Kirchenlieder, gesungen von Detlef Korsen

Wolf Paul, 2023-05-22

Der evangelische Pfarrer im Ruhestand Detlef Korsen singt deutsche Kirchenlieder und begleitet sich dabei selbst auf seiner Gitarre.

Hier werde ich nach und nach diejenigen seiner Videos präsentieren, die mir besonders gut gefallen.

Auf seinem YouTube-Kanal gibt’s noch viel mehr von der Sorte, ebenso wöchentliche Andachten und Sonntagsgottesdienste.

Nochmals: Christi Himmelfahrt

Wolf Paul,

Kenneth Tanner[1] schreibt:[2]
 
Stell dir einen Menschen vor, der in die Welt hineingeboren wird, so wie wir alle in die Welt hineingeboren werden, überzogen mit Serum und Blut, anfällig für alles, was uns Schaden zufügt, an der Brust einer Mutter gelegen.
 
Stell dir einen Menschen vor, der, wie die meisten Menschen, in eine arme Familie hineingeboren wird, dessen Eltern für ihr tägliches Brot schwitzen müssen, einen Menschen, der von Anfang an von Mordwahn bedroht ist.
 
Stell dir einen Menschen vor,  als Kind im Exil, in einem Land, in dem er fremd ist, in dem eine andere Sprache gesprochen wird und in dem es keine vertrauensvolle und fürsorgliche Gemeinschaft gibt.
 
Stell dir vor, wie, als Jesus als kleiner Junge in das Dorf seiner Eltern nach Hause kommt, ihn die Leute anstarren und „Bastard“ flüstern.  Schuljungen verspotten ihn und fragen ihn, ob Maria seinen wahren Vater kennt.
 
Stell dir eine Mutter mit tröstenden Armen vor, mit einer Stimme, die ihn lehrt, die Heilige Schrift zu lieben und die Psalmen zu beten. Stell dir einen Menschen vor, der beginnt, sich selbst in den gelesenen und gebeteten Worten zu erkennen;  Stell dir vor, dass das Wort so in den Körper, den Geist und das Herz dieses Menschen eingeschrieben wird, dass die größten Lehrer seiner Zeit in seiner Stimme die Weisheit hören, die die Propheten inspiriert und dem Psalter Harmonie verliehen hat.
 
Stell dir einen Menschen vor, der sich allmählich bewusst wird, dass sein Leben irgendwie identisch ist mit dem Leben, das Sonnen und Galaxien, Orchideen und Mammutbäume, Adler und Panther erschafft, das allem, was fliegt und schwimmt und kriecht, Atem gibt, einen Menschen, der eins ist mit dem Architekt der Atome und Zellen, dem Entzünder der Sterne, dem Former der Berge.
 
Die anderen Menschen, einschließlich seiner Mutter und seines Stiefvaters, sind sich nicht ganz sicher, was sie von seiner verblüffenden Demut halten sollen.  Er stellt die anderen immer an die erste Stelle, dient ihnen und jedem, selbst in den kleinsten Dingen, ohne sich darum zu kümmern, ob irgendjemand ihn selbst oder seine Freundlichkeit bemerkt.  Manchmal haben sie das Gefühl, dass sie sich vielleicht in Ehrfurcht vor ihm beugen sollten, weil seine Worte und Taten so voller Leben, Hoffnung und Heilung sind.
 
Stell dir einen Menschen vor, der jahrzehntelang unbekannt gelebt hat, der am Ende der meisten Tage mit müden und schmerzenden Muskeln Sägemehl aus seinen Haaren schüttelt, Schmutz von seinen Armen spült und einen Tisch für die verwitwete, verletzliche Jungfrau deckt, die ihn in die Welt gebracht hat, die ihn so viel gelehrt hat, und die jetzt hat nur ihn hat,  als Beschützer und Versorger.
 
Dann bittet ihn diese Frau eines Tages, für andere das zu tun, was er gelegentlich für sie getan hat: Wein herzustellen, wo es keinen Wein gibt.  Und dann gibt es eine Taufe und einen Aufenthalt in der Wildnis und eine Verklärung.  Die Blinden sehen, die Lahmen gehen und die Toten leben wieder, weil sein Speichel, seine Stimme und sein Atem nicht nur menschlich, sondern göttlich sind.
 
Stell dir einen Menschen vor, der nicht die Gleichheit mit Gott anstrebt, sondern als Diener unter allen Menschen ist.  Stell dir einen Menschen vor, der das Schwert ablehnt und uns sagt, wir sollen unsere Feinde lieben.  Stell dir einen Menschen vor, der menschliche Dinge göttlich und göttliche Dinge menschlich tut.
 
Stell dir vor, dass dass die Lebensweise dieses Menschen die Kirche seiner Zeit und die Herrscher seiner Zeit dazu verleitet, gegen ihn zu planen und seine Art, Mensch zu sein, zu vereiteln, um jeden in der Zukunft zu warnen, der es auch nur versucht, ein Mensch zu sein, so wie Gott ein Mensch ist  .
 
Stell dir einen Menschen vor, der unserer gesamten Rasse verzeiht, obwohl wir Gott ablehnen, verachten und ermorden.
 
Stell dir vor, dass dieser Mensch, wenn er durch unsere Gewalt stirbt, nicht tot bleibt, sondern dass er im Tod und darüber hinaus ein Mensch bleibt.  Er ordnet die Strukturen des Todes so neu, dass sie nun stattdessen für jeden, der mit ihm stirbt, ein Portal zum Leben Gottes sind.
 
Stell dir ein menschliches Leben vor, das zu den Toten ins Totenreich reist und als Toter den in Ketten Gefesselten predigt;  dass, während er spricht, die Fesseln, die sie dort festhalten, durch die Liebe zerbrochen werden.
 
