Sonderbare Bettgenossen

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Das Karl-May-Magazin berichtet über die Münchner Premiere des frei nach Motiven von Karl May erzählen und rund um den sonderbaren Rückzieher des Ravensburger-Verlages bereits kontrovers diskutierten Filmes „Der junge Häuptling Winnetou“, am 7. August 2022 (der Film ist seit 11. August in den Kinos).

Natürlich wurde in der Pressekonferenz nach der Uraufführung auch die kulturpolitisch heiße Frage gestellt: Indigene als Filmfiguren, die auch noch überwiegend deutsch besetzt sind – geht das heute überhaupt noch?

Regisseur Mike Marzuk antwortet auf diese Frage nicht ganz politisch korrekt, daß das in einem deutschsprachigen Film kaum zu umgehen sei, spricht dann doch noch politisch korrekt mehrmals von „Native Americans“ statt von Indianern und meint abschließend, „Wir drehen gern Filme über Freundschaft, auch über kulturübergreifende Freundschaften. Aber Filme sollen nicht unterrichten, sondern unterhalten.

Und es ist diese Aussage (der ich durchaus zustimme), die für mich eine interessante Gemeinsamkeit von konservativ-fundamentalistischen, vor allem evangelikalen Christen einerseits und „woken,“ „progressiv“-fundamentalistischen Aktivisten andererseits, aufzeigt; im Englischen spricht man von „strange bedfellows“, sonderbaren Bettgenossen:

Beide lehnen nämlich diese These von Regisseur Marzuk ab und sehen Romane und Filme nur dann als gerechtfertigt an, wenn diese sehr wohl primär als Lehrmittel angelegt sind: Sie sollen nicht nur unterhalten (das natürlich auch, sonst fänden sie ja kein Publikum), sondern unbedingt auch Wahrheiten vermitteln, theologisch-korrekte für die Christen und politisch-korrekte für die Progressiven.

Deshalb sind im konservativ-christlichen Lager hauptsächlich Romane erfolgreich (und werden dann auch verfilmt), die irgendein Thema „biblisch“ beleuchten[1] ; diese werden dann von ihrem Zielpublikum auch oft nicht als Fiktion gelesen, sondern als biblisch-theologische Glaubens- und Lebensratgeber. Gleichzeitig wird von manchen gegen Filme, die sich auf „christliche“ Themen beziehen und dabei das christliche Wahrheits- und Ehrfurchtsgefühl verletzen[2] ähnlich vehement protestiert, wie von moslemischen Fundamentalisten gegen die Satanischen Verse oder Charlie Hebdo, wenn auch ohne Gewalt.

Und ebenso hält man im „progressiven“ Lager Literatur und Filme, die nicht der aktuellen politischen Korrektheit entsprechen (darunter auch viele Klassiker der Weltliteratur), für entbehrlich, ja sogar gefährlich, und geht daher mit den Mitteln der „Cancel Culture“ dagegen vor, damit z.B. Verlage diese (Beispiel Ravensburger) zurückziehen, Kinos sie boykottieren oder Unis sie aus den Lehrplänen streichen.

Ich halte solche Proteste und „Cancellations“ für kontraproduktiv. Kaum jemand bekehrt sich zu Christus, weil er  von Demonstranten am Kinobesuch gehindert wird, oder zu einer „progressiven“, anti-kolonialistischen Geisteshaltung, weil irgendwo gegen einen schwarz geschminkten Othello-Darsteller demonstriert wird.

Überzeugungsarbeit sieht anders aus: dem Anderen Intoleranz vorzuwerfen, wenn man es selbst an Toleranz gegenüber Andersdenkenden mangeln läßt, ist selten überzeugend.

Und diejenigen, die solche explizit belehrenden Romane schreiben bzw Filme produzieren, sind meist keine wirklichen Künstler (denn die lassen sich normalerweise keinen ideologischen Maulkorb, welcher Art auch immer, anlegen), sondern bestenfalls gute Handwerker, und das, was sie produzieren ist dann auch nicht Kunst, sondern solide, gut verkäufliche Handwerksarbeit.

 

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  1. z.B. Finsternis dieser Welt usw von Frank Peretti oder die FinaleSerie von LaHaye und Jenkins[]
  2. z.B. Das Leben des BrianDie letzte Versuchung Christi, aber auch Sakrileg (The DaVinci Code), die Harry Potter Bücher und Filme, und von manchen sogar Tolkiens Der Herr der Ringe[]
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„Kulturelle Aneignung” als Vorwurf?

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Der Ravensburger Verlag hat das Buch Der junge Häuptling Winnetou nach dem gleichnamigen Film zurückgezogen, weil ihm kritische Stimmen eine der aktuellen Todsünden, nämlich „kulturelle Aneignung“, vorwerfen.

Ich halte den Rückzieher von Ravensburger für reines virtue signalling und stimme voll und ganz mit dieser Aussage der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter überein, die das Konzept der kulturellen Aneignung als Vorwurf für sehr problematisch und absurd hält:

«Die Skandalisierung der kulturellen Aneignungen weist eine Reihe von Absurditäten auf. Eine betrifft die Folgen, die sich ergeben, wenn man die geforderten Nutzungsbeschränkungen zu Ende denkt. Dann müssten bei jedem Gegenstand, jedem Stil, jeder Form kulturellen Ausdrucks die Urheber ausfindig gemacht und ihr Gebrauch auf diese Urheber beschränkt werden.

Menschen haben stets Dinge von anderen übernommen, wenn sie diese für sinnvoll erachtet haben. Um es auf den Punkt zu bringen, ist die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte.

Kulturelle Aneignung ist wohl die wichtigste Kulturtechnik, die ein friedliches Zusammenwachsen möglich macht.»[1]

Leider ist das konsequente Zu-Ende-Denken der eigenen Ideen und Forderungen etwas, was die wenigsten “progressiven” Aktivisten schaffen, und Menschen wie die Ravensburger Verlagsleitung denken leider die Folgen ihres Rückziehers auch nicht zu Ende: Wer bestimmt wohl in ein paar Jahren das Verlagsprogramm?

Neben der kulturellen Aneignung wirft man Karl Mays Büchern, dem diesen entfernt darauf basierenden Film, sowie dem Buch zum Film, „rassistische Vorurteile“ und eine „kolonialistische Erzählweise“ vor.

