Eurropa steht am Wendepunkt
Vor einigen Tagen, am 4. März, hat der französische Senator Claude Malhuret die folgende Rede vor dem französischen Senat gehalten — eine kraftvolle Rede mit shr präzisen Aussagen, die sich in die besten Reden von Politikern wie Churchill und Kennedy einreiht.[1]
„Herr Präsident, Herr Premierminister, meine Damen und Herren Minister,
meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen,
Europa steht an einem kritischen Wendepunkt seiner Geschichte. Der amerikanische Schutzschirm bröckelt, die Ukraine droht im Stich gelassen zu werden, Russland wird gestärkt.
Washington ist zum Hof Neros geworden: ein feuriger Kaiser, unterwürfige Höflinge und ein ketaminbefeuerter Hofnarr, der die Verwaltung von unbequemen Beamten säubern soll.
Dies ist eine Tragödie für die freie Welt, aber vor allem ist es eine Tragödie für die Vereinigten Staaten. Trumps Botschaft lautet: Es lohnt sich nicht, sein Verbündeter zu sein, denn er wird dich nicht verteidigen, er wird dir höhere Zölle auferlegen als seinen Feinden und dir mit der Beschlagnahmung deines Territoriums drohen, während er gleichzeitig die Diktaturen unterstützt, die dich überfallen.
Der „King of the Deal“ zeigt, was die „Kunst des Deals“ wirklich bedeutet. Er glaubt, China einschüchtern zu können, indem er sich vor Putin niederwirft – doch Xi Jinping beschleunigt angesichts dieses Schiffsbruchs wahrscheinlich die Vorbereitungen für die Invasion Taiwans.
Noch nie in der Geschichte hat ein US-Präsident vor dem Feind kapituliert. Noch nie hat jemand einen Aggressor gegen einen Verbündeten unterstützt. Noch nie hat jemand die amerikanische Verfassung so mit Füßen getreten, so viele illegale Dekrete erlassen, Richter entlassen, die ihn hätten aufhalten können, den Generalstab auf einen Schlag abgesetzt, alle Kontrollinstanzen geschwächt und die Kontrolle über soziale Medien übernommen.
Das ist keine illiberale Tendenz mehr – es ist der Beginn der Konfiskation der Demokratie. Erinnern wir uns: Es dauerte nur einen Monat, drei Wochen und zwei Tage, um die Weimarer Republik und ihre Verfassung zu Fall zu bringen.
Ich habe Vertrauen in die Stärke der amerikanischen Demokratie, und das Land protestiert bereits. Aber in einem Monat hat Trump den USA mehr Schaden zugefügt als in vier Jahren seiner letzten Präsidentschaft. Wir waren im Krieg mit einem Diktator – nun kämpfen wir gegen einen Diktator, der von einem Verräter unterstützt wird.
Vor acht Tagen, in dem Moment, als Trump Macron im Weißen Haus den Rücken tätschelte, stimmten die Vereinigten Staaten in der UNO mit Russland und Nordkorea gegen die Europäer, die den Abzug der russischen Truppen forderten.
Zwei Tage später erteilte der Wehrdienstverweigerer im Oval Office dem Kriegshelden Selenskyj Lektionen in Moral und Strategie, bevor er ihn wie einen Diener abfertigte und ihn aufforderte, sich zu unterwerfen oder zurückzutreten.
Heute Abend ging er noch einen Schritt weiter in die Schande, indem er die Lieferung versprochener Waffen stoppte.
Was tun angesichts dieses Verrats? Die Antwort ist einfach: ihm entgegentreten.
Zunächst dürfen wir uns keine Illusionen machen. Die Niederlage der Ukraine wäre die Niederlage Europas. Die baltischen Staaten, Georgien, Moldawien stehen bereits auf der Liste. Putins Ziel ist es, nach Jalta zurückzukehren, wo die Hälfte des Kontinents Stalin überlassen wurde.
Die Staaten des Südens warten den Ausgang des Konflikts ab, um zu entscheiden, ob sie Europa weiterhin respektieren oder es nun mit Füßen treten können.