Stell dir vor, dass der Mensch, den ich gerade beschrieben habe, nach dem Tod wieder verkörpert erscheint, befreit vom Tod, befreit von jeder Bedrohung, die seine Versprechen an uns und die Welt einschränken könnte.
 
Stell dir nun vor, dass *dies* die Art von Mensch ist, der zur rechten Hand Gottes auffährt.  Stell dir vor, dass das, was es bedeutet, ein solches menschliches Leben zu führen und einen solchen menschlichen Tod zu sterben, darin besteht, *hinaufzufahren* – für immer zum Maßstab dessen zu werden, was es bedeutet, Gott zu sein und was es bedeutet, Mensch zu sein. Dieser Sohn, der uns gegeben ist, kommt herab, um Mensch zu werden, und fährt auf, um Mensch zu bleiben.
 
Und allem gegenteiligen Anschein zum Trotz ist seine Art, ein Mensch zu sein, seine Art der Demut, jetzt die Art und Weise, wie die Dinge mit der Welt sind, so dass der Tod jetzt keine Macht mehr hat, über sein aufgefahrenes Leben oder unseres.
 
Seine Demut führt dazu, dass unser Menschsein mit ihm auffährt, so dass das Wahrste an dir und mir ist, dass unser Leben mit Christus in Gott verborgen ist, dass wir in Christus neben dem Vater sitzen;  dass wir dort in ihm sind und dass er hier in uns ist und dass wir mit ihm durch den Geist eins mit dem Vater sind.
 
Dies ist nur eine Facette des großen Geheimnisses der Himmelfahrt, dieser komplexen, vernachlässigten, schönen und folgenreichen Realität, der Christen vertrauen und die wir heute feiern.
 
 Hab Geduld.  Mit der Zeit wird Gott freundlich zu uns sein und wird uns helfen, diese Realität zu erkennen und sie zu leben, jetzt und für immer.
 
 Bild: Die Himmelfahrt Christi, Salvador Dali, 1958
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  1. Kenneth Tanner ist Pastor der anglikanischen „Holy Redeemer“ Gemeinde in Rochester Hills  Michigan.[]
  2. Originaler Facebook-Beitrag ist hier. Übersetzung (mit Hilfe von Google Translate) von Wolf Paul.[]

Warum ist Christi Himmelfahrt der wichtigste Moment im Neuen Testament?

Wolf Paul, 2023-05-18

Mein Freund Ian Paul[1] schreibt:[2]

Was würdest Du als Höhepunkt und Vollendung des Lebens und Wirkens Jesu bezeichnen?

Überraschenderweise ist dies keine triviale Frage. Einer der Hauptunterschiede zwischen dem Johannesevangelium und den synoptischen Evangelien besteht darin, dass die Synoptiker die Kreuzigung als einen notwendigen, aber unvollständigen Akt auf dem Weg zur Auferstehung darstellen, während Johannes sie als Höhepunkt und Vollendung des Wirkens Jesu an sich darstellt. Anstelle des Verzweiflungsschreis Jesu (Matthäus 27:46, Markus 15:34) zeichnet Johannes einen Triumphschrei auf: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19:30). Die Verheißung, dass „lebendiges Wasser“ aus dem Bauch oder der Seite des Gläubigen sprudelt (Johannes 7:38), am besten in Bezug auf die Tempelprophezeiung in Hesekiel 47 verstanden, wird durch das Blut und Wasser aus der Seite Jesu bei seinem Tod erfüllt ( Johannes 19:34). Kein Wunder, dass das wahre Zeugnis davon zum Glauben führt (Johannes 19:35).

Aber der größte Teil des Neuen Testaments würde auf die Auferstehung als Vollendung hinweisen. Die theologische Verknüpfung des Todes und der Auferstehung Jesu durch Paulus mit unserer Bewegung in und aus dem Wasser der Taufe (Römer 6:3-4) legt nahe, dass Kreuzigung und Auferstehung zusammengehören, und dies wird in der gesamten Verkündigung dessen, was Gott getan hat, deutlich. Diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, hat Gott von den Toten auferweckt, erzählt Petrus der Pfingstmenge in Apostelgeschichte 2, und wir sind Zeugen davon. Paulus spricht in der parallelen Beschreibung seines Dienstes durch Lukas auch von „Jesus und der Auferstehung (anastasis).“  (Apostelgeschichte 17:18), so sehr, dass seine Zuhörer denken, Anastasis sei das weibliche Gegenstück zu dem männlichen Gott Jesus. Paulus fasst das Evangelium für die Korinther wie folgt zusammen: „Christus starb für unsere Sünden … wurde begraben … und wurde am dritten Tag auferweckt“ (1. Korinther 15:3-4).

Doch der größte Teil des Neuen Testaments sieht tatsächlich ein drittes Thema als wesentlichen Teil und Abschluss des Werkes Jesu: die Himmelfahrt. Vielleicht übersehen wir dies aufgrund unserer theologischen Tradition, aber  oft übersehen wir es, weil wir nicht sorgfältig genug lesen. In der Pfingstrede des Petrus ist der Höhepunkt dessen, was Gott in Jesus getan hat, nicht die Auferstehung, sondern die „Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes“ (Apostelgeschichte 2:33). Zur Untermauerung dieser Aussage zitiert er Psalm 110, den am häufigsten zitierten Psalm im Neuen Testament  (nimm Dir einen Moment, um das zu verinnerlichen …), in dessen Bildern „der Herr“ (Messias) seinen Platz zur Rechten des „Herrn“ (Jahwe, der Gott Israels) einnimmt.