Aber gerade May, bei dessen Büchern es sich um reine Phantasieprodukte, um Märchen also, handelt (was man mich, als jungen Leser vor 57 Jahren, von Seiten der Erwachsenen auch keine Minute vergessen ließ), beschreibt seine Charaktere, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, durchaus differenziert: sowohl unter den Weißen als auch unter den „Indianern“ gibt es Gute wie Böse, und gerade May thematisiert auch die zunehmende Unterdrückung der „Indianer“ durch die weißen Einwanderer.

Sowohl Film als auch Buch Der junge Häuptling Winnetou basieren nun mal auf Karl Mays Material und seinen Charakteren, und können diese nicht einfach umschreiben.

Ich glaube, daß der Drang, solche Bücher zu verbannen, und auch die genre-getreue Verfilmung solcher Bücher zu unterbinden, ebenso wie das cancelling historischer Persönlichkeiten, die keine aus unserer heutigen Sicht blütenreine Weste haben, einer verständlichen und nachvollziehbaren Scham über die historischen Vorurteile und Schandtaten unserer Kultur und Vorfahren entspringt; aber so zu tun, als hätte es die Vorurteile und Schandtaten nie gegeben, indem wir ihre Werke, soweit sie unseren heutigen ethischen Standards nicht hundertprozentig entsprechen, macht uns nicht zu besseren Menschen und ist keine gesunde Vorgehensweise. Viel wichtiger wäre es, sich um die heute existierenden Vorurteile und die daraus entspringenden Schandtaten zu kümmern und diese zu bekämpfen.

(Das Titelbild dieses Artikels ist eine „gestauchte“ Version des Filmplakats zu Der junge Häuptling Winnetou. Sollte sich jemand dadurch in seinen Rechten verletzt fühlen, bitte ich um Mitteilung und werde es dann natürlich entfernen.)

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  1. Zitiert nach dem ORF Online Bericht, Wirbel um Rückzieher von Ravensburger[]
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Wer sagt die Wahrheit?

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Eine Facebook-Freundin (anonymisiert) fragt:

Die Antwort lautet: Wahrscheinlich stimmen beide Aussagen.

Die israelischen Raketen waren wahrscheinlich die (traurige aber verständliche) Reaktion auf den Raketenbeschuß durch den Islamischen Dschihad.

Wie Thomas M. Eppinger auf MENA-Watch berichtet,

In der Nacht zum Samstag hat der Islamische Dschihad über 160 Raketen aus Gaza auf Israel abgefeuert. Jede einzelne von ihnen zielte auf Zivilisten, jede einzelne ist ein terroristischer Akt. Nur dem Iron Dome und den öffentlichen Sicherheitseinrichtungen ist es zu verdanken, dass solche Terrorakte nicht mehr Opfer fordern. 

Demgegenüber unternimmt Israel mehr als jede andere Armee der Welt, um die Zivilisten des Gegners in der Kampfzone zu schützen. Dennoch sind in jedem Krieg unbeteiligte Opfer unvermeidlich. Die palästinensische Taktik, sich hinter der eigenen Zivilbevölkerung zu verstecken, kann nicht zur Folge haben, die eigene Bevölkerung widerstandslos dem Terror auszuliefern

Das Infame an der CNN-Überschrift ist, daß sie die Ursache für den israelischen Raketenbeschuß, nämlich den vorausgegangenen Beschuß aus Gaza, verschweigt (auch wenn der Artikel dann beides erwähnt).

Diese Art der Überschrift entspringt der unter westlichen Medien und vor allem linken Politikern und Organisationen weit verbreiteten Leugnung, direkt oder indirekt, des israelischen Rechts auf Selbstverteidigung in diesem Krieg, der von palestinensischen Terror-Organisationen wie PLO (die im Westjordanland regiert), Hamas (die im Gazastreifen regiert) und Islamischer Dschihad (die für den aktuellen Raketenbeschuß verantwortlich ist) am Leben erhalten wird.

Diese Leugnung, die durchaus nicht auf englischsprachige Medien begrenzt ist, sondern unter Anderem auch in österreichischen und deutschen Medien gut vertreten ist, ist zu einem gesellschaftsfähigen Antisemitismus geworden, der sich als Sorge um die unterdrückte palästinensische Bevölkerung geriert, dabei aber die Rolle der palästinensischen Führung, insbesondere der Hamas, in dieser Situation verschweigt. Diese hält sich zwar derzeit mit direkten Angriffen auf Israel zurück, läßt aber andere Terrorgruppen wie den Islamischen Dschihad weitgehend unbehelligt im von ihr konrollierten Gazastreifen agieren.

Man muß nicht die gesamte israelische Politik im Westjordanland, im Gazastreifen, und in den besetzten Gebieten gutheißen, aber es muß schon ganz klar gesagt werden, daß der Staat Israel die ständigen Angriffe auf die eigene Zivilbevölkerung nicht einfach so hinnehmen kann. Dies auch dann, wenn aufgrund der Taktik der Terrororganisationen jeder Verteidigungsschlag Israels Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung fordert: Leider verstecken die Terrororganisationen ihre Raketenwerfer und Munitionslager ebenso wie die Eingänge zu ihren Terrortunneln in zivilen Siedlungen, um die resultierenden zivilen Opfer dann propagandistisch auszuschlachten. Dazu gehört auch, daß die Opfer der eigenen Raketen (wenn diese z.B. zu kurz fliegen und noch im Gazastreifen einschlagen), grundsätzlich immer Israel in die Schuhe geschoben werden.

Nun werden einige diesen ganzen Narrativ in Frage stellen, und trotzdem die Verantwortung für die Gewalt im Nahen Osten primär Israel in die Schuhe schieben. Darauf kann ich nur sagen:

Ich finde den demokratischen Staat Israel, der als einziger in der Region faire und geheime Wahlen sowie eine unabhängige Presse hat, in seiner Darstellung der Situation wesentlich glaubwürdiger als die autokratischen bis diktatorischen Regimes von PLO und Hamas, die in ihren Herrschaftsbereichen keine Opposition zulassen.

Und obwohl ich kein Freund von Krieg bin, und ihn als Mittel der Politik kategorisch ablehne, muß ich doch Staaten das Recht auf Selbstverteidigung zugestehen, dem Staat Israel ebenso wie der Ukraine.

