Die Attraktivität Post-Evangelikaler Theologie

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In einem Blog-Beitrag auf „Jesus.de“ faßt der (leider ungenannte) Autor zwei Artikel zusammen (ein dritter ist angekündigt), die Markus Till auf seinem Blog „Aufatmen in Gottes Gegenwart“ veröffentlicht hat:

In der Zusammenfassung wird Markus Till zitiert, „Viele beklagen nachvollziehbar, dass sie ihr evangelikales Umfeld als überaus eng erlebt haben“, und das bezweifle ich auch gar nicht.

Aber da müßte man dann mal analysieren,

  1. wie weit diese erlebte Enge einfach daher rührt, daß sich der Mensch in seiner sündigen Natur nicht gerne einengen läßt, auch nicht von Gottes Geboten, und
  2. wie weit diese erlebte Enge daher rührt, daß die “Freiheit eines Christenmenschen” in manchen evangelikalen und fundamentalistischen Kreisen tatsächlich nicht existiert oder biblisch unzulässig eingeschränkt wird. So sagt Paulus, „Mir ist alles erlaubt, aber es frommt nicht alles,“ und wenn manche Christen oder Gemeinden alles verbieten, was ihrer Meinung nach „nicht frommt,“ dann ist das zwar wohl gut gemeint, aber biblisch unzulässig.

Gegen das erstgenannte Erlebnis der Enge können nur die Betroffenen selbst, in Offenheit für den Heiligen Geist, etwas unternehmen; die andere Enge zu vermeiden und tatsächlich unsere Freiheit in Christus hochzuhalten, liegt in der Verantwortung der Kirchen und Gemeinden sowie jedes einzelnen Christen.[1]

Ich hoffe, daß sich Till in einem weiteren Artikel damit auseinander setzt und praktische Vorschläge entwickelt, wie Gemeinden eine solche unzulässige Enge vermeiden können, ohne das Evangelium und das evangelikale Schriftverständnis zu verlassen und zu verraten.

 

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  1. Ein Kommentar zu diesem Beitrag auf Facebook lautete, „Ist es nicht dieses Schriftverständnis, das die Enge bedingt? Orientierung am geschriebenen Wort statt am lebendigen Christus.“ Ein verständlicher Einwand, aber letztlich ist das geschriebene Wort der einzige objektive Weg, den lebendigen Christus zu kennen, und eine gewisse Enge ist notwendig, wenn sich nicht alles in Beliebigkeit auflösen soll. Ich warne hier vor einer Enge, die über die Heilige Schrift hinausgeht.[]
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Endzeitliche Zustände?

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In der gestrigen ZIB2[1]: In Österreich und Deutschland finden nach den USA Verschwörungstheorien und politischer Radikalismus den meisten Zuspruch, aber auch im Rest der Welt nimmt ihr Einfluß zu. Dabei geht es um angeblich gestohlene Wahlen, angeblich gesundheitsschädliche und nutzlose Impfungen gegen eine Pandemie, die angeblich von internationalen Geschäftsleuten wie Bill Gates und George Soros absichtlich herbeigeführt wurde, die angebliche Verantwortung von USA und EU als für den Krieg in der Ukraine, usw.

Gleichzeitig führt in allen Industrienationen (und nicht nur in diesen) ein zunehmender Rückgang der Geburtenrate dazu, daß bereits jetzt den Unternehmen die Mitarbeiter fehlen und Kunden abhanden kommen und in wenigen Jahren die Pensionssysteme nicht mehr finanzierbar sein werden.

Und schließlich scheinen immer mehr christliche Kirchenleitungen[2] zu dem Schluß gekommen zu sein, daß biblische Sexuallehre und biblisches Eheverständnis gegen den Widerstand der sekularen „progressiven“ Eliten nicht mehr haltbar ist, und man daher segnen kann und darf, was die Bibel als Sünde bezeichnet.