Wir können sehen, wie wichtig dies ist, sogar in der Theologie des Paulus. In seiner großartigen Hymne in Philipper 2[3] überspringt er tatsächlich die Auferstehung und geht direkt von Jesu „Tod am Kreuz“ zu seiner „Erhöhung in die höchste Stellung“ über. (Philipper 2:8-9). Es ist, als ob die Bewegung vom Tod zum Leben zur Herrlichkeit, in der Auferstehung und zum Aufstieg eine einzige Bewegung wäre – übrigens eine Bewegung, die sich in den Worten in Offenbarung 12:5 widerspiegelt, von dem männlichen Kind, „das die Nationen mit eiserner Rute regieren soll“ und zu Gott und seinem Thron entrückt wird. Im Johannesevangelium weist Jesus am Gartengrab darauf hin und sagt Maria, sie solle sich nicht an ihm festhalten, weil er noch nicht aufgestiegen sei. Und was am faszinierendsten ist: Die Evangeliumsbotschaft, die sie den Jüngern geben soll, lautet: „Ich fahre zum Vater auf.“  (Johannes 20:17).  Auch für Lukas teilt sich das Wirken Jesu in zwei Teile, nicht bei der Auferstehung, sondern bei der Himmelfahrt:

In meinem früheren Buch, o Theophilus, habe ich über alles geschrieben, was Jesus zu tun und zu lehren begann, bis er in den Himmel aufgenommen wurde … (Apostelgeschichte 1:1-2)

Warum übersehen wir also die Bedeutung davon? Es läuft größtenteils auf ein Missverständnis von Daniel 7 und dessen Übernahme in das Neue Testament hinaus.

In meiner Vision sah ich nachts, und vor mir war einer wie ein Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels kam. Er näherte sich dem Alten der Tage und wurde in seine Gegenwart geführt. Ihm wurden Autorität, Ruhm und souveräne Macht verliehen; alle Nationen und Völker aller Sprachen beteten ihn an. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königreich ist eines, das niemals zerstört werden wird. (Daniel 7:13-14).

Obwohl Jesus die Formulierung „jemand wie ein Menschensohn“ auf sich selbst beziehet, handelt es sich bei Daniel um eine kollektive Figur; so wie die vier Tiere weiter oben in diesem Kapitel Personifizierungen der vier großen Reiche (babylonisch, persisch, griechisch und römisch) waren, ist diese menschliche Figur eine Personifizierung des Gottesvolkes, das derzeit von den Mächtigen unterdrückt und verfolgt wird, aber voll Vertrauen ist, daß Gott sie retten, in seine Gegenwart bringen, sie rechtfertigen und ihnen Macht und Autorität über diejenigen geben wird, die derzeit Macht über sie haben. Als Parallele zu den Visionen im ersten Teil von Daniel (die vier Tiere entsprechen den vier Teilen der Statue in Daniel 2) stellt es die Umkehrung der Macht dar, die Maria im Magnifikat beschreibt: „Du hast die Stolzen in der Vorstellung zerstreut.“ ihres Herzens“ (Lukas 1:51).

Indem er den Titel „Sohn des Menschen“ annimmt, beansprucht Jesus, die Bestimmung Israels zu erfüllen – seine Unterdrückung auf sich zu nehmen, aber auch die Rechtfertigung Gottes zu erfahren. Dies beinhaltet auch eine entscheidende Neuinterpretation: Nicht die Reiche dieser Welt sind die wahren Unterdrücker Israels, sondern die Mächte der Dunkelheit sowie ihre eigene Sünde und ihr Ungehorsam. Wenn also Johannes der Täufer „vor den Herrn tritt, um ihm den Weg zu bereiten“, geschieht dies durch „die Vergebung aller ihrer Sünden“ (Lukas 1:77).

Aber das Wichtigste, was man in Daniel 7 beachten sollte, ist die Formulierung „mit den Wolken des Himmels kommen“. Dies ist  nicht damit verbunden, dass irgendjemand vom Himmel auf die Erde kommt, sondern eher mit dem Gegenteil – der Erhöhung des Menschensohnes, der von der Erde  zu dem kommt, der auf dem himmlischen Thron sitzt. Dies ist eine Sprache, die sich von Paulus’ Verwendung von „auf den Wolken kommen“ in 1. Thessalonicher 4:17 unterscheidet und ihr entgegengesetzt ist. Dies wäre für die Leser des Paulus sehr offensichtlich gewesen, da er für „Kommen“ einen ganz anderen Ausdruck verwendet, nämlich das Wort parusia , das „königliche Präsenz“ bedeutet.

Wenn wir diesen Unterschied erkennen, können wir mehrere Schlüsseltexte der Evangelien entschlüsseln. Im Markusbericht über den Prozess gegen Jesus sagt Jesus zum Hohepriester:

Du wirst den Menschensohn sehen, der zur Rechten des Mächtigen sitzt und auf den Wolken des Himmels kommt (Markus 14:62).

Dies kann sich nicht auf die Rückkehr Jesu zur Erde („zweites Kommen“) beziehen, es sei denn, Jesus machte sich Illusionen darüber, wie bald dies geschehen würde. Aber was noch wichtiger ist: Dies kann schon deshalb nicht gemeint sein, da es sich hier um ein fast exaktes Zitat aus Daniel 7 handelt und sich auf die Thronbesteigung Jesu (des Menschensohns)  und die Erfüllung der Bestimmung Israels bezieht. Aus diesem Grund betrachtete der Hohepriester es als Gotteslästerung: Tatsächlich wurde Jesus gekreuzigt, weil er seine Himmelfahrt erwartete!