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Des vielen Büchermachens ist kein Ende

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Kürzlich stieß ich auf folgende Konversation auf Facebook (Namen und Bilder anonymisiert):

Dies hat mich zum Nachdenken gebracht über meine eigene Einstellung zu Büchern. Mein Vater hatte eine riesige Bibliothek von mehr als 2500 Bänden: von allem etwas, von Politik und Philosophie (z.B Mein Kampf und Das Kapital), über Geschichte, Medizin, usw., zu Belletristik (vor allem deutschsprachige Klassiker sowie Autoren der Zwischenkriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit wie Kraus, Kästner, Tucholsky, Grass, usw), und ich fing sehr bald an, es ihm gleich zu tun und meine eigene Büchersammlung anzulegen.

Dann starb mein Vater; ein paar Jahre später mußten wir aus familiären Gründen unser Elternhaus an einen Bauunternehmer verkaufen, und keines von uns Kindern hatte das Interesse oder den Platz, die Büchersammlung unseres Vaters (bis auf ganz wenige Ausnahmen) zu übernehmen. Die Mehrzahl der Bücher blieb im Haus zurück und als es abgerissen wurde, um Platz für eine Reihenhaussiedlung zu machen, wurden sie Teil des Bauschutts.

Als Büchernarr und begeistertem Leser tat mir das sehr weh. Im Laufe meines Lebens mußte ich wegen mehrmaliger Übersiedlungen (sowohl innerhalb Österreichs, als auch nach USA und zurück) viele meiner Bücher aus praktischen Gründen weggeben. Dann bin ich schließlich auf eBooks gestoßen und habe größtenteils aufgehört, gedruckte Bücher zu kaufen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen kaufe ich inzwischen nur mehr elektronische Bücher, in den Kindle-, ePub-, oder PDF-Formaten. Inzwischen habe ich habe auch einiges, was ich mal in Papier hatte, elektronisch nachgekauft.

Meine ganze Bibliothek paßt jetzt auf einen USB-Stick, und wenn meine Zeit gekommen ist, werden sich meine Erben nicht den Kopf zerbrechen müssen, wo sie hunderte vergilbter Bücher unterbringen sollen; und falls sie kein Interesse an meiner Büchersammlung haben, können sie den Stick einfach neu formatieren.

So sehr ich Bücher liebe (und gerade auch Kunstwerke der Typografie-, Buchdrucker- und Buchbinderkunst, die ich mir ohnehin nicht leisten kann), bin ich doch zur Erkenntnis gelangt, daß ich Bücher, ebenso wie Geld, all mein Computerzeugs, usw., letztlich nicht mitnehmen kann, und daß diese Dinge leicht zur Last werden können, wenn nicht für mich, dann für die, die nach mir kommen.

Den Titel dieses Beitrags stammt übrigens aus Kohelet (Prediger, Ecclesiastes) 14,12:

Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren macht den Leib müde.

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Biblisch? Christus-Ähnlich?

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Diesen Text habe ich von Craig Greenfield übernommen und übersetzt:

Auf dem Berg der Verklärung steht Jesus mit Moses und Elija (als Verteter von Gesetz und Propheten im AT) (Matt 17:1-9).

Gottes Gebot lautet, “Dieser ist mein Sohn, Ihn sollt ihr hören!”

In diesem mächtigen Augenblick,
mit diesen mächtigen Worten,
wird Jesus über alle anderen Lehrer gestellt, und auch über alle anderen Stellen in der Schrift.

Deshalb müssen wir die Bibel durch die Linse von Jesu Leben und Lehre lesen.

Deshalb kann Jesus sagen, “Ihr habt gehört, dass gesagt ist ( 2. Mose 21,24): Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, Liebet eure Feinde.”

Deshalb streben wir
nicht so sehr danach, biblisch zu sein,
sondern vielmehr danach, Jesus-ähnlich zu sein.

Anmerkung von Wolf: Und ja, mir ist schon klar, daß dieses Auslegungsprinzip auch verdreht und mißbraucht werden kann und wird, was aber nichts an seiner Gültigkeit ändert. Und man kann darüber streiten, was in dem Bild hier oberhalb “biblisch” bedeutet, aber jeder Leser guten Willens versteht das schon.

Und schließlich besteht immer die Gefahr, daß wir die Schrift nicht durch die Linse von Jesu Leben und Lehre lesen, sondern durch die Linse des Bildes von Jesus, das wir uns zurechtgelegt haben.

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Lobpreis-Enunziation

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Es gibt sie immer noch, die christlichen Gemeinden, die kein professionelles Lobpreis- oder Musikteam haben, zumindest nicht jeden Sonntag. Da kommen dann “Amateure” zum Einsatz.

Für die erfordert es meist einigen Mut, sich vorne hinzustellen und zu singen, und ich will da ganz vorsichtig sein mit Kritik, will aber trotzdem etwas erwähnen, was mir in solchen Situationn immer wieder auffällt:

In normaler Konversation neigen wir alle dazu, die einzelnen Laute, aus denen sich Worte zusammensetzen, seien es Vokale oder Konsonanten, nicht allzu genau auszusprechen. Teilweise ist das auch mundart- oder dialektbedingt – wir Österreicher neigen z.B. dazu, ‘t’ und ‘d’ ziemlich gleich auszusprechen. In normalen Gesprächen funktioniert das auch ziemlich gut; wenn es jedoch über eine Soundanlage im für Gemeinden erschwinglichen Preissegment läuft, und erst recht, wenn es sich um Gesang handelt, wird es schnell schwer verständlich.

Wir brauchen keine Schauspielausbildung, kein Burgtheater-Deutsch, aber wir sollten so sprechen oder singen, daß man zwischen ähnlichen Lauten unterscheiden kann, und daß die Konsonanten am Ende von Worten nicht verschluckt werden. Man nennt das “Enunziation“.

Ein paar Beispiele: ‘u’ und ‘ü’ sind zwei unterschiedliche Laute, ebenso ‘ei’ und ‘eu’; “Herr” hat ein r am Schluss, oder zumindest ein ‘a’ (“Hea”); und “Gott” hat ein ‘t’ am Ende, welches von Soundanlagen leicht unterschlagen wird, wenn man es als ‘d’ ausspricht.