All das führt zu einer Gesamtsituation in der, wie auch schon früher im Laufe der Geschichte, eine baldige Wiederkunft Jesu wahrscheilich und wünschenswert erscheint. In dieser Situation dürfen wir durchaus beten, „Komm, Herr Jesus!“

Gleichzeitig dürfen wir aber nicht vergessen, daß Jesus gesagt hat, „niemand kennt den Tag oder die Stunde“ seiner Wiederkehr.

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  1. ORF Spätabebd-Nachrichtensendung[]
  2. Church of England, evangelische und Katholische Kirche in Deutschland, usw., selbst einige Freikirchen auch bei uns[]
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Viele Öffnungen, viele Höhlungen

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  • Trigger-Warnung: In diesem Beitrag werden auch Körperfunktionen erwähnt, was manche Leser vielleicht unangenehm berühren könnte. 

Vor vielen Jahren habe ich über dem Waschbecken im Toiletten-Vorraum einer betont Israel-affinen christlichen Gemeinde einen Text gefunden, über den ich zunächst geschmunzelt habe, der mir aber bei näherer Betrachtung als durchaus dem Ort angemessen erschien.

Es handelt sich dabei um diesen als Ascher Jazzar bekannten Segensspruch (Bracha oder Beracha, Mehrzahl Brachot – hebr. ברכה, jiddisch: Broche), den fromme Juden angehalten sind, nach jedem Urinieren oder Stuhlgang zu sprechen, und der auch als Teil des Morgengebets Schacharit im Sid33dur (jüdisches Gebetsbuch) zu finden ist:

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt,
der den Menschen gebildet mit Weisheit
und an ihm erschaffen viele Öffnungen,
viele Höhlungen.
Offenbar und bekannt ist es
vor dem Thron deiner Herrlichkeit,
daß, wenn eine von ihnen offen
oder eine von ihnen verschlossen bliebe,
es nicht möglich wäre zu bestehen
und vor dich hinzutreten.
Gelobt seist du, Ewiger,
der da heilt alles Fleisch und wunderbar wirkt.

Momentan bin ich, zuerst wegen einer Operation in der Leistengegend, und danach wegen der daraus resultierenden Atrophie meiner Beinmuskeln, bereits seit fast elf Monaten bettlägrig, und habe deshalb einen Harnkatheter. Normalerweise funktioniert der ziemlich problemlos, er muß halt alle zwei Monate ausgewechselt werden, und manchmal verstopft er sich, dann muß er auch außerplanmäßig ersetzt werden. Das ist mir bis vor drei Wochen etwa viermal passiert – in etwa neun Monaten.

Am 21. Februar war der letzte planmäßge Katheterwechsel, und seither war ich bereits sechsmal mit einem verstopften Katheter in Mistelbach im Spital. zuletzt zweimal innerhalb von 12 Stunden. Das war ganz besonders unangenehm:

Schon das Warten auf die Rettung und dann der Transport ins Krankenhaus gegen 5:45 Uhr waren sehr unangenehm, weil sich die Blase immer mehr füllte; dort mußte ich dann in der Unfallambulanz (weil die Urologieambulanz zu der Zeit nicht geöffnet ist) warten, bis der diensthabende Urologe Zeit hatte, sich um mich zu kümmern. In dieser Zeit wurde mein Harndrang immer unangenehmer und schließlich schmerzhaft. Gegen 6:45 wurde mir schließlich gesagt, daß kein Urologe kommen würde, sondern ich in die Urologiambulanz gebracht werden würde. Das hieß, mit einer zunehmend schmerzhaften Blase weiter zu warten – zunächst bis zur Öffnungszeit der Urologie um 7:00 Uhr, dann weiter, bis die Urologie-Mannschaft um 7:15 Uhr aus der Schichtwechsel-Dienstbesprechung kam. Endlich Erleichterung! Der Wechsel ging dann sehr schnell, danach mußte ich eine weitere halbe Stunde auf den Heimtransport warten – aber da hatte ich zum Glück keine Schmerzen mehr.