Was Putin will, ist das Ende der Weltordnung, die vor 80 Jahren von den USA und ihren Verbündeten geschaffen wurde, deren zentrales Prinzip das Verbot der gewaltsamen Aneignung von Territorien war.
Diese Idee war der Grundgedanke der UNO – wo heute die Amerikaner für den Aggressor und gegen das Opfer stimmen, weil Trumps Vision mit der Putins übereinstimmt: eine Rückkehr zu Einflusszonen, in denen die Großmächte über das Schicksal der kleinen Länder bestimmen.
Meins ist Grönland, Panama und Kanada. Deins ist die Ukraine, das Baltikum und Osteuropa. Seins ist Taiwan und das Chinesische Meer.
Auf den Partys der Oligarchen in den Golfclubs von Mar-a-Lago nennt man das „diplomatischen Realismus“.
Also sind wir allein.
Aber die Behauptung, dass man Putin nicht widerstehen kann, ist falsch. Trotz der Propaganda des Kremls ist Russland in schlechter Verfassung. In drei Jahren hat die angeblich zweitgrößte Armee der Welt nur ein paar Krümel eines Landes erobert, das dreimal weniger Einwohner hat.
Zinsen von 25 %, der Zusammenbruch der Devisen- und Goldreserven, der demografische Niedergang – all das zeigt, dass Russland am Rande des Abgrunds steht.
Die amerikanische Hilfe für Putin ist der größte strategische Fehler, der jemals in einem Krieg gemacht wurde.
Der Schock ist heftig, aber er hat eine Tugend: Die Europäer wachen aus ihrer Verleugnung auf. Sie haben in einem Tag in München verstanden, dass das Überleben der Ukraine und die Zukunft Europas in ihren Händen liegen.
Sie haben drei dringende Aufgaben:
- Die militärische Hilfe für die Ukraine beschleunigen, um das amerikanische Versagen auszugleichen.
- Garantien für die Rückkehr entführter Kinder, Gefangener und absolute Sicherheitsgarantien einfordern.
- Die vernachlässigte europäische Verteidigung aufbauen, die seit 1945 dem amerikanischen Schutzschirm überlassen wurde.
Es ist eine Herkulesaufgabe, aber an ihrem Erfolg oder Scheitern wird sich bemessen, wie die heutigen Führer der demokratischen Welt in die Geschichtsbücher eingehen.
Doch die wahre Wiederbewaffnung Europas ist seine moralische Wiederbewaffnung.
Wir müssen die öffentliche Meinung überzeugen – gegen Kriegsmüdigkeit, Angst und vor allem gegen Putins Handlanger von rechts und links.
Gestern haben sie in der Nationalversammlung wieder argumentiert – gegen die europäische Einheit, gegen die europäische Verteidigung.
Sie sprechen von Frieden. Was sie nicht sagen, ist, dass ihr „Frieden“ Kapitulation bedeutet – die „Friedenslösung“ der Niederlage.
Ist das das Ende der Atlantischen Allianz? Die Gefahr ist groß.
Aber in den letzten Tagen haben die öffentliche Demütigung Selenskyjs und all die verrückten Entscheidungen Trumps endlich die Amerikaner wachgerüttelt.
Die Umfragen fallen. Republikanische Abgeordnete werden in ihren Wahlkreisen von wütenden Menschen empfangen. Selbst Fox News wird kritisch.
Die Trumpisten sind nicht mehr unantastbar.
Doch in der amerikanischen Geschichte haben die Freiheitskämpfer immer gesiegt.
Das Schicksal der Ukraine entscheidet sich in den Schützengräben, aber auch in den USA – bei jenen, die die Demokratie verteidigen wollen.
Und hier, in Europa, hängt es von uns ab: Ob wir Europäer uns vereinen, unsere Verteidigung aufbauen und Europa wieder zu der Macht machen, die es einst war.
Unsere Eltern haben Faschismus und Kommunismus mit großen Opfern besiegt.
Die Aufgabe unserer Generation ist es, die Totalitarismen des 21. Jahrhunderts zu besiegen.
Es lebe die freie Ukraine, es lebe das demokratische Europa!“
__________- Quelle: La Semaine de l’Allier, The Atlantic[↩]