Ebenso ergibt Matthäus 24 keinen Sinn[4], wenn wir es nicht im Lichte von Daniel 7 lesen. Jesus sagt Folgendes voraus:

Zu dieser Zeit wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen und alle Völker der Erde werden trauern. Sie werden den Menschensohn mit Macht und großer Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen… (Matthäus 24:30)

Dann sagt er aber ganz feierlich: „Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird gewiss nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist“ (Matthäus 24:34). Sofern sich nicht sowohl Jesus als auch Matthäus (und diejenigen, die den Kanon sammelten) irren, muss dies bereits geschehen sein[5] – und genau das geschah bei der Himmelfahrt. Jesus wurde in den Wolken des Himmels entrückt, um in Herrlichkeit zur Rechten des Vaters zu sitzen.

Die Lesung für den Himmelfahrtstag[6] ist Apostelgeschichte 1:1-11, die umfassendste Darstellung des Augenblicks der Himmelfahrt Jesu im Neuen Testament. Dabei gibt es ein paar wichtige Dinge zu beachten.

Wir haben bereits bemerkt, dass es die Himmelfahrt ist, an der Lukas den Punkt der Trennung sieht zwischen „allem, was Jesus zu tun und zu lehren begann“ und dem fortgesetzten Dienst der Apostel, in dem Jesus weiterhin handelt und lehrt durch den Heiligen Geist. Auffallend an diesem Bericht ist jedoch, dass die Lehre Jesu gegenüber den Aposteln, „die er erwählt hatte“, nur „durch den Heiligen Geist“ geschehen kann. So wie Jesus durch den Geist diente (und zwar nach seiner Prüfung in der Wüste „in der Kraft des Heiligen Geistes“, Lukas 4:14), so tut er dies auch nach seiner Auferstehung weiterhin und gibt den Aposteln selbst das Muster vor. Sie können seinen Dienst nicht fortsetzen, bis auch sie „mit Macht aus der Höhe bekleidet“ sind (Apostelgeschichte 1:8).

Dies ist eine Zeit „nach seinem Leiden“, was bereits als halbtechnische Bezeichnung für seine Übergabe, Prügel und Kreuzigung, seine „Passion“, erscheint. Man könnte meinen, dass die bloße Tatsache, daß er wieder am Leben war, ausreichte, um alle Fragen der Jünger zu beantworten – doch Lukas stimmt hier mit Matthäus’ Beschreibung überein, dass „einige zweifelten“ (Matthäus 28:17), da sie „viele überzeugende Beweise“ brauchten.

Die Formulierung „vierzig Tage“ ist in der gesamten Heiligen Schrift von Bedeutung. „Vierzig“ bedeutet eine Zwischenzeit des Wartens, der Prüfung und der Vorbereitung[7], einschließlich der Zeit, in der es während der Sintflut regnete (1. Mose 7:4), der Exodus-Wanderungen (4. Mose 32:13) ​​und der Lebensabschnitte des Mose (laut Stephanus in Apostelgeschichte 7: 23, 30, 36), Elia am Berg Horeb (1. Könige 19:8), Jonas Predigt nach Ninive (Jona 3:4) – und so weiter. Es ist oft die Zeitspanne zwischen großen Epochen in der biblischen Erzählung von Gottes Heilstaten.

Jesus lehrt weiterhin über das „Reich Gottes“, womit das zentrale Thema seiner Predigten in den Evangelien fortgeführt wird. Dies würde im jüdischen Kontext Sinn machen, wo Gott als „König“ betrachtet wurde und die eschatologische Hoffnung auf die Manifestation seiner Herrschaft als König über Israel – und die ganze Welt – bestand. Aber es fällt auf, dass im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte und in den uns vorliegenden Schriften des Paulus die Sprache des Reiches den zweiten Platz einnimmt gegenüber anderen Sprachen der Auferstehung und Erlösung.

Das „Geschenk, das mein Vater versprochen hat“ spiegelt die johanneische Sprache aus der Abschiedsrede Jesu wider, die in jüngsten Lektionarslesungen untersucht wurde. Der Kontrast zwischen der Wassertaufe des Johannes und der Geistestaufe Jesu greift die Sprache des Johannes selbst vom Anfang des Lukasevangeliums (Lukas 3:16) auf, aber diese Paarung bildet auch ein Thema in der Apostelgeschichte, wo die Gläubigen beide mit getauft werden Wasser und mit dem Geist.

Die Frage in Apostelgeschichte 1:6 „Wirst du zu dieser Zeit das Königreich für Israel wiederherstellen?“ zeigt das anhaltende, nationalistische Missverständnis der Jünger über die Bedeutung des Königreichs – sie brauchten also wirklich diese 40 Tage der Belehrung! Anstatt sie direkt zurechtzuweisen, führt Jesus sie in eine andere Richtung; Der Geist wird sie dazu ausrüsten, seine Zeugen „bis an die Enden der Erde“ zu sein. Es stellt sich heraus, dass dies die Bedeutung der eschatologischen Erwartung des Alten Testaments ist, dass alle Nationen nach Jerusalem gezogen werden, nicht im physischen Sinne einer Migration, sondern im spirituellen Sinne, indem sie sich zum jüdischen Messias hingezogen fühlen, der dort gekreuzigt und auferweckt wurde. Dies wird auf dem Konzil in Apostelgeschichte 15 von entscheidender Bedeutung, bei dem es darum geht, der „Heidenmission“ einen Sinn zu geben, und spiegelt sich in der Vision der Offenbarung wider, dass Menschen aus allen Stämmen, Sprachen und Sprachen stammen.