Inzwischen mache ich, je nach Bedarf, mindesten zweimal am Tag eine Katheterspülung mit einer Kochsalz- oder Zitronensäure-Spülung, und obwohl man schon spürt, daß die Blase eigentlich nicht dafür gemacht ist, von dieser Seite befüllt zu werden, ist es doch wesentlich weniger schmerzhaft, wenn es dort nicht abfließen kann.

Normalerweise verschwende ich ja auf Körperfunktionen wie Urinieren kaum einen Gedanken, aber in meiner derzeitigen Situation muß ich immer wieder an Psalm 139, 14 denken:

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

Genau das Gleiche drückt Ascher Jazzar mit ein paar mehr Wörtern aus, und man belächelt diese Angewohnheit, diesen Segen nach jedem  Toilettengang zu rezitieren, nur solange es bei den eigenen vielen Öffnungen, vielen Höhlungen und deren Funktion zu keinen Störungen kommt.

Als freikirchliche, evangelikale Christen haben wir es nicht so mit vorgeschriebenen, vorformulierten Gebeten oder Ritualen, und das hat gute theologische Gründe; aber als Vorschlag statt als Vorschrift gesehen können z. B. gerade diese jüdischen Segenssprüche bei Allem und Jedem durchaus wertvoll sein, weil sie uns immer wieder daran erinnern, daß unser ganzes Leben, einschließlich nicht ehrenvollen [1] Aspekten, einen Gottesbezug hat, nicht nur die Stunde am Sonntagvormittag oder Mittwochabend, oder auch die tägliche Stille Zeit.

Und da stellt sich mir dann die Abschlußfrage: warum hat die eingangs erwähnte Gemeinde nicht auch den Segen zum Händewaschen (Netilat Jadajim,  hebräisch יָדַיִם נְטִילַת) über dem Waschbecken angebracht

Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns mit seinen Geboten geheiligt und uns befohlen hat, die Hände zu waschen.

Aber das war natürlich lange vor Covid-19.

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  1. 2. Timothäus 2, 20[]
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Wie kann ein Christ vermeiden, seinen Glauben zu kompromittieren?

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Diese Frage habe ich auf Quora beantwortet:

Wie kann ein Christ vermeiden, seinen Glauben zu kompromittieren?

  1. Indem er in einer christlichen Gemeinde mitlebt und -arbeitet sowie viel in der Bibel liest, eventuell mit Hilfe eines Katechismus o. ä., um überhaupt zu wissen, was sein Glaube alles umfaßt, und
  2. indem er dann auch bereit ist, von anders- und nichtgläubigen Mitmenschen belächelt, angefeindet, oder verfolgt zu werden, sowie die materiellen Nachteile klaglos zu ertragen, wenn er bei bestimmten Dingen nicht mitmacht oder Dinge tut, bei denen ihm nur Unverständnis entgegen schlägt.
  3. Das wird man sicher nur annähernd schaffen, und auch das nur, wenn man viel betet. Aber deshalb vertrauen wir auch nicht auf uns selbst sondern auf die Hilfe, Gnade, Barmherzigkeit, und Vergebung unseres Gottes.
  4. Dabei ist es wichtig, nicht bei jedem Gegenwind allzuschnell von “Verfolgung” zu reden. Ich glaube zwar, daß sich unsere Gesellschaft in eine Richtung bewegt, wo wir über kurz oder lang auch mit Verfolgung rechnen müssen, aber noch sind wir weit von all dem entfernt, womit Christen in Ländern wie China, Nordkorea, Kuba, und vielen islamischen Ländern leben (und sterben) müssen.

(Diese Punkte gelten natürlich auch für Frauen und Mädchen, auch wenn ich in der Antwort der Einfachheit halber die männlichen Formen verwende.)


Das Titelbild stammt vom Cover des gleichnamigen Buches von Ulrich Parzany, erschienen bei SCM Hänssler.

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Die traurigsten Worte, die je zu einem Sünder gesagt wurden

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Kurzvideo von Chad Bird:[1]

Die traurigsten Worte, die je zu einem Sünder gesagt wurde, war die Antwort der Priester an Judas Iskariot.

