Theokratie gehört nicht ins Parlament?
In einem Artikel auf der Webseite des “Humanistischen Verbands Österreichs” mit dem Titel „Theokratie gehört nicht ins Parlament“ kommentiert Balász Bárány einen offenen Brief, den die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler an SPÖ-Chef Andreas Babler gerichtet hat. Sie drückt darin ihre Meinung darüber aus, was die Aufgabe des Staates und seiner Bürger ist, und zitiert in diesem Zusammenhang den Katechismus der Katholischen Kirche. Das ist natürlich völlig legitim und sollte nicht weiter verwundern, denn als katholische Christin hat der Katechismus einen großen Anteil an ihrer Meinungsbildung. Für Bárány allerdings ist das ein Skandal:
Gudrun Kugler, eine der profiliertesten Vertreter*innen des politischen Katholizismus in Österreich, zitiert in einem offenen Brief an Andreas Babler (als Replik auf dessen Reaktion auf die Nehammer-Burger-Video-Affäre) in normativer Weise den katholischen Katechismus. Sie definiert damit die „Hauptaufgabe des Staates“, verteilt „Verantwortung“ an verschiedene „Gruppen und Vereinigungen“ und bezeichnet Arbeit als „Pflicht“. In einer an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Auseinandersetzung.
Damit trifft sie – als Parlamentarierin, die der Demokratie und dem österreichischen Volk verpflichtet sein sollte – Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft, die nicht demokratisch verhandelbar sind, sondern in einer absolutistischen Monarchie vom damaligen Oberinquisitor Ratzinger ausgedacht und festgeschrieben wurden. Das widerspricht eindeutig der „unverbrüchlichen Treue der Republik Österreich“, die sie bei ihrer Angelobung geloben musste. Statt die österreichischen Wähler*innen über Aufgaben des Staates, von Gruppen und Vereinigungen entscheiden zu lassen, meint sie, dies bei einem ehemaligen Oberhaupt einer von sechzehn anerkannten Religionsgesellschaften zu erfahren – aus einem Land, das die Europäische Menschenrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. Das ist nicht Demokratie, das ist Theokratie. Und eine Vertreterin der Theokratie gehört nicht in den Nationalrat.
Mit Verlaub, was heißt „sie zitiert in normenhafter Weise“? Was heißt, sie „trifft Festlegungen über zentrale Strukturen der österreichischen Gesellschaft“? All das in einem Brief, der zwar auch für die Öffentlichkeit bestimmt ist, aber lediglich eine private Meinungsäußerung darstellt und ihre persönlichen Überzeugungen widerspiegelt?
Wie alle anderen Abgeordneten kann Gudrun Kugler nur durch ihr Abstimmverhalten im Parlament „Festlegungen“ treffen, und auch das nur, wenn gen¨¨gend andere Abgeordnete genauso abstimmen. Alles andere ist freie Meinungsäußerung, egal ob im Parlament oder eben in einem offenen Brief an einen Politiker, und ist in keiner Weise „normenhaft“ oder eine „Festlegung“.
Die österreichische Verfassung garantiert Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, und das heißt, daß jeder, auch Politiker und ganz besonders Abgeordnete auf allen Ebenen, frei ist, sich jegliche beliebige Meinung zu bilden und sie (mit einigen wenigen Ausnahmen) auch öffentlich auszudrücken und auch in den politischen Gremien, im Rahmen der demokratischen Spielregeln, zu vertreten und für sie zu werben. Das gilt auch für Meinungen, die auf religiösen oder auch ideologischen Überzeugungen beruhen — und hier liegt, glaube ich, Balász Báránys Problem:
Wie viele andere Meinungsmacher heutzutage vertritt er die Meinung, daß religiös geformte Meinungen nicht geäußert oder vertreten werden dürfen, schon gar nicht im Rahmen der der demokratischen Prozesse und Spielregeln. Daß er mit dieser Meinung selbst im Widerspruch zur Verfassung steht, ist natürlich völlig legitim — auch er genießt die verfassungsgemäße Religions-, Meinungs- und Redefreiheit, einschließlich der Freiheit, Religion für sich selbst abzulehnen und auch, diese religionsfeindliche Haltung öffentlich zu vertreten und zu propagieren, genauso wie Gudrun Kugler oder auch die von Bárány zitierte muslimische[1] Politikerin die Freiheit genießen, ihre von ihrer jeweiligen Religion geformte Meinung zu vertreten und zu propagieren.
Der „Humanistische Verband Österreich” sagt übrigens von sich selbst, er „setzt sich für eine faktenbasierte, naturwissenschaftliche Weltsicht, eine Ethik ohne religiösen Bezug und einen Staat, der nicht auf religiösen Überzeugungen gründet, ein.” Letzteres ist, rechtlich gesehen, durchaus o.k, sofern der Verband und seine Anhänger über ausreichende Mehrheiten verfügen, um die entsprechenden Gesetze zu erlassen. Ebenso ist es o.k wenn religiöse Menschen mit ausreichenden Mehrheiten Gesetze erlassen, die ihre religiösen Überzeugungen reflektieren. Das ist eben Demokratie und hat mit Theokratie nichts zu tun.
__________- Aus rein rechtlic-politischer Sicht ist das Problem mit dem Islam nicht der Inhalt seiner Lehre, sondern die Tatsach daß aller Erfahrung nach viele (nicht alle) Muslime ihre Meinungen und Überzeugungen nicht mit demokratischen Mitteln, sondern mit Gewalt durchsetzen wollen.[↩]