Schließlich stellt der Engel eine explizite Verbindung zwischen der Himmelfahrt und der Erwartung der Wiederkunft Jesu her (im NT wird sie nie als sein „zweites Kommen“, gepaart mit der Inkarnation, sondern als seine „Wiederkehr“, gepaart mit der Himmelfahrt, beschrieben). Beim ersten Lesen könnten wir denken, dass der Zusammenhang sozusagen eines der Fortbewegungsmittel ist – er wird „auf dem gleichen Weg zurückkommen, wie Sie ihn gehen sehen haben“. Aber der theologische Zusammenhang ist viel bedeutsamer. Jesus besteigt den Thron Gottes, um „zu seiner Rechten“ zu sitzen und die Macht und Autorität Gottes durch den Heiligen Geist auszuüben. Wenn Jesus jetzt  de jure Herr ist , muss er eines Tages  de facto Herr werden . Seine endgültige Offenbarung als Herr über alles ist die unvermeidliche Folge seiner jetzigen Erhöhung zum Vater.

Wenn also die Himmelfahrt im NT so wichtig ist, was bedeutet das?

  1. Autorität . Jesus thront beim Vater. Aufgrund der Himmelfahrt sitzt das geschlachtete Lamm mit Gott auf dem Thron und teilt seine Anbetung (Offenbarung 4). Bei der Himmelfahrt wurde ihm „alle Macht gegeben“ (Matthäus 28:18 ). Und diese Autorität bedeutet, dass Stephanus zuversichtlich ist, dass er von einer höheren Macht gehalten wird, sogar bis zum Tod – seine letzte Vision ist die von Jesus, der im Sinne von Daniel 7 aufgefahren ist (Apostelgeschichte 7:55-56).
  2. Menschwerdung . In der Menschwerdung trat Gott in die Menschheit, die menschliche Existenz ein. Bei der Himmelfahrt wird diese Menschheit in die Gegenwart Gottes aufgenommen. Wir haben einen Hohepriester, der für uns eintritt und nicht unfähig ist, Mitgefühl für unsere Herausforderungen, Dilemmata, Leiden und Schwächen zu empfinden ( Hebräer 4:15-16 ) .
  3. Verantwortung . Die Himmelfahrt markierte das Ende des irdischen Wirkens Jesu; Er hat uns nun die Verantwortung übertragen, diese Arbeit mit der Kraft des Heiligen Geistes fortzusetzen. Jesus ist nicht distanziert oder gleichgültig, aber er hat delegiert.
  4. Treue. Als Jesus in den Wolken zum Himmel aufstieg, versprach er, „auf die gleiche Weise“ wiederzukommen ( Apostelgeschichte 1:11 ). Seine Rückkehr wird im NT nie als „zweites Kommen“ bezeichnet, da sie nicht mit seinem „ersten Kommen“ (der Menschwerdung) gepaart ist, sondern mit der Himmelfahrt. Da Gott alles unter seine Füße gelegt hat, wird seine de jure–Autorität  eines Tages eine de facto–Autorität sein.
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  1. Ian Paul: Theologe, Autor, Redner, akademischer Berater. außerordentlicher Professor am Fuller Theological Seminary; Seelsorger in St. Nic’s, Nottingham, Verlagsdirektor von Grove Books; Mitglied der Generalsynode der Kirche von England. Macbenutzer; Schokoholiker. Auf Twitter und Facebook unter @psephizo zu finden. Blog: www.psephizo.com[]
  2. Englische Originalfassung hier auf Psephizo. Deutsche Übersetzung von Wolf Paul, unter Zuhilfenahme von Google Translate []
  3. Ich bin übrigens nicht überzeugt, dass Paulus in Philipper 2 eine bereits existierende Komposition zitiert[]
  4. Ian Paul, Making Sense Of Matthew 24 (Matthäus 24 richtig verstehen) []
  5. Ian Paul, What Matthew 24 Is All About (Worum es in Matthäus 24 eigentlich geht) []
  6. Die Rede ist hier vom Common Worship Lectionary , der aktuellen Perikopenordnung für Sonn- und Feiertage der Kirche von England. Diese beruht auf dem im englischen Sprachraum unter protestantischen Kirchen sehr weit verbreiteten Revised Comon Lectionary, welches auch weitgehend mit dem Lektionar der röm.-kath. Kirche übereinstimmt[]
  7. Wikipedia-Artikel zur Zahl 40. Leider geht der deutsch Artikel nicht so detailliert auf die Bedeutung der Zahl 40 im Judentum (und daher auch im AT) ein.[]

In Memoriam George Verwer

Wolf Paul, 2023-04-15

Wir haben soeben diese Nachricht von Lawrence Tong, dem internationalen Direktor von Operation Mobilisation, erhalten:

“In großer Trauer teile ich Euch mit, daß unser Bruder George Verwer (Gründer von Operation Mobilisation) uns gestern Abend, dem 14. April 2023 um 23:06, verlassen hat und in die Herrlichkeit eingegangen ist. Er ist friedlich gestorben, zu Hause, im Beisein seiner Frau Drena, seiner Tochter Christa, sowie einer Freundin der Familie, Cathy Rendal.” 

George hatte einen großen Einfluß auf mein Leben: durch die von ihm gegründete Organisation kam ich vor 52 Jahren zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus, und auch spätere, persönliche Begegnungen mit ihm waren sehr wichtig für mich.

Einerseits ist sein Heimgang ein Grund zur Freude, weil er, in den Worten des Apostels Paulus „den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben gehalten hat; hinfort liegt für ihn bereit die Krone der Gerechtigkeit, die ihm der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, nicht aber ihm allein, sondern auch allen, die Christi Erscheinung lieb haben.“ (2. Tim. 4,7) Er ist frei von dem Krebs, der ihm sein Leben in den letzten Monaten immer schwerer gemacht hat, und, um wieder mit dem Apostel Paulus zu sprechen, er hat „den Leib verlassen und ist daheim bei dem Herrn.“ (2.Kor. 5,8)

Aber gleichzeitig ist da große Trauer und die Erkenntnis, daß (für mich zumindest) eine Era zu Ende gegangen ist. In einer Zeit, wo allzu viele Christen und christlichen Leiter damit beschäftigt sind, ihre Rechte zu bewahren und die Welt durch politische Anstrengungen zu verändern (oder auch eine Veränderung zu verhindern), war George ein demütiger Diener Gottes, der nie seinen Auftrag aus den Augen verloren hat: Das Evangelium denen zu verkünden, die es noch nie gehört haben, und andere auszurüsten, dasselbe zu tun.