Als Judas erkannt hatte, daß Jesus zum Tod verurteilt worden war, ging er zum Tempel, zu den Priestern, die ihm die Silberlinge gezahlt hatten, damit er Jesus verraten würde. Er sagte, „Ich habe gesündigt, weil ich unschuldiges Blut verraten habe.“ Sie antworteten ihm mit den kältesten Worten die je ein Mensch gesagt hat: „Was geht uns das an? Kümmere dich selbst darum!“

Und leider tat Judas genau das. Er ging hin und brachte sich um.

Wenn uns jemand seine Sünden bekennt, dann ist das allerletzte, was wir jemals sagen sollen, „Was geht mich das an? Was geht es uns an? Kümmere dich selbst darum.“ Nein, wenn jemand seine Sünden bekennt, dann sagen wir, „Bruder, Schwester, dir ist vergeben. Wir haben einen guten, einen gnädigen, einen barmherzigen Gott. Er ist bereit und willens, dir zu vergeben. Sei guten Mutes und freue dich, dir ist vergeben.“

Nicht, „Kümmere dich selbst darum!“

Christus hat sich um unsere Sünden gekümmert. Er hat die Strafe bezahlt, für Alles, was wir je getan haben. Es ist Seine Vergebung, und nur Seine, die uns Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft schenkt.


Dieses Video wurde auf Facebook veröffentlicht. Transkription und deutsche Übersetzung von Wolf Paul mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Copyright 2023 by Chad Bird.

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  1. Chad Bird ist lutherischer Pastor, Theologe und Professor für Altes Testament und Hebräisch. Er hat für viele christliche Zeitschriften geschrieben und mehrere Bücher verfaßt.[]
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Keiner der lebt ist gerecht vor dir …

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Vor zwei Tagen habe ich einen Text von Chad Bird gepostet, über die „unzivilisierte und rebellische Gnade Gottes.“ Daraus sind ein paar Gespräche entstanden, die mich zum Nachdenken gebracht haben; und dann bin ich heute in der Komplet, dem Nachtgebet, auf einen Vers aus Psalm 143 gestoßen. Hier sind ein paar der Gedanken, die ich mir gemacht habe.

Man hört unter Evangelikalen oft die Meinung, fast den Lehrsatz, daß sich Gottes Volk im Alten Bund das Heil mühsam verdienen mußte, durch buchstabentreue Befolgung aller Gebote, während wir im Neuen Bund einen gnädigen Gott haben, und wie uns unsere Errettung nicht durch das Einhalten des Gesetzes verdienen müssen.

Aber der Schreiber des Hebräerbriefes macht deutlich, daß auch im Alten Bund die Menschen das Heil durch Vertrauen auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit gesucht und gefunden haben; das Gesetz war nicht dafür da, die Menschen zu retten, sondern um sie zu lehren und unterweisen, wie sie als Volk Gottes leben sollen – und sie wußten recht gut, daß sie das Gesetz nicht perfekt eingehalten haben, und auf Gottes Treue, auf seine Gnade, angewiesen waren:

„Herr, höre mein Gebet, vernimm mein Flehen; in deiner Treue erhöre mich, in deiner Gerechtigkeit!
Geh mit deinem Knecht nicht ins Gericht; denn keiner, der lebt, ist gerecht vor dir.“[1]

Auch das Neue Testament ist voll mit Verhaltensanweisungen, also Geboten: sowohl Jesus als auch Paulus haben nicht mit ihnen gegeizt. Und genauso wie im Alten Bund sollen wir diese Gebote nicht befolgen, um uns das Heil zu verdienen, sondern weil sie beschreiben, wie wir als Gemeinde Jesu, d. h. als eingepflanzter Teil des Volkes Gottes, leben sollen.

Und auch wir wissen, daß wir diese Gebote Gottes auch nicht annähernd vollkommen einhalten; deshalb zitiert Paulus im Römerbrief aus Psalm 14: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Alle sind sie abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“

Das Volk Gottes besteht im Alten wie im Neuen Bund aus Sündern, die wissen, daß sie ganz und gar von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes abhängig sind.