Wenn Du also selbst als Amateur in der Gemeinde Lobpreis leitest, achte ein wenig auf die deutliche Enunziation: kann man verstehen, was du singst, auch wenn man den Text nicht kennt oder vorne auf der Leinwand sieht?

Und wenn Du für die Gottesdienstgestaltung oder die Bedienung der Soundanlage zuständig bist, achte darauf, wie verständlich die Sänger oder Sängerinnen auf der Bühne singen und nütze die Autorität Deiner Position, um konstruktive Verbesserungsvorschläge zu machen – genauso, wie du den Leuten erklärst, daß sie das Mikro vor den Mund halten und hinein singen sollen, statt es irgendwo vor den Brustkorb zu halten und darüber hinweg zu singen.

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“Unser Kardinal”

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Bei allen Schwächen, die er als Mensch natürlich hat, und trotz all meiner theologischen Differenzen mit seiner Kirche, bin ich sehr dankbar für den Wiener Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn OP.

Er hat die staatliche Anerkennung der Freikirchen in Österreich unterstützt, die täuferische Bruderhof-Gemeinschaft in Österreich und seinem designierten Alterswohnsitz in Retz willkommen geheißen, und fördert in seiner Diözese ein Verständnis von Christsein, das eine bewußte Glaubensentscheidung (Bekehrung/”Lebensübergabe”) und Jüngerschaft umfaßt.

Als evangelikaler Christ, dem die katholische Kirche nicht egal ist, bin ich auch sehr dankbar für seine klare Stellungnahme zum sogenannten “Synodalen Weg“, einem revisionistischen “Reformprozeß” in der katholischen Kirche in Deutschland, der von der Mehrzahl der deutschen Bischöfe unterstützt wird, und der, ob absichtlich oder nicht, immer mehr in die Richtung geht, die katholische Kirche an den liberalen Protestantismus der EKD anzugleichen, komplett mit der Normalisierung “alternativer Sexualitäten”.

Unter anderem wirft Schönborn dem “Synodalen Weg” vor, die klerikalen Mißbrauchsfälle für eine über das legitime Ziel hinausschießende Kirchenreform zu instrumentalisieren, und viel zu wenig von Umkehr (Bekehrung) und Nachfolge Jesu zu reden:

Mit Blick auf das Thema Klerikalismus sagte der Kardinal, das “Heilmittel gegen den Klerikalismus ist, pardon, es so schlicht und deutlich zu sagen, die Nachfolge Jesu”.

“Von Umkehr und Nachfolge ist auf den Debatten des Synodalen Weges zu wenig zu hören”, so Schönborn. Der Maßstab für das kirchliche Amt müsse “die dienende Gestalt Jesu” sein.

“Der Missbrauch, der durch Priester geschehen ist, ist sicher die schlimmste Form von Missbrauch”, erklärte der Wiener Erzbischof. “Aber das als Argument dafür zu nehmen, dass die Stiftung Jesu geändert oder korrigiert werden muss, scheint mir verfehlt.”

Vor drei Jahren (2019) wurde Kardinal Schönborn 75 Jahre alt, das Alter, in dem Bischöfe laut Kirchenrecht dem Papst ihren Rückblick anbieten müssen; Scönborn tat dies, Papst Franziskus nahm das Angebot jedoch nicht an und beließ Kardinal Schönborn bis auf weiteres im Amt. Aber das Ende seiner Amtszeit ist absehbar, und kein Mensch weiß, wer ihm als Wiener Erzbischof nachfolgen wird. Viele konservative, bewußte Christen, auch in den Freikirchen, werden “unserem Kardinal” nachtrauern.

Titelbild: Kardinal Schönborn beim Festgottesdienst anläßlich 150 Jahre Baptisten in Österreich in der Baptistengemeinde Mollardgasse, 23. November 2019.

 

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Sounds Like Reign

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Vor ein paar Jahren bin ich auf YouTube auf den Kanal einer christlichen Familie in North Carolina (USA) gestoßen, die musiziert und alle ihre Alben sowohl als CDs verkauft als auch kostenlos zum Download anbietet, sowie die einzelnen Tracks auch als Musikvideos auf YouTube einstellt.

Als ich auf Lindsay und Bracken Kirkland stieß, waren sie gerade dabei, mit damals drei Buben aus einem Tiny House in ein normales Haus zu übersiedeln, um dann ein paar Jahre später mit vier Buben in ein großes, teilweise desolates 100jähriges Bauernhaus zu ziehen, welches sie renovieren sollten, statt Miete zu zahlen. Seither sind noch zwei Buben und zuletzt ein Mädchen dazugekommen.

Nachdem die notwendigsten ersten Renovierungsarbeiten erledigt waren, haben sie mit Hilfe von Freunden ein Tonstudio errichtet, um sowohl ihre eigene Musik aufzunehmen, als es auch anderen Musikern kostengünstig oder sogar gratis anzubieten.

Sie sehen ihre Musik und ihre zwei YouTube-Kanäle als einen mehr oder weniger vollzeitigen christlichen Dienst, und werden dafür von ca 400 Leuten über die Plattform Patreon unterstützt. Auf YouTube-Werbung (eine wichtige Einnahmequelle für die meisten YouTuber) verzichten sie, weil sie den Inhalt solcher Werbung nicht beeinflussen können.

Neben ihrer Musik und dem, was man aus den Videos über ihr Familienleben sehen kann, beeindruckt mich vor allem, daß sie es schaffen, sich ganz und gar aus den politischen Steitereien herauszuhalten, welche die evangelikale Bewegung in USA inzwischen prägen.

Hier sind Links zu ihren YouTube-Kanälen sowie der Website, wo man die Alben downloaden kann, und dann möchte ich ein paar von meinen Lieblingsliedern präsentieren.

Links

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Olga Misiks Rede vor Gericht: “Ihr verurteilt nicht mich, ihr verurteilt euch selbst!”

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Yuly Rybakov schreibt am 2. Mai 2021: Dieses M¨ädchen wurde soben 20 Jahre alt. Olga Misik wurde bekannt nach den Protesten im Sommer 2019 rund um die Wahl zur Moskauer Stadt-Duma, wo sie die russische Verfassung laut vorlas. Ihr drohen zwei Jahre Gefängnis für diese Aktion vor dem Gebäude der Generalstaatsanwalt.
(Source: Yuly Rybakov, Facebook: ‘With children like this, Russia has a future!’)