Todesanzeigen werden oft mit den Buchstaben “R. I. P.” überschrieben: „Requiescat in Pace, „Ruhe in Frieden.“ Für George Verwer, und  für alle Christen, die im Herrn entschlafen sind, stehen diese Buchstaben vielmehr für „Er ruht tatsächlich im Frieden, im Frieden Gottes!

Die Attraktivität Post-Evangelikaler Theologie

Wolf Paul, 2023-04-06

In einem Blog-Beitrag auf „Jesus.de“ faßt der (leider ungenannte) Autor zwei Artikel zusammen (ein dritter ist angekündigt), die Markus Till auf seinem Blog „Aufatmen in Gottes Gegenwart“ veröffentlicht hat:

In der Zusammenfassung wird Markus Till zitiert, „Viele beklagen nachvollziehbar, dass sie ihr evangelikales Umfeld als überaus eng erlebt haben“, und das bezweifle ich auch gar nicht.

Aber da müßte man dann mal analysieren,

  1. wie weit diese erlebte Enge einfach daher rührt, daß sich der Mensch in seiner sündigen Natur nicht gerne einengen läßt, auch nicht von Gottes Geboten, und
  2. wie weit diese erlebte Enge daher rührt, daß die “Freiheit eines Christenmenschen” in manchen evangelikalen und fundamentalistischen Kreisen tatsächlich nicht existiert oder biblisch unzulässig eingeschränkt wird. So sagt Paulus, „Mir ist alles erlaubt, aber es frommt nicht alles,“ und wenn manche Christen oder Gemeinden alles verbieten, was ihrer Meinung nach „nicht frommt,“ dann ist das zwar wohl gut gemeint, aber biblisch unzulässig.

Gegen das erstgenannte Erlebnis der Enge können nur die Betroffenen selbst, in Offenheit für den Heiligen Geist, etwas unternehmen; die andere Enge zu vermeiden und tatsächlich unsere Freiheit in Christus hochzuhalten, liegt in der Verantwortung der Kirchen und Gemeinden sowie jedes einzelnen Christen.[1]

Ich hoffe, daß sich Till in einem weiteren Artikel damit auseinander setzt und praktische Vorschläge entwickelt, wie Gemeinden eine solche unzulässige Enge vermeiden können, ohne das Evangelium und das evangelikale Schriftverständnis zu verlassen und zu verraten.

 

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  1. Ein Kommentar zu diesem Beitrag auf Facebook lautete, „Ist es nicht dieses Schriftverständnis, das die Enge bedingt? Orientierung am geschriebenen Wort statt am lebendigen Christus.“ Ein verständlicher Einwand, aber letztlich ist das geschriebene Wort der einzige objektive Weg, den lebendigen Christus zu kennen, und eine gewisse Enge ist notwendig, wenn sich nicht alles in Beliebigkeit auflösen soll. Ich warne hier vor einer Enge, die über die Heilige Schrift hinausgeht.[]

Endzeitliche Zustände?

Wolf Paul, 2023-03-27

In der gestrigen ZIB2[1]: In Österreich und Deutschland finden nach den USA Verschwörungstheorien und politischer Radikalismus den meisten Zuspruch, aber auch im Rest der Welt nimmt ihr Einfluß zu. Dabei geht es um angeblich gestohlene Wahlen, angeblich gesundheitsschädliche und nutzlose Impfungen gegen eine Pandemie, die angeblich von internationalen Geschäftsleuten wie Bill Gates und George Soros absichtlich herbeigeführt wurde, die angebliche Verantwortung von USA und EU als für den Krieg in der Ukraine, usw.

Gleichzeitig führt in allen Industrienationen (und nicht nur in diesen) ein zunehmender Rückgang der Geburtenrate dazu, daß bereits jetzt den Unternehmen die Mitarbeiter fehlen und Kunden abhanden kommen und in wenigen Jahren die Pensionssysteme nicht mehr finanzierbar sein werden.

Und schließlich scheinen immer mehr christliche Kirchenleitungen[2] zu dem Schluß gekommen zu sein, daß biblische Sexuallehre und biblisches Eheverständnis gegen den Widerstand der sekularen „progressiven“ Eliten nicht mehr haltbar ist, und man daher segnen kann und darf, was die Bibel als Sünde bezeichnet.

All das führt zu einer Gesamtsituation in der, wie auch schon früher im Laufe der Geschichte, eine baldige Wiederkunft Jesu wahrscheilich und wünschenswert erscheint. In dieser Situation dürfen wir durchaus beten, „Komm, Herr Jesus!“

Gleichzeitig dürfen wir aber nicht vergessen, daß Jesus gesagt hat, „niemand kennt den Tag oder die Stunde“ seiner Wiederkehr.

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  1. ORF Spätabebd-Nachrichtensendung[]
  2. Church of England, evangelische und Katholische Kirche in Deutschland, usw., selbst einige Freikirchen auch bei uns[]

Viele Öffnungen, viele Höhlungen

Wolf Paul, 2023-03-17

  • Trigger-Warnung: In diesem Beitrag werden auch Körperfunktionen erwähnt, was manche Leser vielleicht unangenehm berühren könnte. 