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  1. Psalm 143, aus dem heutigen Nachtgebet[]
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Die Bibel ist ein Gemeinschaftsbuch

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Ein Thema, das mich schon lange beschäftigt, ist die Tendenz unter uns Evangelikalen, theologische Erkenntnisse zu ignorieren oder sogar zu verteufeln — nämlich theologische Erkenntnisse vor der Gründung unserer eigenen Tradition, Kirche oder Gemeindebewegung. Ich glaube, daß das daher kommt, daß viele evangelikale Christen das Reformationsprinzip “sola Scriptura” mißverstehen als, “Meine Bibel und ich — sonst brauchts nichts.” Diese typische Einstellung vieler evangelikaler Christen sollte man eher als “nuda Scriptura” (die nackte Schrift) bezeichnen, und in der Praxis macht sie jeden Christen zu seinem eigenen Papst. Ich glaube aber nicht, daß Luther das so gemeint hat, hat er doch selbst in seiner Auslegung der Heiligen Schrift auch auf die Kirchenväter und ihre Einsichten zurückgegriffen. 

Kenneth Tanner argumentiert in diesem Beitrag, daß persönliche Bibellese zwar gut und nützlich ist, aber zu kurz greift: die Heilige Schrift muß in und mit der Kirche, der Gemeinde Jesu, gelesen werden, um richtig verstanden zu werden,


Ein Gastbeitrag von Kenneth Tanner[1]

Die Bibel ist ein Gemeinschaftsbuch.

Du kannst natürlich alleine dasitzen und die Bibel lesen, und der Heilige Geist wird deinen Verstand erleuchten und dein Herz bewegen, aber das ist nur ein sehr enger Teil der Wahrheit.

Dieses “persönliche” Bibellesen ist ein Mindestzugang, der von zu vielen Christen zum Maximalzugang erhoben wird.

Wir sollen die Heilige Schrift hören, wenn wir uns im Gottesdienst um den Tisch mit Brot und Wein versammeln;  wir sollen sie lesen (wenn wir sie lesen!) mit der gesamten Gemeinde Jesu durch alle Zeiten, die immer schon an allen möglichen Orten und unter den verschiedensten Menschen anzutreffen war (und immer noch ist).

Wir können die Heilige Schrift nicht mit Weisheit lesen ohne diese Gemeinschaft, die sie, durch viele Jahrhunderte und quer durch viele Sprachen, Kulturen, und Paradigmen, hervorgebracht, gesammelt, bewahrt, ausgelegt, gelehrt, gebetet, und gepredigt hat, und das schließt rabbinische und patristische Leser mit ein.

Wenn ich die Schrift nur mit der Familie lese, in der ich aufgewachsen bin, oder nur in der Tradition, in der ich zum Glauben gekommen bin und meine grundlegende Unterweisung (Katechese) erfahren habe oder sie nur im Kontext der Gesellschaft lese, in der ich lebe; wenn ich nur zeitgenössische Stimmen höre und nicht auch  Stimmen aus früheren Zeiten; wenn ich nur von Lesern aus meinem Lager, meiner Clique, meinem Volk oder meinem Stamm höre, und nicht auch dem bewährten Chor von weisen, Christus-bezogenen Lesern durch die ganze Kirchengeschichte, zuhöre, so läuft meine Bibellese Gefahr, nicht nur zu leicht eigenwilligen, sondern sogar zu abstrusen und sogar gefährlichen Ergebnissen zu kommen.

Wenn wir die Heilige Schrift mit der ganzen Gemeinde Jesu lesen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß wir die wahre Bedeutung jedes poetischen oder erzählenden Abschnitts, jeder Prophezeiung oder Gebotes, dort finden, wo sie allein zu finden sind: im fleischgewordenen Jesus.

Jesus Christus öffnet uns den Verstand um die Schrift zu verstehen, und das passiert in Gemeinschaft mit seinem  gebrochenen Leib.