Anmerkung des Übersetzers:

Am 11. Mai 2021 wurde Olga Misik[1] zu zwei Jahren und zwei Monaten Hausarrest verurteilt, ihre zwei Freunde Ivan Vorobievsky and Igor Basharimo erhielten ähnliche Strafen. Nachdem ich den Text von Olgas Abschlußerklärung vor Gericht nirgends in deutscher Übersetzung gefunden habe, habe ich ihn selbst übersetzt und poste ihn hier, in der Hoffnung, daß er zumindest einigen Leuten, die für Vladimir Putin und sein Regime schwärmen, die Augen öffnen wird.

Der englische Text ist z.B. hier zu finden.


Olga Misiks Abschlußerklärung vor Gericht.

Über die Angst

Ich werde oft gefragt, ob ich nicht Angst habe. Diese Frage wird vor allen von Menschen außerhalb Rußlands gestellt, weil sie die näheren Umstände unseres Lebens nicht kennen. Sie kennen die Gefangenentransporter nicht, die Festnahmen und Gefängnis ohne gutem Grund und ohne Begründung. Sie kennen das Gefühl der Verzweiflung nicht, das wir mit der Muttermilch aufgesogen haben. Und es ist dieses Gefühl der Verzweiflung, das alle Angst vertrocknen läßt und uns mit einer gelernen Hilflosigkeit infiziert. Wozu Angst haben, wenn man ohnehin keine Kontrolle über die Zukunft hat?

Ich hatte nie Angst. Ich fühlte Verzweiflung, Hilflosigkeit, Frustration, Beunruhigung, Enttäuschung und Burnout, aber weder die Politik noch der Aktivismus haben mich je mit Angst angesteckt. Ich hatte keine Angst, als bewaffnete Banditen in jener Nacht ins Haus gestürmt sind und mir mit dem Gefängnis gedroht haben. Sie wollten mich erschrecken, aber ich hatte keine Angst. Ich habe gescherzt und gelacht, weil mir klar war: in dem Moment, wo ich zu lächeln aufhöre, habe ich verloren.

Als ich mit diesen Banditen in ihrem Gefangenentransporter nach Moskau fuhr, dachte ich, ich hätte meinen letzten Sonnenaufgang für viel Jahre gesehen. Ich dachte an meinen Vater, den ich heute das erste Mal weinen sah, und an meine Mutter, die mir ins Ohr flüsterte, “Gestehe nichts,”, an meinen Bruder, der zur Dacha gelaufen kam und mich warnte, an Igor, der auf dem Boden lag und die Fragen der Agenten ignorierte. Ich war traurig und verletzt, aber ich hatte keine Angst.

Ich hatte keine Angst, als sie mich in eine Zelle steckten. Ich war besorgt um Igor, und habe den Brief von meinen Freunden immer wieder gelesen, aber mein Schicksal war die kleinste meiner Sorgen. Es ist komisch, vielleicht irgendein Abwehrmechanismus, aber ich habe im Verlauf dieser Tage kein einziges Mal Angst verspürt.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu diesem Protest gefahren bin. Ich versprach mir selbst, daß dies die letzte Aktion meiner Aktivistenkarriere sein würde, daß ich mich aus der Politik zurückziehen und mich auf mein Studium konzentrieren würde. Ich war besorgt und unsicher, wie es gehen würde, aber ich hatte keine Angst. Auch als ich die Straf- und Verwaltungsgesetze studierte, und all die Präzedenzfälle für ähnliche Aktionen, hatte ich keine Angst. Es war eine herrliche Nacht, und mir war klar, daß es meine letzte Nacht in Freiheit sein könnte, aber das hat mich nicht geängstigt.

Aber seit der Hausdurchsuchung, und während der letzten neun Monate, hatte ich ständig Angst. Seit dieser ersten Nacht in der Zelle habe ich kein einziges Mal normal geschlafen. Jede Nacht weckt mich das leiseste Geräusch auf, ich bilde mir ständig ein, daß ich Schritte am Gang höre, und Panik überkommt mich bei dem Geräusch von Autorädern auf dem Schotter vor meinem Fenster.

Und es scheint mir, daß all die Angst, die sich in den letzten neun Monaten in mir angesammelt hat hier und jetzt in meinem Abschlußstatement konzentriert ist, weil ich viel mehr Angst davor habe, in der Öffentlichkeit zu reden, as vor einem möglichen Urteil. Mein Puls ist gerade bei 150, und mir scheint, mein Herz würde zerreissen, und ich habe sogar unter meinen Haaren eine Gänsehaut.

Manche sagen, wenn man weiß, daß man Recht hat, kann man  keine Angst haben. Aber Rußland lehrt uns, ständig Angst zu haben. Ein Land, das jeden Tag versucht, uns umzubringen. Und wenn du außerhalb des Systems stehst, dann bist du so gut wie tot.

Und vielleicht hatte ich ja Angst, als ich zu diesem Protest fuhr. Aber ich habe verstanden, daß ich nichts anderes tun konnte. Ich habe verstanden, daß alles andere unmöglich ist. Daß, wenn ich jetzt schweigen würde, ich mir nie mehr in den Spiegel schauen könnte. Wenn mich meine Kinder einmal fragen, wo ich war, als all das passierte, und was ich dagegen getan hatte, warum ich das geschehen ließ und was ich unternommen habe, um die Situation zu reparieren, könnte ich ihnen nicht antworten. Was könnte ich schon sagen? Ich stand in einer Protestschlange außerhalb des FSB[2]? Das wäre ein Witz. Eine lustige  Selbsttäuschung, die ich mir nicht erlauben konnte.

Und wie ist es mit euren Kindern? Wenn sie euch fragen, wo ihr wart, als all das passierte, was werdet ihr ihnen sagen? Daß ihr Schuldsprüche verteilt habt?