Vor vielen Jahren habe ich über dem Waschbecken im Toiletten-Vorraum einer betont Israel-affinen christlichen Gemeinde einen Text gefunden, über den ich zunächst geschmunzelt habe, der mir aber bei näherer Betrachtung als durchaus dem Ort angemessen erschien.

Es handelt sich dabei um diesen als Ascher Jazzar bekannten Segensspruch (Bracha oder Beracha, Mehrzahl Brachot – hebr. ברכה, jiddisch: Broche), den fromme Juden angehalten sind, nach jedem Urinieren oder Stuhlgang zu sprechen, und der auch als Teil des Morgengebets Schacharit im Sid33dur (jüdisches Gebetsbuch) zu finden ist:

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt,
der den Menschen gebildet mit Weisheit
und an ihm erschaffen viele Öffnungen,
viele Höhlungen.
Offenbar und bekannt ist es
vor dem Thron deiner Herrlichkeit,
daß, wenn eine von ihnen offen
oder eine von ihnen verschlossen bliebe,
es nicht möglich wäre zu bestehen
und vor dich hinzutreten.
Gelobt seist du, Ewiger,
der da heilt alles Fleisch und wunderbar wirkt.

Momentan bin ich, zuerst wegen einer Operation in der Leistengegend, und danach wegen der daraus resultierenden Atrophie meiner Beinmuskeln, bereits seit fast elf Monaten bettlägrig, und habe deshalb einen Harnkatheter. Normalerweise funktioniert der ziemlich problemlos, er muß halt alle zwei Monate ausgewechselt werden, und manchmal verstopft er sich, dann muß er auch außerplanmäßig ersetzt werden. Das ist mir bis vor drei Wochen etwa viermal passiert – in etwa neun Monaten.

Am 21. Februar war der letzte planmäßge Katheterwechsel, und seither war ich bereits sechsmal mit einem verstopften Katheter in Mistelbach im Spital. zuletzt zweimal innerhalb von 12 Stunden. Das war ganz besonders unangenehm:

Schon das Warten auf die Rettung und dann der Transport ins Krankenhaus gegen 5:45 Uhr waren sehr unangenehm, weil sich die Blase immer mehr füllte; dort mußte ich dann in der Unfallambulanz (weil die Urologieambulanz zu der Zeit nicht geöffnet ist) warten, bis der diensthabende Urologe Zeit hatte, sich um mich zu kümmern. In dieser Zeit wurde mein Harndrang immer unangenehmer und schließlich schmerzhaft. Gegen 6:45 wurde mir schließlich gesagt, daß kein Urologe kommen würde, sondern ich in die Urologiambulanz gebracht werden würde. Das hieß, mit einer zunehmend schmerzhaften Blase weiter zu warten – zunächst bis zur Öffnungszeit der Urologie um 7:00 Uhr, dann weiter, bis die Urologie-Mannschaft um 7:15 Uhr aus der Schichtwechsel-Dienstbesprechung kam. Endlich Erleichterung! Der Wechsel ging dann sehr schnell, danach mußte ich eine weitere halbe Stunde auf den Heimtransport warten – aber da hatte ich zum Glück keine Schmerzen mehr.

Inzwischen mache ich, je nach Bedarf, mindesten zweimal am Tag eine Katheterspülung mit einer Kochsalz- oder Zitronensäure-Spülung, und obwohl man schon spürt, daß die Blase eigentlich nicht dafür gemacht ist, von dieser Seite befüllt zu werden, ist es doch wesentlich weniger schmerzhaft, wenn es dort nicht abfließen kann.

Normalerweise verschwende ich ja auf Körperfunktionen wie Urinieren kaum einen Gedanken, aber in meiner derzeitigen Situation muß ich immer wieder an Psalm 139, 14 denken:

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

Genau das Gleiche drückt Ascher Jazzar mit ein paar mehr Wörtern aus, und man belächelt diese Angewohnheit, diesen Segen nach jedem  Toilettengang zu rezitieren, nur solange es bei den eigenen vielen Öffnungen, vielen Höhlungen und deren Funktion zu keinen Störungen kommt.

Als freikirchliche, evangelikale Christen haben wir es nicht so mit vorgeschriebenen, vorformulierten Gebeten oder Ritualen, und das hat gute theologische Gründe; aber als Vorschlag statt als Vorschrift gesehen können z. B. gerade diese jüdischen Segenssprüche bei Allem und Jedem durchaus wertvoll sein, weil sie uns immer wieder daran erinnern, daß unser ganzes Leben, einschließlich nicht ehrenvollen [1] Aspekten, einen Gottesbezug hat, nicht nur die Stunde am Sonntagvormittag oder Mittwochabend, oder auch die tägliche Stille Zeit.

Und da stellt sich mir dann die Abschlußfrage: warum hat die eingangs erwähnte Gemeinde nicht auch den Segen zum Händewaschen (Netilat Jadajim,  hebräisch יָדַיִם נְטִילַת) über dem Waschbecken angebracht

Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns mit seinen Geboten geheiligt und uns befohlen hat, die Hände zu waschen.

Aber das war natürlich lange vor Covid-19.

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  1. 2. Timothäus 2, 20[]

Wie kann ein Christ vermeiden, seinen Glauben zu kompromittieren?

Wolf Paul, 2023-03-01

Diese Frage habe ich auf Quora beantwortet:

Wie kann ein Christ vermeiden, seinen Glauben zu kompromittieren?