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  1. Fr. Kenneth Tanner ist Pfarrer der anglikanischen Erlöserkirche in Rochester, Michigan, USA. Dieser Beitrag wurde am 3. Februar 2023 in englischer Sprache auf Facebook veröffentlicht und von Wolf Paul übersetzt.1

    Auch der englische Originalbeitrag ist hier verfügbar.

    Copyright © 2023 by Kenneth Tanner. Translated and posted here by permission.[]

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Lehre uns zu zählen unsere Tage

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Gastbeitrag von Chad Bird
 
Lehre uns, Vater, unsere Tage zu zählen und uns daran zu freuen, daß Du um Jesu Willen unsere Verfehlungen und Übertretungen nicht zählst und anrechnest (siehe 2. Kor. 5,19).
 
Der Herr ist kein himmlischer Buchhalter, der täglich und stündlich genau Buch führt über unsere Sünden, und uns dann die Rechnung präsentiert, damit wir ganz genau wissen, wie sehr wir in seiner Schuld stehen. Was für ein freudloses Monster von Gott wäre das doch. 
 
Ein Jünger Jesu zu sein bedeutet,  vollständig und vollkommen unter der Decke der göttlichen Liebe zu leben, auch wenn wir Ihm aus eigener Kraft nur unvollkomnen folgen. Wir hinken. Wir stolpern. Wir fallen. Wir bekennen unsere Schuld, tun Buße, und beten.
 
Und während wir das tun,  entzieht uns der Herr nie seine Hand, und auch sein Herz ist uns nicht eimal für einen Augenblick abgewandt. „Wie sich ein Vater seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten. Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.“ (Psalm 103,13-14) Staub, ja – aber Staub, der Ihm so wertvoll ist wie Gold.
 
Herr, lehre uns, unsere Tage zu zählen, Tage, die wir nur aus Deiner Barmherzigkeit leben, am Fuß des Kreuzes und des leeren Grabes, unter dem Schatten Deiner Liebe.
 
Ein solches Leben wird wahrscheinlich nicht so enden wie das von Jakob, mit einem Konvoi von hohen Würdenträgern zur Grabstätte im Nachbarland und einem spektakulären Begräbnis (1. Mose 50). Höchstwahrscheinlich wird es nicht mit einem Knall enden, sondern mit einem einfachen, letzten Atemzug, einem letzten Ausstoß der Luft, die wir so lange auf dieser Welt geatmet haben.
 
Ein einfaches Begräbnis. Ein letzter Abschied (für jetzt) von unserer trauernden Familie und unseren Freunden. Aber in uns, ein Herz, das klug geworden ist, wie Moses sagt (Psalm 90,12). Ein Herz, geformt von den selben Händen, die die Welt erschaffen haben, die ans Kreuz genagelt waren, und die uns mit dem Heiligen Geist erfüllt haben, damit wir Ihm nachfolgen können.
 
Herr, schaffe in uns ein so kluges Herz, daß wir, ob wir nun laufen, oder gehen, oder hinken, oder auf unserem Sterbebett liegen, Deine Jünger sein mögen, wie Jakob: auserwählt, geliebt, und wertvoll in Deinen Augen. Amen
 

Dieser Text ist ein Auszug aus „Limping with God: Jacob and the Old Testament Guide to Messy Discipleship“ („Hinken mit Gott: Jakob und die alttestamentliche Anleitung zu chaotischer Jüngerschaft“) von Chad Bird.

 
Chad Bird ist lutherischer Pastor, Theologe und Professor für Altes Testament und Hebräisch. Er hat für viele christliche Zeitschriften geschrieben und mehrere Bücher verfaßt. „Hinken mit Gott“ ist sein jüngstes Buch.
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Die O-Antiphonen: Sieben Tage vor Weihnachten

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(Aktualisiert:  Heute, Freitag, 23. Dezember, ist die siebente (und letzte) der „O-Antiphonen“ dran, O Immanuel. Videos am Ende dieses Posts.)