Natürlich war ich bei dem Protest. Ich bedaure das nicht; ich bin vielmehr stolz über das, was ich getan habe. Tatsächlich hatte ich keine Wahl, ich mußte alles mir mögliche tun, und daher habe ich auch kein Recht, es zu bedauern. Und wenn ich in die Vergangenheit reisen könnte, würde ich es wieder tun. Wenn mir die Todesstrafe drohen würde, würde ich es wieder tun. Ich würde es wieder tun, immer wieder, ein ums andere Mal, bis es nichts mehr gäbe, das man verändern könnte. Leute sagen, immer wieder das gleiche zu tun in der Hoffnung, daß es anders ausgehen wird, ist der Wahnsinn. Ja, Hoffnung ist Wahnsinn. Aber aufzuhören, das zu tun, was man für richtig hält, nur weil es alle um dich herum für nutzlos halten, ist angelernte Hoffnungslosigkeit. Ich bin lieber in euren Augen wahnsinnig, als in meinen Augen hilflos.

Über die vermeintliche Verschwörungsgruppe “Neue Größe”

Randfiguren im Fall der “Neuen Größe”[3] haben mir diesen Sonntag gesagt, daß es nicht umsonst war. Daß es ihnen Hoffnung gegeben hat. Daß sie es schätzen. Und auch, wenn das nur zur Hälfte stimmt, heißt das, daß alles aus einem bestimmten Grund geschehen ist. Wenn nur eine einzige Person, die derzeit hinter Gittern ist, die Dinge leichter findet, weil diese Protestversammlung sie unterstützt hat, dann war es nicht umsonst. Das heißt, daß ich kein Recht habe, mich darüber zu beklagen, daß ich hinter Gitter landen könnte.

Maslov hat die an ihn gerichteten Plakate persönlich gesehen. Krasnov hat persönlich verlangt, daß ein Gerichtsverfahren gegen uns eröffnet wird. Das bedeutet, daß meine Herausforderung angenommen wurde. Daß sie mich gehört haben. Daß es nicht alles umsonst war.

Es wäre nicht nur prinzipienlos, meine eigene Teilnahme an dem Protest zu leugnen. Es würde all meine Bemühungen zunichte machen, all meine Ängste und mein Leiden, alles, was ich erreicht habe, meine Schmerzen und meinen Zorn. Ich kann mir diese Prinzipienlosigkeit nicht leisten, mit der unsere Untersuchungs- und Anklagebeamten  leben. In seinem Büro war der Leiter unserer Untersuchung so stolz über seine Prinzipientreue, wie er Fälle, die unbegründet waren, eingestellt hat; aber im Gerichtssaal hat er den Schwanz zwischen die Beine genommen wie ein Feigling und undeutlich vor sich hin gemurmelt über verbleibende Gründe. Es tut mir sehr leid, daß ich ihn nicht wiedersehen werde und ihm nicht ins Gesicht sagen kann, wie sehr ich ihn verachte. Ich verachte auch unseren jugendlichen Ankläger, der für diese Heuchelei und diese Lügen eigentlich zu jung ist. Ich kann ihn nur verachten, und ich verstehe nicht, daß er sich nicht selbst verachtet, daß er seienen Lieben in die Augen blicken kann.

Und auch ihr. Wenn ihr die Einschränkungen unserer Freiheit vor dem Gerichtsverfahren erweitert habt, die Anträge der Verteidigung ablehnt habt, und all die falschen Anschuldigungen schluckt, die euch die Staatsanwaltschaft füttert, dann wißt ihr ganz genau, welches Verbrechen ihr begeht, und ihr seid euch dessen noch viel klarer bewußt, als ich an diesem schicksalhaften Abend. Wenn ihr mir den Kontakt mit der wichtigsten Person in meinem Leben verbietet, wißt ihr ganz genau, was ihr tut. Ihr denkt, daß es menschlich ist, jemanden zu verurteilen, weil er zur falschen Zeit mit den falschen Leuten am falschen Ort war. Ihr meint, ihr könntet ein Gerichtsverfahren gegen jemanden eröffnen, nur weil ich ihn liebe, und uns dann jeden Kontakt verbieten, aber das könnt ihr nicht. Ihr könnt mir nicht verbieten, zu lieben; ihr könnt Jugend nicht verbieten, und ihr werdet niemals die Freiheit verbieten. Ihr werdet niemals die Wahrheit verbieten.

Und ihr wißt ganz genau, daß dieses Urteil ein Wendepunkt für euch ist, viel mehr als für mich. Denn ich habe miich vor langer Zeit für meine Seite entschieden, und ihr müßt jetzt entscheiden, in welche Richtung euer Leben weitergehen wird. Für mich bedeutet weder diese Debatte noch diese Ankündigung sehr viel, und sie werden nichts verändern. Ihr verurteilt nicht mich – ihr verurteilt euch selbst.

Ein faschistisches Regime scheint von innen nie faschistisch zu sei. Es gibt hier ein bißchen Zensur, hier eine kleine Unterdrückung, die dich vielleicht nie berühren wird.  Aber ich bin hier und heute nicht die Angeklagte. Ihr entscheidet nicht mein Schicksal, sondern euer eigenes, und ihr könnt immer noch den richtigen Pfad wählen. Ihr wißt genau, was hier los ist, und wie das heißt. Und ihr wißt, daß es gut und böse gibt, Freiheit und Faschismus, Liebe und Haß, und zu leugnen, daß diese Dinge existieren, wäre die größte Täuschung. Und diejenigen, die sich jetzt für das Böse entscheiden, haben bereits ihre Sitze auf der Anklagebank reserviert. Den Haag erwartet alle, die bei dieser Gesetzlosigkeit mitmachen.

Ich kann nicht versprechen, daß wir morgen gewinnen werden, übermorgen, in einem Jahr oder in zehn Jahren. Aber eines Tages werden wir gewinnen, weil Liebe und Jugend immer gewinnen. Ich kann nicht versprechen, daß ich das erleben werde, aber ich hoffe wirklich, daß ihr es erleben werdet. Und ihr täuscht euch selbst, wenn ihr euch einredet, daß ich wegen dieses Protests vor der Staatsanwaltschaft hier stehe. Ihr täuscht euch selbst, wenn ihr das hell leuchtende Schild mit der Aufschrift “POLITIK” ignoriert, das über diesem gesamten Verfahren hängt – dieses Verfahren wird nicht uns angetan, sondern dem gesunden Menschenverstand.