  1. Indem er in einer christlichen Gemeinde mitlebt und -arbeitet sowie viel in der Bibel liest, eventuell mit Hilfe eines Katechismus o. ä., um überhaupt zu wissen, was sein Glaube alles umfaßt, und
  2. indem er dann auch bereit ist, von anders- und nichtgläubigen Mitmenschen belächelt, angefeindet, oder verfolgt zu werden, sowie die materiellen Nachteile klaglos zu ertragen, wenn er bei bestimmten Dingen nicht mitmacht oder Dinge tut, bei denen ihm nur Unverständnis entgegen schlägt.
  3. Das wird man sicher nur annähernd schaffen, und auch das nur, wenn man viel betet. Aber deshalb vertrauen wir auch nicht auf uns selbst sondern auf die Hilfe, Gnade, Barmherzigkeit, und Vergebung unseres Gottes.
  4. Dabei ist es wichtig, nicht bei jedem Gegenwind allzuschnell von “Verfolgung” zu reden. Ich glaube zwar, daß sich unsere Gesellschaft in eine Richtung bewegt, wo wir über kurz oder lang auch mit Verfolgung rechnen müssen, aber noch sind wir weit von all dem entfernt, womit Christen in Ländern wie China, Nordkorea, Kuba, und vielen islamischen Ländern leben (und sterben) müssen.

(Diese Punkte gelten natürlich auch für Frauen und Mädchen, auch wenn ich in der Antwort der Einfachheit halber die männlichen Formen verwende.)


Das Titelbild stammt vom Cover des gleichnamigen Buches von Ulrich Parzany, erschienen bei SCM Hänssler.

Die traurigsten Worte, die je zu einem Sünder gesagt wurden

Wolf Paul, 2023-02-28

Kurzvideo von Chad Bird:[1]

Die traurigsten Worte, die je zu einem Sünder gesagt wurde, war die Antwort der Priester an Judas Iskariot.

Als Judas erkannt hatte, daß Jesus zum Tod verurteilt worden war, ging er zum Tempel, zu den Priestern, die ihm die Silberlinge gezahlt hatten, damit er Jesus verraten würde. Er sagte, „Ich habe gesündigt, weil ich unschuldiges Blut verraten habe.“ Sie antworteten ihm mit den kältesten Worten die je ein Mensch gesagt hat: „Was geht uns das an? Kümmere dich selbst darum!“

Und leider tat Judas genau das. Er ging hin und brachte sich um.

Wenn uns jemand seine Sünden bekennt, dann ist das allerletzte, was wir jemals sagen sollen, „Was geht mich das an? Was geht es uns an? Kümmere dich selbst darum.“ Nein, wenn jemand seine Sünden bekennt, dann sagen wir, „Bruder, Schwester, dir ist vergeben. Wir haben einen guten, einen gnädigen, einen barmherzigen Gott. Er ist bereit und willens, dir zu vergeben. Sei guten Mutes und freue dich, dir ist vergeben.“

Nicht, „Kümmere dich selbst darum!“

Christus hat sich um unsere Sünden gekümmert. Er hat die Strafe bezahlt, für Alles, was wir je getan haben. Es ist Seine Vergebung, und nur Seine, die uns Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft schenkt.


Dieses Video wurde auf Facebook veröffentlicht. Transkription und deutsche Übersetzung von Wolf Paul mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Copyright 2023 by Chad Bird.

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  1. Chad Bird ist lutherischer Pastor, Theologe und Professor für Altes Testament und Hebräisch. Er hat für viele christliche Zeitschriften geschrieben und mehrere Bücher verfaßt.[]

Keiner der lebt ist gerecht vor dir …

Wolf Paul, 2023-02-07

Vor zwei Tagen habe ich einen Text von Chad Bird gepostet, über die „unzivilisierte und rebellische Gnade Gottes.“ Daraus sind ein paar Gespräche entstanden, die mich zum Nachdenken gebracht haben; und dann bin ich heute in der Komplet, dem Nachtgebet, auf einen Vers aus Psalm 143 gestoßen. Hier sind ein paar der Gedanken, die ich mir gemacht habe.

Man hört unter Evangelikalen oft die Meinung, fast den Lehrsatz, daß sich Gottes Volk im Alten Bund das Heil mühsam verdienen mußte, durch buchstabentreue Befolgung aller Gebote, während wir im Neuen Bund einen gnädigen Gott haben, und wie uns unsere Errettung nicht durch das Einhalten des Gesetzes verdienen müssen.

Aber der Schreiber des Hebräerbriefes macht deutlich, daß auch im Alten Bund die Menschen das Heil durch Vertrauen auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit gesucht und gefunden haben; das Gesetz war nicht dafür da, die Menschen zu retten, sondern um sie zu lehren und unterweisen, wie sie als Volk Gottes leben sollen – und sie wußten recht gut, daß sie das Gesetz nicht perfekt eingehalten haben, und auf Gottes Treue, auf seine Gnade, angewiesen waren:

„Herr, höre mein Gebet, vernimm mein Flehen; in deiner Treue erhöre mich, in deiner Gerechtigkeit!
Geh mit deinem Knecht nicht ins Gericht; denn keiner, der lebt, ist gerecht vor dir.“[1]

Auch das Neue Testament ist voll mit Verhaltensanweisungen, also Geboten: sowohl Jesus als auch Paulus haben nicht mit ihnen gegeizt. Und genauso wie im Alten Bund sollen wir diese Gebote nicht befolgen, um uns das Heil zu verdienen, sondern weil sie beschreiben, wie wir als Gemeinde Jesu, d. h. als eingepflanzter Teil des Volkes Gottes, leben sollen.

Und auch wir wissen, daß wir diese Gebote Gottes auch nicht annähernd vollkommen einhalten; deshalb zitiert Paulus im Römerbrief aus Psalm 14: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Alle sind sie abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“

Das Volk Gottes besteht im Alten wie im Neuen Bund aus Sündern, die wissen, daß sie ganz und gar von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes abhängig sind.

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  1. Psalm 143, aus dem heutigen Nachtgebet[]