  • Heute, Samstag, 17. Dezember, beginnt die Woche der „O-Antiphonen“, sieben Leitversen als Antiphonen zum Lobgesang der Maria, dem Magnificat, in der Vesper, dem liturgischen Abendgebet, in mehreren christlichen Traditionen. Seit dem 7. Jahrhundert wird in der Vesper, dem liturgischen Abendgebet, das Magnifikat, der Lobgesang der Maria, gebetet oder gesungen; an den sieben Tagen vor dem Heiligen Abend jeweils mit einer von sieben Antiphonen, die alle mit dem Ausruf “O” beginnen. Sie sprechen den Messias mit einem Titel an, mit dem Er im Älteren Testament[1]beschrieben wird, preisen Ihn für Sein Wirken, und enden mit der Bitte, “Komm!”:

1. O Weisheit …
2. O Adonai …
3. O Sproß aus Jesses Wurzel …
4. O Schlüssel Davids …
5. O Morgenstern …
6. O König der Völker …
7. O Immanuel

Die O-Antiphonen „sollen uns anleiten, darüber nachzudenken, wer dieser Jesus für mich ist. Wir wollen unser Herz weit machen, dass wir das Fest seiner Geburt freudig feiern können.“ So heißt es auf der Seite „praedica.de“, wo die vollständigen Texte der O-Antphonen sowie weiterführende Gedanken zu finden sind. Das ist eine katholische Seite, aber die O-Antiphonen sind auch Teil der Vesper in den anglikanischen und lutherischen Traditionen. Der evangelische Pfarrer Detlef Korsen hat auf seinem YouTube Kanal eine kurze Einleitung dazu veröffentlicht und möchte zu jeder der Antiphonen ein Video veröffentlichen:

17. Dezember — O Sapientia — O Weisheit

Gedanken zu “O Weisheit” von Pfarrer Detlef Korsen

Magnifikat mit O Weisheit, gesungen von Pfarrer Korsen

18. Dezember – O Adonai – O Adonai (O Herr)

Gedanken zu “O Adonai” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O Adonai, gesungen von Pfarrer Korsen

19. Dezember – O Radix Jesse– O Sproß aus Jesses Wurzel

Gedanken zu “O Sproß aus Jesses Wurzel” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O Sproß aus Jesses Wurzel, gesungen von Pfarrer Korsen

20. Dezember – O Radix David– O Schlüssel Davids

Gedanken zu “O Schlüssel Davids” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O Schlüssel Davids, gesungen von Pfarrer Korsen

21. Dezember – O Oriens – O Morgenstern

Gedanken zu “O Morgenstern” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O Morgenstern, gesungen von Pfarrer Korsen

22. Dezember – O Rex Gentium – O König der Völker

Gedanken zu “O König der Völker” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O König der Völker, gesungen von Pfarrer Korsen

23. Dezember – O Immanuel 

Gedanken zu “O Immanuel” von Pfarrer Korsen

Magnifikat mit O Immanuel, gesungen von Pfarrer Korsen

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  1. Ic h bevorzuge diese Bezeichnung für die Hebräische Bibel, weil „alt“ oft mit „überholt“ assoziiert wird, während „älter“ eine zeitliche Abfolge beschreibt.[]
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Wurde Jesus tatsächlich am 25. Dezember geboren?

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Jedes Jahr im November und Dezember zirkulieren alle möglichen Artikel in der Presse und sozialen Medien, über den angeblich heidnischen Ursprung von Weihachten. Hier gibt es eine gute Antwort auf diese Vorwürfe. Gestern bin ich jedoch über zwei andere Einwände gegen Weihnachten gestoßen: (1) Weihnachten ist fake, weil Jesus mit großer Wahrscheinlichkeit nicht am 25. Dezember geboren wurde; und (b) Weihnachten ist zu einem total kommerzialisierten, weltlichen Fest verkommen; wenn es je eine geistliche Bedeutung hatte, ist diese unwiederbringbar verloren gegangen.