Ihr wißt, warum ich hier bin. Und ihr wißt, warum diese beiden hier sind – weil sie meine Freunde sind. Ihr wißt, warum ich vor Gericht stehe. Weil ich die Verfassung vorgelesen habe. Für meine Zivilcourage. Weil ich zur Person des Jahres gewählt wurde. Für meine Prinzipien. Für Reden. Vielleicht könnte ich mich ja von dieser ausdrücklich politischen Strafverfolgung geschmeichelt fühlen, wenn nicht inzwischen alle, die eine Meinung haben, unterdrückt worden wären.

All die Argumente der Staatsanwaltschaft sollen meine Schuld beweisen. Ich werde gar nicht darauf eingehen, daß sie das nicht sehr professionell machen – der Fingerabdruck-Befund ist gefälscht, und auf meiner Kleidung gibt es keinerlei Farbspuren, wie ihr selbst gesehen habt, als die Beweismittel vorgelegt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat neun Monate darauf verschwendet, meine Beteiligung zu beweisen, die ich gar nicht geleugnet habe. Aber was bedeutet diese Beteiligung in einem Fall ohne Akte? Was macht es aus, ob ich dort war, wenn kein Verbrechen begangen wurde? Obwohl ich lügen würde, würde ich  sagen, daß kein Verbrechen begangen wurde, denn die Untersuchungs-  und Anklagebehörden haben sehr wohl ein Verbrechen begangen, und ich hoffe ganz ernstlich, Genosse Richter, daß Sie, Genosse Richter, nicht das gleiche Verbrechen begehen werden.

Deshalb bestehe ich auf einem vollen und bedingungslosen Freispruch ohne solch halbherzigen Entscheidungen wie Verfahrenseinstllung gegen Bezahlung einer Geldstrafe. Ich bin von meiner Unschuld überzeugt und bin bereit, sie ohne Kompromisse zu verteidigen.

Es ist uns allen klar, wie absurd dieser Fall ist: von Einschränkungen vor der Gerichtsverhandlung bis hin zu fabrizierten Beweisen, die von der Verteidigung als falsch entlarft wurden. Aber das ist noch nicht das Schlimmste.  Das Schlimmste sind vielmehr die Zeugen- und Expertenaussagen, die immer wieder unser Alter hervorgehoben und argumentiert haben, daß unser Verhalten einfach die Auswirkung von jugendlichem Überschwang sei. Aber die Wahrheit ist doch, daß jeder einzelne von uns erwachsener ist als Krasnov, der, wie Dimitry aufgezeigt hat, sich über ein paar Plakate kindisch aufgeregt hat. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ich kann und will es sagen, viel ehrlicher als jeder von euch, weil ihr darin gar nichts zu sagen habt. Die Wahrheit ist, daß trotz verschiedener Verbote und Einschränkungen unserer Freiheit, hier vor Gericht und in Gefängnissen, selbst mit GPS-Fesseln und einem rigiden Zeitplan, jeder von uns viel freier ist als ihr, denn diese drei Jahre werden einmal Vergangenheit sein, und selbst vorher werde ich immer noch sagen, was ich denke und tun, was ich für richtig halte, und ihr bringt es leider nicht über euch, das gleiche zu tun.

Die letzten neun Monate waren sehr schwierig, und ich möchte sie nicht nocheinmal durchleben. Ich habe die Zeit damit verbracht, Dinge zu bedauern, habe gedacht, “Was wäre geschehen, wenn …” und “Alles könnte ganz anders sein ….”. Aber da habe ich mich selbst belogen, denn die Dinge könnten gar nicht anders sein. Von dem Augenblick an, als ich die Verfassung in die Hand nahm, war meine Zukunft entschieden. Und ich habe das tapfer akzeptiert. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, und in einem totalitären Staat kommt die richtige Entscheidung immer mit schrecklichen Konsequenzen. Ich wußte immer, daß ich im Gefängnis landen würde; die Frage war nur, wann. Ich lese gerade ein Buch von Markus Zusak über das Leben unter einem faschistischen Regime(wahrscheinlich “Die Bücherdiebin“)), und er schreibt darin, “Du sagst, du hast Pech gehabt, aber du wußtest die ganze Zeit daß es so enden würde.”  Dieser Satz beschreibt meine Strafverfolgung vollkommen. Es war nicht Dummheit, oder Pech, oder ein Zufall – und es war ganz sicher kein Verbrechen. Ich wußt schon immer, daß dies geschehen würde, und war schon immer darauf vorbereitet. Nichts, was ihr tun könnt, wird mich überraschen.

Mein Anwalt hat heute Sophie Scholl erwähnt, und ihre Geschichte ähnelt meiner aufs Haar. Sie wurde vor Gericht gestellt,  weil sie Flugblätter verteilt und Graffiti gemalt hatte; ich wurde vor Gericht gestellt für Plakate und Farbe. Genaugenommen stehe ich vor Gericht für Gedankenverbrechen, so wie sie vor langer Zeit. Mein Gerichtsverfahren ist ihrem sehr ähnlich, und Rußland ist heute dem faschistischen Deutschland sehr ähnlich. Sophie hat nie ihre  Überzeugungen geleugnet, auch nicht im Angesicht des Schaffots. Ihr Beispiel hat mich ermutigt, keinen Abmachungen zuzustimmen. Sophie Scholl hat Jugend, Ernsthaftigkeit und Freiheit verkörpert, und ich hoffe, daß sie und ich einander auch darin ähnlich sind.

Das faschistische Regime in Deutschland ist letztlich gefallen, und auch das faschistische Regime in Rußland wird fallen. Ich weiß nicht, wann das geschehen wird – vielleicht in einer Woche, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in einem Jahrzehnt – aber ich weiß, daß wir irgendwann siegen werden, weil Liebe und Jugend immer siegen.

Über das Licht

Ich möchte meine Abschlußerklärung mit Zitaten von zwei besonderen Menschen abschließen: Albus Dumbledore und Sophie Scholl. Zu viel von dem, was ich heute gesagt habe, handelte von Furcht, daher werden diese beiden Zitate vom Licht handeln. Ich habe mit Furcht begonnen, aber ich werde mit Hoffnung enden.

In der Kriegszeit sagte Albus Dumbledore einmal: “Das Glück kann gefunden werden, selbst in den finstersten Zeiten, wenn man nur daran denkt, das Licht einzuschalten.”

Sophie Scholls letzte Worte vor ihrer Hinrichtung waren,  “Die Sonne scheint immer noch!”

