wirklich Wert darauf lege, mir mit diesem Bruder eine öffentliche Debatte darüber zu liefern; da ich aber vermute, daß es nun, da die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht sind, vermehrt zu solchen Vergleichen kommen wird, möchte ich hier darlegen, warum ich sie für unpassend halte.

Zu allererst möchte ich mich bei denjenigen bedanken, die wenigstens zugegeben haben, daß dieser Post, so kommentarlos geteilt, auf konservative Christen gemünzt war; das zu leugnen, ist einfach unehrlich.

Dann möchte ich klarstellen, daß es mir gar nicht darum geht, die eine oder andere Seite in dieser Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche/Gemeinde zu verteidigen; ich selbst habe eine differenzierte und nicht abschließend formulierte Meinung zu diesem Thema.

Es ist mir auch klar, daß “die Welt”, die dem Christentum ohnehin kritisch gegenüber steht, solche Vergleiche anstellt und konservative Christen in die Nähe von islamistischen Extremisten rückt; das kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß der Begriff “Fundamentalisten”, der ursprünglich eine Selbstbezeichnung war für Christen, die an den “fundamentalen Wahrheiten” des christlichen Glaubens festhalten wollten, inzwischen wahllos für Extremisten jeder Art verwendet wird, von radikalen Umweltschützern bis hin zu islamistischen Terroristen wie ISIS, Al Kaeda, oder den Taliban.

Was mich an diesem geteilten Posting und den darauf folgenden Kommentaren gestört hat, war erstens, daß dies von Christen kam, und zwar zunächst mal von jemandem, der in diversen ökumenischen Gremien aktiv ist, wo es darum geht, als Christen aus unterschiedlichen Traditionen, die durchaus unterschiedliche theologische Positionen zu allen möglichen Themen vertreten, respektvoll miteinander umzugehen. Dieser Vergleich, auch nur angedeutet, ist kein respektvoller Umgang.

Die Position von konservativen christlichen Gemeinden, welche die Leitungsfunktion von Frauen einschränken, basiert auf ihrem Schriftverständnis; spezifisch auf auf ihrem Verständnis der Worte des Apostels Paulus z.B. im ersten Brief an Timothäus, “Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still.” (1.  Timothäus 2,12 Luther-Bibel 2017). Man mag dieses Verständnis, diese Interpretation, teilen oder nicht – aber man sollte dabei nie außer Auge lassen, daß es sich bei den Menschen in diesen konservativen Gemeinden um Christen handelt, um Brüder und Schwestern in Christus, für die Christus gestorben ist. Deshalb kommt mir in diesem Zusammenhang sofort die Stelle im Römerbrief in den Sinn, wo Paulus sagt, “Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn aufrecht halten.” (Römer 14,4 Luther-Bibel 2017).

Der zweite Grund, warum mir dieser Vergleich so unpassend erscheint, ist die Tatsache, daß die Taliban und andere islamistische Extremisten Frauen ja nicht nur von Leitungsämtern ausschließen, sondern sie auch in vielerlei anderer Weise unterdrücken, mit Zwangsverheiratung, Gewalt und sogar mit dem Tod bedrohen. Indem man diesen Vergleich anstellt, rückt man konservative Christen unweigerlich auch in die Nähe all dieser weitergehenden Unterdrückung.

Das gleiche gilt auch für Versuche, die Ablehnung gelebter Homosexualität durch konservative Christen in die Nähe der islamistischen Verfolgung homosexueller Menschen, die unter dem Regime von ISIS im Irak z.B. von hohen Gebäuden in den Tod gestürzt wurden: Christen haben sich in der Vergangenheit einiges zuschulden kommen lassen in ihrem Umgang mit diesen Menschen, aber die sachliche Feststellung, daß die Bibel gelebte Homosexualität als gegen die Schöpfungsordnung bezeichnet, mit der gewalttätigen Verfolgung auf eine Stufe zu stellen, ist nicht angebracht.

Zu meinem persönlichen Schriftverständnis und meiner Haltung in diesen Dingen:

Ich habe mir noch kein abschließendes Urteil gebildet über die Rolle von Frauen in der Gemeinde. Ich halte die Ablehnung des Frauenpriestertums in der römisch-katholischen Kirche für in sich schlüssiger als die Ablehnung von predigenden Frauen im evangelikalen Umfeld;[1]  die Frage nach Leitung ist für mich weniger klar.  Aber ich finde die Art, wie beide Seiten in diesem Streit agieren, höchst destruktiv, sowohl in der katholischen Kirche als auch in evangelikalen Kreisen. Leider stellen die evangelischen Kirchen in Deutschland und Österreich[2] ebenso wie die anglikanischen Kirchen auf den britischen Inseln[3] und Nordamerika [4] geradezu ein Paradebeispiel für das dar, was  konservativere Evangelikale schon immer gesagt haben: daß die Akzeptanz von Frauen im Pastoren- und Bischofsamt einhergeht mit allen möglichen Abweichungen von biblischem Christentum, und daß dort, wo man eine Glaubenswahrheit als optional, also freigestellt, erklärt, sie früher oder später ganz geleugnet wird.

Ich glaube, daß dieser ganze Streit letztlich auf einem großen Mißverständnis beruht: daß nämlich eine Person, die ein Leitungsamt ausübt, besser oder mehr wert ist, als alle anderen. Das ist eine zutiefst unbiblische Idee; die Bibel sagt uns, daß, wer Leiter sein will, zunächst der Diener aller sein soll (Matthäus 20,26-28); sie sagt auch, daß man Leitungsfunktionen nicht anstreben soll (Jakobus 3,1).