Dazu habe ich ein paar Gedanken:

  1. Der erste Einwand beruht auf einem Mißverständnis darüber, worum es beim Kirchenjahr überhaupt geht: es geht nämlich nicht darum, die tatsächlichen, historischen Daten zu feiern, sondern darum, uns den irdischen Dienst Jesu vor Augen zu stellen und zu feiern, in zwei sogenannten Festkreisen. Da ist zuerst der Weihnachtsfestkreis, der mit dem Advent (dem Gedenken an die Verheißung eines Erlösers und seine verheißene Wiederkunft beginnt; seinen Höhepunkt zu Weihnachten, dem Fest der Geburt Jesu, findet, und mit seiner Offenbarung an die nicht-jüdischen Völker (Epiphanie) endet. Dann haben wir den Osterfestkreis, der am Aschermittwoch mit der 40-tägigen Fastenzeit beginnt, einer Zeit der Vorbereitung auf die Feier der zentralsten Ereignisse der Heilsgeschichte: der triumphale Einzug Jesu in Jerusalem (Palmsonntag), Einsetzung des Abendmahls (Gründonnerstag), Kreuzigung und Tod Jesu (Karfreitag), und schließlich der absolute Höhepunkt der Heilsgeschichte und auch des Kirchenjahres, Jesu Auferstehung vom Tod zu Ostern. Mit der Feier der Himmelfahrt des auferstandenen Christus, der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten, und der Feier der dreieinigen Natur Gottes (Trinitatis oder Dreifaltigkeitssonntag) endet der Osterfestkreis. Die restliche Zeit des Jahres, je nach kirchlicher Tradition als Sonntage nach Pfingsten, nach Trinitatis, oder einfach Sonntage im Jahreskreis genannt, werden manchmal als Symbol für das Zeitalter der Kirche oder Gemeinde verstanden. In manchen Kirchen wird der letzte Sonntag diese Zeit als Christkönigsfest gefeiert. Das tatsächliche Datum der Geburt Jesu ist hier genauso unwichtig, wie das genaue Datum von Kreuzigung und Auferstehung (die ohnehin jedes Jahr auf ein anderes Datum fallen).
  2. Ja, Weihnachten ist wirklich schrecklich kommerzialisiert, und manchmal fragen wir uns, ob es noch zu retten ist. Aber (a) letztlich liegt es an uns, als einzelnen Gläubigen, als Familien, als christlichen Gemeinden, ob und wie weit wir uns auf den ganzen kommerziellen Weihnachtsrummel einlassen, und wie weit wir uns auf die tatsächliche Bedeutung von Weihnachten, die Geburt unseres Erlösers, konzentrieren. Das ist natürlich einfacher in einem Gemeinde-Umfeld, wo das Kirchenjahr mit seinen Zeiten und Festen gefeiert wird. Und  (b), Weihnachten scheint eine Zeit zu sein, wo die Menschen für geistliche Dinge empfänglicher sind, wo auch Leute, die sonst nie in die Kirche gehen, bereit sind, sich zu Advent- und Weihnachtskonzerten, weihnachtlichen Theatervorführungen, und sogar Weihnachtsgottesdiensten einladen zu lassen.

Das Kirchenjahr, seinen Zeiten und Feste, ist zwar nicht biblisch geboten; aber genauso wie die Feste des Älteren Testaments sollen sie uns an Gottes große Heilstaten für uns erinnern, damit wir sie feiern können. Und genauso wie die biblischen Feste sind sie eine großartige Gelegenheit, unseren Kindern ihre Bedeutung zu erklären — und nicht nur ihnen, sondern allen, die noch nicht an Jesus glauben.

Und so, obwohl das Kirchenjahr (und damit auch Weihnachten) kein biblisches Gebot ist, sollen diejenigen unter uns, die es einhalten, nicht herabschauen auf die, die es einhalten; und genauso sollen die, die das Kirchenjahr nicht einhalten, nicht diejenigen kritis.eren, die Weihnachten feiern.

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