Tatsächlich scheint die Sonne immer noch. Ich konnte sie zwar durch das Gefängnisfenster nicht sehen, aber ich wußte immer, daß sie da war. Und wenn wir jetzt, in diesen finsteren Zeiten, das Licht einschalten können, dann wird es uns vielleicht zumindest einen kleinen Schritt näher zu unserem Sieg bringen.

Aus dem Russischen ins Englische übersetzt von  Marian SchwartzAnna BowlesFriedrich Berg und Nina dePalma; vom Englischen ins Deutsche übersetzt von Wolf Paul.

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  1. Ich finde es bemerkenswert, daß es weder in der deutschen noch in der englischen Wikipedia einen Eintrag für Olga Misik gibt.[]
  2. Der FSB ist der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation. Der russische Name Федеральная служба безопасности Российской Федерации Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii (ФСБ) bedeutet „Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation“.[]
  3. Diese angebliche Verschwörungsgruppe begann mit einer Gruppe russischer Teenager, die sich auf Social Media über Politik unterhalten haben. Ein Geheimagent infiltrierte die Gruppe, vermietete ihnen ein Clublokal, und ermutigte sie zu Protestaktionen. Die Polizei hat ihre Wohnungen gestürmt und die Teenager festgenommen, und sie wurden mit gefälschten Beweisen angeklagt, die Regierung stürzen zu wollen. Im August 2020 wurden die Teenager zu (teilweise bedingten) Gefängnisstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt[]
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Untersuchungs­aus­schüsse und Korruptionsvorwürfe

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Seit Monaten laufen nun in Österreich Korruptionsermittlungen. Angefangen hat es mit dem Ibiza-Video mit den Herren Strache und Gudenus, zu dem dann, trotz des Rücktritts dieser beiden FPÖ-Politiker, auf Verlangen der Opposition ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde. Dieser Ausschuß begann ziemlich schnell, auch andere Vorwürfe zu untersuchen, die weder mit dem Ibiza-Video noch mit der FPÖ und ihren Politikern zu tun hatten, sondern die sich vornehmlich gegen ÖVP-Politiker richteten.

Seither ermitteln sowohl der Ausschuß als auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen alle möglichen aktiven und ehemaligen ÖVP-Politiker und ihnen nahestehende Personen, wobei alle möglichen fragwürdigen Vorgänge aufgedeckt wurden, größtenteils durch SMS und andere Chatverläufe dokumentiert.

Vor Kurzem nun stellte einer meiner Facebook-Freunde die Frage, wie weit solche Untersuchungen, die ja sehr viel Geld und Zeit kosten, von Verantwortungsbewußtsein getrieben sind, und wie weit von anderen Motiven.

Es macht natürlich schon nachdenklich und betroffen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unbekümmertheit sich unsere “Oberen” über die Regeln und Gesetze, die sie ja selbst beschlossen haben, hinwegsetzen[1], und zwar entweder ohne jedes Schuldbewußtsein, denn sonst würden sie ja diese Aktivitäten nicht schriftlich festhalten, oder aber mit beispielloser Naivität, falls ihnen nicht bewußt ist, daß auch ein elektronischer “Paper Trail” nachverfolgbar ist.

Momentan triffts die Türkisen, weil sie an der Macht und die anderen in Opposition sind; ich glaube jedoch keinen Augenblick, daß es bei umgekehrtem Vorzeichen wirklich anders aussehen würde. Es gibt ja nicht ohne Grund im Deutschen den Begriff “Parteibuchwirtschaft“, und zwar nicht erst seit sich die ÖVP von Schwarz nach Türkis umgefärbt hat.

Und genau deshalb glaube ich nicht, daß es beim Ibiza-Ausschuß und den daraus resultierenden strafrechtlichen Untersuchungen um Verantwortungsbewußtsein geht; vielmehr geht es darum, den politischen Gegner auflaufen zu lassen, und ihn, sozusagen am Pranger, vorzuführen.

Politik ist und war immer schon ein schmutziges Geschäft, auf allen Seiten, und wer sich darauf einläßt, auch mit den besten Motiven, bekommt unweigerlich einiges von dem Dreck ab, und sei es auch nur durch die unvermeidlichen Loyalitätsbezeugungen gegenüber Kollegen und Parteiführer, denen irgendwann mal Dreck am Stecken nachgewiesen wird.

Und Politik wird auch ein schmutziges Geschäft bleiben: der jugendliche Wunderwuzzi, der “eine andere Art der Politik” verspricht, bringt letztlich nur weniger Lebenserfahrung[2], mehr Unbedarftheit, und sehr viel jugendliche Arroganz zu seiner Aufgabe, wie unser kurzer Kanzler anschaulich demonstriert hat.

Christen waren ja immer schon gespalten über der Frage, ob und wie weit sich Christen politisch engagieren dürfen oder sollen. Ich glaube, daß wir uns nicht beschweren dürfen, daß unsere Gesellschaft immer weltlicher wird, wenn wir Christen uns nicht in allen Bereichen engagieren, wo ein solches Engagement nicht in sich gegen Gottes Gebote verstößt. Deshalb habe ich auch durchaus Verständnis für Christen, die sich in der Politik engagieren uns sich z.B. als Kandidaten aufstellen lassen, auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene, damit sie in diesen Institutionen christliche Werte vertreten und verteidigen können. Sie haben meine Sympathie, mein Verständnis, und meine Gebete.

Und ein wesentliches Gebet ist, daß solche christlichen Politiker nicht nur dem Dreck ausweichen können, den es in der Politik unweigerlich gibt, sondern daß sie auch vor jeder Versuchung bewahrt bleiben, das schmutzige Spiel nach den schmutzigen Regeln mitzuspielen. Die Wiederwahl ist nicht alles wert.

 

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  1. Das ist kein rein österreichisches Phänomen, darum geht es derzeit auch im britischen Partygate-Skandal, betreffend ranghohe Politiker und Beamte, bis hinauf zu Premierminister Boris Johnson, die sich über die Covid-19 Lockdownbestimmungen hinwegsetzten und Parties veranstalteten, für die normalsterbliche Bürger von der Polizei streng abgestraft wurden[]
  2. Mangelnde Politikerfahrung gilt ja als Vorteil[]
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