Frauen, die partout eine Leitungsfunktion in einer Gemeinde ausüben wollen, wo dies der offiziellen Position der Gemeinde widerspricht oder, aus welchem Grund auch immer, von der Leitung abgelehnt wird, statt sich entweder der Leitung zu unterzuordnen oder sich eine andere Gemeinde zu suchen, sind meiner Meinung nach genauso destruktiv wie konservative Christen, die in einer Gemeinde, wo Frauen leiten dürfen, mit allen möglichen, agitatorischen Mitteln versuchen, diese Gemeinde nach ihren Vorstellungen umzumodeln, oder wie Christen beider Überzeugungen, die sich lautstark öffentlich urteilend über die jeweils anderen Gemeinden äußern.

Und es ist ja nicht so, daß diese nur Frauen betrifft. Schließlich sind auch die Mehrzahl der Männer keine Leiter. Und Männer, die aus welchem Grund auch immer nicht in ein Leitungsamt berufen werden, müssen sich auch damit abfinden; letztlich kann niemand, der nicht von der Gemeinde berufen wird, auf seiner/ihrer Berufung zu diesem Amt beharren.

In diesem Zusammehang fällt mir auch ein, was in unserer Gemeinde in Texas immer betont wurde: daß nur eine begrenzte Anzahl von Männern von der Gemeinde in das Ältestenamt berufen werden, daß es jedoch durchaus auch andere Menschen gibt, die, geistlich gesehen, Führunspersönlichkeiten sind, aufgrund ihres vorbildlichen Lebens, aufgrund des weisen Rates, den sie Jüngeren geben, usw.  Wir können alle daran arbeiten, solche Führungspersönlichkeiten zu werden.

Ich habe in zwei oder drei Delegiertenversammlungen[5] die Bestrebungen einer Schwester, als Pastorin anerkannt zu werden, miterlebt; ich habe mehrere Jahre lang miterlebt, wie ein Bruder in der Jahresgemeindestunde[6] einer Gemeinde versucht hat, in die Leitung gewählt zu werden. In beiden Fällen fällt mir zu diesen Bemühungen das Wort “krampfhaft” ein; diese Bemühungen haben im beiden Fällen nicht zum Frieden beigetragen und schienen mir auch nicht zur Ehre Gottes zu sein.

Und zum Thema Homosexualität:

Die Bibel sagt ziemlich klar, daß Sex nur in die Ehe von jeweils einem Mann und einer Frau gehört. Ich habe mehr Respekt vor homosexuellen Menschen, die das zugeben und klar sagen, daß sie der Bibel in dieser Sache nicht folgen wollen oder können, als vor Menschen, die diese Tatsache leugnen.

Diese Aussage der Bibel schließt alles mögliche aus, sowohl vor- und außerehelichen Sex zwischen Männern und Frauen, als auch Sex zwischen Männern oder Frauen. Es schließt auch eine gleichgeschlechtliche Ehe aus. Wenn sich also eine Gemeinde zur Bibel als Grundlage ihres Glaubens bekennt, dann sind diese Dinge in der Gemeinde nicht akzeptabel. Es schließt nicht aus, daß der Staat, der ja heute zumeist ein rein sekularer Staat ist, und zumindest in unseren Breiten, demokratisch verfaßt ist, das anders sieht; ich habe auch als evangelikaler Christ, der seinen Glauben auf die Bibel zurückführt, kein übergroßes Problem damit, daß der Staat zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe zuläßt, solange er nicht den Gemeinden und Kirchen vorschreibt, solche Beziehungen als Ehe anzuerkennen oder gar zu segnen. Ich glaube auch, daß homosexuelle Menschen, ebenso wie alle Menschen, im Ebenbild Gottes erschaffen sind, und daher mit Respekt zu behandeln sind, und es geht mich auch grundsätzlich nicht wirklich etwas an, wie Menschen außerhalb der Gemeinde ihr Leben leben. Innerhalb der Gemeinde muß es dieser überlassen bleiben, diese Dinge nach ihrem Verständnis des Wortes Gottes zu regeln, und sollte sich ein Staat, der Religionsfreiheit in seiner Verfassung verankert hat, nicht einmischen.

In beiden dieser Bereiche sollten Christen offen und ehrlich zu ihren Überzeugungen stehen und diese auch durchaus als Kritik an Andersdenkenden zum Ausdruck bringen, allerdings immer respektvoll: der mangelnde Respekt ist, was mich bei dem erwähnten Facebook-Post gestört und enttäuscht hat.

Anmerkung: Das Bild oben ist zusammengesetzt aus einem Bild von ein paar amischen Frauen als “Platzhalter” für konservative Christen und einem Bild von ein paar moslemischen Frauen, jeweils in der typischen Kleidung. Das Bild steht natürlich in keinem direkten Zusammenhang mit dem Thema dieses Posts.

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  1. Nach römisch-katholischem Verständnis handelt der Priester bei der Eucharistie in persona Christi, d.h. in der Person Christi, und Christus war nun mal ein Mann; dieses Argument ist für das Predigen nicht stichhaltig[]
  2. Evangelische Kirche in Deutschland, Evangelische Kirche in Österreich, die vereinigten lutherisch/reformierten sogenannten “Landeskirchen”[]
  3. Church of England, Church of Wales, Scottish Episcopal Church, Church of Ireland – die Mitgliedskirchen der Anglikanischen Gemeinschaft in GB und IRL[]
  4. The Episcopal Church, Anglican Church of Canada – die Mitgliedskirchen der Anglikanischen Gemeinschaft in den USA und Kanada[]
  5. Teil der jährlichen Bundeskonferenzen des österreichischen Baptistenbundes[]
  6. die jährliche Mitgliederversammlung einer österr. Baptistengemeinde, wo Entscheidungen gefällt und die Leitung gewählt wird[]
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